53.

Die feuchte Luft schlug sich auf den Krankenhausfenstern nieder. Nachmittags waren es fünfunddreißig Grad, morgens nur zehn. Die Hundstage verdienten sich ihren Namen.

Es war Schichtwechsel. Arzte und Krankenschwestern mit müden Augen wurden von Ärzten und Krankenschwestern mit müden Augen abgelöst. Ein übel zugerichteter Michael lief durch menschenleere Gänge, an leeren Zimmern und verlassenen Krankenstationen vorbei. Er hatte das Gefühl, als läge im ganzen Krankenhaus nur eine einzige Patientin.

Im Morgengrauen hatte Michael den ersten Flug von München genommen, den er bekommen konnte, und war mit der Sonne um die Wette geflogen. Während der leuchtende Schimmer des nahenden Sonnenaufgangs fortwährend den östlichen Horizont erhellte, überquerte er den Atlantik. Obwohl er todmüde war und seit zweiundsiebzig Stunden kein Auge zugetan hatte, konnte er sich nicht dazu durchringen, auch nur eine Sekunde zu schlafen. Seine Blicke waren ununterbrochen auf den Horizont gerichtet. Der Himmel über dem Meer war klar, und in das Blau mischte sich das zarte Rosa der Morgendämmerung. Michael wünschte sich inständig, die Maschine würde schneller fliegen.

Leise betrat er das Zimmer in der Erwartung, dass Mary noch immer im Koma lag. Stattdessen war sie wach und wartete auf ihn, als hätte sie gewusst, dass er kommen würde. Falls Michael ihr schwächliches Aussehen schockierte, ließ er sich nichts anmerken. Tränen der Erleichterung stiegen ihm in die Augen, als er sie sah. Wortlos schloss er sie in die Arme und hielt sie fest umschlungen. Sie genossen das Wunder, dass sie beide noch lebten.

»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, murmelte er und streichelte ihre Wange.

»Du bist wieder da. Das ist alles, was zählt.«

»Ich bringe dich nach Hause.«

Mary lächelte und ließ ihn nicht mehr los.

»Ich dachte, wir könnten vielleicht eine Woche ans Meer fahren, im Ship's Bell übernachten und uns in den Dünen lieben«, flüsterte Michael, wobei er den Kopf an ihre Schulter schmiegte.

»Ja. Und portugiesische Suppe und frischen Hummer essen«, fügte Mary glücklich hinzu.

»Und an den Strand laufen und in den Wellen planschen. Die warme Sonne auf unserem Rücken spüren ...«

Michael wiegte Mary in den Armen, als die Morgensonne durchs Fenster fiel.

Der dunkle Pfad Gottes
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