Casterton, The Crossing Place

Baileys Ohren zuckten nach vorn, als Jack sie auf der Kuppe des großen Hügels anhielt, von dem man auf Casterton hinabsah. Er schaute hinunter auf die Brücke, die das träge dahinfließende Wasser des Glenelg River überspannte. Die Brücke war von eindrucksvollen Eukalyptusbäumen flankiert, die ein olivgrünes Spiegelbild auf den Fluss warfen. Nahe der Brücke konnte er die gemauerte Front des Glenelg Inn erkennen. Es stand an der Ecke einer breiten, staubigen Straße, die vom Fluss weg einen Hügel hinauf führte und von vereinzelt stehenden Gebäuden gesäumt war. Trotz der Februarhitze stieg Rauch aus den Kaminen der Häuser, in denen die Frauen das Wasser zum Waschen erhitzten oder das Abendessen kochten.

Jack ritt den gewundenen Weg hinunter, und Cooley tanzte und schnaubte auf der Brücke, als er seine eigenen hohl klingenden Hufschläge hörte. An einer schattigen Uferstelle setzte eine Frau gerade einen Topf auf das schmauchende Lagerfeuer vor einem Zelt und richtete sich dann auf, um ihren Rücken durchzustrecken. Ihr Blick kam auf Jack zu liegen. Er tippte an seine Hutkrempe.

Jack ritt die Hauptstraße entlang und befahl Faulpelz dabei mit einem kurzen Pfiff, näher bei den Pferden zu bleiben. Er kam an einer Schmiede, einem Postamt, mehreren Hütten und Korbflechtereien vorbei. Am oberen Ende der Stadt wendete Jack vor dem Haus des Doktors, nachdem er die unangezündete rote Laterne am Fenster bemerkt hatte. Anschließend ritt er die Straße wieder zurück und stieg, froh endlich aus dem Sattel zu kommen, vor dem Mietstall ab. Er führte Bailey in den schummrigen Eingang des geschäftigen Stalles voller Knechte und Pferde. Die gespannt auf das Rennen wartende Stadt brummte wie ein Hornissennest. Jack hatte das Gefühl, dass in dieser Stadt sein Leben als Viehtreiber erst richtig beginnen würde.


Am nächsten Morgen trank Jack im Schatten der Uferbäume bei der Rennbahn von Casterton eine Tasse Tee. Die Ladys standen in ihren besten weißen Kleidern, hochgeschlossenen Spitzenkragen und mit Seidenbändern und Schleifen geschmückten Strohhüten unter einer riesigen Leinwand, die als Sonnenschutz diente. Kinder im Sonntagsstaat rannten herum und riefen einander mit schrillen Stimmen. Unter die Ladys hatten sich vereinzelt ein paar Gentlemen gemischt. Von ihren Westen baumelten silberne Uhrketten, und die kniehohen Reitstiefel waren auf Hochglanz gewichst.

»Jack.« Thomas Cawker stand ein wenig abseits und winkte ihn zu sich.

»Kommen Sie, ich möchte Sie jemandem vorstellen.« Thomas machte eine Kopfbewegung zu einem kleinen Mann mit teigiger Haut und tief liegenden, dunklen Augen hin. Er stand blasiert neben seiner noch kleineren Frau, die in trübes Marineblau gekleidet war.

»George Robertson«, flüsterte Thomas. »Er und seine Frau sind kinderlos und haben ihr Leben auf Warrock ganz und gar ihrer imposanten Station verschrieben. Man hört, er würde seine Leute anständig behandeln und sie ermuntern, regelmäßig Gottesdienste abzuhalten, wenn auch nicht in Ihrem Glauben, wie ich annehme, Jack. Sollen wir uns an ihn wenden und ihn fragen, ob es dort Arbeit für Sie gibt?« Jack nickte, und sie gingen auf den kleinen Gentleman mit dem Zylinder zu.

»Dies ist George Robertson, der Besitzer der Warrock Station«, sagte Cawker. Jack streckte die Hand vor, spürte aber, dass Robertson sie nur widerwillig ergriff.

»Jack sucht Arbeit als Viehtreiber«, erklärte Cawker. »Er ist ein guter Reiter und ehrbar dazu.«

»Danke, dass Sie ihn mir vorgestellt haben, Mr Cawker, aber in diesem Jahr brauche ich niemanden mehr«, erwiderte Robertson leicht verstimmt. »Ich fürchte, Sie müssen sich an jemand anderen wenden.« Er wandte sich zum Gehen. Dann rief er, als bereute er seine Grobheit, Jack über die Schulter zu: »Ich würde Ihnen raten, es auf der Muntham Station zu versuchen.«

»Kommen Sie, Jack«, sagte Thomas und reichte einer beschürzten Dame seinen leeren Becher. »Wir werden schon noch Arbeit für Sie finden. Aber lassen Sie uns einstweilen etwas Spaß haben.«

Jack hatte noch nie so viel hochklassige Pferde auf einem Haufen gesehen. Alle waren schlank und in Form, und in allen Fellen glänzte die Sonne. Viele waren an Karren oder Bäumen angeleint und warteten darauf, für die anstehenden Rennen gesattelt zu werden. Jacks Augen kamen auf einem großen, muskulösen, fuchsfarbenen Vollblut zu liegen. Der Mann, der es sattelte, stach ebenfalls ins Auge. Sein schwarzes Haar war genau in der Mitte gescheitelt, und sein Schnur- und Backenbart rahmten ein schlankes, entschlossenes Gesicht und ernste, dunkle Augen ein. Als Thomas sich ihm näherte, erstrahlte sein Gesicht in einem Lächeln und wirkte weicher.

»Aha, Mr Cawker. Es ist mir eine Freude, Sie wiederzusehen.«

»Mr Cuthbert Featherstonhaugh!«, begrüßte ihn Thomas und schüttelte dabei kraftvoll seine Hand. »Welche unerschrockene Tapferkeit und Tollkühnheit werden Sie den Zuschauern heute vorführen? «

»Ach, Mr Cawker, ich garantiere Ihnen, dass mein Blut wieder in Wallung geraten wird, wenn ich erst gegen diesen Schurken Billy Trainor antrete!«

Jack hörte einen leichten irischen Singsang in der Stimme des Mannes, genau wie in seiner eigenen.

»Ich möchte Ihnen einen Neuling im Crossing Place vorstellen – Mr Jack Gleeson.«

Jack reichte ihm die Hand, und Cuthbert ergriff sie, ohne zu zögern.

»Lassen Sie sich nicht von seinem blumigen Namen nasführen, Jack«, sagte Thomas.

»Ay. Meine Mutter war nicht ganz richtig im Kopf, als sie mich taufen ließ«, bestätigte Cuthbert augenzwinkernd.

»Sein Name mag wie der eines butterweichen Gentleman klingen«, fuhr Thomas fort, »aber Cuthbert setzt mit seinem Pferd über jedes Hindernis, und sein Hengst hier, Robinson Crusoe, kann acht Meilen galoppieren und siebzig Zäune überspringen, ehe er anfängt zu schwitzen.«

»Aye, er ist genauso verrückt wie sein Reiter«, lachte Cuthbert. »Werden Sie auch bei den Rennen antreten, Mr Gleeson? Die Novizenrennen stehen jedem offen, der nüchtern genug ist, um sein Pferd zu besteigen.«

»Ja, ich werde heute reiten«, bestätigte Jack. »Meine Stute ist durch den langen Ritt hierher gestählt, auch wenn sie sich möglicherweise zieren wird, wenn sie ihr Fohlen zurücklassen muss.«

»Wenn sie erst mit den anderen am Start steht, wird sie es im Nu vergessen haben! Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Glück«, sagte Cuthbert.

»Jack hier sucht Arbeit auf einer Station«, fuhr Thomas fort. »Ob es wohl lohnend wäre, auf Muntham nachzufragen?«

Cuthbert schüttelte den Kopf.

»Zu dieser Jahreszeit kaum. Wir haben bereits zwanzig Männer für das neue Jahr. Aber es gibt gewiss Arbeit. Ich würde es auf Mr Murrays Dunrobin Station versuchen. Er braucht immer gute Männer. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Gentlemen, würde ich mich gern empfehlen und ausprobieren, ob ich mir bei dieser Runde über die Hindernisse nicht den Hals brechen kann.«

Jack spürte, wie ihm das Herz ein wenig schwer wurde, als er Cuthbert sein Pferd von dannen führen sah. Gestern Abend in den Ställen hatte er viel über die Muntham Station und über Cuthbert Featherstonhaughs legendäre Reitkünste gehört. Er hatte eine laute, fröhliche Gruppe von Arbeitern kennen gelernt, die auf dem Gut dienten. Sie hatten ihm erzählt, dass Muntham Station gute achtzigtausend Morgen Land umfasste und dass Jack auf seinem Weg in die Stadt schon über einige davon geritten sei. Auf den Buschweiden grasten fünfundfünfzigtausend Schafe, achttausend dicke Shorthorn- oder Durhamrinder und fünfhundert Pferde. Einige der zähen, goldwerten Pferde von Muntham nahmen an den heutigen Rennen teil. Mit Cuthbert zu arbeiten und zu reiten wäre Jacks Traum gewesen, aber allem Anschein nach sollte er nicht in Erfüllung gehen. Er runzelte die Stirn. Thomas spürte seine Enttäuschung und schlug ihm auf den Rücken.

»Kommen Sie, Jack. Wir haben drei Renntage vor uns. Lassen Sie uns die Gesellschaft der Damen genießen… eine Rarität in diesem Teil des Landes, wie Sie feststellen werden. Obwohl Sie nicht erwarten dürfen, einer davon in ernster Absicht den Hof machen zu können. Diese Mädchen sind größtenteils auf der Suche nach einem Gutsbesitzer, ob er nun ein Gentleman ist oder nicht. Einen schlichten Kutscher oder Viehtreiber würdigen sie kaum eines Blickes. «

Jacks Blick wanderte über die hübschen Mädchen, die im Schatten standen.

»Ich wünschte, sie täten es doch«, sagte er.


Am Ende der Zusammenkunft fand sich Jack in der notdürftig errichteten Bar an der Rennstrecke wieder. Cuthbert stand neben ihm auf dem schmutzigen Sägemehlbelag, hatte einen Arm um seine Schulter gelegt und reckte einen Krug Bier in die Höhe.

»Auf Jack Gleeson, den besten neuen Reiter im ganzen Distrikt!«, verkündete er und setzte den Krug an die Lippen.

Jack hatte das Fohlen in einem Pferch gelassen und Bailey für so viele Rennen wie nur möglich gesattelt. Sie hatte beim Hürden-und auch beim Hindernisrennen triumphiert. Er konnte Herz und Seele seiner Stute spüren, wenn sie die Ohren fest anlegte und den Hals nach vorn reckte, um über die Gräben hinwegzusetzen. Genau wie Jack gab sie alles bei diesen Rennen. Am letzten Tag der Rennen redete ein großer Teil der Besucher über den neuen irischen Burschen aus dem Süden.

Jack sah sich in der Bar um. Ein paar der Gäste sangen und tanzten Jigs, während ein junger Bursche den Bogen im Eiltempo über die Fiedel flitzen ließ. Andere hockten müde auf den ungehobelten Bänken, lehnten an den Zeltpfosten, eine schmauchende Pfeife in den Händen, und tauschten die wichtigsten Begebenheiten der diesjährigen Rennen aus. Viele durchlebten noch einmal im Geist, wie Cuthbert auf seinem schweißdurchtränkten, von den Sporen blutenden Pferd über das letzte Hindernis gesetzt und durchs Ziel gerast war. Immer noch klang ihnen der Aufschrei der Menge im Ohr, als Cuthbert am letzten Pfosten Billy Trainor überholte und so das Hürdenrennen gewann. Außerdem hatte er das Sweepstakerennen über drei Meilen gewonnen, und sein Pferd war wenig später schon wieder gesattelt gewesen, um das offene Hindernisrennen über zweieinhalb Meilen zu gewinnen. Jetzt stand Robinson Crusoe fest angebunden im Rennschuppen und schlief mit gesenktem Kopf. Nicht einmal der Lärm der Raufereien und das Gejohle der Betrunkenen konnten ihn aufwecken. In der Box daneben döste Bailey mit Cooley an ihrer Flanke, der erleichtert war, wieder bei seiner Mutter zu sein.

Erneut wurde Jack ein Krug in die Hand gedrückt. Er nahm ihn überglücklich entgegen. Er hatte so viel zu feiern. Nicht nur, dass er sich im Feld der Neulinge bewährt hatte, er hatte sich auch eine Stelle ergattert. Morgen sollte er zur Dunrobin Station reiten und bei Mr Murray um Arbeit nachfragen.