1. Kausalität

 

Markus Steller

 

»Der hat dir ins Gesicht gespuckt. Warum hast du dem Wichser nicht in die Fresse geschlagen?«, fragte Wilczek.

Hauptkommissar Markus Steller steuerte den BMW auf das Tankstellengelände. Ohne seinen Partner anzusehen, antwortete er. »Hast du die Typen nicht gesehen?«

»Wen meinst du?«

»Die Kerle auf der anderen Straßenseite.«

»Nein.«

»Jeder von denen hatte ein Handy in der Hand. Ich will mich morgen nicht auf YouTube sehen.« Steller parkte den Zivilwagen neben einem Münzstaubsauger ein. »Ihr Smartphone können die Sonderschüler bedienen. Ich lasse mich ungern dabei Filmen, wenn ich jemanden in Handschellen eine verpasse.«

»Trotzdem. Der Penner hat versucht, seine Ex-Freundin zu erschlagen. Du hättest es ihm richtig besorgen sollen.« Ben Wilczek war Anfang zwanzig. Die Flüchtigkeit, die seinem Denken anhaftete, ging Steller auf die Nerven.

»Ich bin operativer Leiter bei der Frankfurter Fahndung. Wenn ich mich nicht beherrsche, dann kriege ich es besorgt.« Steller vergrub das Gesicht in seinen Händen, massierte sich die Schläfen. Er stieg aus. Die Sonne stand wie eine Quecksilberdampflampe am Himmel und versuchte die Stadt niederzubrennen. Die Luft roch nach heißem Teer. In diesem Moment brachte ein anderes Team den Gefangenen in die Gewahrsamszellen des Präsidiums. Wenn das geschehen war, dann musste sich die Mordkommission mit dem Idioten herumärgern. Obwohl die Festnahme erst Minuten her war, begann sein Gehirn bereits die Erinnerung daran zu formatieren.

Wilczek hatte mittlerweile den Wagen ebenfalls verlassen. »Darf ich dich etwas Persönliches fragen?« Er zögerte kurz. »Die Jungs sagen, ich soll es lieber lassen.«

»Dann lass es.«

Wilczek überhörte das. »Warum schaust du immer so trübsinnig aus der Wäsche? Man denkt, dass du gleich zu weinen anfängst. Wie...« Das Funkgerät im Auto schnitt ihm das Wort ab. »Wer kann fahren? Verdacht auf häusliche Gewalt. Revierbereich 17. Sindlingen. Cheruskerweg 16. Das Revier hat keine freie Streife. Wer kann fahren?« Sofort beugte sich Wilczek in das Fahrzeug, griff sich das Mikrofon des Funkgeräts und nahm den Auftrag an.

»Bist du bescheuert?«, platzte es aus Steller heraus.

Wilczek zuckte zusammen. »Das Revier hat keinen Funkwagen frei. Was soll ich machen?«

»Mich fragen. Wenn du Streife fahren willst, musst du es nur sagen.« Er schlug die Fahrertür von außen zu.

»Wo gehst du hin?«

»Pissen.«

 

Als Steller von dem Tankstellengebäude zurückkam, sah er, wie Wilczek von einem Bein auf das andere trat. Wortlos stieg er ein und startete den Wagen. Zwei Minuten später bogen sie in den Cheruskerweg ein. Der BMW rumpelte auf den Bürgersteig und Steller brachte ihn vor der Hausnummer 16 zum Stehen, hievte seinen Körper aus dem Sitz. Das direkt neben der A66 gebaute Haus war eine bewohnbare Schallschutzwand mit Schießscharten als Fenster. Vor der Tür stapelten sich abgelebte Einwegmöbel. In solchen Gegenden lag immer Sperrmüll auf der Straße. Steller schirmte mit der flachen Hand seine Augen ab, während er missgelaunt die Fassade hinauf sah. Er hasste Frankfurt-Sindlingen und das Dreckshaus, vor dem er jetzt schwitzte, das hasste er auch. »Wie war der Name?«

Wilczek zog sich eine Sonnenbrille aus der Hemdtasche und setzte sie sich auf die Nase. »Dolor.«

»Wer hat das gemeldet?«

»Moment.« Wilczek öffnete die Beifahrertür und beugte sich ins Fahrzeug. Als er wieder zum Vorschein kam, sagte er: »Laut Einsatzzentrale war es ein anonymer Anrufer. Vermutlich Nachbarn, denen der Krach auf die Nerven ging.«

»Bringen wie es hinter uns.«

Die Begutachtung der Klingelanlage festigte Stellers ersten Eindruck von dem Betonbunker. Die Namen waren überklebt, durchgestrichen. Wilczek zeigte mit dem Finger auf ein Namensschild. Dort stand in dünnen Kugelschreiberbuchstaben Familie Dolor geschrieben. »Achter Stock.« Steller drückte gegen die angelehnte Haustür. Im Treppenhaus herrschte Stille. Es roch nach Urin und Rattenkot. Gut, dass sie nicht in den Keller mussten. Er hämmerte erfolglos auf dem Fahrstuhlknopf herum. »Das kann doch nicht wahr sein.«.

»Sei froh, dass der kaputt ist.« Sein Partner klopfte ihm von hinten auf die Schulter, drängelte sich an ihm vorbei und begann die Stufen hinaufzusteigen. Fluchend folgte Steller ihm. Je höher sie kamen, umso stickiger wurde es. Sie erreichten den achten Stock. Links von der Treppe war ein beigefarbenes Rechteck zu erkennen, die Wohnungstür der Familie Dolor. Hier oben gab es nur eine Wohnung. Auf dem Boden lag eine Fußmatte, neben der sich ein Haufen verdreckter Schuhe stapelte. Steller beugte sich nach vorne, stützte sich mit den Händen an den Knien ab. Er sah zu seinem Kollegen auf, der vor der Tür stand. Wilczek hatte die Stirn in Falten gelegt, gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er leise sein sollte. Steller hielt den Atem an, um zu lauschen. In den Eingeweiden des Hauses rauschte eine Wasserleitung. Von der Straße unter ihnen schwappten Echos herauf.

Steller wollte gerade die Luft aus den Lungen lassen, als seine Nackenhaare sich aufstellten. Da war etwas. Dicht an der Wahrnehmungsgrenze. Er sah Wilczek an, öffnete den Mund, kam nicht zum Sprechen. Ein spitzer Schrei drang aus der Wohnung. Steller hatte in seinem Leben viele Schreie gehört. In diesem schwang Todesangst. Er zerrte an dem Funkgerät, das an seinem Gürtel hing. »Cheruskerweg 16, dringende Unterstützung!« Steller ließ die Sprechtaste los, sah seinen Kollegen an. »Wir müssen da rein. Sofort!« Wilczek nahm Anlauf, trat mit Wucht gegen das Türblatt. Beim ersten Versuch widerstand die Tür seinem Körpergewicht, dann flog sie nach innen. Vor ihnen lag ein Wohnungsflur, der nach knapp sechs Metern abknickte. Kurz vor dem Winkel sah er im Halbdunkel den Schattenriss eines Mannes stehen. »Polizei!« Stellers Hand zuckte zum Holster. Der Schatten drehte sich weg, zeigte kein Interesse. Steller machte lange Schritte wie ein Handballspieler am Wurfkreis, fegte ihm mit einem Tritt die Beine weg. Für den Moment eines Wimpernschlages lag der Mann waagerecht in der Luft. Dann schlug er mit dem Rücken auf dem Boden auf. Er war etwa vierzig, dürr, vom Alkohol ausgezerrt. Steller kniete sich auf seine Brust, zog die Waffe und drückte ihm die Mündung gegen den Kopf. »Beweg dich nicht!« Gemeinsam drehten sie den Kerl auf den Bauch, steckten dessen Streichholzarme in die Handschellen.

Es roch nach vergessenem Hausmüll. Aus dem hinteren Teil Wohnung drangen Stimmen zu ihnen. »Hörst du das?«, fragte Steller. Er stand auf, umklammerte die Heckler & Koch.

»Geh, geh! Ich hab ihn«, sagte Wilczek.

Langsam bewegte Steller sich weiter. In seinem Rücken hörte er seinen Partner. »Der Kerl ist voller Blut.«

Steller löste eine Hand von der Pistole. Sie war klebrig, sah im Dunkeln braun aus. Wo kam das Blut her? Was hatte der Wichser gemacht? Rechts von ihm befand sich eine angelehnte Tür. Er stieß sie mit dem Fuß auf und blickte in das Wohnzimmer. Die Fenster waren abgedunkelt. Staub tanzte in komprimierten Lichtstrahlen, die sich durch kleine Löcher in den Jalousien drückten. An einer misshandelten Schrankwand fehlten mehrere Türen. Auf dem Boden lagen Spielsachen. Jemand weinte. Die Geräusche kamen aus dem hintersten Zimmer. Stellers Mund trocknete aus.

Zurück im Flur erreichte er nach wenigen Schritten die letzte Tür. Sie stand offen. Er hob die Waffe in die Visierung. Wieder Stimmen. Sprach da ein Mann? Wer immer in dem Raum war, musste die Festnahme mitbekommen haben. So taub konnte man nicht sein. Was für eine kranke Scheiße lief hier ab? Besser auf Unterstützung warten. Vielleicht war der Kerl bewaffnet.

Ein Kind schluchzte. Scheiß auf die Unterstützung.

Steller stand vor der Tür, bewegte sich auf einer halbkreisförmigen Bahn um den Türpfosten, die Waffe im Anschlag. Bloß die Nerven behalten, sich nicht unbedacht in den Türrahmen stellen und einem Angreifer ein leichtes Ziel bieten. Mit einer Kugel im Bauch nutzte er niemandem. Zentimeterweise schob sich das Innere des Raumes in sein Sichtfeld. Er sah einen eingeschalteten Fernseher, auf dem die Aufnahme eines Mädchens flimmerte. Sie lag auf dem Bauch. Bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Metallbeine von einem Stativ rückten in sein Blickfeld. Eine Videokamera. Schweiß lief ihm in die Augen. Die Mündung der Pistole zitterte. An der Wand erkannte Steller einen dunklen Fleck, darunter zerplatztes Glas auf dem Teppich. Er sah ein paar nackte Füße auf dem Boden, dann zwei Beine, ein Gesäß, einen Oberkörper, rote Haare. Ein Mädchen, gerade fünfzehn Jahre alt. Ohne Kleidung am dünnen Leib lag sie auf dem Bauch. Jemand hatte ihr ein dickes Kissen unter das Becken geschoben, ihr die Hände auf dem Rücken mit einer blauen Kunststoffwäscheleine gefesselt. Ihr Kopf lag auf der Seite. Die Kehle war durchschnitten, ihr Blut versickerte im Teppich.

Steller vergaß die Vorsicht, trat in den Raum, ließ die Mündung der Pistole zu Boden sinken. Das Gesicht des Mädchens war blutleer, die Augen vom Tod eingefroren. Er riss seinen Blick von dem Kind los und sah zum Fernseher. Das Video lief immer noch. Es zeigte das Gesicht des Mädchens in Großaufnahme. Da lebte es noch. Ihr Kopf wippte leicht.

»Meiner Schwester geht es nicht gut.« Steller kreiselte um die eigene Achse. Ein zehnjähriges Mädchen kauerte zwischen Bettrahmen und Nachttisch, bemüht keinen Raum einzunehmen. Sie umklammerte das Holz der Möbel. Die dunkelbraunen Haare hingen ihr wie Gitterstäbe vor dem Gesicht. Sie trug einen Schlafanzug mit bunten Schmetterlingen. »Meiner Schwester geht es nicht gut.« Sie sah durch Steller hindurch.

Steller fiel auf die Knie. »Keine Angst, keine Angst.«.

»Meine Schwester ist krank.«

»Keine Angst.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein. In der Peripherie nahm er eine Bewegung wahr. Er riss die Waffe hoch, wirbelte herum, malte mit der Mündung Kreise in der Luft. Da war nichts. Nur das blasse tote Mädchen. Er wollte sich wegdrehen, sah, wie die Lippen der Toten bebten. Ihr Körper zuckte leicht. Wie bei einem Kind, das einschläft.

»Oh, Gott.« Die Pistole entglitt ihm, landete dumpf auf dem Teppich. Steller sprang auf, stolperte zur Tür. »Ben. Notarzt. Notarzt!« Er fand ein T-Shirt, kniete sich vor die Verletzte, wollte die Blutung stoppen. Der Hals eine einzige Wunde. Seine Hand mit dem Stoffstück suchte ziellos, zögerte, da gab es keine Hoffnung mehr. Das Mädchen versuchte zu schlucken. Noch wollte sie nicht loslassen, das junge Herz war noch einmal angesprungen, drückte Blut aus der klaffenden Wunde. »Warte!«, schrie er. »Nein, nein! Sie kommen, sie kommen!« Steller kniete neben dem Kind, sah es in Zeitlupe sterben. Ihr Blick irrlichterte umher, konnte nichts mehr festhalten.

»Deine Schwester ist in Sicherheit«, flüsterte er. Mit zittrigen Fingern löste er ihre Fesseln. Ihre Beine zuckten. Der Mund schnappte wie bei einem Fisch. »Verstehst du mich? Deiner kleinen Schwester geht es gut.« Keine Reaktion. Das Zucken der Muskeln ließ nach. Sie lag still.

Stellers Verstand lief im Leerlauf, er saß da und starrte das Mädchen an. Nach einer gefühlten Ewigkeit polterten Schritte durch den Flur. Menschen in weißen und blauen Uniformen strömten in den Raum. Die Weißen warfen schwere Koffer auf den Boden, drängten ihn zur Seite. Sprachen von hämorrhagischem Schock und schrien nach Plasmaexpandern. Die Blauen nannten ihn Kollege und umlagerten das zwischen Möbeln eingeklemmte Kind. Steller verließ das Zimmer, ging durch den Flur, raus aus der Wohnung. Tränen liefen ihm aus den Augen. Er wischte sie mit dem Handrücken weg. Wilczek kam ihm entgegen, sprach ihn an. Er ließ ihn stehen. Im Treppenhaus standen noch mehr Blaue. Zwischen ihnen lehnte ein Mann an der Wand, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Steller erkannte ihn. Es war der Typ aus dem Flur. Der Kerl roch nach Portwein, lachte und schrie: »Ich kann mit meiner Tochter machen, was ich will. Ihr Arschlöcher. Ich zeige euch alle an.«

In Stellers Kopf legte sich ein Schalter um. Er tastete nach seiner Pistole. Das Holster war leer, die Waffe lag wohl noch im Schlafzimmer. Er nahm sein Reservemagazin, schloss es in seiner Faust ein. Sein erster Schlag zertrümmerte dem Besoffenen die Nase. Der Kopf des Mannes schlug gegen die Wand. Er sackte weg, bewusstlos, bevor er den Boden berührte. Stellers Linke griff nach unten, holte den schlaffen Körper zurück. Er schlug wieder zu. So oft er konnte. Dann zog man ihn weg.

 

Nachdem ihn vier Streifenpolizisten aus dem Treppenhaus getragen hatten, saß Steller auf dem Bürgersteig und starrte ins Nichts. Die Kollegen standen um ihn herum, bereit sich jederzeit auf ihn zu stürzen. Seine Hand zitterte. Er schloss sie zur Faust, öffnete sie und streckte die Finger. Das Zittern blieb. Der Mann, dem er die Zähne ausgeschlagen hatte, wurde mit einem Rettungswagen abtransportiert, eskortiert von zwei Polizeistreifen. Kurz darauf tauchte die Spurensicherung in weißen Schutzanzügen auf, schleppte Aluminiumkoffer ins Haus. Kollegen vom Kriminaldauerdienst trafen ein und befragten Wilczek und Steller getrennt voneinander.

»Und dann habe ich ihm die Fresse poliert«, sagte Steller.

»Das solltest du später anders formulieren«, warf der Kripomann ein.

»Ist mir egal.« Steller steckte sich eine Zigarette an. »Ich melde mich krank.«

»Verstehe. Hast du einen vernünftigen Anwalt?«

Steller schüttelte den Kopf.

»Musst du dir besorgen.«

»Was ist mit meinem Partner?«

»Alles in Ordnung. Ich denke, mein Kollege ist gleich mit der Befragung fertig.« Der KDD-Mann beugte sich zu ihm, flüsterte: »Ihr solltet eure Aussagen abstimmen.«

»Da gibt es nichts abzustimmen. Ich wollte dem Typen den Schädel einschlagen. Ben hat damit nichts zu tun. Dabei bleibt es. Ich bin alt genug. Ich komme klar.«

»Geh nach Hause und trink einen Schnaps. Oder besser eine Flasche.«

Steller nickte, ließ den Kollegen stehen. Sollte er auf Ben warten? Er entschied sich dagegen.

»Warte mal.«

Steller drehte sich um.

»Vergiss deine Waffe nicht.« Der Kripo-Mann hielt ihm seine Pistole hin. »Die brauchst du vielleicht noch.«

 

Eine Streife brachte Steller zu seiner Wohnung im Frankfurter Westend. Zwei Zimmer, Küche und Bad, die er alleine bewohnte. Als er mechanisch die Treppen nach oben stieg, dachte er an den brandneuen Fernseher, der auf dem Sideboard im Wohnzimmer stand. Der Bildschirm war immer noch mit Schutzfolie beklebt. Bisher war er nicht dazu gekommen, das Gerät anzuschließen. Vielleicht war jetzt der richtige Moment dazu gekommen. Seinen Kopf mit Unsinn durchzuspülen konnte nicht schaden. Er erreichte seine Wohnungstür und stocherte mit dem Schlüssel im Schloss herum. Endlich bekam er sie auf. Als er die Tür hinter sich zugezogen hatte, blieb er einen Moment lang unschlüssig im Flur stehen. Einem Impuls folgend schloss er alle Zimmertüren und legte sich in der Dunkelheit auf den Flurboden. Die Dielen unter seinem Körper gaben ihm Halt. Bevor er einen weiteren Gedanken zu fassen bekam, schlief er ein.

 

Stellers Kopf schlug gegen etwas Hartes, dass seine Zähne klapperten. Er biss sich auf die Zunge. Nichts als Schwärze um ihn herum. Orientierungslos drehte er sich in die andere Richtung, stieß sich erneut, krabbelte auf allen Vieren durch die Dunkelheit. Lebendig begraben. Die Panik trieb ihn, bis er mit einem Gegenstand kollidierte, der seinem Gewicht nachgab. Es rumpelte. Etwas fiel zu Boden. Er sah ein rotes Licht, unter dem ein Rechteck aufleuchtete. Da lag sein Telefon. Die hatten ihn mit seinem Telefon beerdigt. Das Leuchten des Displays verlieh den Dingen Kontur, zog ihn in die Realität zurück. Er kam auf die Beine, tastete nach dem Lichtschalter. »Was für eine Scheiße.« Die Deckenstrahler reflektierten in einer schimmernden Pfütze auf dem Boden. Er sah an sich hinab, hatte sich eingenässt. »Was für eine Scheiße.«

Er zog sich bis auf die Haut aus und wischte er mit den Kleidungsstücken die Lache auf. In der Küche fand er einen Müllsack, schmiss alles hinein und griff sich einen Putzeimer. Während er den Boden wischte, nahm im Windschatten seines Verstandes eine Logikroutine die Arbeit auf, puzzelte mit den Erinnerungssplittern des Tages. Unruhe überkam ihn. Als er auf dem Flurboden geschlafen hatte, hatte er geträumt. Einzelne glitschige Traumbilder materialisierten sich in seinem Kopf. Er hatte auf der Toilette gesessen, auf einer öffentlichen, vielleicht in einem Geschäft. Dann kam das Mädchen. Sie begann zu seinem Entsetzen, durch den breiten Spalt zwischen Tür und Boden hindurchzukriechen. Mit langem Arm zog sie an seinem Knöchel. Ihr Gesicht blieb im Verborgenen. Blut lief über die Fliesen in seine Richtung. Er versuchte sich dem Griff zu entziehen und drückte sich an die Wand hinter ihm. »Komm mit!«, schrie sie. »Du sollst endlich kommen!« Filmende. An mehr erinnerte er sich nicht. Der Traum hatte den albernen Flair eines Horrorfilms aus den 80er Jahren gehabt. Die Wirkung auf sein Gemüt war alles andere als albern.

Steller ging ins Bad, schloss die Tür und drehte den Schlüssel um. Er machte sich lächerlich. Kurz überlegte er, ob er die Tür wieder aufschließen sollte. Ließ es bleiben. Nachdem er geduscht und sich angezogen hatte, ging er in die Küche. Die Wanduhr zeigte 15:56 Uhr. Lange geschlafen hatte er nicht. Im Kühlschrank wühlte er nach einem Bier. Er stand da, das Pils in der Hand. Die Puzzlemaschine beendete ihre Arbeit. Die Flasche fiel, zerplatzte auf den Fliesen. Steller sprang in den Flur, griff das Telefon, wählte, verwählte sich, versuchte es erneut, gewann die Kontrolle zurück, traf die Tasten. Nach dreimaligem Klingeln wurde der Hörer abgenommen. Eine Frau meldete sich: »Einsatzzentrale.«

»Ich brauche für einen Bericht Daten aus dem Log.«

»Identität?«

»Fahndung, Steller, KHK, Personalnummer: C 45372, Abfragekennwort: Eisregen.«

Eine kurze Pause. Im Hintergrund das Klackern einer Computertastatur, Stimmengemurmel. »Was wollen Sie wissen?«

»Der Falke 14/3 hatte heute Mittag einen Einsatz im Cheruskerweg 16. Tötungsdelikt.«

»Moment.« Klicken. »Ja, habe ich.«

»Ich brauche den Zeitstrahl.«

»11:52 Uhr. Falke 14/3 übernimmt Auftrag. Verdacht häusliche Gewalt. 12:00 Uhr. Falke 14/3 ist am Einsatzort eingetroffen. 12:04 Uhr. Falke 14/3 fordert dringende Unterstützung an. Unklare Gefahrenlage. 12:07 Uhr. Falke 14/3 fordert NAW an. Schwer verletztes Kind aufgefunden.«

Die Information reichte ihm, er legte auf, bemüht seine Gedanken ins Leere zu steuern. Nicht denken, nur sitzen, bis sich alles von selbst erledigt. Blut rauschte hörbar durch seinen Kopf. Der Innendruck stieg, bis er es nicht mehr aushielt. Er griff erneut nach dem Telefon und wählte die Nummer der Mordkommission. Steller ließ es zehnmal klingeln, war kurz davor, den Hörer aufzulegen, als sich eine Raucherstimme meldete: »Schreiber?« Den Namen hatte er schon gehört, kannte den Kollegen aber nicht näher. Er wusste nur, dass Schreiber als kompetent galt. Ein Zyniker wie viele Mordermittler. Steller wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Nachdem er sich vorgestellt hatte, versuchte er sich an die entscheidende Frage heranzutasten. »Ich habe dem Täter die Zähne eingeschlagen.« Er holte Luft. »War das der Vater?«

»Du warst das? Herzlichen Glückwunsch!« Das klang ehrlich. »Ja, das war der leibliche Vater beider Kinder. Völlig durchgedrehtes Arschloch. Wenn ihr nicht gekommen wärt, dann hätte er die kleine Anna sicher auch getötet. Walter Dolor heißt der Wichser. Der Teufel soll ihn fressen! Und die Schlampe von Mutter gleich mit.« Der Mordermittler betrieb Psychohygiene in eigener Sache, übergab sich verbal.

»Was ist mit der Mutter?« Stellers Stimme wackelte.

Kollege Schreiber in Rage schien für solche Feinheiten nicht empfänglich. »Wir haben sie in Dortmund ermittelt. Dort war sie bei ihren Eltern untergekrochen. Ich habe vor fünf Minuten mit den Dortmunder Kollegen telefoniert. Es gab bereits eine erste Befragung. Und weißt du, warum sie ihrem angetrauten Ehemann den Rücken gekehrt hat? Na, was glaubst du?« In der Stimme lag Wut. »Weil sie nicht mehr mit ansehen konnte, wie ihre Töchter von ihrem Vater sexuell missbraucht werden. Aber auf die Idee, ihre Kinder mitzunehmen, ist sie nicht gekommen.«

»Mein Gott.«

»Du hättest das Schwein totschlagen sollen. Ich wiederhole mich.«

»Was ist mit dem anderen Mädchen passiert?«

»Die kleine Anna? Die ist in der Uni. Sie wird da in der Kinderpsychiatrie untergebracht. Der Herr schütze sie.« Schreiber machte eine kurze Pause. Ein Feuerzeug klickte. »Darf ich dich was fragen?«

Steller hielt den Atem an. »Ja.«

»Hast du dich krankgemeldet?«

»Ja.« Sein Magen entkrampfte sich.

»Ich gebe dir einen Rat. Melde dich beim psychologischen Dienst. Erzähl denen, dass dich der Scheiß kaputtmacht. Lass dir Pillen verschreiben. Wenn Anklage gegen dich erhoben wird, errichtet dein Verteidiger eine Mauer aus Attesten. Schütze dich!«

»Das ist sicher eine gute Idee.«

»Natürlich ist sie das. Außerdem ist es nicht einmal gelogen.« Einige Sekunden hörte man nur das Knistern der Telefonleitung. »Was kann ich noch für dich tun?« Schreibers Stimme klang plötzlich sanft.

Steller zögerte. »Konntet ihr die Tatzeit ermitteln? Ich meine, die genaue Tatzeit.«

Stille.

»Willst du das wirklich wissen?«

Steller hielt den Atem an. »Ja«, presste er hervor.

»Wie du meinst.« Papier raschelte. »Die Kamera hat die Tat aufgezeichnet. Jedenfalls den Ansatz dazu. Dann war das Band voll. Das Menü der Kamera war so eingestellt, dass sie sich nach einem automatischen Rücklauf auf Wiedergabe schaltete.« Das Feuerzeug klickte erneut. »Nach Abgleich der Menüzeit der Videokamera mit der Echtzeit wurde Sarah Dolor die tödliche Verletzung um 12:04 Uhr zugefügt.«

Steller konnte nicht sprechen. Sarah. In seinem Kopf echote der Schrei, den Ben und er im Treppenhaus gehört hatten. Schreiber sprach weiter: »Ich bin jetzt 58 Jahre alt und so wie ich rauche, werde ich auch nicht mehr viel älter. Ich bin kein Anfänger, ich weiß, was los ist. Ich weiß, was dich beschäftigt.« Steller verkrampfte sich. Der Hörer knackte in seiner Hand. Er war unfähig zu sprechen. »Das Schicksal hat einen beschissenen rechten Haken. Von mir hast du nichts zu befürchten.« Der Mordermittler hustete trocken. »Gott schütze dich.« Das Gespräch wurde beendet. Eine kurze Zeit passierte nichts, dann übergab sich Steller in den Papierkorb. Minutenlang saß er da, ohne sich zu bewegen.

Wie viel Zeit hatte er an der Tankstelle verplempert? Er war pinkeln gegangen und hatte sich im Anschluss eine Packung Kippen gekauft. Wie lange hatte das gedauert? Fünf Minuten? Sechs Minuten? Wären sie gleich losgefahren, dann hätte das Mädchen bei ihrem Eintreffen noch gelebt. Hätte das etwas geändert? Darauf gab es keine Antwort. Man mochte sich noch so sehr bemühen. Die Kausalkette einer alternativen Zeitlinie bestand nur aus Unbekannten. Ihre Berechnung verlor sich augenblicklich im Nebel der Unschärfe. Aber er musste gar nicht ins Detail gehen. Sein Handeln hatte zwangsläufig zum Tod des Mädchens geführt. Darin lag seine Schuld. Ob sein früheres Erscheinen sie gerettet hätte oder nicht, spielte keine Rolle. Er hatte ihr die einzige Chance auf eine Rettung genommen. Er hatte dafür gesorgt, dass diese hoffnungsvolle Weltenlinie niemals Wirklichkeit werden konnte.

Mit Fug und Recht konnte er von sich behaupten, dass er im Dienst noch nie versagt hatte. Seine Entscheidungen waren immer durchdacht, sein Tun planvoll. Aber jetzt, wo es das erste Mal wirklich darauf angekommen war, da hatte er versagt. Er hatte das Kind getötet. Sarah. Er hatte Sarah getötet. Seine Pistole lag auf dem Schreibtisch. Steller legte die Hand auf das Metall und hob die Waffe an. Der Zeigefinger drückte einen kleinen Hebel. Das Magazin polterte schwer auf die Schreibtischplatte. Die Rechte umklammerte das Griffstück, mit der Linken zog er den Schlitten der Automatik zurück. Die Patrone aus dem Lauf flog in einem Bogen durch die Luft, rollte auf den Dielen umher. Steller wog die Pistole abschätzend in der Hand wie ein Stück Obst auf dem Wochenmarkt. Dann setzte er sich die Mündung an die Schläfe. Nur mal testen. Sein Zeigefinger fand den Druckpunkt des Abzugs. Noch ein paar Gramm mehr Zugkraft. Der Schlagbolzen klickte.

War das so schlimm gewesen? Er hob die Patrone vom Boden auf und steckte sie zurück in das Magazin. Sollte er etwas schreiben? Wozu? Als er das Magazin eingeführt hatte, lud er die Automatik erneut durch und setzte sich die Waffe an den Kopf. Nur ein Wimpernschlag. Nichts weiter. Ein längst überfälliger Schritt.

Er hatte einmal etwas über das Ende des Universums gelesen und Parallelen zu seinem Leben erkannt. In unendlich ferner Zukunft würden die letzten Sterne zerfallen. Es blieben subatomare Teilchen, in ewiger Flucht voreinander. Nach Billionen Jahren würden auch diese verenden, bis nur noch eine immer schwächer werdende Strahlung sich im endlos expandierenden Raum verlor. Das Sein endete.

Auch er dünnte aus, starb einen langsamen Kältetod. Aber die Seele duldete keine Leere. Das Vakuum füllte sich mit schlechten Ideen. Bei ihm war es der wiederkehrende Wunsch, sich selbst ein Ende zu bereiten. Wo dieses Verlangen seinen Ursprung hatte, wusste er nicht. Es gab kein traumatisches Erlebnis in seiner Kindheit, hinter dem er sich verstecken konnte. Am Anfang hieß es, das sei die Pubertät, das wachse sich heraus. Aber es wuchs sich nicht heraus. Im Gegenteil, es wuchs wie eine umgekehrte Warze in seinen Kopf hinein. Schaltete den Farbfernseher seines Verstandes auf Schwarz-Weiß-Betrieb. Vermutlich war in seinem Gehirn etwas falsch verdrahtet. Kommt vor. Konstruktionsfehler. So hatte er jedenfalls den letzten Therapeuten verstanden. Die Depressionen waren wie ein Wolfsrudel. Sie hetzten ihn durch sein Leben, versuchten ihn in die Enge zu treiben, damit er von der Klippe sprang.

Ein kleiner Teil von ihm stemmte sich gegen diese Vernichtungsfantasien. Deshalb machte er diesen bescheuerten Job. Ständig im Stress, die Gedanken immer woanders, bloß nicht bei sich selbst. Tausend Überstunden auf dem Konto. Viele Kollegen dachten, er sei arbeitsgeil. Das war Quatsch. Ihn interessierte die Arbeit nicht. Er benutzte sie, um ein Leben zu simulieren. Mittlerweile forderte die Belastung ihren Tribut. Er fühlte sich so ausgebrannt wie eine Mülltonne am 1. Mai in Berlin. Seine Zeit lief ab. Bilder des toten Kindes flackerten in seinem Schädel. Wenn das nicht der richtige Anlass war, sich das Lebenslicht zu löschen, dann wusste er es auch nicht. Die Wölfe hatten ihn am Wickel.

Sein Zeigefinger fand den Druckpunkt des Abzugs. Wie viel Gramm Zuggewicht benötigte es, damit der Schuss sich löste? Einhundert Gramm? Fünfzig Gramm? Er hatte es vergessen.

Es klingelte an der Wohnungstür. Steller erschrak, sein Finger zuckte. Der Schlagbolzen hämmerte auf den Patronenboden. Klick.

Er keuchte. Das konnte unmöglich wahr sein, er glotzte die Waffe an, zog hektisch am Schlitten. Die Patrone sprang heraus, fiel auf die Schreibtischplatte. Seine nervösen Finger hatten Mühe sie zu greifen. Es klingelte wieder. Der Schlagbolzen hatte eine kleine Delle in den Patronenboden gestanzt. Die Patrone hatte nicht gezündet. Wie wahrscheinlich war das? 1 zu 1.000.000?

Inzwischen klingelte es Sturm an seiner Tür. Steller erwachte aus seiner Starre, warf mit schneller Bewegung die Waffe in eine Schreibtischschublade. Wie ferngesteuert ging er zur Wohnungstür und öffnete. Im Treppenhaus stand seine Vermieterin Frau Beinheim. Sie war deutlich über achtzig Jahre alt, mit auberginefarbenen Haaren. Er mochte die alte Dame nicht. Und noch weniger mochte er ihren Hund. In ihrer ständigen Begleitung befand sich eine unvernünftige Töle. Ein winziges drahthaariges Tier mit böser Gesinnung, das unablässig bellte. Das Viech sprang an einer langen Leine um ihre Beine herum, wie ein Indianer, der versuchte einen Cowboy zu fesseln. »Herr Steller. Ich muss Sie tadeln.«

Er sah sie an. »Die Patrone hat nicht gezündet«, hörte er sich sagen.

»Wie bitte. Sie müssen lauter sprechen.«

Er räusperte sich. »Nichts.«

»Sie sind ein sehr beschäftigter Mann. Das verstehe ich. Aber deswegen darf man seine Pflichten nicht vernachlässigen. Die Treppe putzt sich nicht von selbst. Mein Gott. Sie sind ja bleich wie ein Toter. Sind Sie krank? Stecken Sie mich bloß nicht an. In meinem Alter erholt man sich nicht mehr so leicht.«

Steller öffnete den Mund. Bevor er ein Wort sagen konnte, begann das Handy im Wohnzimmer zu klingeln. »Tut mir leid, das ist die Arbeit.«

»Gut. Ich will Sie nicht länger stören. Also bitte.«

»Ich bemühe mich.«

Er schloss die Tür, zerdrückte dabei fast den Köter. Zurück an seinem Schreibtisch nahm er das Gespräch an. »Steller.«

»Markgraf hier. Wie geht es Ihnen?« Markgraf war Kriminalrat und Angehöriger des Führungsdienstes.

»Es geht.«

»Sie haben sich krankgemeldet?«

»Ja.«

»Ich habe von dem Einsatz gehört. Belastend, nehme ich an.«

Steller hielt immer noch die Patrone in seiner Hand, drehte sie zwischen seinen Fingern. »Ich komme klar. Rufen Sie wegen meiner ...«, er suchte nach Worten, »Gewaltanwendung an?«

»Was? Nein. Das bügeln wir glatt. Ich bin nicht als Freund von prügelnden Polizisten bekannt. Aber in diesem Fall haben Sie meine volle Unterstützung.« Pause. »Tja. Es ist mir ein wenig unangenehm.« Pause. »Ich brauche Sie«, sagte Markgraf.

Steller blieb stumm. Er starrte auf den Patronenboden, fuhr mit dem Daumen über die kleine Delle, die der Schlagbolzen hinterlassen hatte.

»Haben Sie mich verstanden?«

»Wie bitte? Ja, sicher. Sie brauchen was.«

»Ich brauche Sie

»Okay.«

»Bei uns läuft eine richtig große Sache an. Mit allem Drum und Dran. Die Politik ist dahinter. Alle möglichen ausländischen Geheimdienste. Nur der Opus Dei hat sich nicht gemeldet. Aber das kann ja noch werden.«

»Was ist das Problem?«

»Das Problem ist, dass es sich um eine Fahndungssache handelt. Dafür will ich einen Spezialisten. Da kenne ich nur zwei. Der eine ist in Kanada beim Angeln und der andere sind Sie.«

Einen Spezialisten? Wofür? Um Kinder durch Unterlassene Hilfeleistung zu töten? Steller steckte die Patrone in seine Hosentasche. »Ich kann kommen.« Eine vernünftige Idee. Er konnte versuchen sich abzulenken, solange es ging. Vielleicht gelang es ihm, sich sein gesamtes Leben lang abzulenken. Warum nicht? Die letzten Jahre hatte es funktioniert. Außerdem konnte es kaum schlimmer kommen.

»Aber nur, wenn es geht. Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie auf diese Art aus dem Krankenstand hole.«

Was hatte der Kollege von der Mordkommission gesagt? Errichte eine Mauer aus Attesten um dich. Das waren seine Worte. Für diesen Plan war es ganz sicher schädlich, sich jetzt dienstfähig zu melden. Aber was sollte er sonst tun? Fernsehen schauen? Den Tag mit Selbstmordversuchen verbringen? »Ich melde mich gesund.«

»Danke. Wir sehen uns auf der Befehlsstelle.«

»Wann?«

»Vor einer Stunde.«

Einfach nicht denken. Nichts von dem, was er heute erlebt hatte, war real. Kein totes Kind, kein Problem mit Kugeln, die eigentlich in seinem Kopf stecken sollten. Immer weitermachen. Steller schob die Waffe ins Holster. Als er gehen wollte, schwappten Müdigkeitswellen durch seinen Kopf. Wann hatte er zuletzt so richtig geschlafen? Er ging ins Schlafzimmer, stieg auf einen Stuhl und langte auf den Kleiderschrank. Er fand ein Papierbriefchen, ging in die Küche und faltete es auseinander. Ein paar Krümel weißes Pulver lagen vor ihm. Damit konnte er nichts anfangen. Das war eindeutig zu wenig. Er rieb sich die Krümel mit dem Zeigefinger auf das Zahnfleisch. »Scheiß drauf.« Noch war er nicht fertig. Er bräuchte nur etwas mehr Koks.