Bolero Station, New South Wales, um 1874
Ein heißer, windiger Tag erwachte unter einem farbenprächtigen Sonnenaufgang zum Leben. Jack blickte zu den wahnwitzigen Wolken auf, die über der roterdigen Ebene der Riverina hingen. Knallrosa, blaue und rote Streifen zogen sich über den Himmel wie breite Pinselstriche auf dem Gemälde eines Irrsinnigen. Jack zog seinen Hut in die Stirn und schlug den Weg zu den Hundezwingern ein. Kelpie wartete nicht wie sonst mit aufgestellten Ohren und schwanzwedelnd auf ihn. Stattdessen hatte sie sich in das dunkle Loch in ihrem Zwinger verkrochen. Er bückte sich und schaute hinein.
»Also, Mädchen«, begrüßte er sie mit einem breiten Grinsen, »du hättest bei Gott auf mich warten können! Eigentlich solltest du erst in zwei Tagen so weit sein!«
Kelpie hatte ihren Leib um einen Wurf von fetten Welpen mit glänzendem Fell gelegt. Insgesamt waren es fünf an der Zahl. Überrascht, welche Farbenvielfalt Moss und Kelpie gezeugt hatten, nahm Jack jeden der winzigen Welpen einzeln hoch. Ein Welpe war tiefschwarz, einer schwarz-braun wie Kelpie, zwei waren rostrot, und der letzte hatte ein schiefergraues Fell.
Er konnte es kaum erwarten, Mary zu erzählen, dass die Welpen gesund und munter zur Welt gekommen waren. Normalerweise hätte er ihr geschrieben. Aber nächste Woche würde er sie ohnehin sehen, da man ihm auf Bolero frei gegeben hatte, damit er zur Ostermesse in die Kirche der Ryans reiten konnte. Dort versammelte sich Sonntag für Sonntag nach einer staubigen Reise von ihrem Heim auf Wallandool der Clan der Ryans in den vordersten Kirchenbänken. Launcelot Ryan würde missbilligend beobachten, wie sich Jack und Mary heimlich glückselige Blicke zuwarfen. Danach würde er wie ein Schatten in der Nähe des Paares lauern und sicherstellen, dass sie nur Höflichkeiten und keinesfalls mehr austauschten. Achselzuckend schüttelte Jack den Gedanken an Marys Vater und an die Schwierigkeiten ab, die er ihnen in den Weg legte. Er hatte fünf wunderschöne Welpen! Er zog los, um Tom Keogh zu finden, einen anderen Tagelöhner, der über die Nachricht, dass die Welpen da waren, begeistert wäre. Schließlich hatte ihm Jack einen Welpen aus Kelpies erstem Wurf versprochen.
Während auf Bolero der Winter dem Frühling wich, wuchsen die Welpen allmählich zu erstklassigen Hunden heran. Im ganzen Distrikt Mirool war kein Regen gefallen, weshalb Jack den Großteil seiner Tage damit zubrachte, die durstigen Herden mit Wasser zu versorgen. Wegen der Trockenheit bekam er nicht frei, um Mary auf Wallandool zu besuchen. Stattdessen schrieb er ihr gespreizte Briefe, wobei er jedes Mal vor seinem geistigen Auge sah, wie ihr Vater das Wachssiegel erbrach und seine privaten Worte las. Wenn er dann doch einen Tag lang nicht zu arbeiten brauchte, befasste er sich mit seinen Welpen, um sich von Mary abzulenken. Bald erschienen auf Bolero Sonntag für Sonntag Arbeiter oder junge Viehzüchter von den umliegenden Stationen. Die Männer tauschten sich über Ausbildungsmethoden aus und standen in den umzäunten Gehegen, die Hunde am Ende einer langen Leine wie im Gras gelandete Drachen. Manche bestachen ihre Welpen mit Brocken von getrocknetem Kängurufleisch, andere lockten sie mit freundlichen Worten oder Lauten.
John Cox von der Mangoplah Station kam regelmäßig vorbei, um sich in der Hundedressur zu messen. Er verbarg sein Lächeln hinter einem ausladenden Schnauzer und ließ seine mächtige Stimme erschallen, falls die Hunde einmal falsch herum liefen. Als John Cox erstmals beobachtete, wie Jack ohne einen Fluch oder ein lautes Wort einen Hund anleitete, zog er die raupendicken Brauen hoch.
»Du hast zu viel auf dem Kasten für einen bloßen Aufseher, Jack. Wenn ich wüsste, dass du für mich die Geschäfte auf Yalgogrin führst, könnte ich mich ganz um Mangoplah kümmern, ohne mir Sorge machen zu müssen. Was meinst du dazu?«
»Das klingt verlockend, John. Aber ich habe erst vor kurzem mein Quartier hier auf Bolero aufgeschlagen. Gib mir etwas Bedenkzeit.«
Jack ging das Herz auf, wenn Viehzüchter wie John Cox aus freien Stücken ihre freie Zeit damit zubrachten, unter einfachen Landarbeitern ihre Hunde auszubilden. Bei der Hundedressur hier in den Gehegen waren alle Männer gleich. Sie versammelten sich vor Jacks winziger Hütte aus Lehm und Flechtwerk, um bis zum Abend über ihre Hunde zu plaudern oder um Jacks Welpen zu bewundern, die auf der knisternd trockenen Weide vor dem Haus herumtollten. Der mit lockerem Gehölz bestandene Berg Yalgogrin erhob sich aus der Ebene der Riverina, als wollte er sich dem Himmel entgegenrecken. Jacks Hütte kauerte am Fuß des Berghanges inmitten eines Haines aus gemächlich wirkenden Pfefferbäumen und stämmigen, aufrechten Kurrajongs. Vögel kreischten in den herabhängenden Ästen und tanzten vor der Hütte herum. Die Männer hatten sich an diesem besonders heißen Sonntag im Schatten des Schindeldaches versammelt und warteten nun darauf, dass der Nachmittag ein wenig abkühlte, damit sie mit ihren Hunden heimwärts reiten konnten. Als die Sonne endlich sank und die Fliegen die Jagd aufzugeben begannen, erhob sich Jacks Dienstherr Mr Quinn.
»Ich denke, wir sollten euch Jungs jetzt verabschieden und uns wieder an die Arbeit machen. Jack hier muss noch die Tiere auf dem Berg zusammentreiben, und ich muss mich auf den langen Heimweg vorbereiten.«
Die Männer erhoben sich und wollten schon gehen, aber Jack schenkte sich noch eine Tasse ein, biss noch einmal in sein ungesäuertes Brot und zog sich einen Stuhl auf die Veranda.
»Ich glaube, ich werde die Tiere lieber von diesem Stuhl als vom Rücken meines Pferdes aus zusammentreiben, wenn Sie gestatten«, sagte er.
»Hör auf, mich zum Narren zu halten«, sagte Mr Quinn. Er war bereits mit Jacks Humor vertraut und ging gern darauf ein. Jack hatte sich auf Bolero aufs Beste eingelebt.
»Aber nein, das will ich beileibe nicht«, sagte Jack mit einem Glitzern in den Augen. »Ich nehme jede Wette an, Gentlemen, dass ich die Tiere auf dem gesamten Yalgogrin von diesem Stuhl aus zusammentreiben kann… statt auf meinem Pferd.«
»Na schön! Die Wette gilt!«, schlug Quinn ein, setzte den Hut ab und warf eine Münze hinein. Die übrigen Männer warfen ebenfalls Geld in Quinns Hut.
»Und, wie willst du das anstellen?«, fragte Jacks Dienstherr.
Jack spazierte auf eine ebene, freie Fläche vor seiner Hütte.
»Das werdet ihr gleich sehen.«
Jack rief Moss und Kelpie zu sich und befahl ihnen zu sitzen. Den Rücken dem Berg zugewandt, sah Jack die beiden Hunde an. Sie bibberten vor Spannung, hatten die Ohren gespitzt und blickten, auf Jacks Kommando wartend, wie gebannt in sein Gesicht.
»Moss, lauf los und rüber«, sagte Jack, den Kopf leicht nach rechts geneigt, und Moss schoss los, in einem weiten Bogen im Uhrzeigersinn dem Berg entgegen. Jack ließ einen durchdringenden Pfiff folgen, der den Hund den steilen Abhang hinaufzutreiben schien. Kelpie saß immer noch zu Jacks Füßen und wartete ungeduldig winselnd darauf, dass sie an die Reihe kam.
»Kelpie, lauf los und hinter«, sagte Jack mit einer Kopfbewegung zur anderen Seite hin. Kelpie rannte los wie ein gehetzter Hase gegen den Uhrzeigersinn auf den Berg zu. Jack schlenderte zu seiner Hütte zurück und ließ sich auf den wackligen alten Stuhl nieder, wo er die Füße gegen den Verandapfosten stemmte und die Hände über dem flachen Bauch faltete. Beide Hunde rannten immer weiter und weiter. Bald waren sie nur noch kleine schwarze Flecken, die zwischen den Baumstämmen auf der Bergkuppe herumflitzten.
Die an den Hängen weidenden Schafe hoben die Köpfe und legten die Ohren an. Sie begannen loszutrotten und sammelten sich allmählich zu einer wogenden Masse. Jack legte die Hand an den Mund und pfiff ein »Langsam!«-Kommando, woraufhin beide Hunde langsam hin und her zu laufen begannen. Dann leiteten sie die Herde wie einen trägen Fluss den Berg herab. Jack sagte kaum ein Wort, nur hin und wieder dirigierte er Moss, die Nachzügler einzutreiben, oder er mahnte Kelpie über einen Pfiff, die Herde nicht so zu drängen. Und immer wieder nippte er an seinem Tee.
»Dieser Stuhl ist ganz phantastisch, um eine Herde zusammenzutreiben, meine Herren, das dürfen Sie mir glauben. Warum am Sabbat auf ein Pferd steigen, wenn man auch Gottes Gesetz befolgen und sitzen bleiben kann?«
Innerhalb weniger Minuten waren die Schafe vom Berg herunter und über die Weide getrieben. Jetzt sammelten sie sich vor der Veranda. Moss und Kelpie behielten, aufmerksam hechelnd und ständig in Bewegung, die Herde ununterbrochen im Auge, damit sie nicht ausbrechen konnte. Selbst die Welpen, die bis eben zu Füßen der Männer herumgetollt waren, waren auf ihren kleinen Beinchen losgerannt und führten mit gespitzten Ohren die Schafe, wobei sie ganz instinktiv das Stellen der Schafe imitierten und sie zu treiben versuchten. Die Männer schüttelten ungläubig lächelnd den Kopf.
»Aber können sie auch das Tor schließen?«, frotzelte Quinn und schubste dabei Jacks Beine vom Verandapfosten, wodurch jener den Tee auf seiner Hose verschüttete.
»Also, wenn deine Tore richtig zuschwingen würden, könnten sie das wohl!«
»Du bist doch ein rechter Angeber, Jack Gleeson«, sagte Tom Keogh. »Als Nächstes wirst du die Schafe noch im Schlaf zusammentreiben, und mich wird der Boss losschicken, alle Tore zu ölen!«
Die Männer grölten vor Lachen.
»Nun, um zu beweisen, dass ich kein Geizhals bin, möchte ich, dass heute jeder von euch einen dieser kleinen Welpen auswählt«, sagte Jack. »Nur zu! Trefft eure Wahl!«
Die Männer blieben wie angewurzelt stehen, weil keiner glaubte, dass Jack das ernst gemeint haben könnte.
»Bist du dir sicher?«, fragte Steve Apps. »Für so gesunde Welpen wie diese möchtest du doch bestimmt etwas haben?«
»O nein«, widersprach Jack. »Ich habe gelobt, nie einen Welpen gegen Geld zu verkaufen. Sie sollen Männern wie euch gehören, Männern, die wissen, wie man einen anständigen Hund anständig abrichtet.«
»Aber Jack.« Tom führte ihn kurz beiseite und flüsterte ihm zu: »Du könntest ein kleines Vermögen verdienen, wenn du so gute Hunde verkaufst. Es würde ausreichen, damit du dir ein Stück Land kaufst… und dann könntest du dir die junge Mary Ryan zur Frau nehmen!«
Jack schüttelte den Kopf und erwiderte so laut, dass alle Viehzüchter es hören konnten: »Lance Ryan muss mich nehmen, wie ich bin. Ob mit oder ohne Land. Ich werde keinen Hund verkaufen, um mir ein Weib zu kaufen!«
John Cox schüttelte den Kopf. »Du bist nicht recht gescheit, Gleeson. Der alte Ryan hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit mein kleiner Bruder Pat aufhört, seiner Tochter Grace den Hof zu machen. Aber seit sich Pat eine eigene Weide auf Yalgogrin gekauft hat, ist Ryan die Verbindung durchaus genehm! Ein eigener Grund bietet einem Mädchen ein sicheres Heim.«
»Da bin ich anderer Meinung.« Die Bemerkung hatte Jack so getroffen, dass ihm das Blut in die Wangen schoss. »Ein guter Mann bietet einem Mädchen ein sicheres Heim… und einem Welpen auch. Genau darum kannst du, John Cox, dir einen von diesen hier aussuchen. « Johns Gesicht hellte sich auf, als er hinaustrat, einen Welpen hochhob und mit ihm zu den übrigen Männern trat.
Die Kunde von Jacks sonntäglichem Heimtrieb von der Veranda aus ging wie ein Lauffeuer durch den Distrikt, genau wie die Nachricht, dass er Moss’ und Kelpies erstklassige Welpen für ein Lächeln und einen Händedruck weggegeben hatte. Die Nachricht von Jacks Freigiebigkeit kam auch Launcelot Ryan zu Ohren, als er gerade im London Hotel saß. Ryans Wangen färbten sich in einem zornigen Rosa, als er vernahm, dass sich der irische Viehtreiber geweigert hatte, Geld für seine Welpen anzunehmen. Warum erzielte der Kerl nicht einen ordentlichen Profit aus diesem Wurf und kaufte sich dafür ein Stück Land, wenn er seine Tochter bekommen wollte?
Auf dem Heimritt nach Wallandool wollte es Launcelot Ryan nicht aus dem Kopf gehen, dass Gleeson den Ryans in die Gegend von Mirool gefolgt war. Es war nicht daran zu rütteln, dass Jack überall im Distrikt beliebt war, aber was hatte er seiner Tochter denn zu bieten? Kate und Grace, seine beiden älteren Töchter, waren bereits an gute, schwer arbeitende Viehzüchter vergeben. Katie hatte er Harry King überlassen, dem die eindrucksvolle Station von Wollongough gehörte, und Grace würde an Pat Cox’ Seite mit Sicherheit ein angenehmes Leben auf den roten Böden des Landes um den Yalgogrin führen. Aber Mary! Seine Gedanken schienen sich regelrecht zu verwirren, wenn er an seine hübscheste Tochter dachte. Er wollte doch nur ihr Bestes, aber wenn es um Jack Gleeson ging, wollte sie um keinen Preis Vernunft annehmen. Ryan wandte sich an seinen Sohn, der auf Marys altem schwarzen Pony saß.
»Kein Wort mehr über Mr Gleesons Avancen gegenüber deiner Schwester Mary«, befahl er streng.
Dann gab Launcelot Ryan seinem Pferd die Sporen, um es in den Galopp zu treiben, und verbannte alle Gedanken an Jack Gleeson aus seinem Kopf.