7.
Michael saß die ganze Nacht an Marys Bett und verließ sie erst im Morgengrauen. Wegen der Schmerz Medikamente war sie nur ein paar Stunden am Tag ansprechbar. Es tat Michael weh, ihre Stimme nicht zu hören, doch er nahm es in Kauf, denn die starken Medikamente linderten ihre unerträglichen Schmerzen. Jeder Blick auf ihr leichenblasses Gesicht, auf das der blaue Schimmer des Monitors fiel, festigte seinen Entschluss. Wenn Mary sich nicht schnellstens einer Operation unterzog, würde sie sterben. Und eine Welt ohne Mary wäre für Michael das schlimmste Gefängnis, das er sich vorstellen konnte.
Das alles ging ihm durch den Kopf, als Finster hinter der glänzenden Ahorntheke stand und ihm einen Drink einschenkte. Die beiden Männer saßen allein in einer der luxuriösesten Hotelsuiten der Stadt. Vor der Spiegelwand waren Kristallkaraffen und Spirituosen aufgereiht. Teure Ledersofas in einer Sitzecke, in deren Mitte ein großer Kamin stand. Ein Bösendorfer-Piano stand in einer Ecke, ein großer Schreibtisch im Stil Ludwig XIV. in einer anderen.
Finster reichte Michael ein Glas Whiskey. »Auf dass wir beim nächsten Mal auf unseren Erfolg trinken können.«
Michael ging nicht darauf ein. Er war kein Mann, der sich aus großen Worten und teurem Scotch etwas machte. Er hatte immer allein gearbeitet und noch nie einen Auftrag angenommen. Und er wusste, dass in diesem Fall zum ersten Mal ein anderer die Spielregeln vorgab.
»Jetzt sollten wir zur Sache kommen, Michael. Setzen Sie sich«, forderte Finster ihn auf. »Ich besorge Ihnen selbstverständlich alles, was Sie brauchen – Geld, Leute und Ausrüstung.«
Michael setzte sich auf die Couch, stellte sein Glas auf den Tisch und beugte sich vor. »Wofür?«
»Für zwei Schlüssel.«
»Schlüssel?«, wiederholte Michael verwirrt. »Und wozu sind diese Schlüssel gut?«
»Es sind antike Stücke, zweitausend Jahre alt. Ein goldener und ein silberner Schlüssel.« Finster setzte sich ebenfalls.
Michael erwiderte zunächst nichts und zeigte keinerlei Emotionen. Doch in seinem Inneren sah es anders aus. Das Gefühl der Erregung war zurück; das Adrenalin strömte durch seine Adern. »Und wo sind diese Schlüssel?«, fragte er schließlich.
»In Rom. Diese Sache dürfte für einen Mann von Ihrer Begabung nicht schwierig sein.«
»Woher wollen Sie wissen, welche Begabungen ich habe? Ich habe es nie an die große Glocke gehängt.«
»Ich habe verlässliche Quellen.«
»Wer?« Michael wusste, dass der Teufel immer im Detail steckte.
Finster lächelte. »Sie müssen mir vertrauen, Michael.«
»Nichts für ungut, aber Vertrauen gibt es in dieser Branche nicht.«
»Um Ihnen zu zeigen, dass Sie sich auf mich verlassen können, überweise ich innerhalb der nächsten Stunde dreihunderttausend Dollar auf Ihr Konto, damit Ihre Frau sofort operiert werden kann.«
»Sie könnten mich töten lassen, wenn ich den Job erledigt habe, damit Sie den Rest des Geldes nicht mehr zahlen müssen.«
Finster erhob sich von der Couch wie ein Edelmann, der seinem König gegenübertrat. »Michael, ich gebe Ihnen mein Wort, dass Ihnen nichts passieren wird und dass die abschließende Zahlung umgehend nach Lieferung erfolgt. Ich bin ein Ehrenmann.«
Michael blieb unbeeindruckt. »Ehre unter Dieben ist ein Widerspruch in sich.«
»Ich habe niemals ein Versprechen gebrochen und bin nie von einer Abmachung zurückgetreten. Wenn es so wäre, könnte ich keine Geschäfte machen.«
»Sie haben nie über Ihr Geschäft gesprochen«, erwiderte Michael und wartete gespannt. Die Art, wie Finster die Frage beantworten würde, würde genauso aufschlussreich sein wie die Antwort selbst. Angesichts seiner Vorstrafe durfte Michael nicht das Risiko eingehen, sich von einem übereifrigen Cop eine Falle stellen zu lassen. Deshalb hatte er Finsters Identität und seine Geschäfte überprüft, ehe er hierhergekommen war.
»Ich bin in verschiedenen Branchen tätig, unter anderem im Einzelhandel, und zwar weltweit.« Finster blickte Michael fest in die Augen. »Sie haben mein Wort.«
Michael wusste noch nicht, welchen Wert dieses Wort hatte. Er würde es später überprüfen. Jetzt war erst einmal seine Neugier geweckt. »Um welche Kirche in Rom geht es ?«
Finster zögerte kurz. »Die Schlüssel liegen im Vatikan.«
Michael wurde bleich. »Sie wollen, dass ich Eigentum des Vatikans stehle?«
»Ich bin sicher, jetzt verstehen Sie mein Bedürfnis nach absoluter Geheimhaltung. Machen Sie einen Rückzieher?«
»Nein. Aber die Sache scheint mir sehr riskant zu sein.
Falls es überhaupt möglich ist, sie durchzuziehen, muss alles bis ins Kleinste geplant werden. So ein Auftrag ist extrem gefährlich. Die Sicherheitsstandards sind enorm hoch. Kein anderes Territorium wird so gut bewacht wie der Vatikan. Und lassen Sie sich nicht von den altertümlichen Uniformen der Schweizergarde täuschen. Sie gehört zu den am besten ausgebildeten Militäreinheiten in Europa, und ihre Soldaten zählen zu den loyalsten der Welt.«
In all den Jahren, in denen Michael diesen Job ausgeübt hatte, gab es ein Gefühl, mit dem er sich nie zuvor beschäftigt hatte, aber heute spürte er es: Angst. Er hatte sich in eine extrem gefährliche Lage gebracht und war auf einen Weg geraten, den er nicht mehr verlassen konnte. Nicht nur Mary, auch er selbst konnte am Ende sein Leben verlieren, wenn er bei diesem Job versagte.
Finster hatte ihm etwas Bedeutsames verschwiegen: Bei dieser Sache ging es nicht bloß um irgendwelche Schlüssel oder antike Kostbarkeiten. Es steckte mehr dahinter. Ob es die Besessenheit eines Sammlers oder für Finster nur Mittel zum Zweck war, spielt für Michael keine Rolle. Er mischte sich nie in die Angelegenheiten anderer ein. Wenn er herauszufinden versuchte, was die Beweggründe dieses Mannes waren, konnte er sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Für ihn war es bloß ein Diebstahl – der einzige Job, der das Leben seiner Frau retten würde. Finsters Interesse an diesen Schlüsseln ging ihn nichts an. Michael wusste nur, dass er durch diesen Diebstahl seiner Frau das Leben retten konnte, alles andere spielte für ihn keine Rolle.
Finster reichte Michael eine prall gefüllte schwarze Aktentasche. »Hier haben Sie Informationen über die Schlüssel und deren genauen Aufbewahrungsort mit den entsprechenden Plänen und weiteren Einzelheiten.« Er trat ans Fenster und schaute auf die Stadt. »Ich schenke Ihnen mein Vertrauen«, sagte er, »ebenso wie Sie mir Ihres schenken.« Schließlich drehte er sich zu Michael um. »Wie es aussieht, sind wir zu einer Einigung gekommen, nicht wahr?«
Michael nickte.
»Es gibt da noch etwas, was Sie unbedingt wissen müssen.« Finster ging auf Michael zu und betonte seine nächsten Worte nachdrücklich. »Betrügen Sie mich nicht. Versuchen Sie nicht, diese Schlüssel jemandem zu geben, der Ihnen mehr dafür bietet. Versuchen Sie nicht, die Schlüssel auszutauschen. Ich sehe sofort, wenn es nicht die richtigen sind.« Der weißhaarige Mann stand nur einen Schritt von Michael entfernt und starrte auf ihn hinunter. »Ich sehe es sofort«, wiederholte er.
Die Aktentasche in der Hand, stand Michael langsam auf, ohne Finster aus den Augen zu lassen. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Was kann man mit diesen Schlüsseln öffnen ? Eine Truhe ? Einen Safe ?«
»Weder noch. Vermutlich nur zwei alte Türen, die schon lange nicht mehr existieren.«
Am nächsten Morgen, eine Woche nach dem Termin beim Arzt, lag Mary im Operationssaal. Der Tumor war größer, als Dr. Rhineheart vermutet hatte, doch nach einer achtstündigen Operation glaubte er, ihn entfernt zu haben. Der Tumor war um den linken Eierstock und Eileiter gewuchert und hatte bereits den rechten Eierstock befallen. Rhineheart war der beste Krebsspezialist in New York und gehörte zu jenen Ärzten, die ihre Arbeit nicht wie am Fließband erledigten. Er war mit Herz und Seele dabei. Für ihn war es ein persönlicher Verlust, wenn einer seiner Patienten an dieser tückischen Krankheit starb. Seine Mutter war an Brustkrebs gestorben, als er fünfzehn war, und nun kämpfte er mit allen Mitteln um das Leben jedes einzelnen Patienten. Jeder Kampf war eine Schlacht, die Rhineheart gewinnen wollte.
Die Kombination aus Chemotherapie und Bestrahlung, die Rhineheart anwendete, sollte etwaige noch verbliebene Krebszellen in Marys Körper zerstören. Es war eine Therapie, die für die Patienten eine ungeheure Belastung darstellte und ihre ganze Kraft erforderte. Tatsächlich war es ein Paradox: Er musste seine Patienten vergiften, um ihren Körper von einem noch tödlicheren Gift zu befreien. Es war ein schwieriger Balanceakt, aber die Therapie war schon so häufig erfolgreich gewesen, dass er darauf vertraute.
Michael saß an Marys Bett im Aufwachraum und hielt ihre Hand. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen; ihre schreckliche Blässe schockierte Michael. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, eine Tote vor sich zu haben. Doch Mary war nicht tot; sie brauchte ihn jetzt mehr denn je. Sie würde sich auf seine Kraft verlassen müssen, um mit seiner Hilfe diese Tortur zu überstehen. Ebenso wie sie ihm, Michael, mit ihrer Kraft geholfen hatte, seine Zeit im Gefängnis durchzustehen.
Mary hatte ihn gerettet, und jetzt würde er sie retten.
Paul und Jeannie Busch verließen das Krankenhaus. Auf der Heimfahrt sprachen sie kein Wort. Während der Operation hatten sie gemeinsam mit Michael im Krankenhaus gewartet; die acht Stunden erschienen ihnen wie eine Ewigkeit. Es kostete sie Kraft, optimistisch zu bleiben und sich gegenseitig Mut zu machen. Für Paul war es schwierig, sich nach außen zuversichtlich zu geben, wo er insgeheim Angst verspürte. Er und Jeannie standen den St. Pierres näher als irgendjemand sonst, und diese grausame Wendung des Schicksals machte ihnen schrecklich zu schaffen.
Ebenso große Sorgen bereitete Paul eine andere Sache: Er und Michael waren Freunde geworden. Zwischen ihnen war ein Vertrauen gewachsen, das Paul zu niemandem sonst hatte, außer zu seiner Frau. Michael war für ihn da gewesen, als es Probleme in seiner Ehe gegeben hatte. Er und Jeannie hatten sich entfremdet, woran größtenteils sein Job schuld war. Es war eine jener Krisen, die es in jeder Beziehung gab. Doch Michael hatte Paul zugehört, und genau das hatte er gebraucht. Paul war es schon immer schwergefallen, sein Herz zu öffnen. Schon in der Kindheit hatte man ihn gelehrt, dass Gefühle »weibliche Züge« seien, die em Mann nicht zeigte. Paul und Jeannie hatten ihre Probleme schließlich gelöst, und Michaels Freundschaft hatte ihnen dabei mehr geholfen als alles andere.
Auch Michael hatte sich Paul anvertraut. Er war immer aufrichtig gewesen, wenn sie über seine kriminelle Vergangenheit gesprochen hatten. Er hatte Paul erzählt, dass ein Einbruch für ihn eine Art Kunst gewesen sei und dass das Gefängnis für ihn eine schlimmere Strafe gewesen sei als die Hölle. Außerdem hatte er Paul in seine Pläne für ein neues Leben eingeweiht. Er wollte sich einen anständigen Job suchen und ein Unternehmen für Sicherheitstechnik eröffnen. Paul war auch der Erste gewesen, an den Michael sich gewandt hatte, als Marys Krankheit diagnostiziert worden war. Auch wenn Michael nach außen gefasst wirkte, sah Paul die Hilflosigkeit in den Augen seines Freundes, der nicht wusste, wie er das Geld für die Behandlung Marys aufbringen sollte.
Zweihundertfünfzigtausend Dollar.
Nun auf einmal konnte Michael diese Summe bezahlen.
Woher hatte er das Geld ?
Die Frage ging Paul nicht mehr aus dem Kopf.
Michael saß am Esszimmertisch und hatte den Inhalt der schwarzen Aktentasche auf dem Tisch verteilt. Pläne und Bücher, Skizzen und Dokumente. Michael bereitete sich auf den Job vor.
Der Vatikan war ein souveräner Mini-Staat mit einer Fläche von 0,44 Quadratkilometern, dessen Territorium vor allem durch die Schweizergarde geschützt wurde, eine kleine, aber feine Schutztruppe, deren Aufgaben der Schutz des Papstes und des Apostolischen Palasts waren. Die Schweizergarde war keine Armee im traditionellen Sinne. Die Schweizergardisten trugen keine Tarnanzüge, und über ihren Schultern hingen keine Maschinengewehre. Die Garde sah eher wie eine Truppe aus einem Historienspielfilm aus. Ihre farbenprächtigen Uniformen wären vor ein paar hundert Jahren gewesen: ein Wams mit roten Puffärmeln mit blauen und gelben Streifen, dazu passende Hosen, Gamaschen und schwarze Slipper. Diese Kleidung hätte besser zu Darstellern in einem Shakespeare-Drama als zu Soldaten gepasst. Die spitzen Helme erinnerten Michael an Salz– und Pfefferstreuer, auf denen rote Federbüsche steckten, und die zwei Meter fünfzig langen Hellebarden schienen eher dafür gedacht zu sein, Drachen zu erlegen, als Feinde ins Jenseits zu befördern.
Im Grunde entsprach ihre Funktion mehr der einer Ehrengarde, denn wer würde schon den Heiligen Stuhl belagern? Doch die Kirche wusste es besser. Der Vatikan war viele Jahrhunderte lang zahlreichen Angriffen seitens bekannter und unbekannter Feinde ausgesetzt gewesen – sowohl militärische Angriffe als auch intellektuelle Attacken durch Wissenschaftler, die versuchten, die Nicht-Existenz eines höheren Wesens zu beweisen. Andere Angriffe erfolgten von rätselhaften spirituellen Mächten.
Daher besaßen die Männer in ihren fantasievollen Uniformen durchaus die Fähigkeiten einer modernen und gut ausgebildeten Militäreinheit. Ihre Funktion mochte traditionsgebunden sein, doch sie hatten eine zeitgemäße Ausbildung durchlaufen und waren in Waffenkunde, Nahkampf und Terrorismusbekämpfung geschult. Und sie wussten alle, dass ein Angriff auf die Kirche zu jedem Zeitpunkt und aus jeder Richtung erfolgen konnte. Selbst die Hellebarden, die nur zeremoniellen Zwecken zu dienen schienen, waren todbringende Waffen, mit denen die Schweizergardisten meisterhaft umzugehen verstanden, seit die ersten von ihnen – ursprünglich Schweizer Söldner – auf den Ruf Papst Julius II. hin im Januar 1506 im Vatikan eingetroffen waren.
Die Polizeidienststelle, in dem der Corpo di Vigilanza untergebracht war, die Gendarmerie des Vatikans, war ein großes, schmuckloses Gebäude im nordöstlichen Bereich des Petersplatzes. Doch was sich hinter den Mauern verbarg, war durchaus beeindruckend. Der Kontrollraum im Untergeschoss der Dienststelle war vergleichbar mit Räumen, wie man sie im Pentagon finden konnte, besaß aber zugleich eine beinahe museale Atmosphäre. Hier trafen zwei Welten aufeinander: Hightech und Kunst. Cray-Supercomputer standen neben Skulpturen von Bernini; elektronische Übersichtskarten hingen neben Gemälden von Raffael. Es war wie eine Zeitmaschine, die nicht funktionierte. Dieser Raum war das Herz der päpstlichen Gendarmerie. Sie arbeitete mit der Schweizergarde zusammen und war für die Sicherheit des Palasts und der Gärten verantwortlich. Die aus Schweizergarde und Vatikanischer Polizei bestehende Schutztruppe stand vierundzwanzig Stunden am Tag bereit.
Anders als bei den Schutztruppen anderer Regierungen galt die Loyalität dieser Männer nicht nur ihrem Land, sondern vor allem Gott. Jeder Fanatiker, der bereit war, bei einem Angriff auf den Vatikan für seinen Glauben zu sterben, würde auf Gegner treffen, die ebenfalls bereit waren, ihr Leben für den Glauben hinzugeben. Keine Macht auf Erden konnte diese Männer abschrecken.
Natürlich war der Vatikan zuallererst der Sitz des Papstes, des Oberhaupts der katholischen Kirche. Und seit dem Anschlag auf Johannes Paul II. im Jahre 1981 waren die Sicherheitsmaßnahmen für den Heiligen Vater und die päpstlichen Gemächer um ein Vielfaches verschärft worden.
Michaels Zielobjekt wurde in einem der größten Museen der Welt aufbewahrt. Obwohl die Vatikanischen Museen unermessliche Schätze beherbergten, schienen die Sicherheitsmaßnahmen auf den ersten Blick nachlässig zu sein: Überwachungskameras, Alarmanlagen und hier und da ein paar Wachleute – fertig. Doch es gab zusätzliche Sicherheitseinrichtungen, die sehr viel aufwendiger waren. Sämtliche Ein- und Ausgänge waren mit verborgenen Metalldetektoren versehen; es gab Scanner für radioaktive Isotope sowie Geruchssensoren, die in der Lage waren, die chemische Signatur von Brandbeschleunigern, Zündstoffen und Giften zu erkennen. Überall waren Überwachungskameras versteckt, und die Filme auf den Monitoren im Kontrollraum wurden ununterbrochen von aufmerksamen Augen verfolgt. Undercover-Sicherheitskräfte durchstreiften das Gelände und die Räumlichkeiten und beobachteten wachsam die Aktivitäten der Touristen.
Finster hatte Michael den Ort, an dem die beiden Schlüssel aufbewahrt wurden, genau beschrieben. Daher konnte er sich ganz und gar darauf konzentrieren, sie in seinen Besitz zu bringen. Doch Michael machte diesen Job lange genug, um zu wissen, dass man nur sich selbst trauen durfte. Auch wenn er bereits eingewilligt hatte, für Finster zu arbeiten, bedeutete das nicht, dass er diesem Mann auch nur einen Augenblick vertraute.
Bevor Michael den Job angenommen hatte, hatte er Informationen über den Milliardär gesammelt. Was er herausgefunden hatte, war durchaus beeindruckend: Finster war wie aus dem Nichts gekommen – ein Mann, der die Fähigkeit zu haben schien, aus Steinen Gold zu machen, und der auf den verschiedensten Gebieten erfolgreich war.
Inzwischen war er einer der reichsten Männer der Welt. Michael benutzte seine Quellen, um sich zu versichern, dass Finster keine Verbindungen zu Polizei- und Justizbehörden besaß und bisher nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Es stellte sich heraus, dass Finster einer dieser Hyperreichen war, die immer genau das haben wollten, was sie für alles Geld der Welt eben nicht bekommen konnten. Um seine Ziele zu erreichen, setzte Finster alle Hebel in Bewegung.
Angelus Finster hatte zwar alles vorbereitet, aber das stärkte Michaels Vertrauen nicht. Er würde sämtliche Informationen, die er von Finster über den Vatikan erhalten hatte, unter die Lupe nehmen und sich nur auf seine eigenen Recherchen verlassen. Gründliches Recherchieren war der Schlüssel zum Erfolg. Doch alle Bücher und Karten der Welt würden ihn nicht über die Abläufe im Museum und die Zeiten informieren, wann sich dort besonders viele Touristen und Wachleute aufhielten. Wenn sein Coup gelingen sollte, musste er nicht nur die Sicherheitssperren der Vatikanischen Polizei und der Schweizergarde überwinden, er musste ihre Strategie verinnerlichen.
Michael nahm einen Briefumschlag in die Hand, den ein Bote aus Finsters Hotel an diesem Morgen persönlich bei ihm abgeliefert hatte. Er zog ein kleines Kästchen aus dem Umschlag und öffnete es. Es enthielt ein Iridium-Satellitentelefon, das größer war als ein normales Handy: zwanzig Zentimeter lang, sieben Zentimeter breit und zweieinhalb Zentimeter dick. Michael öffnete das Batteriefach und nahm die Akkus heraus. Sie waren schwerer, als er erwartet hatte. Ihre Größe war vermutlich der Grund dafür, dass das Gerät so sperrig war, aber dafür besaß es einen einzigartigen Vorteil: Man konnte von jedem Ort der Welt aus anrufen.
Auf einem beigelegten Zettel stand:
Es ist sicher. Sie können mich jederzeit anrufen, um mich auf dem Laufenden zu halten. Übrigens, Sie können auch mit Ihrer Frau telefonieren. Um sie geht es ja.
Finster hatte Michael außerdem zehntausend Dollar, fünfundzwanzigtausend Euro und drei Platin-Kreditkarten geschickt, die auf unterschiedliche Falschnamen ausgestellt waren. Wenn etwas schiefging, hatte Michael die Mittel, nach Hause zurückzukehren.
In dem Umschlag steckten außerdem drei gefälschte Reisepässe, deren Namen mit denen auf den Kreditkarten identisch waren. Michaels richtiger Reisepass war ihm für die Dauer seiner Bewährungsstrafe entzogen worden. Er hatte neue Passbilder machen lassen, ehe er Finsters Hotel vor eine Woche verlassen hatte; um alles andere hatte Finster sich gekümmert. Michael hatte keine Lust, wegen eines gefälschten Reisepasses geschnappt zu werden. Dann wäre alles zu Ende, ehe es begonnen hatte.
Er nahm die restlichen Gegenstände aus dem Umschlag: ein Flugticket nach Rom, eins von Rom nach Berlin, ein drittes für den Rückflug nach New York. Auch ein Flugplan war beigefügt.
Michael würde im Hotel Bella Coccinni in Rom übernachten.
Er hatte sieben Tage Zeit.
Der Fernseher lief, doch der Ton war abgestellt. Michael küsste Mary auf den Mund. »Ich muss ein paar Tage weg.«
»Wohin?«, fragte sie und versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen.
»Ich muss einige Papiere unterschreiben und ein paar Dinge für Rosenfield erledigen. Das ist der Mann, der uns hilft, die Kosten zu bestreiten.«
Die Lügen kamen leicht über seine Lippen, und das machte Michael Sorgen. James Rosenfield, ein erfolgreicher Immobilienmakler, mochte ihn und Mary, aber so weit ging ihre Freundschaft nun auch wieder nicht. Er hatte gesagt, dass er Michael nicht so viel Geld leihen könne; das Risiko sei zu groß.
»Er hat dir das Geld gegeben ?«
»Ja. Es ist ein Darlehen. Mein Unternehmen dient ihm als Sicherheit. Und nun muss ich ein paar Jobs für ihn erledigen.«
»Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich dachte schon, es gäbe keine Nächstenliebe mehr.« Mary kratzte abwesend über den Verband, der die Infusionsnadel schützte. »Ich weiß nicht, wie wir ihm jemals danken sollen.«
»Ich habe mich schon bei ihm bedankt.« Michael umfasste ihre Hand. Mary hatte keine Ahnung, dass Mike sich mit seinem Geschäft so gerade über Wasser hielt. Mary wusste nur, dass er regelmäßig Geld nach Hause brachte, und sie war sehr stolz auf ihn. Für sie hatte er sein altes Leben aufgegeben und aus eigener Kraft ein Geschäft aufgebaut. »Ich muss heute Abend los.«
»Heute Abend schon?« Ihre Chemotherapie sollte an diesem Nachmittag beginnen, und sie wusste, dass mit schweren Nebenwirkungen zu rechnen war. Deshalb hatte sie Angst, die Behandlung alleine durchstehen zu müssen.
»Ich wäre lieber bei dir als irgendwo sonst«, sagte Michael, »aber es geht nun mal nicht.«
Mary blickte ihn traurig an. »Wie lange bleibst du weg?«
»Ungefähr eine Woche.«
»Komm schnell wieder«, flüsterte Mary, als Michael sie in seinen Armen hielt.
Sie beide standen der größten Herausforderung ihres Lebens gegenüber, doch keiner zeigte Angst. Beide waren mehr um den anderen besorgt als um sich selbst.
Dennis Thal betrat den Umkleideraum. Der Jogginganzug des jungen Polizisten war so verschwitzt, als wäre er in einen Pool gesprungen, und er freute sich auf die Dusche. Sein Basketballduell gegen John Ferguson, einen jungen Detective, hatte mit einem Sieg für Thal geendet, obwohl sein kleiner Finger und der Ringfinger der linken Hand verkrüppelt waren. Thal verlor nie. Er hasste Niederlagen.
Paul stand neben Thals Spind und wartete ungeduldig.
Thal war schlank und hatte einen durchtrainierten Körper. Paul war ein bisschen neidisch auf ihn, aber eine gute Figur war nun einmal der Segen der Jugend. Mit den Jahren würde auch Thals Körper den Folgen von zu viel Fastfood und der Schwerkraft erliegen.
Dennis Thal wirkte wie ein geradliniger Junge, der mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden war. Auf dem Polizeirevier kursierte das Gerücht, dass er aus reicher Familie stammte, beträchtliche Investmentfonds besaß und den Polizeijob nur machte, um sich einen Kick zu verschaffen.
Falls diese Gerüchte sich bewahrheiteten, würde Paul verlangen, dass der Junge versetzt wurde. In diesem Job ging es nicht um Spaß oder Adrenalinschübe. Wenn Thal sich einen Nervenkitzel verschaffen wollte, konnte er das auf Kosten anderer tun. Den Gesetzen Geltung zu verschaffen war kein Sport, sondern ein harter Job. Und Paul hatte keine Lust, auf dem Friedhof zu landen, nur weil so ein Typ einen Kick brauchte.
»Was ist los ?«, fragte Thal, als er seinen Spind öffnete.
»Wir wollten uns in fünfzehn Minuten oben treffen.«
»Oh, tut mir leid. Ich wollte Sie nicht verärgern.« Thal strich sein verschwitztes braunes Haar aus der Stirn. »Geben Sie mir fünf Minuten zum Duschen.«
Paul ging zur Tür des Umkleideraums und rief Thal über die Schulter zu: »Ich gebe Ihnen drei Minuten.«
Thal schaute sich um. Er war allein. Er zog seinen verschwitzten Jogginganzug aus, ließ ihn auf dem Boden liegen und warf sich ein Handtuch über die Schulter. Er stellte sich unter die eiskalte Dusche, seifte sich ein und war tatsächlich nach drei Minuten fertig. Effizienz war sein Motto. Es war nicht nötig, Zeit zu vergeuden, wenn wichtige Dinge warteten.
Nachdem er sich abgetrocknet hatte, kämmte er sich und zog eine gebügelte Hose an. Er wischte mit dem nassen Handtuch über seine Schuhe, nahm ein frisch gebügeltes weißes Hemd aus dem Spind und zog es rasch an. Thal war es nicht peinlich, sich nackt zu zeigen, aber er wollte nicht, dass Paul oder irgendjemand sonst seine rechte Schulter sah. Dennis Thal wusste, dass er trotz des Ralph-Lauren-Hemdes und der Schuhe von Cole Haan nicht der war, der zu sein er vorgab.
Das Tattoo würde Paul abstoßen. Der schwarze Schädel mit den Rosen, die aus zerborstenen Knochen wuchsen, wäre Wasser auf Pauls Mühlen. Die Tätowierung war die dumme Idee eines Sechzehnjährigen gewesen, der cool sein wollte. In Thals Fall hatte es nicht funktioniert, denn das Tattoo – es hatte dreihundertfünfzig Dollar gekostet – war beinahe zerstört worden: Das von einer Verbrennung zurückgebliebene Narbengewebe hatte es verzerrt und in ein groteskes Horrorbild verwandelt, das er nicht entfernen lassen konnte.
Wenn Paul Busch dieses Tattoo sah, würde das viele Fragen aufwerfen – Fragen, die Thal nicht beantworten konnte. Er hatte hart dafür geschuftet, sein Image zu pflegen. Und etwas so Unpassendes wie dieses Tattoo würde bei einem alten Hasen wie Busch wahrscheinlich mehr als nur Neugier wecken. Und Dennis Thal hatte nicht all die Mühe auf sich genommen, um Busch zugeteilt zu werden, damit der ihm sofort auf die Schliche kam. Er hatte einen Job zu erledigen, und er würde seinen Auftraggeber nicht enttäuschen.
Auf beiden Seiten des Schreibtisches stapelten sich die Unterlagen. Paul nahm wahllos irgendeine Akte, tat so, als würde er darin lesen, und legte sie dann auf den anderen Stapel. Der von ihm betreute Sträfling, der auf Bewährung frei war, war seit fünfzehn Minuten überfällig. Das passte gar nicht zu dem Burschen, und Paul machte sich allmählich Sorgen.
»Ist es keine Verletzung der Bewährungsauflagen, wenn ein Termin nicht eingehalten wird?«, fragte Thal, der neben Pauls Schreibtisch saß.
Paul wollte gerade antworten, als irgendwo unter den Akten ein gedämpftes Klingeln zu hören war. Er schob die Unterlagen zur Seite und drückte sich den Hörer ans Ohr. »Busch.« »Ich bin's«, sagte Michael atemlos.
»Alles in Ordnung?«
Thal musterte Paul und runzelte fragend die Stirn.
Paul änderte sofort den Tonfall. »Du bist eine Viertelstunde zu spät«, sagte er und gab sich Mühe, verärgert zu klingen, denn Thal brauchte von der Freundschaft zwischen ihm und Michael nichts zu wissen. Er würde es mit Sicherheit gegen ihn verwenden.
»Tut mir leid«, sagte Michael, »ich musste etwas für Mary erledigen. Heute Nachmittag beginnt die Chemotherapie.« Michael hatte plötzlich das Gefühl, als wäre Paul nicht allein. »Hört jemand zu ?«
»Ja.« Paul war erleichtert, dass Michael es bemerkt hatte. »Hör mal, du musst herkommen. Wir haben einen Termin, um über deine Resozialisierung zu sprechen. Du kannst diesen Termin nicht einfach platzen lassen.«
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen...« Michael verstummte kurz und fügte dann hinzu: »Ich muss ein paar Tage weg.«
Paul erstarrte. »Wie lange?«
»Eine Woche.«
»Warum?«
Michael, der zu Hause in seiner Wohnung war, drückte sich das Handy ans Ohr und schaute auf die Pläne des Vatikans, die auf dem Esszimmertisch ausgebreitet waren. »Es hat mit der Finanzierung von Marys Operation zu tun. Ich muss eine Sicherheitsanlage installieren.«
Paul kaufte ihm diese Erklärung nicht ab. Freundschaft hin, Freundschaft her – er wusste, dass Michael ihn belog. Er würde seine Antwort bekommen, aber das musste warten, bis er Thal losgeworden war.
»Wann?« »Ich muss heute Abend los.«
»Aber erst nachdem wir uns getroffen haben.« Sie wussten beide, dass Michael die USA nicht ohne Pauls Erlaubnis verlassen konnte.
»Ich weiß nicht, ob ich die Zeit habe.«
»Dann nimm sie dir«, sagte Paul bestimmt. Er hatte noch nie in diesem Ton mit Michael gesprochen. Michael spürte, dass Paul Antworten von ihm haben wollte, und er schuldete ihm tatsächlich eine Erklärung. Sie würden sich treffen, aber die Wahrheit konnte er ihm jetzt nicht sagen, sonst würde er sofort seine Freiheit einbüßen.
Paul und Michael standen hinter dem Zaun des Baseballfeldes und schauten sich ein Spiel der Little League an. Die Schläger waren größer als die Kinder. Paul war Trainer der Heimmannschaft, in der sein Sohn Robbie spielte.
»Also, wohin fährst du ?«, fragte Paul.
»Virginia«, sagte Michael. »Fredericksburg.«
»Sieben Tage?«
»Ja.«
»Ich könnte dich begleiten. Ich habe noch Resturlaub. Vier Hände schaffen die doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit.«
»Nein, nicht nötig. Du kannst mir sowieso nicht helfen. Ich muss eine Sicherheitsanlage installieren.«
»Ein verdammt schlechter Zeitpunkt.«
»Ja. Aber so ist nun mal die Abmachung.«
Paul fragte geradeheraus: »Woher hast du das Geld für Marys Behandlung?«
»Von einem meiner Kunden.« Michael verstummte kurz und dachte nach. »Ein Kunde aus Virginia.«
»Wer?«
Michael blieb ihm die Antwort schuldig. »Er hat mir einen Auftrag gegeben und mir geholfen, ein Darlehen zu bekommen.«
»Du hast doch gesagt, du bekommst keinen Kredit.« Das Gespräch verwandelte sich immer mehr in ein Verhör.
»Das stimmt auch«, erwiderte Michael.
»Und wieso bekommt dann jemand, der nicht kreditwürdig ist, ein Darlehen ?«
»Jetzt hat die Bank ja einen Bürgen.« Michael schaute Paul in die Augen. Wenn das Gespräch noch länger dauerte, würde er sich verplappern, falls er es nicht schon getan hatte. Er musste sich auf seinen Job konzentrieren. »Kümmerst du dich um Mary, wenn ich weg bin?«
»Das weißt du doch«, erwiderte Paul. »Und jetzt schwirr ab, bevor ich es mir anders überlege.«
Michael fuhr die Maple Avenue hinunter. Er hatte nur wenig Gepäck dabei: eine Reisetasche mit leichter Sommerkleidung und die prall gefüllte schwarze Aktentasche. Er würde sich das Werkzeug und alles, was er sonst noch brauchte, in Italien besorgen, um sich beim Zoll keinen unnötigen Fragen auszusetzen.
Michael hatte versucht, vor der Abfahrt Mary zu erreichen, doch sie hatte geschlafen. Die Medikamente, die sie bekam, betäubten nicht nur den Schmerz, sie sorgten auch für einen ohnmachtsähnlichen Schlaf. Obwohl sie sich schon verabschiedet hatten, sehnte Michael sich danach, noch einmal ihre Stimme zu hören, ehe er im Flugzeug saß. Es würde seit seiner Haftentlassung das erste Mal sein, dass sie eine ganze Nacht getrennt verbrachten. Der Gedanke brach Michael fast das Herz. Er hatte Mary dreieinhalb Jahre lang allein gelassen, als er im Gefängnis saß. Er hatte ihr geschworen, es nie wieder zu tun. Und jetzt tat er es doch und verließ sie in ihrer größten Not.
Aber diesmal war es anders. Diesmal ging es nicht darum, sich persönlich zu bereichern. Diesmal ging es um Marys Leben.
Michael hatte eine Nachbarin gebeten, Hawk zu füttern und auszuführen und CJ, Marys Katze, zu sich zu nehmen. Die alte Dame hatte nur zu gerne eingewilligt. Sie hatte sogar das Geld abgelehnt, das Michael ihr für ihre Hilfe angeboten hatte. Mrs. McGinty freute sich, sich während Michaels Abwesenheit um die Tiere kümmern zu können. Es sei schön, wieder eine Aufgabe zu haben, sagte sie zu Michael.
Michael fuhr auf den Langzeitparkplatz und bezahlte für sieben Tage im Voraus. Als er den Kofferraum abschloss, fiel ihm ein grüner Ford Torino auf, der im Schritttempo am Parkplatz vorbeifuhr. Michael hatte den Wagen schon auf dem Highway bemerkt. Er hatte immer eine Schwäche für schnelle Autos gehabt; deshalb war der Torino ihm aufgefallen. Michael hatte sich nichts dabei gedacht, als der Wagen hinter ihm den Interstate verlassen hatte, doch jetzt schien der Fahrer ihn zu beobachten, als er am Parkplatz vorbeifuhr.
Michael schloss seinen Wagen ab und ging zum Flughafengebäude, wobei er stets nach dem Torino Ausschau hielt, doch der Wagen schien verschwunden zu sein. Als die großen Automatiktüren des Flughafens in Sicht kamen, atmete Michael erleichtert auf. Verfolgungswahn, beruhigte er sich. Nun ja, er war seit fast sechs Jahren aus der Übung und daher übervorsichtig.
Michael ging zum Abfertigungsschalter seiner Fluglinie. Eine hübsche Frau mit südlichem Akzent nahm sein Ticket entgegen. »Haben Sie Gepäck aufzugeben, Mr. McMahon?«, fragte sie.
»Nur Handgepäck«, erwiderte Michael, der unter diesem falschen Namen eincheckte.
Die Angestellte der Fluglinie reichte ihm die Bordkarte, bedankte sich bei ihm und wies ihm den Weg zur Sicherheitskontrolle.
Michael ging durch das Flughafengebäude. Die Reisetasche hing über seiner Schulter. Die schwarze Aktentasche hielt er mit der rechten Hand. Er legte sein Ticket an der Sicherheitskontrolle vor, leerte seine Taschen und stellte das Gepäck auf das Band. Als er die Schleuse passierte, schrillte der Alarm.
Michael erstarrte. Jetzt war er verloren. Er konnte sich den Alarm nicht erklären. Ehe er die Wohnung verlassen hatte, hatte er alles aus seinen Taschen und von seinem Körper entfernt, was ihn belasten könnte.
Die Kontrolleure tasteten ihn ab. Michael griff noch einmal in seine Taschen und seufzte erleichtert, als er eine Münze fand, die er versehentlich nicht herausgenommen hatte.
Er trat noch einmal durch die Schleuse. Diesmal war alles in Ordnung, und er konnte passieren.
Paul Busch fühlte sich schrecklich. Er war Michael gefolgt, ohne zu wissen, was er vorhatte. Michael hatte sich an die Auflagen gehalten, und es lag an Paul, ihm zu erlauben, die Vereinigten Staaten zu verlassen oder nicht. Als er den Flughafen betrat, beschloss er, Michael die Erlaubnis für diese Reise zu erteilen. Er würde ihm vertrauen.
Paul hatte seinen Sohn mit Jeannie nach Hause geschickt und ihr gesagt, sie brauche nicht auf ihn zu warten. Dann hatte er sich den Torino des Trainerassistenten ausgeliehen.
Als er nun die Sicherheitskontrolle erreichte, sah er Michael, der auf die Gates zuhielt. Ehe Paul über seinen nächsten Schritt entscheiden konnte, fragte ihn ein Sicherheitsbeamter nach seinem Ticket. Natürlich hatte er keins; er hatte nicht einmal seinen Ausweis dabei.
Okay, er würde Michael weiterhin einen Vertrauensvorschuss gewähren. Er würde mit ihm sprechen, wenn er in sieben Tagen zurückkehrte.
Dann aber sah Paul das Schild:
INTERNATIONALE FLÜGE
Michael war auf der Flucht.
Versteckt in der Dunkelheit beobachtete jemand vom Rand des Rollfeldes aus, wie die 747 in den Nachthimmel stieg. Der Mann war allein, und er war kein Flughafenangestellter. Er lief zurück zum Hangartor und ging an den Mechanikern und den Gepäckwagen vorbei. Niemand achtete auf ihn.
Der Mann trat durch die Tür und ging den Sicherheitstunnel hinunter. Am Ausgang stand ein Wachposten. Er hob den Blick und runzelte die Stirn, als er den Unbekannten sah. Doch als der ihm seine Polizeidienstmarke zeigte, war der Wachmann beruhigt.
Dennis Thal lächelte, als der Wachmann ihm eine gute Nacht wünschte, und verließ das Gebäude.