45. Tagesschau

 

Aila Torbeck

 

Torbeck hatte knapp eine Stunde geschlafen. Dann wurde sie durch ihren 1. WO geweckt. »Was willst du von mir?«, nuschelte sie im Halbschlaf in das NanoCom.

»Die Sonne ist wieder verdunkelt. Und das ist nicht alles. Wir empfangen eine Nachricht«, sagte Gärtner.

Torbeck war sofort hellwach. »Ich bin auf dem Weg. Informieren Sie die Forschung.« Ohne sich um irgendetwas zu kümmern, sprang sie aus dem Bett, öffnete die Tür und rannte den Gang entlang in Richtung der Aufzüge.

 

Auf dem Leitstand war es unheimlich still. Torbeck, Danielsen und Keim bildeten zusammen mit dem Personal des Leitstandes einen engen Halbkreis um einen Monitor, als gäbe es dort die erste Mondlandung zu bestaunen. Die Information, dass sich die Sonne wieder verdunkelt hatte, wurde von der Nachricht, die sie empfingen, zur Randnotiz degradiert. Niemand konnte seinen Blick vom Bildschirm abwenden. »Seit wann läuft das?«, fragte sie den Soldaten, der am Terminal vor dem Monitor saß.

»Wir empfangen das Signal seit etwa fünfzehn Minuten.«

»Und es wiederholt sich immer wieder?«

»Ja. Die Sendung ist kaum eine Minute lang. Wenn sie zu Ende ist, beginnt sie nach dreißig Sekunden erneut.«

»Wie wird sie übertragen?«

»Über alle uns bekannten Frequenzen.«

»Von wo?«

Der Techniker zuckte mit den Achseln. »Von überall.«

»Das ist doch ein schlechter Scherz«, hörte Torbeck sich selber sagen. Sie starrte auf den Schirm. Sie hatte die Nachricht bereits zweimal gesehen, aber sie war bis jetzt nicht in ihrem Kopf angekommen. »In allen Sprachen?«

»Soweit wir das beurteilen können. Ja.«

Keim neben ihr grinste schief. »Ich habe es Ihnen doch gesagt.«

Torbeck achtete nicht auf ihn. Der Bildschirm wurde schwarz. Dann begann es erneut. Auf dem Monitor erschien das Logo der Tagesschau. Die Musik ertönte. Dann sah man einen Nachrichtensprecher. Der Mann lächelte, ohne seine Augen zu benutzen. Der Anzug war maßgeschneidert, die Haare wie gemalt. Seine Hände lagen ordentlich nebeneinander auf dem Pult. Torbeck beugte sich nach vorne, näher an den Bildschirm heran. Diese Augen. »Ist das ein echter Mensch?«

»Wenn, dann ist es ein Psychopath«, kam es von hinten.

Der Nachrichtensprecher öffnete den Mund. »Guten Tag«, sagte er mit sanfter Stimme. Er hielt kurz inne. Von links kam eine Hand ins Bild, die ein Glas Wasser auf das Pult stellte. Der Mann nahm das Glas und nippte daran. »Das ist total irre«, sagte jemand, der hinter Torbeck stand. Dann redete der Nachrichtensprecher weiter. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass alles ein Ende hat. Sie auch. Behalten Sie sich im Griff. Seien Sie nicht dumm. Bewahren Sie Ruhe. Hilfe ist nicht unterwegs. Also kein Grund zur Panik. Widerstand ist zwecklos.« Der Mann auf dem Bildschirm lächelte, dass seine Zähne blitzten. »Schlafen Sie schön.« Das Bild wurde schwarz.

Jemand lachte hysterisch. »Widerstand ist zwecklos. Das sind die Borg aus Raumschiff Enterprise.«

»Ist das eine Verarschung?«

»Ich glaube, das übersteigt das Budget von Verstehen Sie Spaß?«

»Warte, gleich fängt es wieder an.«

»Ruhe!« Torbeck wurde es zu viel. Augenblicklich wurde es still. »Gärtner, Keim, Danielsen. In meinen Raum.« Sie drehte auf dem Absatz um und ging voran. Die Männer folgten ihr wortlos. Als die Tür zum Kommandantenraum aufglitt, rief sie: »Theißen, Sie auch.« Nachdem sich alle versammelt hatten, zeigte sie auf die Stühle, die vor ihrem Schreibtisch standen. »Bitte.«

Torbeck ließ sich auf ihren Drehstuhl fallen. »Theißen, was wissen wir über die Nachricht?«

»Die Nachricht wird in den wichtigsten Sprachen übertragen. Jeweils in Form einer Nachrichtensendung. CNN, ABC, Al-Jazeera. Soweit wir das feststellen können, ist der Inhalt der Botschaft jeweils identisch.«

»Können wir die Quelle des Signals bestimmen?«
»Nein.«

»Ich habe es Ihnen doch gesagt. Ich wusste es«, sagte Keim. Der Mann freute sich, als habe er den Nobelpreis gewonnen. Torbeck konnte seine Euphorie nicht teilen.

»In Ordnung. Nehmen wir an, dass die Botschaft von Außerirdischen stammt.« Torbeck schüttelte sich. »Nein, das ist verrückt«, sagte sie mehr zu sich selbst.

»Außerirdische«, echote Gärtner.

Theißen machte große Augen.

Danielsen zeigte sich sichtlich genervt. »Nicht schon wieder.«

»Warum? Weil Sie nicht an Außerirdische glauben?« Keim beugte sich nach vorne und nahm Papier und Bleistift von Torbecks Schreibtisch. »Darf ich?«

»Bitte.«

Er schrieb eine Formel auf und zeigte sie den anderen. »Wissen Sie, was das ist?«, fragte er in die Runde. Allgemeines Kopfschütteln. Auf dem Blatt stand Folgendes:

 

N = Ro • ƒp • nc • ƒl • ƒi • L

 

»Das ist eine Abwandelung der Drake-Gleichung. Mit ihrer Hilfe lässt sich abschätzen, wie viele Zivilisationen in unserer Galaxie existieren. Die Faktoren setzen sich folgendermaßen zusammen. Ro bezeichnet die mittlere Sternenentstehungsrate in der Milchstraße, ƒp ist die Anzahl der Sterne mit Planetensystemen, nc die Anzahl der Planeten, die sich in der Ökosphäre ihres Sterns befinden, ƒl die Anzahl der Planeten, auf denen sich Leben entwickelt hat und ƒi schließlich die Anzahl der Planeten mit intelligentem Leben. L ist die Lebensdauer einer technischen Zivilisation.«

Danielsen lachte. »Da sind aber nach hinten heraus eine Menge Unbekannte in Ihrer Gleichung.«

»Das ist richtig. Aber laut Fermi kann man auch solche Gleichungen sinnvoll abschätzen.«

»Das ist aber eher ein philosophischer Ansatz.«

Keim ging nicht auf die Bemerkung des Professors ein. »Mittlerweile wissen wir, dass Planetensysteme eher die Regel als die Ausnahme darstellen. Exoplaneten werden fast täglich neu entdeckt.«

»Dabei handelt es sich aber meistens um jupiterähnliche Gasriesen«, warf Danielsen erneut ein.

»Wo Gasriesen sind, da sind auch Gesteinsplaneten zu vermuten. Aber das ist nicht der Punkt. Um es zu verkürzen. Selbst konservative Schätzungen gehen davon aus, dass es mindestens fünftausend Zivilisationen gibt, die gleichzeitig mit der Menschheit in der Milchstraße existieren. Es ist nicht weit hergeholt, wenn man annimmt, dass es unter diesen fünftausend Zivilisationen zehn gibt, die man als Superzivilisation bezeichnen kann. Also Zivilisationen, die interstellar reisen und in der Lage sind, die volle Energie ihres Heimatsternes zu nutzen.«

»Das ist Hokuspokus. Sie haben zu viele Bücher von Herrn von Däniken gelesen.« Der Professor verschränkte die Arme über seinen Bauch.

»Der Hokuspokus steht bei uns vor der Tür«, sagte Keim und warf Stift und Zettel zurück auf den Schreibtisch.

Gärtner mischte sich ein. Er hatte sich von dem Schock, dass Außerirdische die Welt bedrohten, überraschend schnell erholt. »Ich habe mal gelesen, dass solche fiktiven Kulturen der unseren nicht nur technisch, sondern auch moralisch überlegen sein sollten. Sie müssten gut sein. Das beißt sich etwas mit dem Inhalt der Nachricht. Die ist ja wohl eindeutig als Drohung zu verstehen.«

Keim wollte etwas sagen, wurde aber von Danielsen unterbrochen. »Sehen wir mal davon ab, dass Gut und Böse von Menschen definierte Begriffe sind. Das technisch überlegene Außerirdische auch besonders gut sein müssten, ist falsch. Es spricht sogar einiges dagegen, dass sie gut sind. Die Evolutionsgeschichte unseres eigenen Planeten hat oft genug gezeigt, dass dem Leben als solchem eine große Aggressivität innewohnt. Man kann sogar die Meinung vertreten, dass gerade die Aggressivität der einzelnen Lebensformen zur Weiterentwicklung der Spezies zwingend erforderlich ist. Denn nur eine feindliche Umwelt zwingt zur Anpassung und fordert von den Arten Strategien zum Überleben zu entwickeln. Möglicherweise ist die Aggressivität ein universeller Antrieb des Lebens überhaupt. So gesehen könnte es sein, dass sich wirklich erfolgreiche Zivilisationen gerade durch ein besonderes Maß an Aggressivität auszeichnen. Wenn man denn glauben will, dass es sie gibt.« Keim nickte zustimmend. »Aber ich glaube es immer noch nicht«, setzte der Professor hinzu.

Keim wurde lauter. »Es liegt doch auf der Hand. Wir haben es mit einem uralten künstlichen Virus zu tun. Der...«

»Dass der Virus künstlich ist, behaupten Sie. Und wie ich anfügen darf, nicht zum ersten Mal«, unterbrach ihn Danielsen.

»Bitte, Herr Professor. Sie glauben doch wohl selbst nicht an einen natürlichen Ursprung. Also. Der Virus bricht aus, vernichtet innerhalb kürzester Zeit einen Großteil der Bevölkerung. Dann flackert aus unerfindlichen Gründen unsere Sonne. Diese Streifen tauchen am Himmel auf und zu guter Letzt bekommen wir noch eine Botschaft, in der wir aufgefordert werden, uns in unser Schicksal zu fügen.«

»Die Botschaft zeugt aber nicht gerade von großer Intelligenz«, warf Theißen ein.

»Warum nicht? Weil sie für uns holprig klingt? Nun, das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sie von einer Intelligenz stammt, die der unseren im besten Fall nur ähnelt. Viele Metaphern und Bilder, die wir täglich verwenden, spielen in ihrer Kultur wahrscheinlich keine Rolle. Wenn Sie mit einem intelligenten Delfin sprechen müssten, dann wären Missverständnisse vorprogrammiert. Und ein Delfin lebt immerhin auf dem gleichen Planeten wie Sie. Die Angreifer haben vielleicht unser Fernsehprogramm empfangen und daraus gewisse Rückschlüsse gezogen. Sie haben begriffen, dass unsere Nachrichtensendungen dafür geeignet sind, uns eine Botschaft zukommen zu lassen. Dass sie nicht wissen, welche Reaktion diese Botschaft tatsächlich bei uns auslöst, kann man ihnen nicht als mangelnde Intelligenz auslegen.«

»Sie haben Angreifer gesagt. Was geschieht Ihrer Meinung nach hier gerade?« Torbeck konnte sich nicht konzentrieren. Ihre Gedanken sprangen sekündlich zwischen der Besprechung und ihrer Tochter hin und her. War sie mit ihren Gedanken hier im Raum, dann schämte sie sich, nicht an ihr Kind zu denken. Wenn sie aber an Katta dachte, dann schämte sie sich, nicht bei der Sache zu sein.

»Wir werden kolonialisiert. Das geschieht«, sagte Keim.

»Wie die Indianer?«, fragte Theißen.

»Eher schlimmer. Ich nehme folgendes Szenario an. Schon vor Urzeiten haben die Außerirdischen die Erde besucht. Sie trafen auf einen Planeten, der ihren Anforderungen nicht genügte. Sie manipulierten den Evolutionscomputer, indem sie Viren einsetzten. Wenn man so will als Programmroutinen.«

»Jetzt machen Sie mal einen Punkt.« Danielsen platzte die Hutschnur.

»Sie sind doch Virologe. Wollen Sie bestreiten, dass Viren ein wesentlicher Motor der Evolution sind?« Keim sah den Professor auffordernd an.

»Nein.«

»Wollen Sie bestreiten, dass noch immer darüber gestritten wird, ob Viren leben oder nicht?«

»Das kann man nicht so einfach sagen. Nach menschlichem Verständnis existieren Viren tatsächlich an der Grenze zwischen unbelebter Natur und dem, was wir als lebendig bezeichnen. Das liegt daran, dass der Mensch eine ziemlich starre Vorstellung davon hat, was Leben bedeutet. Das ist ein Problem der Definition, nicht des Lebens.«

»Da bin ich anderer Meinung. Viren sind unbelebte Materie. Sie nisten sich in Wirtszellen ein und funktionieren als biochemische Parasiten. Sie sind körperlose Dämonen, die vom Leben selbst Besitz ergreifen. Die Viren haben den Planeten langfristig so verändert, wie es sich unsere Besucher gewünscht haben. Zumindest dachten sie das. Jetzt sind sie nach Jahrmillionen zurückgekehrt und wollen ihn in Besitz nehmen. Dabei müssen sie feststellen, dass die Biologie, die sie wie Magier beherrschen, selbst für sie ein Stück weit unberechenbar ist. Wir sind da. Ein ungewolltes Abfallprodukt. Das müssen sie loswerden. Darum wird MCHI ausgelöst. Um bei meinem Vergleich zu bleiben. MCHI ist ein in kluger Voraussicht installiertes Reinigungsprogramm, das unerwünschte Ergebnisse des von ihnen gesteuerten Evolutionscomputers berichtigen soll. Der Virus alleine reicht aber nicht. Denn, wenn auch nur ein Prozent der menschlichen Population überlebt, so ist das zu viel. Der Mensch besitzt die ausgeprägte Fähigkeit zur Reorganisation, er muss völlig ausgerottet werden. Daher die Streifen am Himmel. Das sind Landungsschiffe. Sie stellen die zweite Welle der Invasion dar. Dass die Sonne verdunkelt wird, hängt möglicherweise damit zusammen, dass sie gerade damit beschäftigt sind, eine Dyson-Sphäre zu installieren. Bevor Sie fragen, was das ist. Eine Dyson-Sphäre ist ein kugelförmiges Konstrukt, das einen Stern umschließt, um seine gesamte Energie zu absorbieren. In diesem Fall könnte es sich um einen Dyson-Schwarm handeln. Vielleicht Zigtausende von gewaltigen Sonnenkollektoren, die auf eigenständigen Bahnen die Sonne umkreisen. Sie können sich das so vorstellen. In einem Krieg ist die Schlacht um die Hauptstadt noch in vollem Gange. Der siegessichere Feind baut aber bereits in der Vorstadt die ersten Parkanlagen aus.« Keim hob abwehrend die Hände, bevor sich die anderen empören konnten. »Aber das mag auch völliger Blödsinn sein. Was kein Blödsinn ist, ist die Tatsache, dass die Außerirdischen vor unserer Tür stehen. Und sie haben keine friedlichen Absichten.«

»Wenn der Feind so siegessicher ist, warum dann diese Nachricht?«, wollte Torbeck wissen.

»Ich muss eingestehen, dass mich das auch verwirrt. Denkbar wäre, dass sie einen Kampf scheuen.«

»Sie sind uns doch technisch mehr als überlegen«, wandte Theißen ein.

»Das bedeutet aber nicht, dass sie das Prinzip der Kriegsführung beherrschen. Sie manipulieren ganze Planeten auf eine Art und Weise, die das Kämpfen für sie vielleicht seit fünfhundert Millionen Jahren überflüssig macht.« Keim dachte kurz nach. »Möglicherweise haben sie auch Angst, dass wir im Angesicht des totalen Untergangs den Planeten in die Luft sprengen. Vielleicht wissen sie, dass wir Atomwaffen besitzen. Und zwar eine ganze Menge, wie ich anfügen möchte. Das Potenzial ist also vorhanden.«

Torbeck erschrak. Ein atomarer Holocaust? Wenn die Erde wirklich vor einer Invasion stand, dann war das sicherlich eine Möglichkeit, über die die entsprechenden Mächte nachdenken würden. Wenn sie dazu noch in der Lage waren. Torbeck fielen die Satelliten ein. »Theißen. Was ist mit den SAR-Lupe-Satelliten? Konnten Sie die Steuerung übernehmen? Können die uns irgendwie helfen?«

»Das habe ich in der Aufregung vergessen. Die Satelliten sind ausgefallen. Alle.«

»Seit wann?«
»Das ist kurz vor dem Eingang der Nachricht geschehen.«

»Also sind wir taub und stumm.« Jetzt konnte sie nicht mehr mit Katta Kontakt aufnehmen. Das war die mit Abstand schlimmste Nachricht des Tages.

»Ja«, sagte Theißen, »aber nicht blind. Die Drohne befindet sich gerade noch in einer Entfernung, die eine Verbindung ohne Satelliten möglich macht.«

Torbeck sprach Keim an. »Sie haben gerade erwähnt, dass die Außerirdischen Angst haben könnten.«

»Das dürfen Sie nicht wörtlich nehmen. Ich kann nichts über deren Gefühlswelt und Motive sagen. Wenn sie denn so etwas wie Gefühle besitzen.«

»Trotzdem. Wenn es ihnen völlig egal wäre, wie wir uns verhalten und was wir tun, dann müssten sie uns keine Nachricht schicken.«

»Das ist aus menschlicher Sicht richtig.«

»Das Vorgehen wirkt menschlich«, sagte Torbeck.

»Das kann daran liegen, dass es zwischen ihnen und uns Gemeinsamkeiten gibt. Darin könnte auch unsere einzige Chance liegen.«

»Was sollte das sein?«, spottete Danielsen. »Die gemeinsame Vorliebe für guten Wein?«

»Zunächst dürfen wir davon ausgehen, dass die Außerirdischen aus unserem Universum stammen. Das heißt, sie unterliegen den gleichen physikalischen Gesetzen. Wir haben somit die gleiche Kinderstube wie sie. Außerdem werden sie eine Art der Mathematik entwickelt haben, die unserer vielleicht sogar ähnlicher ist, als wir vermuten würden.«

»Warum?«, fragte Torbeck. Ihr Blick fiel auf Theißen. Der hatte den Kopf zur Seite geneigt und die Stirn in Falten gelegt. Mit einer Hand drückte er gegen sein Headset, um besser hören zu können. Sie sah ihn fragend an. »Entschuldigen Sie mich«, sagte er. »Ich werde auf dem Leitstand benötigt.«

»Ist etwas geschehen?«, fragte Torbeck.

»Nichts Ernstes.«

Torbeck nickte ihm zu. Er stand auf und verließ den Raum. Sie wandte sich wieder Keim zu. »Also? Warum?«

»Irgendwann im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte müssen unsere Besucher neugierig geworden sein und damit begonnen haben, den Weltraum zu erforschen. Dabei haben sie die gleichen Dinge wahrgenommen wie wir. Sterne. Sterne haben eine Form. Die Kugel. Planeten haben die gleiche Form. Die Geometrie ist universell, genau wie die Mathematik. Wo die Kugel ist, da ist der Kreis nicht fern. Der Kreis wiederum führt uns zum Rad. Wenn wir davon ausgehen, dass sie sich auf einem Gesteinsplaneten entwickelt haben, dann ist das Rad eine unverzichtbare Erfindung, die die weitere technologische Entwicklung erst möglich macht. Mit dem Rad überwindet man die Schwerkraft. Man denke nur an die Erfindung des Flaschenzuges. Mit dem Rad erkennt man, dass man der Natur trotzen kann. Das macht hungrig auf mehr. Sie werden außerdem eine Form der Kommunikation besitzen. Sie werden in der Lage sein, Prozesse zu automatisieren. Ob sie dabei einen ähnlichen Technologiebaum wie wir benutzt haben, spielt zunächst keine Rolle. Tatsache ist, dass es Gemeinsamkeiten geben wird.«

»Man könnte meinen, Sie hätten sie schon mal besucht«, sagte Danielsen.

»Und warum liegt darin eine Chance für uns?«, fragte Torbeck.

»Vielleicht resultiert aus diesen Gemeinsamkeiten auch ein gleichartiges Denkmuster. Ich gebe dem Professor recht. Es ist sehr gut möglich, dass sie ausgesprochen aggressiv sind. Die momentane Situation spricht dafür. Allerdings schließt das nicht aus, dass sie eine Art von Ethik besitzen.«

»Ich finde ihr Verhalten bis jetzt äußerst unethisch«, warf Gärtner ein.

»Das ist unser Verhalten in vielen Bereichen auch. Man denke nur an Tierversuche. Wenn die Menschen genug Abstand zum Geschehen haben, nehmen sie erstaunlich viel Grausamkeit in Kauf. Wir müssen den Abstand zwischen uns und den Außerirdischen verringern, uns auf dieselbe Ebene anheben, um wahrgenommen zu werden. Es ist durchaus denkbar, dass sie uns nicht als intelligente Wesen ansehen. Wenn wir das ändern, dann lassen sie uns vielleicht am Leben.«

»Das ist ziemlich vage«, sagte Danielsen.

»Wenn jemand einen besseren Vorschlag hat, dann soll er sich melden. Mehr als diesen Hoffnungsschimmer habe ich nicht zu bieten. Die Menschheit ist am Ende. Davon abgesehen, dass unsere gesamte Infrastruktur zusammengebrochen ist, sind wir technologisch weiter von ihnen entfernt als ein Steinzeitmensch von uns.«

»Also bleibt nur, auf ihre Güte zu setzen? Das klingt ziemlich erbärmlich«, motzte Gärtner. »Ich würde den Kampf vorziehen.«

»Ich befürchte, daraus wird nichts werden.«

»Wie wollen Sie die Aufmerksamkeit der Außerirdischen erlangen? Wenn sie unser Fernsehprogramm kennen, dann wissen sie, dass wir Flugzeuge und Computer besitzen und die Atomenergie nutzen. Anscheinend hat sie das nicht sonderlich beeindruckt.«

»Der Schlüssel, wenn es einen gibt, muss im Virus liegen. Konstruierte Dinge unterscheiden sich von natürlichen. Ich will den Virus unter diesem Gesichtspunkt mit Hilfe von ZERBERUS analysieren lassen. Dazu benötige ich einen größeren Anteil der Rechenleistung.«

»Das können Sie vergessen.« Danielsen lachte auf. »Noch suchen wir nach einem Heilmittel. Da ist...«

»Dafür fehlt uns die Zeit. Das wird Monate oder Jahre dauern. Und wenn es gelingt? Dann stellt sich die Frage, ob wir in der Anlage überhaupt in der Lage sind, dieses Heilmittel herzustellen. Aber das ist ohnehin irrelevant. Ich denke, dass es sich bei der Zeit, die uns bleibt, eher um Stunden als um Wochen handelt.«

»Wie groß ist die Chance, dass Sie erfolgreich sind?«, fragte Torbeck.

»Minimal«, gab Keim ohne Zögern zu. »Aber es ist die einzige Chance, die wir haben.«

Torbeck konnte sich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sie es hier mit einer außerirdischen Invasion zu tun hatten. Das gab es nur im Film. Auf der anderen Seite regte es sie gerade in dieser Art von Filmen auf, wenn die Helden versuchten, ihre Mitmenschen vor den Gefahren zu warnen und niemand ihnen Glauben schenkte. Was, wenn es stimmte? Inzwischen sprach mehr dafür als dagegen. Sie musste sich entscheiden. »Tun Sie, was Sie für richtig halten«, sagte Torbeck an Keim gewandt. Danielsen sprang vom Stuhl auf. »Das akzeptiere ich nicht. Ich leite die Forschungsabteilung. ZERBERUS untersteht mir.«

Torbeck blieb ruhig. »Ihnen untersteht die Forschungsabteilung. Mir die gesamte Anlage. Dr. Keim hat meine Erlaubnis, ZERBERUS in seinem Sinne zu nutzen.«

»Das ist Wahnsinn. Sie sind keine Wissenschaftlerin. Sie können das gar nicht beurteilen.«

»Ich denke, die Situation, in der wir uns befinden, kann niemand beurteilen. Sollte jemand Erfahrungen mit einer außerirdischen Invasion haben, möge er vortreten.« Danielsen stieß seinen Stuhl zurück, stand auf und stapfte aus dem Raum. Sie sah ihm hinterher und wartete, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. »Ich denke, das war es fürs Erste. Hat noch jemand eine Anmerkung?« Alle verneinten. »Gut. Die Besprechung ist beendet. Meine Herren.«