21. Planspiele

 

Markus Steller

 

Die Gruppe machte sich auf den Weg. Bereits im Treppenhaus begann Steller die Werbetypen zu hassen. Im Vergleich mit diesem Haufen bewegte er sich wie ein Ninja. Der Fette vor ihm keuchte ohne Belastung wie eine krepierende Dampflok. Ein anderer fingerte an seinem Handy herum. Dabei stieß er fortgesetzt gegen das Treppengeländer, setzte die Konstruktion in Schwingung, dass es bis ins Erdgeschoss hallte. »Steck das Scheißding ein«, fauchte Steller. »Hier gibt es kein Netz mehr.« Diese Idioten würden sie alle umbringen. Fieber blieb erstaunlich gelassen. Vermutlich war er davon überzeugt, dass sich niemand im Treppenhaus befand. Steller hingegen zuckte bei jedem weiteren Geräusch zusammen.

Sie erreichten den vierten Stock. Von hier aus musste es möglich sein, auf das Pavillondach zu steigen. Das Dach hatte eine schwache Neigung, sodass es keine Probleme geben sollte, darauf zu laufen. Jedenfalls nicht für Steller und seine neuen SEK-Freunde.

Und nun? Bisher war dies der Plan gewesen, den sie auf dem Dach gefasst hatten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das gut ging. Auf das Dach würden sie alle kommen. Unter dem Fenster hing eine Leiter an der Wand. Nur drei Meter nach unten und man hatte es geschafft. Auch von dem Dach hinunterzusteigen schien keine Kunst. Es gab kleinere Gebäude, die wie eine Treppe aneinandergereiht lagen. Am Ende standen Container. Die Herausforderung kam zum Schluss. Um auf die Straße zu gelangen, galt es eine Mauer zu überklettern. Da würde es eng werden. Vor der Mauer hatte er selber Angst. Aber Fieber hatte eine Änderung des Plans in Aussicht gestellt. Er fragte sich nur, wie die aussehen sollte. Der Kommandoführer hatte sich dazu nicht näher ausgelassen, war einfach losmarschiert. Jetzt kam der Moment, in dem er sich erklären musste. Fieber öffnete das Fenster und erklärte den Fluchtweg. Also doch der alte Plan. Was war das denn für eine Nummer?

»Das schaffe ich nicht«, sagte der Dicke, den Steller bei der ersten Begegnung fast durch die Glastür erschossen hätte.

»Dann gehst du am besten zurück ins Büro und schließt dich ein. Hier im Treppenhaus wirst du auf Dauer nicht sicher sein.« Fieber sprach mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es einem den Atem nahm.

»Sie können mich nicht alleine lassen.«

Fieber ging nicht darauf ein. »Der Weg ist vorgegeben. Wer mitkommen will, soll das tun. Dem Rest wünsche ich viel Glück.«

Das erinnerte Steller an gestern Nacht.

»Was soll das? Sie haben gesagt, dass Sie den Plan ändern wollten«, beschwerte sich eine der Frauen.

»Ich habe darüber nachgedacht, aber keine bessere Möglichkeit gefunden. Daher halte ich an dem ursprünglichen Plan fest.«

»Warum gehen wir nicht einfach bis ins Erdgeschoss und laufen über die Straße?«

»Wenn das eine Option wäre, würde ich genau das tun.«

Die ersten Polizisten schwangen sich aus dem Fenster. Warum hatte Fieber die Leute mitgenommen? Er hatte nie vorgehabt, den Plan zu ändern. Steller kletterte auf das Dach. Als er auf den Schindeln stand, merkte er, dass die Sache ekeliger war als gedacht. Er musste sich ziemlich schief halten, sich mit einem Arm abstützen. So als liefe er an einem Abhang entlang. Es war nicht wirklich schwer, aber unangenehm. Nach der halben Strecke sah er sich um. Mittlerweile hatten es alle auf das Dach geschafft. Auch die Werbeleute. Die meisten krochen mehr über die Dachziegel, als dass sie gingen. Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Wolf. Warte mal.«

Der SEK-Mann, der vor ihm lief, stoppte und drehte sich um. »Was?«

»Habt ihr denn die Fahrzeugschlüssel? Ich meine, die Hälfte von euch fehlt.«

»Jeder von uns hat alle Schlüssel in der Tasche. Wenn es mal richtig knallt, dann weiß man vorher nicht, wer fahren muss.«

Das klang in Stellers Ohren erfrischend professionell. »Wie viele Fahrzeuge habt ihr eigentlich?«

»Drei.«

»Transporter?«

Wolf setzte sich wieder in Bewegung. »Einen Mercedes Vito und zwei BMW X5.«

Steller blieb kurz stehen. Das würde richtig eng werden. Bevor er sich näher mit der Frage des Transportes befassen konnte, erreichten sie das Ende des Daches. Der Pavillon besaß zwei Anbauten, deren Dächer tiefer lagen. Sie sprangen von einem Dach hinunter auf das nächste und schließlich auf einen Container. Dann hatten sie den Boden erreicht.

»Was jetzt?« Steller hatte den Innenhof überquert, stand an der Mauer zur Straße. Sie ragte mehr als drei Meter in die Höhe und er fragte sich, wie er da hinaufkommen sollte. Und selbst wenn? Auf der anderen Seite würde er springen müssen. Bei einem Sprung aus der Höhe konnte man sich als Ungeübter leicht den Knöchel verstauchen. Daran wollte er gar nicht erst denken.

»Wir schieben die Mülltonnen hier rüber. Das muss reichen«, sagte Wolf.

»Das schaffen die Werbeheinis nie im Leben«, gab Steller zu bedenken. Wolf reagierte nicht. Schippe kam nach vorne gerannt. »Los, los. Das muss schnell gehen.« Die Polizisten schoben einige der Tonnen vor die Mauer. Ein Beamter sprang nach oben, griff nach der Mauerkrone und zog sich hoch. Bald saß er rittlings auf der Mauer und half den Nachfolgenden beim Klettern. Der Erste war auf der anderen Seite angekommen, als Steller hinter sich das unangenehme Geräusch einer platzenden Glasscheibe hörte.