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Es war tief in der Nacht. Michael saß auf Marys Lieblingssessel. Hawk lag schnarchend zu seinen Füßen, und CJ hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt. Michael war völlig erschöpft. Endlich schlief er ein, und er hatte den Schlaf bitter nötig. Er hatte angeboten, Paul beim Training der Baseballmannschaft seines Sohnes zu helfen. Die Saison hatte erst vor ein paar Wochen begonnen, und bisher war die Mannschaft unbesiegt.
Michael hoffte, wieder zu einem normalen Alltag zurückzufinden, der seinem Leben Struktur verlieh und die Leere ausfüllte. Arbeit und das Baseballtraining der Kinder – das war im Augenblick alles. Immerhin ein Anfang.
Der silberne und der goldene Schlüssel waren zurückgegeben worden, doch Michael hatte Dinge gesehen, die er niemals würde erklären können, und er hatte noch immer Zweifel, die ihn Tag und Nacht plagten.
Vor allem die eine große Frage machte ihm zu schaffen.
Die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt.
Er brauchte eine Antwort. Unbedingt. Die quälenden Gedanken hatten ihn in den letzten Wochen fast umgebracht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass auf diese Weise noch Jahre vergingen.
Endlich schlief er vor Erschöpfung ein ...
Und leise betrat Mary das Zimmer. Sie hatte wieder ihr prächtiges Haar. Ihre Haut war schneeweiß, und ihre grünen Augen leuchteten. Sie stand da und warf dem schlafenden Michael einen lächelnden Blick zu. Dann setzte sie sich an den Schreibtisch, öffnete leise die Schublade und griff hinein. Nachdem sie eine Weile gesucht hatte, zog sie die Hand wieder heraus. Sie stellte sich vor das Bücherregal, und ihre Augen strahlten voller Glück, als sie die Fotos betrachtete, die so viele Erinnerungen bargen.
Schließlich nahm Mary das schlichte Kreuz aus Plastik aus der Schublade, hängte es behutsam an die Wand und rückte es mehrmals hin und her, bis es gerade hing. Dann trat sie einen Schritt zurück, bewunderte ihr Werk und freute sich, dass der leere Fleck endlich verschwunden war.
Das schlichte Kreuz, das dort hing, hatte kaum materiellen Wert, doch seine Bedeutung war unermesslich.
Mary ging zu Michael zurück, beugte sich hinunter und küsste ihn zärtlich.
Langsam öffnete Michael die Augen, als wüsste er, dass sie dort stand. Sie schenkten sich ein warmes, vertrautes Lächeln, bis die ersten Strahlen der Morgensonne ins Zimmer fielen und Mary sich im Licht auflöste ...
Michael war mit einem Mal hellwach. Er stand auf und ging zur Wand, betrachtete das Kreuz und lächelte.
Jetzt wusste er, dass Mary in Frieden ruhte.
Ein Wunder hatte seine Frage beantwortet.