26. Geist

 

Markus Steller

 

Steller fiel aus dem Wagen. Was war passiert? Er legte die Hand auf die Augen, fühlte sich als Opfer einer Großwildsafari. Als hätte ihm jemand einen Betäubungspfeil in den Hintern geschossen. Es wurde geschrien. Er musste auf die Beine kommen, falscher Ort zum Schlafen. Schippe und Fliege trugen den Fahrer zum Transporter hinüber. Der Mann hing schlaff in ihren Armen. Auf dem Baslerplatz in Richtung Friedensbrücke stand ein Audi mit aufgerissener Beifahrertür. Fieber hatte sich an der Beifahrertür aufgebaut und fuchtelte mit der MP herum. In deren Haut wollte er nicht stecken. Der würde die alle umlegen. Steller musste da hin und versuchen, Fieber von der Wahnsinnstat abzuhalten. Aber seine Beine waren zu schwer, verwehrten den Gehorsam.

Er sah in Richtung Bahnhof, traute seinen Augen nicht. »Sie kommen!«, schrie er auf. Es waren Hunderte. Sie rannten auf die Unfallstelle zu, nutzten die gesamte Breite der Straße. Zwanzig Sekunden, vielleicht auch weniger. »Sie kommen! Sie kommen!« Stellers Beschwerden besserten sich schlagartig. Er humpelte um den BMW herum, plumpste ungeschickt auf den Fahrersitz. Der Airbag hatte bereits die Luft verloren, hing wie ein schlapper Ballon am Lenkrad. Hoffentlich fuhr die Karre noch. Steller drehte den Zündschlüssel und der Motor sprang an. Mit einem Krachen hämmerte er den Rückwärtsgang rein und schlingerte wie in einem Autoscooter auf Fieber zu.

Warum ließ er Fieber nicht zurück? Warum ließ er nicht einfach alle zurück? Ein paar Probleme weniger. Aber dann wäre alleine. Wollte er alleine sein? Um nichts in der Welt. Er bremste, blieb neben dem Audi stehen. »Wir müssen weg.«

Fieber drehte sich um, sah die Meute, brüllte in sein Funkgerät. Aber die anderen beiden Fahrzeuge ihres Konvois hatten bereits reagiert, rasten die Gutleutstraße weiter in Richtung Hafentunnel. »Fahrt uns nach«, schrie Fieber den Menschen im Audi zu. Dann riss er die Beifahrertür des BMW auf. »Weg, weg.« Die Ausläufer des Menschenschwarms erreichten sie. Steller gab Vollgas. Er erwischte einen jungen Mann mittschiffs. Der krümmte sich, als hätte ihm ein riesiger Boxer in den Magen geschlagen. Dann verschwand er aus seinem Sichtfeld, es polterte unter dem Bodenblech. Sie folgten den anderen Fahrzeugen. Körper schlugen auf der Beifahrerseite ein. Hinten knallte ein Fenster. Glas spritzte in den Innenraum.

»Wie weiter?« Fieber warf Steller einen Blick zu.

»Sie sollen die nächste Straße rechts abbiegen. Dann verlangsamen, damit wir überholen können. Ich muss als Erster an das Rolltor.«

Fieber bellte Befehle in den Funk. Steller erschrak. Die nächste rechts? Da fuhren sie direkt auf den Hafentunnel zu. Ganz schlechte Idee. Er machte den Mund auf.

Dann sah er Ben. War das Ben? War das Ben Wilczek? Die Haare, der Körper, die Kleidung.

Steller hatte ihn nur kurz aus den Augenwinkeln gesehen, versuchte ihn noch mal im Rückspiegel zu erwischen. Der Audi überholte sie, bahnte sich einen Weg durch liegen gebliebene Autos und schob einen Golf grob zur Seite.

»Was soll das? Mann, schau auf die Straße.«

Die Horde, in der er glaubte, Ben erkannt zu haben, bog um die Ecke, dreißig Meter hinter ihnen. Das war Ben. Oder?

»Fahr!«

Steller registrierte, dass er nur noch Schrittgeschwindigkeit fuhr. Gesichter knallten gegen die Heckscheibe.