Kapitel 1

Rosemary Highgrove-Jones visierte den Hund durch den Sucher ihrer Kamera an. Sie lachte leise und drückte dann auf den Auslöser. Klick. In der drückenden Hitze, inmitten der Eukalyptusbäume und betrunkenen Zuschauer beim Pferderennen hatte sie das Bild eines vorwitzigen Jack Russells eingefangen, der an Prudence Beatons stämmiges Bein pinkelte. Gelber Urin durchtränkte Prues beige Strumpfhose, während sie höflich und ahnungslos an ihrem ebenso gelben Chardonnay nippte.

Der Jack Russell sah zufrieden aus, reckte den Stummelschwanz zum Himmel und wirbelte mit seinen festen Beinchen vertrocknetes Gras und Staub auf. Danach wandte er seine Aufmerksamkeit Prues Malteser zu. Die beiden kleinen Hunde standen Schnauze an Schwanz beieinander, fast wie Yin und Yang, und begannen sich langsam im Kreis zu drehen, ohne sich um den Trubel über ihren Köpfen zu scheren. Rosemary hatte schon wieder die Kamera erhoben, um ihre Hinternschnüffelei auf den Film zu bannen, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte.

»Rosemary Highgrove-Jones! Was in Gottes Namen tust du da?«, zischte Margaret und drückte die Kamera energisch nach unten. »Du bist zum Arbeiten hier! Duncan verlässt sich auf dich! Du wirst ihn doch nicht wieder enttäuschen, oder?«

»Warum machen sie das wohl, Mum?«

»Was?« Margaret legte die Stirn in Falten.

Rosemary nickte zu den Hunden hin. »Sich gegenseitig am Hintern beschnüffeln.«

»Aber Rosemary!« Margaret Highgrove-Jones umklammerte den Ellbogen ihrer Tochter wie mit einer Schraubzwinge und schob Rosemary auf das VIP-Zelt zu. »Jetzt komm, da drin gibt es ein paar Gäste, die es kaum erwarten können, ihr Gesicht in der Gesellschaftskolumne zu sehen.«

Margaret stand groß, schlank und aufrecht auf ihren Keilabsätzen und schien ihre Tochter weit zu überragen. Rosemary kniff die Augen zusammen, weil die Sonne so im rostfarbenen Organzakleid ihrer Mutter gleißte, und sang leise vor sich hin: »Wer die Gesellschaftsseite macht, darf nicht ungesellig sein, wer die Gesellschaftsseite macht, darf nicht ungesellig sein.«

»Und jetzt stellen wir uns alle für ein hübsches Foto im Chronicle auf«, kommandierte Margaret, die gleich darauf eine Gruppe älterer Damen zusammengetrieben hatte, die in ihren eleganten Blazern schwitzten.

Rosemary hob die Kamera und ließ ihr Auge über die Frauen wandern. Ihre Mutter posierte vorn in der Mitte der Gruppe wie eine blonde Jackie Onassis. Klick. Rosemary griff zu Stift und Notizblock, um sich hastig zu notieren, wer auf dem Foto war. Wie die Namen geschrieben wurden, brauchte sie nicht zu erfragen. Die Viehzüchter-Gattinnen gehörten bei allen Feiern ihrer Mutter zum festen Inventar.

»Hättest du trotz deiner gesellschaftlichen Verpflichtungen Zeit für ein Gläschen Schampus?« Margaret schwenkte eine Sektflöte in ihre Richtung.

»Geht leider nicht«, sagte Rosemary. »Ich muss Sam beim nächsten Rennen zuschauen.«

Rosemary schlenderte durch die Menschenmenge zur Rennbahn hinüber. Die Männer, die auf einem schmuddeligen Teppich von wertlosen Wettscheinen standen, wandten kurz den Blick von den Schiefertafeln mit den Wettquoten über den Kabinen der Buchmacher ab, um dem hübschen Mädchen nachzuschauen. Manche von ihnen trugen nur Shorts und die liebevoll »Blunnies« genannten Blundstone-Lederstiefel zu ihren Sonntagsjacketts. Andere hatten zwar einen vollständigen Anzug angelegt, dafür aber die Ärmel hochgekrempelt und die Krawatten gelockert. Etwas entfernt von den Buchmachern und Glücksrittern hockten auf einem Sofa, das auf der Pritsche eines Lieferwagens montiert war, ein paar Bier trinkende Jungs in Jeans, blauen Trägerhemden und schwarzen Hüten. Sie umklammerten Dosen, die in kühlenden Schutzhüllen aus Neopren steckten, während aus den Boxen des Pick-ups Lee Kernaghans Lieder schepperten. Einer von ihnen pfiff Rosemary nach, als sie an ihnen vorbeiging. Verlegen wandte sie sich ab und kam ins Stolpern, weil eine grüne Mülltonne auf Rädern an ihr vorbeirollte. Ein untersetzter Bursche stand aufrecht in der Tonne wie Russell Crowe in seinem Gladiator-Streitwagen. Er reckte seine Bierdose empor und brüllte: »Attacke!«, woraufhin ihn sein Kumpel im Galopp über den holprigen Boden und durch die auseinander stiebende Menge schob. Rosemary schaute den beiden nach, bis sie außer Sichtweite waren. Als sie sich wieder umdrehte, blickte sie in das ernste Gesicht ihres Vaters.

Gerald Highgrove-Jones stand erhaben wie ein hoch gewachsener grauer Eukalyptus bei mehreren anderen Herren aus der »Tweedmantel-Brigade«. Dies waren die Männer aus dem Bezirk, die nie die Krawatte lockerten, so heiß es auch werden mochte und so viel sie auch getrunken hatten. An den dicken wollenen Aufschlägen ihrer Jacketts prangten gut sichtbar die Aufnäher der Landwirtschaftsausstellung. Unter ihnen stand auch, die langen schlanken Beine von einer ledernen Hose umhüllt, ihr Bruder Julian. Wie üblich wirkte er mürrisch und gelangweilt. Genau wie Gerald überragte er alle anderen Männer, aber statt aufrecht zu stehen, schien er in sich zusammenzusinken, so als wollte er sich verstecken.

Rosemary winkte ihm im Vorbeigehen zu, und Julian winkte zurück, nicht ohne die Augen zu verdrehen, um ihr zu zeigen, wie öde er das alles fand. An der Abtrennung zur Rennbahn ließ sie den Blick über die vertrauten Gesichter in der Menge wandern. Genau wie Julian hatte sie sich bemüht, sich anzupassen. Jedes Jahr versuchte sie aufs Neue, sich auf die anstehenden Rennen zu freuen. Schon Wochen im Voraus setzte unter den Damen im Distrikt ein Trommelfeuer von Telefonaten ein. Wer sollte die Vorspeisen zubereiten? Lachs oder Shrimps in den Blätterteigpasteten? Torte im Karamellmantel oder Kokoseis? Sie versuchte, sich für die Kleider im neuesten Katalog von Maddison Et Rose zu begeistern und sich ausgiebig und euphorisch zu den Ausflügen zu äußern, die ihre Mutter dafür nach Melbourne zu Laura Ashley oder Country Road unternahm. Margaret strebte danach, ihr ganzes Leben perfekt nach dem Country Style-Magazin zu modellieren. Aber Rosemary und »perfekt« passten einfach nicht zusammen.

Sie schaute an ihrem frisch geplätteten weißen Leinenkleid hinab, das mit Kornblumen und Margeriten bedruckt war. Es war extra aus Melbourne geliefert worden und hatte eine Stange Geld gekostet. Immerhin hatte Sam gesagt, dass sie nett aussah. Jetzt hielt sie auf dem abgesperrten Sattelplatz nach ihm Ausschau. Hübsche Mädchen in engen Jeans, Cowboyhüten und Trägerhemden beschäftigten sich konzentriert mit ihren Pferden, trugen Eimer herum, rückten das Zaumzeug zurecht oder rieben ihre Tiere mit groben Bürsten ab. Es waren Mädchen ihres Alters. Ein paar davon kannte sie noch aus dem Ponyclub, aber ihre Mutter hatte ihr das Reiten verboten, als sie ins Internat geschickt wurde. Seit sie wieder heimgekommen war, hatten die Mädchen praktisch nicht mit ihr gesprochen. Außer wenn sie mit Sam zusammen war.

Sie sah ihn am anderen Ende der Rennstrecke. Er ritt gerade mit einer ganzen Gruppe von Reitern auf die Startlinie zu. Die kurz gehaltenen Pferde hielten den Kopf gesenkt und peitschten nervös mit dem Schweif. Sams schwarzer Wallach Oakwood tänzelte im Kreis. Sam ritt wie ein Viehtreiber, nicht wie ein Jockey, und hatte wie immer, wenn er ein Buschrennen ritt, die Steigbügel länger geschnallt als die anderen Reiter. Rosemarys Blick kam auf Sams kräftigen, gebräunten Händen zu liegen, die lässig die Zügel hielten. Unter der braunen Haut wölbten sich die Adern. Auch bei Oakwood konnte man unter dem glänzenden Fell das Delta der Adern erkennen. Auf dem dunklen Fell leuchtete das für alle australischen Treiberpferde typische Kaltbrandzeichen. Rosemary spürte ein Kribbeln, sobald sie darüber nachsann, wie phantastisch Sam und Oakwood zusammen aussahen. Es war, als würden Mensch und Pferd das gleiche Blut teilen, als würden ihre Adern im Gleichklang pulsieren. Als die beiden näher kamen, stöckelte sie in ihren Highheels ans Gatter und rief ihm winkend zu:

»Viel Glück, Sam!«

Sam und Oakwood machten eine Drehung und kamen auf sie zugesprungen.

»Pass auf, dass du ein Siegesfoto von uns bekommst, Pooky!«, rief Sam. Seine dunkelbraunen Augen funkelten, und er zwinkerte ihr grinsend zu.

»Bestimmt!« Sie zwinkerte zurück. Sie konnte es nicht leiden, wenn er sie Pooky nannte, aber so war er eben. Sam der Unglaubliche. Eine einzige Augenweide bis runter zu den Boxershorts.

Hinter ihm auf der Bahn kam Jillian Rogers angeritten, deren langer, dunkler Pferdeschwanz hinter ihr her flog. Sie donnerte auf ihrer langbeinigen braunen Stute vorbei und rief Sam dabei zu: »Kommst du jetzt, um den Arsch voll zu kriegen, oder nicht?«

»Das wirst du bereuen, Rogers!«, rief Sam ihr lachend hinterher. »Bis später, Pooks.«

Rosemary konnte sehen, wie sich Oakwoods muskulöse Hinterhand unter Sam zusammenzog, als er Jillian Rogers nachsetzte.

»Viel Glück«, rief sie ihm hinterher, aber ihre Stimme wurde vom Wind verweht.

Rosemary fasste nach dem Verlobungsring an ihrem Finger und drehte ihn versonnen. Während sie den Saphir und das glatte Gold betastete, fragte sie sich wie so oft, wie es kam, dass von allen Mädchen im Distrikt ausgerechnet sie Sam Chillcott-Clark heiraten sollte.

Aus dem Lautsprecher knisterte die Stimme von Rosemarys Chef beim Chronicle. Duncan Pellmet hielt sich für einen begnadeten Ansager. Für den einen Tag im Jahr, an dem die Glenelg Bush Races stattfanden, hatte er sich eine ganz eigene nasale Stimme zugelegt.

»Nun denn, Ladys und Gents, ich heiße Sie nochmals willkommen zur Fortsetzung unseres sonntäglichen Buschrennens«, tönte Duncan. »Jetzt ist die Zeit gekommen für das Hauptevent des Tages — den Glenelg Stockman’s Cup — gestiftet von unserer hiesigen Zeitung, dem Chronicle. Dieses Rennen steht allen ortsansässigen Treibern und ihren Pferden offen. Und heutzutage, verehrtes Publikum, sind unter den ›Stockmen‹ auch Ladys – ganz recht, Jungs … also aufgepasst! Eine junge Dame, die in diesem Jahr nur schwer zu schlagen sein wird, ist Jillian Rogers auf ihrer Stute Victory. Allerdings tritt sie gegen den dreimaligen Gewinner Sam Chillcott-Clark auf seinem großartigen Wallach Oakwood an. Oakwood ist kein Unbekannter auf dieser Strecke oder bei den anderen Buschrennen. Er ist außerdem ein Champ beim Polocross, er war Zweiter beim National Stockman’s Challenge und hält sich ausgezeichnet bei den Viehtreiber-Wettbewerben überall im Land. Es ist kein Geheimnis, wen die Buchmacher als Favoriten führen …«

Das Lautsprechersystem begann zu pfeifen, als wollte es sich über Duncans Geschwafel beschweren. Aber kurz darauf schallte seine Stimme wieder durch die Lüfte und über ein Publikum hinweg, das ihm schon längst nicht mehr zuhörte.

»Äh … also, während sich die Reiter startbereit machen, noch eine private Durchsage … falls jemand meinen Jack Russell gesehen hat, soll er ihn bitte bei der Rennleitung abgeben … danke. Er hört auf den Namen Derek.«

Die Zuschauer verstummten gespannt, während sie darauf warteten, dass der berittene Rennleiter die Startflagge fallen ließ. Als die weiße Flagge unten war, jagten die Pferde am anderen Ende der Rennstrecke aus dem Stand los. Eine Gänsehaut lief über Rosemarys Rücken, und Duncan Pellmets aufgeregter Kommentar schien in ihrem Bauch zu vibrieren. Sie sah die Pferde in einer engen Gruppe durch den sommerlichen Hitzedunst galoppieren, den Staub aufwirbelnd und dahinfliegend wie ein einziges riesiges Ungetüm. Bis die Reiter um die Kurve und besser ins Blickfeld kamen, waren die langsameren Tiere zurückgefallen, Victory hatte sich gemeinsam mit Oakwood aus der Gruppe gelöst, und der Rappe und die braune Stute lieferten sich ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen. Sam beugte sich vor und zischte seinem Pferd etwas ins Ohr. Jilian, auf ihren kurzen Steigbügeln kauernd, spornte ihr Pferd mit kehligen Lauten an. Dann, nur ein paar Längen vor dem Ziel, schoss Duncans Jack Russell auf die Strecke und kläffte wie besessen die Pferde an. Oakwood hatte als erfahrenes Treiberpferd für den kleinen Hund kaum einen Blick übrig. Aber Jillians Vollblutstute, die eher ans Hindernisspringen als ans Viehtreiben gewöhnt war, warf den Kopf zurück und machte genau vor der Ziellinie einen Satz zur Seite. Sam hatte gewonnen. Die Menge brach in Jubel aus, und die Jungs mit der Mülltonne rannten auf die Rennstrecke, um den Hund wie einen Rugbyspieler zu Boden zu werfen.

Rosemary eilte zum Sattelplatz, wo Sam, das gebräunte Gesicht in Schweiß gebadet und den Helm unter den Arm geklemmt, den schwer atmenden Oakwood im Kreis führte. Er rief Rosemary zu sich.

»Hier! Jetzt mach dein Siegerbild für deine Zeitung!«

Sie visierte ihn durch den Sucher an. Da stand er, der sensationelle Sam mit seinem staubigen, verschwitzten Gesicht, dem breiten, blendenden Grinsen und den Augen, die bei jedem Lächeln kleine Fältchen legten. Und daneben sein Pferd mit hoch erhobenem Kopf, bebenden Nüstern und aufgestellten Ohren. Klick.

Sam machte einen Schritt auf Rosemary zu. »Kannst du ihn ganz kurz halten?«, fragte er.

Ehe sich Rosemary versah, jonglierte sie mit ihrer Handtasche, der Kamera und den schweißbedeckten Zügeln. Oakwood warf ängstlich den Kopf herum und kickte dabei Rosemarys Hut zur Seite. Dann spielte er mit der Gebissstange, sodass sie gegen seine Zähne klapperte. Ein langer Speichelstrang tropfte auf Rosemarys Arm. Der Wallach rollte wild mit den Augen und tänzelte auf seinen schwarzen Hufen.

»Ruhig, Junge.« Rosemary kam ins Straucheln, weil ihre Absätze in dem weichen Boden einsanken. Dann senkte Oakwood, als wollte er sie zum Schweigen bringen, den Kopf und rieb sein schweißiges, staubiges Gesicht an ihrem weißen Kleid. Sie schaute auf, suchte nach Sam und sah ihn in einer Ecke des Pferdebereichs stehen, eine Hand auf Jillians Schulter gelegt, die sich eben die Tränen vom Gesicht wischte. Sie hatte den Hut abgesetzt, und ihre dunklen Haare hatten sich gelöst, sodass sie über ihre kräftigen Schultern fielen. Sam beugte sich leicht vor, um ihr in die Augen zu sehen, und lächelte sie freundlich an. Dann sah er kurz zu Rosemary herüber, sagte noch etwas zu Jillian und kam zu ihr zurückstolziert, wieder mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht. Er nahm ihr die Zügel ab.

»Danke.« Dann machte er eine Kopfbewegung zu Jillian hin. »Eine schlechte Verliererin, die Kleine, aber es war wirklich nicht ganz fair. Duncans blöde Töle. Jedenfalls sollte ich den Jungen lieber abspritzen.« Ein schneller Kuss auf ihre Wange, und schon führte er sein Pferd weg.

»Wann sehen wir uns?«, rief Rosemary ihm nach.

Sam drehte sich um. »Die Jungs erwarten, dass ich einen auf meinen Sieg ausgebe. Es wird nicht lang dauern. Versprochen. Nur ein paar Bier im Pub.«

Rosemarys Gesicht fiel in sich zusammen. Sam kam zurück und nahm ihre beiden Hände.

»Also gut, nur ein Bier«, sagte er.

»Kann ich nicht mitkommen?«, bettelte Rosemary. »Du nimmst mich nie mit in den Pub.«

»Deine Mum würde mich in der Luft zerreißen, wenn ich dich mitnehmen würde. Du weißt, was sie davon hält. Außerdem habe ich mitbekommen, wie deine Mum ein paar von den Mädels auf einen Drink zu euch nach Hause eingeladen hat. Du kannst mit meiner Mum ein paar Chardonnays kippen und Hochzeitspläne schmieden, ein paar Sachen für deinen Einzug klären.« Er fuhr mit der Hand über ihre schlanke Taille. Rosemary rümpfte die Nase.

»Du bist so süß, wenn du den Pooky spielst, Pooky.« Er schob ihren Hut nach oben und gab ihr einen Schmatz auf die Stirn. Sie senkte den Blick auf ihre eingestaubten Highheels von Diana Ferrari.

»Na schön. Also verpiss dich«, schmollte sie.

»Wie bitte?«

»Ich sagte, verpiss dich!«

»Oh! Wie damenhaft!«, sagte Sam. »Ich habe gerade den Stockman’s Cup für dich gewonnen, und du lässt mich nicht mal mit meinen Kumpels in den Pub gehen! Willst du mir etwa einen Vorgeschmack darauf geben, wie es sein wird, wenn wir verheiratet sind? Ich dachte, du wolltest mit den Mädels heimfahren. Sie freuen sich schon darauf. Bist du dir vielleicht zu gut dafür?«

»Darum geht es nicht, Sam.«

»Worum dann?«

»Ich weiß es nicht.«

»Das weißt du nie. Das ist dein Problem. Genau darum brauchst du mich!«

Er zog sie an seine Brust und sah ihr in die Augen.

»Warte nur, bis wir verheiratet sind. Wenn Mum und Dad erst in die Wohnung in South Yarra gezogen sind, hast du die ganze Homestead, um die du dich kümmern musst. Dann hast du gar keine Zeit mehr fürs ›Nichtwissen‹. Das wird perfekt. Du wirst schon sehen. Okay?« Damit küsste er sie zärtlich auf die Nase.

Sie nickte und lächelte zaghaft, aber glücklich war sie nicht. Sie seufzte. Er konnte jedes Mädchen haben, so sah es jedenfalls ihre Mutter, und er hatte sie auserwählt. Sie sah ihn in seinen engen Blue Jeans und seinem schweißfleckigen Hemd davonschlendern.


Froh, endlich allein zu sein, saß Rosemary in ihrem schmutzigen Kleid am Glenelg River und lauschte Duncans weit entferntem, monotonem Kommentar. Wütend wischte sie eine unerwartete Träne von ihrer Wange und fragte sich, warum sie wohl weinte. Alle Freundinnen ihrer Mutter predigten ihr, was für ein Glück sie hatte, mit Sam verlobt zu sein. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass ihrem Leben etwas fehlte. Sie träumte davon, ein einziges Mal selbst auf einer halben Tonne Muskeln über die Rennstrecke zu donnern, statt nur hinter der Absperrung zu stehen und zuzuschauen. Sie knickte einen Stock entzwei und warf ihn in den olivgrünen Fluss. Warum konnte sie nicht wie die anderen Mädchen sein, die heute Abend im Pub mit Sam zusammen sein würden, fragte sie sich. Warum wollte er sie nicht mitnehmen?

Sie drehte den Kopf in den Wind. Sie wünschte, er würde ihr eine Ahnung davon zutragen, wie ihre Zukunft aussehen würde. Aber der Wind hob nur die glatten, kurzen blonden Haare aus ihrem verschwitzten Nacken und kühlte die Tränen auf ihren Wangen. Bestimmt suchte ihre Mutter schon nach ihr. Sie schlug die Hände vor die Augen und atmete ein paarmal tief durch. Plötzlich spürte sie etwas Warmes, Nasses auf ihrer Wange.

Erschrocken sah sie auf. Ein rotbrauner Kelpie saß neben ihr und versuchte, ihr die Tränen vom Gesicht zu lecken.

»Verzieh dich!«, sagte sie und schob den Hund behutsam zur Seite.

»Er meint es nur gut«, hörte sie eine Stimme in ihrem Rücken.

Sie drehte sich um und blickte auf die Silhouette eines Mannes, der ein Pferd am Zügel hielt. Im nächsten Moment trat er in den Schatten eines Eukalyptusbaumes, wo sie ihn besser erkennen konnte. Es war Billy O’Rourke.

»Magst du keine Hunde?«, fragte er.

»Nein! Doch. Ich meine schon, aber ich …«

»Du solltest Hunde mögen.«

Rosie schaute in Billies wettergegerbtes Gesicht auf. Er lächelte sie freundlich unter seinem breitkrempigen Hut hervor an. Die Zügel hielt er locker in den sonnengebräunten Fingern. Sie hatte Billy oft in Casterton am Fluss gesehen, wo er nervöse, noch unerfahrene Pferde einritt. Und jede Woche kam er in die Redaktion des Chronicle geschlendert, um den neuesten Bericht über den Viehmarkt einzureichen.

»Ich mag Hunde«, sagte sie.

»Das trifft sich gut, denn ich habe einen Job für dich. Bist du morgen in der Arbeit?«

»Ja.« Rosemary nickte. Leider, dachte sie bei sich.

»Gut. Bis dann.« Damit führte er sein Pferd weg.

»Moment! Was für ein Job soll das sein?«

Er drehte sich noch mal um und zwinkerte ihr zu. »Du wirst schon sehen.« Dann machte er sich auf den Rückweg zur Rennstrecke, leicht o-beinig und mit eingefallenen Schultern, die von jahrelangem Schafescheren in gebückter Haltung zeugten.

Der rotbraune Kelpie sah ihm nach, blieb aber an Rosemarys Seite sitzen. Er schob seine warme Schnauze unter ihre Hand, damit sie ihn streichelte. Sobald Rosemary seine samtigen Ohren kraulte, legte er das Kinn auf ihre Knie, blickte mit schokoladebraunen Augen zu ihr auf und seufzte.

»Was willst du denn?«, fragte Rosemary.

Dann pfiff Billy, und der Hund war weg.