Warrock Haupthaus

Ein weitläufiger Garten zog sich um das Haupthaus auf der Warrock Station und sonderte es von den Wirtschaftsgebäuden ab. Am schmiedeeisernen Tor zum Garten blieb Jack unschlüssig stehen. Es war, als wären Englands grüne Wiesen hierher transplantiert und allen Widrigkeiten zum Trotz unter der gnadenlosen Sonne Australiens am Leben erhalten worden.

»Ich hätte meinen Sonntagsstaat anziehen sollen«, sagte er, während er gleichzeitig seine staubige Jacke glatt strich und die Ärmel nach unten zog. Er dachte an seinen Onkel und seine Tante und stellte sich vor, wie sie ihn schelten würden, weil er Mr Robertson in dieser Aufmachung gegenübertrat. Seine Stiefel waren verschrammt und die Linien in seiner Hand vom Staub gezeichnet. Der Schotter der Auffahrt knirschte unter Jacks und Archies Füßen, als sie gemeinsam die Hecke umrundeten, die den Tennisplatz säumte. Hinter der Laubmauer konnte Jack das Kichern der Frauen und die Rufe der jungen Männer auf dem Court vernehmen. Von dem grünen Garten hoben sich leuchtend wie Kakadus mit schwefelgelbem Kopfputz die lustwandelnden Damen in ihren weißen Kleidern ab, begleitet von jungen Männern, die in gewebten Westen, mit Strohhut und Krawatte mit stolzgeschwellter Brust neben ihnen her stolzierten. Nicht weit vom Tennisplatz entfernt lagerte eine Gruppe von Gästen wie Löwen nach einem reichen Mahl im Schatten eines Moreton-Bay-Feigenbaumes.

Als George Robertson Archie bemerkte, löste er sich mit einer Entschuldigung von seinen Gästen und kam auf ihn zu. Jack erkannte ihn auf den ersten Blick von den Rennen wieder. Er war ein kleiner Mann, dessen unnatürlich bleiche Haut durchscheinend wirkte wie der Bauch einer Forelle. Seine lange Nase endete in einer krummen Spitze, und die Wurzel war flankiert von kleinen, schmalen, schwarzen Augen.

»Wie geht es mit dem Scheren voran, Archie?«, fragte er.

»Alles bestens, Mr Robertson«, sagte Archie. »Dank der Ehrlichkeit und Aufmerksamkeit von Mr Gleeson hier hatten wir sogar noch mehr zu scheren. Er hat eine ansehnliche Gruppe von Ausreißern auf den Weiden der Dunrobin Station aufgelesen und sie über den Fluss zu uns zurückgetrieben.«

»Ah ja, Mr Gleeson«, sagte George Robertson. Falten furchten seine hohe Stirn, als er die Brauen hochzog und Jacks Gesicht betrachtete. »Ich glaube, wir sind uns bereits begegnet, damals bei den Pferderennen am Crossing Place. Ich habe Sie mehr als einmal den Sieg davontragen sehen. Wirklich zu schade, dass wir hier auf Warrock keinen Platz für Sie hatten. Sie scheinen mir mit Pferden umgehen zu können.«

»Wenn ich mir Ihre großartige Station und Ihre bemerkenswerten Collies ansehe, dann kann ich nicht anders als zu bedauern, dass ich hier keine Anstellung finden konnte, Sir.«

Mr Robertson wandte sich an Archie.

»Tragen Sie Sorge, dass Mr Gleeson etwas zu essen und ein gutes Nachtlager erhält, ehe er auf seine Weiden auf der Dunrobin Station zurückkehrt.«

»Aye. Das werde ich.«

Aus der Gruppe der im Schatten sitzenden Gäste schallte die Stimme einer jungen Dame zu ihnen herüber.

»Also, wenn das nicht unser Strauchdieb ist!« Sie lief auf Jack zu, dass ihre Röcke raschelten und das Medaillon um ihren Hals auf ihrer Brust hüpfte. Ihr dunkles Haar war mit Bändern nach oben gebunden, und ihre Wangen leuchteten nach der Anstrengung auf dem Tennisplatz. »Wir sind Ihnen vor ein paar Monaten unterwegs begegnet… auf dem Weg zu den Rennen.«

George Robertson sah die junge Dame entgeistert an und blickte dann auf Jack, als befürchte er, es könnte Ärger geben.

»Aber Onkel George«, kicherte das Mädchen, als sie seine strenge Miene gewahrte, »er ist doch nicht wirklich ein Strauchdieb – ich wollte ihn damit nur aufziehen. Möchtest du ihn nicht zu uns bringen, damit er uns von seinen Abenteuern erzählt? Wir langweilen uns so schrecklich beim Tennis… ein paar Anekdoten würden uns wieder aufmuntern.«

Mit einer eleganten Rockdrehung wandte sie sich in der festen Erwartung ab, dass die Männer ihrem Wunsch nachkommen würden.

»Das, Mr Gleeson«, erklärte Mr Robertson müde, »ist die Verlobte meines Neffen. Ich fürchte, wir müssen ihr diesen Wunsch erfüllen. «

»Ähm, Verzeihung«, meldete sich Archie verlegen. »Ich muss wirklich zurück in den Scherstall. Wir sehen uns bei Sonnenuntergang in der Kantine, Jack. Bringen Sie Ihr Pferd zur Schmiede, bevor Sie rüberkommen.«

»Danke. Das werde ich. Wir sehen uns später.« Jack fühlte sich zerrissen. Er hätte sich lieber unter die Schafscherer in ihren mit Lanolin getränkten Dungarees gemischt, als sich in das Gedränge der elegant gekleideten Ladys und Gentlemen am Tenniscourt zu wagen. Aber er richtete sich auf und stolzierte mit dem gesamten irischen Stolz, den er aufbringen konnte, hinüber.

Neben dem glatten Stamm des großblättrigen Feigenbaums ließ Jack den Blick über die versammelten Damen und Herren schweifen, ehe er ihn wieder auf George Robertson richtete, der unter ihnen saß, als führte er das Kommando über die gesamte Gesellschaft. Jack räusperte sich, ehe er ihn ansprach.

»Mr Robertson, dürfte ich erfahren, wie Sie zu so feinen Arbeitshunden wie den zwei Collies in Ihren Zwingern gekommen sind?«

George Robertson nippte an seinem Tee und stellte die Tasse auf einem verzierten Weidentischchen ab, bevor er sich zu einer Antwort bequemte.

»Nun, Mr Gleeson, wo soll ich da anfangen?«

Er hatte die langen, eleganten Finger eines Kunsthandwerkers. Seine Hände wirkten poliert und glatt wie das von ihm gedrechselte Holz. Er griff nach einer winzigen Gabel und schnitt damit durch eine dicke Scheibe Rührkuchen.

»Sie sind aus keinem anderen Zwinger als dem von Mr Richard Rutherford im schottischen Sutherlandshire. Ein Mann mit einem exzellenten Blick für Hunde. Ach, Schottland! Wie ich den Biss der frischen Seeluft und den Geschmack des Salzes auf meiner Zunge vermisse! Frühmorgens ließen wir seine Hunde immer über den Sand hetzen, und sie tanzten in der Dünung über den glänzenden nassen Kelp-Tang. Bellend, hetzend und einander anknurrend wie ein Wolfsrudel… aber sobald ihr Herr pfiff, war Schluss mit dem Spiel, und sie eilten herbei wie wohlerzogene Kinder. Mr Rutherford verstand sich vorzüglich auf Hunde.«

»Aus Sutherlandshire?«, wollte einer der jungen Männer wissen, die auf dem Gras lagerten. »Verbrennt man dort nicht den Kelp, um Jod zu gewinnen?«

»Genauso ist es, William. Ich meine ihn immer noch zu riechen.« George Robertson sog die Luft durch seine lange Nase, als wollte er beweisen, dass er es noch konnte. »Mein glückliches Schottland!«

»Genau!«, pflichtete ihm William mit erhobener Bierflasche bei.

»Sie, Mr Gleeson«, sagte Mr Robertson, »sind irischen Geblüts, wenn mich nicht alles täuscht?«

»Allerdings.«

Einer der jungen Männer murmelte etwas zu seinen Nachbarn, und ein paar der jungen Damen kicherten hinter vorgehaltener Hand. Jack spürte, wie ihm die Röte in die Wangen schoss, weil er die Verachtung spürte, die ihm hier entgegenschlug.

»Nun, man sollte das Beste aus dem machen, was einem gegeben ist«, sagte Mr Robertson, und ein Lächeln spielte dabei um seine schiefen Mundwinkel. Ehe Jack eine Erwiderung einfallen konnte, bog ein von Apfelschimmeln gezogener Buggy in das üppige Grün des Gartens.

»Ach, da kommt George!«, rief das junge Mädchen aus und lief auf den Buggy zu.

»Mein Neffe George Robertson-Patterson Junior«, erläuterte Mr Robertson.

Jack drehte sich zur Seite und sah einen elegant gekleideten jungen Mann aus dem Buggy steigen. Er begrüßte das Mädchen mit einem Lächeln und einem Handkuss. Sie umtanzte ihn wie ein kleines Hündchen und schob dann die Hand energisch in seine Armbeuge. Die übrigen Männer erhoben sich und näherten sich ebenfalls, um ihn zu begrüßen.

»Nun denn«, sagte Jack. »Für mich wird es Zeit, ins Quartier zurückzukehren. «

»Wohl wahr«, bestätigte Mr Robertson. »Ich danke Ihnen nochmals, dass Sie meine Tiere zurückgebracht haben.«

»Es war mir ein Vergnügen, Sir.«

Kurz herrschte Schweigen zwischen den beiden Männern, dann platzte Jack doch noch mit seiner Bitte heraus.

»Verzeihen Sie mir die Kühnheit, aber dürfte ich fragen, ob ich wohl die kleine schwarz-braune Hündin aus Ihrem Zwinger erwerben dürfte, Mr Robertson?«

Robertsons Brauen zogen sich zu einem strengen Blick zusammen. Er legte eine schwere Hand auf Jacks Schulter und senkte vertraulich die Stimme. »Jack, mein guter Mann. Sie müssen sich klar darüber sein, dass ich viel Zeit und Geld investiert habe, um diese edlen Tiere von den fernen Gestaden Nordschottlands einzuführen. Ich verkaufe keine meiner Hündinnen und gedenke das auch in Zukunft nicht zu tun. Ich könnte eventuell in Betracht ziehen, mich von ein paar Rüden zu trennen, aber von den neu geborenen Hunden sind alle schon meinen vornehmen Freunden versprochen.« George Robertson streckte ihm die Hand hin. »Guten Abend, Jack.«

Jack ergriff seine Hand und schüttelte sie, aber nachdem er sich eine derart unmissverständliche Abfuhr eingehandelt hatte, war sein Griff nicht ohne Spannung.


Noch mit verquollenen Augen nach einer langen Nacht mit Archie und den anderen Schafscherern am Lagerfeuer begann Jack am nächsten Morgen, Bailey zu satteln. Um Mitternacht hatten sich von Westen her dunkle Wolken über den Himmel geschoben, und jetzt kam der Regen in unablässigen Böen, die die Eukalyptusbäume zum Schwanken brachten. Archie hatte Jack davon abgeraten, Mr Robertson noch einmal zu fragen, ob er die kleine Hündin kaufen dürfe.

»Die Antwort wird auch diesmal Nein lauten, Jack«, erklärte er mit Nachdruck. »Ich kenne ihn, er lässt sich nicht umstimmen, nachdem er einmal eine Entscheidung getroffen hat. Sehen Sie sich hier um, dann wissen Sie, wie entschlossen der Mann ist. Aber wenn ich irgendwann einen guten Hund zu viel habe, soll er Ihnen gehören. Ich weiß jetzt, in welcher Hirtenhütte Sie zurzeit wohnen, und ich werde auf jeden Fall dort Halt machen.«

Jack dankte ihm, aber ihm war trotzdem das Herz schwer, als er sich im strömenden Regen in den Sattel schwang. Immer noch sah er das Gesicht der kleinen schwarz-braunen Hündin mit den Hängeohren vor sich. Die ihm so tief in die Augen geschaut und sich so verspielt auf seine Schnürsenkel gestürzt hatte. Sie war der einzige Hund, den er haben wollte.

»Komm, Faulpelz, du nutzloser Schatz, machen wir, dass wir zu unseren eigenen Schafen zurückkommen.«

Der Hund gähnte, ehe er widerwillig in den Regen herausgeschlichen kam.

»Passen Sie auf, wenn Sie auf dem Rückweg den Fluss queren«, warnte ihn Archie unter dem schützenden Baldachin des Quartiers hervor. »Behalten Sie einen kühlen Kopf, und hüten Sie sich vor dem Kelpie-Geist.«

»Dem was?«, fragte Jack.

»Dem Kelpie-Geist. Diese Geister hausen bei uns daheim in Schottland. In dunklen, stürmischen Nächten kommen sie raus… in dichten Nebel gehüllt sehen sie aus wie ein riesiges Schlachtross. Wer einen Kelpie-Geist sieht, weiß, dass er bald ertrinken muss. Sie warnen uns, Jack, also passen Sie auf, wohin Ihr Pferd seine Hufe setzt, wenn es den Fluss durchquert.«

»Der Kelpie-Geist?«, wiederholte Jack.

»Ja, er warnt uns, Jack. Halten Sie die Augen offen.«

»Ihr Schotten mit eurem Aberglauben!«, sagte Jack mit einem Lachen in der Stimme.

»Ihr Iren mit eurer Skepsis«, erwiderte Archie im gleichen Tonfall, und beide lachten los, ehe Jack losritt, den Kragen hochgeschlagen und das Gesicht vom Wind abgewandt.