West Wimmera

Jack beugte sich mit rasendem Herzen in seinem Sattel vor, als sich Bailey in den reißenden Fluss stürzte. Sobald er spürte, wie die Beine der Stute stärker ausschlugen und sie zu schwimmen begann, drückte er Kelpie unter seinem Mantel an seine Brust und zog Faulpelz am Genick hinter sich her durchs Wasser. Als das Wasser durch seine Kleider drang, stockte ihm kurz der Atem. Aber Bailey war kräftig, und der Fluss war frei von Treibgut, weshalb die Stute schon bald, sicher auf der anderen Seite angekommen, wieder durch flacheres Gewässer watete. Bailey schüttelte das Wasser aus ihrem Fell und trabte freudig unter den tief hängenden Ästen der Eukalyptusbäume hindurch. Dann ließ Jack die junge Hündin vom Pferd springen, während Faulpelz mürrisch hinterdrein trottete.

»Du bist mein Glücksbringer bei jeder Flussdurchquerung«, sagte Jack zu Kelpie, die sich eifrig das Wasser aus dem Fell schüttelte. Er fragte sich, wann das Nieseln endlich aufhören würde. Er hatte ein paar triefnasse Tage hinter sich, während derer er die regengetränkte Ebene durchquert hatte. Hoffnungsvoll sah er zu der Hügelkette auf, die grau und verwaschen am Horizont stand. Er müsste sich sputen, wenn er noch eine trockene Feuerstelle zum Übernachten finden wollte. Jack hatte es sich zum Ziel gesetzt, noch vor Beginn der Schurzeit auf die Ballarook Station zu kommen. Er hatte immer von der Wimmera geträumt, wo dem Hörensagen nach die Herden nach Tausenden gezählt wurden. Die Wolle wurde tonnenweise geschnitten, und meilenlange Ochsengespanne zogen die Wollballen, die schwer waren wie reine Goldbarren. Aber bislang hatte Jack noch wenig davon gemerkt, dass die Wimmera ein Land des Überflusses war. Stattdessen war sie eintönig und grau. Schlammige Wege und gefährliche Flussquerungen hatten seine Reise erschwert, und die meiste Zeit hatte er frierend die Nässe ertragen müssen.

Als Jack endlich auf die Hügelkette oberhalb eines überfluteten Altwasserarmes hinaufritt, sah er zu seiner Erleichterung eine Lichtung vor sich liegen, wo Rauch zum Himmel aufstieg wie eine dünne Docke aus gesponnener Wolle. Das Feuer kämpfte gegen die Feuchtigkeit an, trotzdem wirkte das Lager einladend.

»Hallo?«, rief Jack im Näherkommen, doch niemand antwortete ihm. Das Lagerfeuer schmauchte gemächlich vor sich hin, die Kohlen hatten kaum noch Glut. Ein Blechtopf, dessen rostige Wand mit Asche verklebt war, stand noch halb voll am Feuerrand. Ein unter einem Baum angebundener hübscher schwarzer Wallach mit weißer Blesse auf der Nase stellte aufmerksam die Ohren auf. Er streckte den Hals vor und wieherte Bailey grüßend zu. In den Wipfeln kreischten und tanzten die grauen Kakadus wie ein Schwarm von Hofnarren.

»Hallo!«, rief Jack noch einmal lauter. Dann hörte man das Kläffen und Bellen von Hunden, die aufgeregt den Uferhang heraufgeklettert und -gerannt kamen. Es waren drei an der Zahl, und alle waren nass und tanzten vor Begeisterung. Die Hunde beschnüffelten Faulpelz und Kelpie und wedelten dabei eifrig mit den Schwänzen, die sie wie Friedens- und Freundschaftsflaggen in die Luft gereckt hatten. Jack fiel auf, dass es gesunde, fröhliche Collies von guter Abstammung waren. Es verblüffte ihn, dass er hier über so beeindruckende Hunde stolperte. Das war wie ein Omen. Hatte Kelpie damals nicht durch das Wasser zu ihm gefunden? Dann hörte er von unten ein hohes Pfeifen, und in der nächsten Sekunde jagten die Hunde an ihm vorbei und das Ufer hinab zu ihrem Herrn. Jack konnte einen Mann erkennen, der, eifrig umtanzt von seinen Hunden, am Ufer des Sees den Kadaver eines Kängurus auswusch.

Jacks Kiefer klappte nach unten.

»Das ist doch nicht zu fassen! Tully? Mark Tully? Bist du das?«

»Heilige Maria und Mutter Gottes!«, antwortete Mark im Aufstehen, ohne den dicken Känguruschwanz aus den breiten Händen zu lassen. Er kletterte die Uferböschung herauf. Jack stieg von seinem Pferd, und die beiden jungen Männer schüttelten sich erst die Hand, umarmten sich dann und schüttelten dann nochmals die Hände, wobei sie die ganze Zeit über dieses unwahrscheinliche Wiedersehen lachten. Zahllose Erinnerungen an ihre Kindheit an den Viehhöfen am Hafen erwachten zum Leben, und Jack merkte, wie ihn eine Gänsehaut überlief. Wenn das kein gutes Omen war.


Nachdem das Feuer wieder angefacht worden war und der Kessel fröhlich blubberte, kauerten Jack und Mark zusammen unter einer alten, in einem dichten Laubdach aufgespannten Leinwandplane und fielen sich gegenseitig immer wieder ins Wort, so eilig hatten sie es, einander all die Abenteuer zu erzählen, die sie erlebt hatten, seit sie von zu Hause weggegangen waren.

»Und jetzt bin ich auf dem Rückweg nach Ballarook und habe nicht eine einzige Kuh in meiner Herde. Der Boss wird toben wie ein Wüstensturm.« Mark stocherte mit einem knorrigen alten Stock im Feuer und atmete schwer durch die Nase aus. »Aber ich weiß, dass du ihn wieder umstimmen könntest, Jack. Du bist gut in diesen Dingen. Es war nicht mein Verschulden, dass andere Viehtreiber die Herde streunen ließen und die dummen Viecher sich den falschen Erdhaufen aussuchten, um ihre Haut zu retten, als die Überschwemmung kam. Immer schickt er mich los, um die Suppe auszulöffeln, die ihm die anderen Männer eingebrockt haben. Aber warte nur bis zur Schur. Du wirst deinen Augen nicht trauen.«

»Ich kann es kaum erwarten, das junge Mädel hier arbeiten zu lassen. Sie ist schon bereit«, sagte Jack mit einem Nicken zu Kelpie hin.

»Woher hast du sie? Eine nette Rasse.«

Ungläubig lauschte Mark der Schilderung von Jacks klammheimlichem Tausch.

»Verflucht noch eins! Albert würde dir ganz gewiss eins mit dem Stock überziehen. Seinen jungen Hengst gegen einen Welpen einzutauschen! Bist du von Sinnen?«

»Ich weiß, dass es sich so anhört, aber ich bereue nichts«, sagte Jack. »Sie ist schlau, und wenn ich erst einen guten Rüden für sie gefunden habe, wird sie exzellente Welpen werfen.«

Er zog den feuchten Mantel um sich und schaute Kelpie an. Sie beobachtete ihn, den Kopf leicht seitlich geneigt und die Ohren aufgestellt, als wüsste sie genau, dass er über sie redete. Innerhalb weniger Wochen hatte sie das pummelige Welpenstadium hinter sich gelassen und war zu einer schlanken, eleganten, nordeuropäischen Colliehündin herangewachsen. Sie hatte das Kinn auf die Pfoten gelegt, und ihr Blick schien an Jack zu kleben, solange sie nur die Augen offen halten konnte. Dann gab sie ein schnaubendes Seufzen von sich und schlief ein. Jack hatte all seine Hoffnungen in diesen kleinen Hund gelegt, der vor ihm lag. Er träumte davon, ihre Welpen zu verschenken, damit sich Kelpies Nachkommen wie ein Fluss über das ganze Land verbreiten würden. Er begann, Mark von seiner Vision zu erzählen.

»Ich möchte, dass man einst wie auf einer Straßenkarte nachvollziehen kann, wie sich ihre Nachkommenschaft im ganzen Land ausgebreitet hat«, erklärte er ihm ernsthaft. Während seiner Reisen wollte er Kelpies Welpen verteilen, so als würde er die Saat einer kostbaren neuen Pflanze ausbringen, die das Leben der Menschen von Grund auf ändern würde.

»Und ich gelobe, ihre Welpen jedem Mann, ob reich oder arm, Viehzüchter oder Schafhirte, zu überlassen, solange er ihnen eine gute Ausbildung, genug zu fressen und ein Leben voller Arbeit gewährleisten kann.« Er fasste nach unten, um Kelpies langes Fell zu kraulen und sie zärtlich an dem kleinen weißen Fleck zu kratzen, der ihre Brust zeichnete.

»Eine wahrhaft prächtige Vision«, bestätigte ihm Mark feixend.

»Ach, mach dich ruhig über mich lustig«, sagte Jack und versetzte seinem Freund einen Schubs. »Aber wie ich sehe, rühmst du dich selbst, die besten Hunde zu besitzen.« Er nickte zu Marks Hunden hin, die zu dritt eng zusammengerollt an der dem Wetter abgewandten Seite eines Baumes lagen. »Wie bist du zu so exzellenten Tieren gekommen?«

»Sie sind aus Rutherfords Zucht. Kennst du ihn?«

»Allerdings habe ich von Mr Rutherford gehört. Den aus Yarrawonga, dessen Familie aus Schottland stammt?«

»Eben diesem«, sagte Mark. »Ich habe einige Arbeiten für einen Freund erledigt, der mich nicht auszahlen konnte… also erbat ich von ihm dieses Paar aus Rutherfords Zucht und seinen alten Hund. Ich glaube nicht, dass er um ihren wahren Wert wusste, sonst hätte er sie nicht so bereitwillig hergegeben. Und so kam ich zu Rutherford-Hunden, importiert aus seiner Zucht in Nordschottland! Die Besten weit und breit!«

»Da bin ich ganz sicher. Mein Mädchen hier hat einen ähnlichen Stammbaum. Nun bin ich auf der Suche nach einem guten Rüden für Kelpie, wenn sie erst alt genug ist. Einem guten, kräftigen Hund, der erstklassige Welpen zeugt. Keinem dahergelaufenen Streuner. Wärst du daran interessiert, mir eines Tages einen Welpen zu verkaufen, wenn du erst einen Wurf hast?«

»Dir einen Welpen verkaufen?« Mark sah ihn finster an. »Ich? Dir einen Welpen verkaufen? Sei nicht verrückt. Auf gar keinen Fall.«

Jack sah Mark ins Gesicht. Sein Mund war zu einer strengen Linie zusammengezogen. Jack kämpfte darum, sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt und enttäuscht er war. Er wollte Mark schon anbetteln, als sich dessen Mund zu einem breiten Lächeln verzog. »Ich werde dir ganz gewiss keinen Welpen verkaufen, Jack, du großer Tollpatsch! Aber ich werde dir von Herzen gern einen Welpen schenken… Du kannst dir einen aussuchen, sobald meine Hündin ihren ersten Wurf bekommen hat. Und ich würde mich geehrt fühlen, wenn einer meiner Rüden deine Hündin decken dürfte. Ich werde dir gleich bei der nächsten Schur auf Ballarook zeigen, wie sie arbeiten – aber du kannst mich beim Wort nehmen, die beiden sind kräftige, schwer arbeitende Hunde. Ich wüsste weit und breit keine besseren.«

Ein paar Stunden später, nach einem leckeren Mahl aus Kartoffeln und Kängurufleisch, gefolgt von ungesäuertem Brot mit Melasse, saßen Jack und Mark Tully Witze reißend am Feuer, als wären sie wieder vierzehn Jahre alt, erzählten sich gegenseitig Alberts Lügengeschichten und lachten, bis ihnen die Bäuche und das Gesicht wehtaten. Dann schlug Jack, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, seinem Freund auf den Rücken.

»Weißt du, Mark, manche Tage bleiben einfach Tage, aber andere, o Herr, andere hingegen… da weißt du einfach, dass das ganze Universum zusammenwirkt, damit gewisse Dinge passieren. Aus unserer Begegnung wird sich Großes entwickeln, davon bin ich überzeugt.«

Während Jack redete, erhellten die Flammen sein gut geschnittenes Gesicht. »Dies ist nur der Anfang von etwas viel Größerem als dir und mir und dieser Nacht und diesen Hunden. Wenn wir schon längst nicht mehr auf dieser Erde sind und diese Hunde zu Staub geworden sind, wird immer noch ihr Blut in den Adern ihrer Nachkommen fließen… das Blut unserer Hunde hier.«

»Ach Jack. Red’ nicht so, wo es schon so spät am Abend und mein Bauch viel zu voll ist, als dass mein Hirn noch denken könnte. Mich interessiert viel mehr, ob in der Zukunft mein Blut durch die Adern meiner Enkelkinder fließen wird… weil ich dann sicher sein könnte, dass ich noch mal bei einer Frau liegen werde!«

»Du denkst auch immer an das eine!«, lachte Jack.

»Nun, das ist immer noch besser als die Dinge, an die du immer denkst – Hunde, Pferde und stinkende, verfluchte Schafe und Kühe!«

»Und was stört dich daran? Wenigstens lässt sich so vermeiden, dass Gott strafend auf dich und deine Sünden herabsieht.«

»Ach Jack, du wirst dich noch nach einer Beichte sehnen, wenn du erst die Mädchen auf der Bunyip Station gesehen hast.«

»Bunyip Station?«

»Genau. Sie liegt gleich neben Ballarook, dort leben die hübschesten Schwestern, die ich kenne. Gute, kräftige Mädchen aus einer Schar von elf Töchtern. Manche sind hübscher als andere, aber wenn du dich den ganzen Tag über unzählige Schafrücken gebeugt hast, kann dir selbst das schlichteste Bauernmädel den Kopf verdrehen.«

»Wirbst du um eine von ihnen?«

»Bah! Stell dich nicht dumm, Jack. Es sind die Töchter von Launcelot Ryan. Er hat die Güter von Bunyip, Eldorado und Mount Elgin zusammengelegt, sodass die Station, die er inzwischen besitzt, um die siebzigtausend Morgen hat. Er will für seine Mädels jemand Besseren als zwei Viehtreiber wie uns.«

»Ich kann mir ohnehin nicht vorstellen, dass die Tochter eines Viehzüchters einen Blick für Männer wie uns übrig haben soll«, bestätigte Jack, den Blick ins Feuer gerichtet.

»Nun, lass uns für heute Abend die Frauen vergessen – und Wein haben wir auch keinen. Wir werden uns mit ein paar Liedern begnügen müssen… sollen wir etwas aus der guten alten Zeit singen? «

So begannen sie, die Volkslieder zu singen, die sie in ihrer Kindheit gelernt hatten, und ihre irischen Stimmen wurden weit über den Fluss in die Nacht getragen. Den Kopf dem Himmel zugewandt schickten sie ihren Gesang in die Dunkelheit hinaus, und bald begannen die Hunde mitzuheulen, bis Jack und Mark vor Lachen umkippten.