22.

Paul und Thal klopften an die Tür. Keine Reaktion. Plötzlich war in der Wohnung ein lauter Knall zu hören, als wäre etwas Schweres umgefallen. Als Thal den Fuß hob, um die Tür einzutreten, funkelte Paul ihn böse an. Er zog den Schlüssel aus der Tasche und öffnete.

»Mike?«, rief er.

Auf den ersten Blick schien alles ganz normal zu sein. Die Wohnung war sauber. Auf dem Tisch in der Diele standen frische Blumen. Thal lief ins Arbeitszimmer, während Paul im Wohnzimmer nachschaute.

Noch ein lautes Geräusch, diesmal aus dem Schlafzimmer. Mit gezogener Waffe näherte Paul sich vorsichtig der Schlafzimmertür. »Mike?« Erneut lautes Getöse. Glas ging zu Bruch. »Hör auf mit dem Blödsinn!«, rief Paul, erhielt aber keine Antwort. Er wirbelte im Türrahmen herum und hob die Waffe, als ihm etwas gegen die Brust sprang. Paul wich taumelnd zurück. Sein Herz klopfte wild, als er die Waffe einsteckte.

»Blöde Katze!«, stieß er hervor.

CJ flitzte ins Wohnzimmer und sprang auf die Couch. Sekunden später nahm Hawk die Verfolgung auf, doch als er Paul sah, blieb er abrupt stehen. Der Hund schnüffelte an Pauls Hand, als dieser den Arm ausstreckte, um ihn zu streicheln. Dann nahm Hawk die Witterung wieder auf und knurrte die Katze auf der Couch an. CJ fauchte und huschte davon. Die beiden Tiere flitzten durchs Zimmer, bis die Katze schließlich aufs Bücherregal sprang. Der Hund sprang bellend hoch und versuchte, die Katze zu erreichen, doch es gelang ihm nicht.

Thal betrat das Wohnzimmer. »Wie kann es sein, dass er nicht hier ist?«

Und dann sahen sie es am Halsband des Hundes hängen: die elektronische Fußfessel.

»Dieser clevere Scheißkerl«, knurrte Paul.

Thal schaute sich die Papiere auf Michaels Schreibtisch an. Er entdeckte ein aufgeschlagenes Buch und mehrere Zeitungsartikel. Er nahm einen davon in die Hand und begann zu lesen.

Paul telefonierte in der Zwischenzeit. Er hatte Thal den Rücken zugedreht, denn er konnte den Anblick dieses Mistkerls nicht mehr ertragen. Paul hatte überall angerufen: im Krankenhaus, im Revier, in Michaels Geschäft. Niemand hatte Michael gesehen. Das letzte Mal hatten sie etwas von ihm gehört, als die junge Polizistin, die die Monitore überwachte, um 17.07 Uhr angerufen und Michael ermahnt hatte, weil er seine Wohnung ohne Ankündigung verlassen hatte, um die Post unten aus dem Briefkasten zu holen.

Als Paul bei Mary im Krankenhaus anrief und von ihr erfuhr, dass Michael ein paar Tage wegfahren müsse, bekam er es mit der Angst zu tun. Er beschloss, weder Thal noch sonst jemanden einzuweihen. Paul steckte in der Klemme. Der Hausarrest war seine Idee gewesen. Und es war seine Entscheidung gewesen, Michael gestern nicht sofort zu verhaften. Wenn er ihn nicht schnell fand, saß er tief im Dreck. Wie konnte Michael ihm das antun?

Paul legte auf und drehte sich um. Thal las noch immer Zeitungsartikel. Paul schaute sich die Sachen auf dem Schreibtisch an.

Michael führte irgendetwas im Schilde, da war Paul sich ganz sicher. Nur was ?

»Sieht so aus, als hätte er Besuch gehabt.« Thal zeigte auf die beiden Gläser und auf die leere Flasche Whiskey. »Ich glaube, Ihr Freund hat irgendeine fixe Idee.« Er warf Paul ein Exemplar von International Business zu. Auf dem Cover war Finster abgebildet. Sein charismatisches Lächeln und die freundlichen dunklen Augen erhellten sein düsteres Gesicht. Paul sah, dass sämtliche Unterlagen auf dem Schreibtisch mit Finster zu tun hatten. Es waren Zeitungsartikel, Zeitschriften und Fotos.

Thal zeigte anklagend mit dem Finger auf Paul. »Und Sie haben ihn laufen lassen.«

Blitzschnell umklammerte Paul Thals Finger und drückte so fest zu, dass er ihm fast die Knochen brach. Er hatte die Nase voll von diesem Scheißkerl. »Wenn Sie noch einmal mit dem Finger auf mich zeigen, breche ich Ihnen den Hals.«

Thal krümmte sich vor Schmerzen und wimmerte. Schlagartig wurde Paul die Ironie bewusst: Thal hielt keine Schmerzen aus. Der Mann hatte Freude daran, andere zu quälen und Schläge auszuteilen, aber er selbst konnte nichts einstecken. Doch mit einem Mal spiegelte sich freudige Erregung auf Thals Gesicht, und er lächelte. Paul begriff, dass er diesen Mann vollkommen falsch eingeschätzt hatte. Thal genoss den Schmerz. Er genoss es, anderen Schmerzen zuzufügen und selbst Schmerzen zu erleiden.

Der dunkle Pfad Gottes
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