Lake Cowal West, um 1880

Jack schreckte aus dem Schlaf hoch und rückte von Mary weg. Sein Leib war schweißnass. Sein Schädel dröhnte. Die groben Laken, auf denen er lag, waren durchnässt. Sobald er sich aufsetzte, merkte er, wie Übelkeit von ihm Besitz ergriff. Er presste die Hand auf sein hämmerndes Herz und versuchte, die Panik zu unterdrücken, die in ihm aufsteigen wollte. Sein Blick fiel auf Mary, die neben ihm schlief. Der Mondschein drang durch die Spalten in den Hüttenwänden und legte sich auf ihr Haar, das über das Kissen gebreitet war. Sie bewegte sich kurz, wachte aber nicht auf.

Jack schwang die Füße über die Bettkante und erhob sich auf zittrigen Beinen. So leise wie möglich hob er den Riegel der Hüttentür an und trat ins Freie. Draußen schleppte er sich zum Trog im Pferdegehege und klatschte sich Wasser in das verschwitzte Gesicht. Die Kälte biss in seine Haut, aber sie schien das Fieber vorübergehend zu lindern. Doch schon im nächsten Moment begann er so zu frieren, dass er schlotterte. Er schaute zum Mond auf, der hoch am Himmel über der Homestead von Lake Cowal West stand. Alle Lampen waren gelöscht, und alle Seelen auf der Homestead lagen in tiefem Schlaf.

»O Herr. Bestrafst du mich für das, was ich getan habe?«, fragte er.

Er zog die Finger durch seine tropfnassen Haare. Dann musste er daran denken, wie viele Nächte er auf Mary eingeredet hatte. Kaum hatte er angefangen, einen Wassertank und eine Hütte auf seinem vierzig Morgen großen Grund zu errichten, da begann sich seine Rastlosigkeit schon wieder zu regen. Er wurde zunehmend reizbar. Als er dann einen breiten Holzplankenzaun um sein Grundstück zu ziehen begann, erwachte er nachts immer öfter in panischer Angst. Und als der Zaun immer länger wurde und an den Ecken abbog und zuletzt mit einem Tor verschlossen wurde, glaubte Jack zu ersticken. Anfangs konnte ihn Marys Berührung noch beruhigen, besänftigen, abschirmen. Aber ihr war klar, dass das nicht von Dauer wäre. Und so war es zuletzt Mary gewesen, die gesagt hatte: »Lass uns weiterziehen.« Auch wenn es sie schmerzte, ihre Familie zu verlassen, so war Mary doch eine junge, frisch verheiratete Frau, und sie liebte Jack. Sie würde alles unternehmen, was in ihrer Macht stand, um ihn und seine Träume zu unterstützen. Sie würde ihr nie gebautes Heim im Stich lassen. Sie würde mit Jack Gleeson bis ans Ende der Welt gehen.

Als Jack den Ryans eröffnet hatte, dass er eine Stellung weit im Norden, noch hinter West Wyalong, auf der Lake Cowal Station angenommen habe, hatte Launcelot seinen Teller auf den Tisch geknallt und war aus dem Haus gestürmt. Die Tür war mit einem lauten Schlag hinter ihm ins Schloss gefallen. Dennoch war Jack seinem Schwiegervater mit grimmiger, entschlossener Miene gefolgt. Draußen im Staub hatten die beiden Männer Maß genommen.

»Ich habe gewusst, dass du nicht der Richtige für unsere Mary bist«, spie ihm Ryan entgegen.

»Wir werden ein besseres Leben führen, als wenn wir hier bleiben und auf vierzig Morgen mit unbrauchbarem Gestrüpp verrotten.«

Ryan blickte Jack wutentbrannt an und schüttelte den Kopf über den großen jungen Mann.

»Unsere Mary wird zurück sein, noch ehe ein paar Jahre ins Land gegangen sind… dessen bin ich gewiss.«

Jack blieb stolz vor Ryan stehen, aber er nahm sich die Worte zu Herzen und trug sie monatelang mit sich herum. Nachts holten sie ihn immer wieder ein wie ein düsteres Omen aus dem Schlaf. Trotzdem war ihr erstes Ehejahr eine glückliche Zeit. Sie hatten mehrere frische Welpen, die Großes versprachen, und Mary half ihm, sie auszubilden. Die starken Vererbungslinien von Kelpie, Moss und Caesar setzten sich eindeutig durch. Allerdings hatten Kelpie und Moss ihre besten Zeiten hinter sich. Kelpie, ausgelaugt nach vielen Jahren schwerer Arbeit und langer Trächtigkeit, war das Alter mittlerweile deutlich anzusehen. Inzwischen war ihre Schnauze ergraut, ihr Blick getrübt, und sie schlich über die Weiden wie der alte, schon vor Jahren dahingeschiedene Faulpelz. Sie weigerte sich sogar, von Marys Seite zu weichen, wenn Jack sie rief… selbst wenn Jack nur ihre Gesellschaft genießen wollte. Kelpie litt inzwischen an Arthritis, ihre Hüften waren steif und die Vorderläufe nach außen gestellt, während sie hinten absackte. In der Sommerhitze hechelte sie, und in der Kälte des Winters zitterte sie.

An jenem Tag, an dem sie den Wagen beluden, um den Weg nach Lake Cowal anzutreten, lagerte Kelpie müde im Schatten.

»Als wollte sie uns sagen, dass sie genug umhergezogen ist«, stellte Jack traurig fest. Er pfiff noch mal nach ihr, aber Kelpie wandte schuldbewusst den Kopf zur Seite, als sie den Befehl verweigerte. Sie blieb im Schatten ihres Zwingers liegen, dabei war sie nicht angeleint.

»Komm schon, Kelpie, altes Mädchen«, bettelte Jack.

In Kelpies Schwanzspitze flackerte kurz Leben auf, aber statt angetrottet zu kommen, seufzte sie nur und verkroch sich noch tiefer in ihren Zwinger.

»O Jack«, sagte Mary, »sie wird nicht mehr lang auf dieser Welt weilen.«

Bei dem Gedanken daran, welchen Weg er mit Kelpie zurückgelegt hatte, wurden Jack die Augen feucht. Sie war der Anfang all dessen gewesen, was er geschaffen hatte. Sie war seine stete Begleiterin gewesen. Mary legte die Arme um Jack.

»Hol sie aus dem Zwinger, Jack. Sie kann mit mir auf dem Wagen fahren. Schau, ich habe ihr sogar eine alte Pferdedecke zurechtgelegt. «

Jack ging in die Hocke und lockte Kelpie aus ihrem halbdunklen Versteck. Vorsichtig hob er sie hoch und setzte sie auf der Decke ab. Sie hatte die Rute zwischen die Beine geklemmt, und sie versuchte mehrmals, vom Sitz des Wagens herabzuspringen, um sich wieder in ihrem Zwinger zu verkriechen.

»Bleib hier, Kelpie«, befahl Jack mit fester Stimme.

»Vielleicht sollte sie das wirklich«, meinte Mary liebevoll.

»Hier bleiben?«

»Tim Garry hat uns angeboten, sie aufzunehmen. Das weißt du doch, Jack.«

»Ich weiß.« Seufzend dachte Jack an seinen guten Freund auf Ungarie, der mit Entsetzen gesehen hatte, wie schnell Kelpie gealtert war.

»Wir könnten sie unterwegs absetzen«, sagte Mary mit Tränen in den Augen.

Jack schluckte. Er wusste, dass Mary Recht hatte. Die arme alte Hündin würde die Reise kaum überstehen. Tim hatte einen mit Wolle ausgelegten Zwinger für Kelpie versprochen und ihnen versichert, ihr jeden Tag eine gute Mahlzeit von seinem eigenen Tisch abzuzweigen. Sie hätte es ruhig, friedlich und bequem während ihrer letzten Tage. Jack konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten, als er die Zügel auf den Rumpf des Pferdes klatschen ließ und der Wagen mit einem Ruck anrollte. Erst im vergangenen Jahr hatte er seine alte Stute Bailey verloren. Er hatte sie damals tot am Damm aufgefunden. Er hatte ihre kalte, braune Schnauze gestreichelt und eine Strähne ihrer hellen Mähne abgeschnitten. Als Nächstes würde er Kelpie verlieren.

»Also auf nach Ungarie«, verkündete er und verstummte danach.

Während der Wagen über die felsige Straße rumpelte, erinnerte sich Jack an das schmerzvolle Adieu, mit dem er sich erst eine Woche zuvor von Moss verabschiedet hatte. Charles King, der Mann, der die junge Kelpie so meisterhaft durch die Wettbewerbe geführt hatte, lebte mittlerweile auf Gainbill nahe dem Lake Cargelligo. Er hatte sich erboten, Moss aufzunehmen und ihn als Zuchtrüden zu behalten. Die Welpen von Moss und der jungen Kelpie hatten einen so guten Ruf, dass aus dem ganzen Land Hunde aus ihrer Nachkommenschaft nachgefragt wurden. Jack wusste, dass es besser war, Moss nicht durchs Land zu zerren und seine Gene aufs Geratewohl mit denen der Hündinnen auf den verschiedenen Stationen zu vermengen, sondern ihn an einem festen Platz zu belassen, damit seine Abstammungslinien nachvollzogen werden konnten und all seine Nachkommen schriftlich als »King’s Kelpies« geführt werden konnten. In dieser Hinsicht war King penibel.

Charles hatte den Schmerz in Jacks Augen gesehen, als er zum letzten Mal die Ohren des schwarzen Rüden gestreichelt hatte. Tröstend hatte er seinem Schwager die Hand auf die Schulter gelegt.

»Ich werde dir schreiben, welch gute Welpen er gezeugt hat, Jack. Er ist in besten Händen.«

Jack wusste, dass sowohl Charles King als auch Tim Garry zu ihrem Wort stehen würden. Er wusste, dass es das Beste war, seinen beiden kostbaren alten Hunden ein leichteres Leben zu ermöglichen. Aber der Schmerz, dass diese Ära zu Ende gehen sollte, saß dennoch tief. Seine Hand kam auf dem schlanken Rücken seiner Hündin zu liegen, die zwischen ihm und Mary auf der Sitzbank des Wagens lagerte. Kelpie bettete die Schnauze in Jacks Schoß und blickte mit ihren seelenvollen braunen Augen in seine. Beinahe als wüsste sie Bescheid. Mary wiederum legte, um Jack Trost zu spenden, ihre Hand auf Jacks.


Jack wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und schaute in den Nachthimmel über Lake Cowal West auf. Er vermisste Kelpie und Moss so sehr. Die Arbeit auf Lake Cowal war keineswegs so befriedigend, wie er gehofft hatte. Und jetzt, wo das Fieber Kälteschauer durch seinen Leib schickte, wünschte er sich nur noch einen vertrauten, gemütlichen Fleck, an dem er seine Freunde und seine Familie um sich hatte. So saß er am Trog, von Schüttelfrost und Hitzewallungen geplagt, und verzehrte sich erneut nach Marys Wärme.

Schweren Herzens kletterte er ins Bett zurück, wohl wissend, dass er morgen nicht arbeiten konnte, weil seine Glieder zu sehr schmerzten.

»Lieber Gott, lass mich wieder gesund werden«, murmelte er, während er sein junges Weib an sich zog und seinen Körper um ihren schlang.