52.
Fünf Minuten später verließen zwei Männer die Kapelle.
Die Nacht war hereingebrochen, und sie war dunkler und klarer, als sie es jemals erlebt hatten. Der Wald ringsum schien diesmal voller Leben zu sein: Grillen und Eulen, Laubfrösche und Zikaden. Der silberne Mond wanderte über die Bäume hinweg und spendete gerade ausreichend Licht, dass die Männer sehen konnten.
Simon hatte Michael geholfen, den mittelalterlichen Wandteppich über Finsters verkohlte sterbliche Überreste zu legen und die Leiche dann vor den Altar zu ziehen. Sie löschten das Feuer im Kamin und stapelten die Tische und Stühle in einer Ecke auf. Dann verließen sie den Ort so, wie sie ihn vorgefunden hatten.
Michael stand im Mondlicht, als Simon das gefälschte Schild der Waldschänke, das sie in aller Eile angefertigt hatten, abnahm und das richtige Schild aus dem Gebüsch zog. Die Worte waren auf Deutsch ins Holz geschnitzt, doch Simon hatte sie für Michael übersetzt:
KAPELLE DES HEILIGEN ERLÖSERS
KEINE GOTTESDIENSTE
ALLE REISENDEN SIND WILLKOMMEN
HIER ZU BETET
UND ZUFLUCHT ZU FINDEN
Sie hatten sich diesen Plan aus purer Verzweiflung in aller Eile ausgedacht, was nicht gerade Michaels Lieblingsmethode war. Doch allmählich bekam er Übung im Improvisieren.
Die Verbündeten, die sie kontaktiert hatten, waren äußerst hilfsbereit. Stunden, ehe Michael und Simon hier angekommen waren, hatten sie die kleine Kapelle in eine Schänke verwandelt und die Fenster verhangen.
Als Simon das Schild nun wieder an die Mauer der Kapelle hängte, entstand nach und nach, beinahe unmerklich, reges Treiben ringsherum und in den anderen Gebäuden, als wäre dies ein Zeichen gewesen. Zahlreiche Menschen strömten aus den Häusern und liefen zur Kapelle. Sie schwiegen, und ihre Soutanen und Kutten berührten während des Gehens den Erdboden. Andere kamen aus der Dunkelheit und brachten Schubkarren und Werkzeuge. Ein Mönch schob einen großen alten Handkarren, der mit Steinen und Sand beladen war.
Innerhalb weniger Stunden wurden die neuen Mauern hochgezogen, und schon nach wenigen Tagen war das Gebäude fertig. Ein Bauwerk aus Steinen und Mörtel umschloss nun die Kapelle. Es gab keine Türen, keine Fenster, keinen Weg hinein oder hinaus.
Alles mit Erde zu bedecken dauerte länger, fast einen Monat, denn die Erde wurde in Schubkarren herangeschafft. Als alles fertig war, bedeckte ein großer Erdhügel das gesamte Gebäude. Bäume, Blumen und Gras wurden gepflanzt, damit der Hügel mit der Landschaft verschmolz.
Auf der Kuppe des Flügels wurde eine Marmorstatue aufgestellt, die der Vatikan geschickt hatte. Die Statue stammte aus der Sixtinischen Kapelle. Der große Michelangelo hatte sie im Jahre 1530 geschaffen, und sie war vom Papst gesegnet. Es war eine ergreifende Darstellung: Jesus, wie er dem Apostel Petrus zwei Schlüssel reicht.