Kapitel 25

Rosie hob das nächste Lamm hoch und hakte die dünnen Beinchen in das Metallgestänge der so genannten »Wiege«. Behutsam spannte sie das Tier ein und drehte dann die Wiege herum. Mit geübtem Griff schnitt sie, still um Verzeihung bittend, ein kleines »V« aus dem Ohr und kratzte dann den Impfstoff gegen Schafspocken in die Haut. Als Nächstes nahm sie die Spritze und stach damit durch kurze Wolle und feste Haut. Danach nahm sie sich das nächste Lamm vor. Ihr gegenüber arbeitete Jim, der schweigend mit einer zischenden Gasschere die Lammschwänze kürzte und danach hin und wieder sein Messer aus der Desinfektionsflüssigkeit zog, um den kleinen Hammellämmern die Hoden abzutrennen.

Rosie und Jim hatten die Hüte tief ins Gesicht gezogen und die Kragen gegen den beißenden Wind hochgeschlagen. Sie waren zu beschäftigt, um zu reden, und arbeiteten zügig, weil sie hofften, das Markieren der Lämmer möglichst schnell hinter sich zu bringen. Die im Pferch zusammengetriebenen Tiere blökten endlos nach ihren Müttern, und wenn sich Rosie abends schlafen legte, klang ihr das Blöken noch in den Ohren. Es war die dritte Herde, die sie in dieser Woche markierten. Sie spürte, wie sich ihre Schultermuskeln verkrampften, als sie das nächste fette Lamm hoch hob. Aber allmählich gewöhnte sie sich an die schwere körperliche Arbeit, an die unerwarteten, feinen Blutspritzer, die aus Schwänzen und Ohren schossen, und an die Schmerzensschreie der markierten und kastrierten Lämmer.

»Ich weiß, dass es gruselig aussieht, aber auf lange Sicht nutzt es ihnen«, hatte Jim gesagt, als er ihr gezeigt hatte, wie man ein Lamm markiert, und Rosie erbleichend zurückgewichen war. »Die Alternative hierzu ist viel, viel schlimmer«, hatte er ihr versichert. »In ein, zwei Tagen haben sie sich erholt und hoppeln herum, als wäre nichts gewesen. Du wirst schon sehen.«

Rosie hatte schon beim Markieren zugesehen, es aber noch nie selbst gemacht. Anfangs war ihr regelrecht schlecht geworden, wenn sie spürte, wie das Metall durch Haut und Knorpel schnitt, aber inzwischen, nach über zweitausend Lämmern, war es zur Routine geworden. Und sie wusste, wie wichtig es war.

Auch das Zäuneziehen war ihr zur Routine geworden. Sie und Jim hatten nach der Überschwemmung ganze Tage am Fluss zugebracht und neue Zäune gesetzt. Rosies Hände schmerzten vor Anstrengung, wenn sie die Metallhalterung der Pfostenramme über die stählernen Zaunpfosten schlug und den Draht mit einer Drehung der Hand spannte. Schweiß lief ihr den Rücken hinab, wenn sie das tote Holz aus der Bahn des Zaunverlaufs schleifte oder mit der Kettensäge Baumstämme zerteilte.

Abends brütete sie dann in Geralds Arbeitszimmer über den Büchern. Ihre Augen waren so müde, dass sie merkte, wie sie sich beim Lesen in den Spalten vertat. Dann konnte es passieren, dass sie eine Ausgabe für Wasserläufe und Entwässerungsgräben in die Spalte für Reparaturen und Instandhaltung eintrug. Oder die Mehrwertsteuer addierte, statt sie abzuziehen. In solchen Augenblicken steigerte sich ihre Wut auf Gerald ins Unermessliche, aber gleichzeitig war ihr bewusst, dass er nicht allein für den traurigen Zustand der Station verantwortlich war. Sie sollte sich glücklich schätzen, ermahnte sie sich. Immerhin hatte sie sich genau das gewünscht. Sie musste an den Tag denken, als sie Gerald das letzte Mal gesehen hatte.


Nicht lang nach der Überschwemmung waren Rosie und Julian zu einem Familientreffen in Giddys Hütte auf die Halbinsel gefahren. Gerald hatte in einem Sessel an dem kleinen Kamin gesessen, in dem die knisternden, orangefarbenen Flammen das zusammengesammelte Treibholz verschlangen, während Giddy ein Tablett mit Kräutertee auf dem balinesischen Tisch abgestellt hatte. Gerald machte auf Rosie einen total verwandelten Eindruck. Er wirkte ganz und gar nicht mehr steif und korrekt. Stattdessen trug er gewöhnliche Jeans und ein sandfarbenes Polohemd. Seine Füße waren nackt, und auf seinem Schoß lag, leise schnurrend, Giddys schwarze Katze.

»Danke, dass ihr uns besuchen kommt«, begrüßte er sie leicht verlegen. Rosie sah auf Julian, dessen Wangen in der Hitze des Zimmers rosa angelaufen waren. Auch er hatte sich verändert. Die Haare reichten ihm inzwischen fast bis auf die Schultern, und er wirkte ausgefüllter und irgendwie glücklicher. Giddy kam zu ihnen, ließ sich auf der Armlehne von Geralds Sessel nieder und schlug die schlanken Beine übereinander.

»Ich weiß, dass das für euch beide ein Schock sein muss«, sagte Gerald, »mich mit Giddy zusammen zu sehen.« Er legte seine Hand auf ihre. »Aber wir lieben uns schon seit Jahren. Es tut uns Leid, dass wir das so lange vor euch verheimlicht haben. «

Rosie rutschte betreten auf ihrem Stuhl herum, während sich Julian an seiner Teetasse festhielt.

»Wir wollten eurer Mutter nicht wehtun«, ergänzte Giddy.

Rosie wünschte, Jim wäre in diesem Moment bei ihr, aber er war auf der Farm geblieben, weil er darauf bestanden hatte, dass ihn diese Sache nichts anging … und außerdem jemand die Tiere versorgen musste.

Und natürlich musste jemand auf Margaret aufpassen. Seit sie Todesängste ausgestanden hatte, dass ihre Tochter in den Fluten ertrunken sein könnte, ertränkte sie ihren Kummer nicht länger in Alkohol oder Tabletten, aber sie war immer noch zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe. Jim hatte darauf bestanden, bei ihr zu bleiben.

»Mum?«, hatte Rosie ihre Mutter behutsam vorgewarnt. »Ich fahre Gerald besuchen.« Dann hatte sie innegehalten und abgewartet, wie ihre Mutter diese Nachricht aufnahm. Erst danach hatte sie den Stachel gesetzt. »Bei Giddy.« Statt hysterisch zusammenzubrechen, wie Rosie erwartet hatte, hatte Margaret nur wortlos genickt.

Als Rosie abfahrbereit neben dem Pajero stand, kam ihre Mutter mit zerknitterter Miene zu ihr. Rosie konnte ihr den Schmerz nachfühlen. Sie wusste, dass Margaret schreckliche Angst davor hatte, was bei diesem Treffen herauskommen mochte. Dass sie vielleicht das Haus verlieren könnte, in dem sie zwei Kinder großgezogen hatte. Und dass es ihr wehtat, Rosie an jenen Ort fahren zu sehen, an dem Giddy und Gerald jetzt lebten, und zwar zusammen. Und glücklich.

»Fahr vorsichtig.« Mehr brachte Margaret nicht heraus.

Jetzt, in Giddys Hütte, schluckte Rosie nervös. Insgeheim wartete sie darauf, dass Gerald erklärte, er wolle die Station verkaufen. Er beugte sich in seinem Sessel nach vorn.

»Also, ich will nicht lang um den heißen Brei herumreden. Falls es sich grausam anhört, so tut es mir Leid. Aber ich habe nicht die Absicht, nach Highgrove zurückzukehren… oder zu eurer Mutter. Niemals. Ich weiß, das muss ein Schock für euch sein, aber ich habe allzu lange eine Lüge gelebt.« Er räusperte sich.

»Darum glaube ich … entschuldige.« Er sah zu Giddy auf und drückte ihre Hand, »darum glauben wir, dass es das Beste ist, wenn ich Highgrove an euch beide überschreibe.«

Rosie und Julian blinzelten und trauten ihren Ohren nicht. »Du schenkst uns die Farm?«, fragte Rosie schließlich.

Gerald nickte. »Unter der Bedingung, dass ihr euch um eure Mutter kümmert. Sie muss ebenfalls von den Einnahmen leben. Und falls die Finanzen es zulassen sollten, würde auch ich gern eine bescheidene Rente beziehen.«

Julian und Rosie waren sprachlos. Alles, was sie je über Gerald als Vater, als Farmer und als Ehemann zu wissen gemeint hatten, stellte sich als Irrtum heraus. Beide starrten Gerald an, der mit ihrer Tante Händchen haltend vor ihnen saß. Julian atmete tief aus.

»Und? Was meint ihr dazu?«, drängte Giddy.

»Aber, aber …«, stammelte Rosie. »Sollte Julian nicht alles bekommen? Ich meine, du weißt … schließlich bin ich nicht… nicht deine leibliche Tochter.«

»Ach Rosie«, sagte Gerald. »Ich bin nicht stolz darauf, wie ich mich in der Vergangenheit verhalten habe. Aber du musst wissen, dass ich auf dich nie wütend war. Ich war wütend auf alles. Mein Leben war eine einzige große Lüge, aber mir fehlte immer der Mumm, etwas daran zu ändern.«

»Aber du hast nie – «, protestierte Rosie, doch Gerald hob abwehrend die Hand.

»Ich weiß nicht, wie ich dich überzeugen kann, mir zu glauben, aber ich verspreche dir, dass du dich von diesem Moment an auf mich verlassen kannst. Dass ich mich auf dich verlassen kann, weiß ich bereits. Julian hat mir erzählt, dass wir dich bei der Überschwemmung um ein Haar verloren hätten. Es tut mir so entsetzlich Leid, dass ich dich und Jim in diesem Chaos allein gelassen habe.«

»Ich habe dir all deine Zuchtkühe gerettet.« Rosie gab sich Mühe, ihre Bitterkeit nicht durchklingen zu lassen.

»Das weiß ich. Julian hat mir erzählt, wie tapfer du warst und dass die Farm seither so präzise läuft wie ein Uhrwerk. Ich bin so stolz auf dich, und ich bin dir unglaublich dankbar.« Gerald holte Luft. In seinen Augen standen Tränen. »Und ich schäme mich. Nur weil ich so dumm und wütend war, habe ich dich von der Farmarbeit fern gehalten. Giddy hat mir das vor Augen geführt. Es tut mir Leid, Rosie. Ich liebe dich wie mein eigenes Kind. Das habe ich erkannt, als ich dich um ein Haar verloren hätte.«

Rosie lehnte sich zurück, auch ihr brannten die Augen. Giddy lächelte milde.

»Und was ist mit dir, Julian? Was meinst du zu der Entscheidung deines Vaters, Highgrove zwischen dir und Rosie aufzuteilen? Hast du das Gefühl, dass die Station dir allein zustehen sollte?«

»Nein! O Gott, nein!« Plötzlich war Julian hellwach. »Es ist nur, es ist ein Schock. Die ganze Geschichte. Damit ändert sich einfach alles, versteht ihr? Ich bin froh, dass Rosie die Hälfte bekommt, ehrlich. Aber ganz ehrlich …« Julian verzog das Gesicht, »ich bin noch nicht bereit, wieder heimzukommen.«

»Das macht nichts«, sagte Gerald. »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, um eine Entscheidung zu fällen. Ich weiß, dass ich dich immer unter Druck gesetzt habe. Lass dir Zeit. Wenn Rosie nichts dagegen hat? Du hast doch zusammen mit Jim die Sache im Griff, oder? Wenn du weiterhin die Station leitest, würde uns das eine Atempause geben, bis wir uns alle an die veränderte Situation gewöhnt haben. Was meinst du? Willst du es wagen, Rosie?«

Rosie nickte lächelnd, denn bei der Aussicht, Highgrove zu leiten, überlief sie eine Gänsehaut – vor Angst und vor Freude zugleich.


Als Rosie nach Highgrove zurückkehrte, stand Jim in seinen verblichenen Arbeitssachen auf dem Hof. Er schloss sie in die Arme und drückte sie an seine Brust. Sie atmete seinen Duft ein und spürte seine festen Muskeln unter ihren Händen.

»Ich habe dich vermisst«, sagte Rosie.

»Du warst nur eine Nacht weg«, wandte er lächelnd ein.

»Trotzdem …« Sie hatte die Neuigkeiten nicht am Telefon erzählen wollen, aber jetzt konnte sie es nicht mehr erwarten, ihm alles zu berichten.

»Und wie ist es gelaufen? Wann müssen wir raus?«

Rosie sah zu Boden und holte tief Luft, um es möglichst dramatisch zu machen.

»Niemals!«, jubelte sie dann. »Er will nicht verkaufen! Er überschreibt alles an Julian und mich!«

Sie hüpfte vor ihm auf und ab, ohne seine Hände loszulassen. Jim drückte sie und küsste sie, doch gleich darauf bremste er sie und sah sie ernst an.

»Bist du sicher, dass du das auf dich nehmen willst? Es ist ein harter, sehr harter Job. An der Schafzucht ist schon manch einer zerbrochen. Und es ist nicht so, als würde er dir eine Station mit gesunden Büchern, gesunden Böden und üppigen Weiden überlassen. «

Rosie sah Jim in die Augen.

»Natürlich bin ich sicher. Solange du hier bist, bin ich sicher.«

»Und welche Arbeit hast du heute für mich?«, fragte Jim.

»Können wir uns nicht einfach ins Bett legen? Ich habe eine anstrengende Fahrt hinter mir«, sagte Rosie unschuldig und schob dabei eine Hand unter sein Hemd, um seinen flachen, glatten Bauch zu streicheln.

»Kommt nicht in die Tüte!«, widersprach er und zog ihre Hand weg. »Wir haben viel zu viel zu tun.«

»Okay«, gab sie sich leicht schmollend geschlagen. »Aber versprich mir, dass du heute Abend mit mir ins Pub gehst.«

»Sorry, auch da hast du Pech«, sagte Jim. »Erst müssen wir hier den Laden auf Vordermann bringen. Und vergiss nicht, was du Duncan versprochen hast. Er will die Artikel für seine Zeitung so bald wie möglich haben. Abends musst du recherchieren. Und tagsüber die Station leiten. Da bleibt keine Zeit fürs Pub. Nur für die Arbeit und für die Recherche.«

»Kann ich nicht einfach dich recherchieren?« Ihre Hand stahl sich in die warme Mulde über seinem Hintern, und ihre Fingerspitzen wagten sich unter den Bund seiner Jeans vor. Wieder hielt er sie auf Armeslänge von sich weg.

»Arbeiten«, befahl er mit fester Stimme.

»Ach, du bist ein so strenger Boss«, sagte sie.

Jim rief sie mit einem weiteren tadelnden Blick zur Ordnung.

»Nein, Rosie. Du bist jetzt der Boss. Du musst lernen, Verantwortung zu tragen. Erst die Arbeit. Dann das Vergnügen.«

Rosie wusste, dass er Recht hatte. Wahrscheinlich war sie in ihrer Jugend tatsächlich verhätschelt worden. Jetzt wartete echte Arbeit auf sie. Knochenharte, zermürbende Arbeit, bei der die Ernte ausbleiben oder die rotbeinigen Termiten die Weiden verwüsten oder die Wollpreise auf die Hälfte des Vorjahres sinken konnten. Das Leben als Farmerin war fortan kein Spiel mehr.

»Ja. Ja, ich weiß. Danke«, sagte sie. »Aber erst muss ich Mum alles erzählen. Danach komme ich zu dir in den Maschinenschuppen. «

Rosie klopfte vorsichtig an die Tür zum Zimmer ihrer Mutter und drückte sie gleich danach auf. Ihre Mutter hatte ihre gesamte Abendrobe aus den Schränken geholt. Seidenröcke und Satinkleider lagen in farbenprächtigen Stapeln auf dem Bett.

»Du bist wieder da.« Margaret war gerade dabei, einen Pelzmantel zusammenzulegen und in einen Müllsack zu schieben. Jetzt sah sie auf.

»Was tust du da?«

»Ich will die Sachen nächste Woche nach Melbourne bringen und verkaufen. Ich dachte mir, wenn wir umziehen müssen, werde ich keinen Platz mehr dafür haben. Und außerdem brauchen wir das Geld.«

»Du brauchst nicht überzureagieren.«

»Nein«, widersprach Margaret. »Das tue ich nicht. Es wird höchste Zeit, dass ich vernünftig werde. Und wie geht es ihm?«

»Super.«

»Wirklich?«, fragte Margaret verletzt nach.

»Was soll ich denn sagen, Mum? Dass er schrecklich aussieht? Er sieht gut aus.«

»Ich verstehe. Und wann will er verkaufen?«

Rosie trat neben ihre Mutter und nahm ihr das Kleid aus der Hand, damit sie sich beruhigte und ihr zuhörte.

»Gar nicht.«

»Was? Ach, dann soll ich wohl ausziehen, damit er mit Giddy hier einziehen kann?« Ihre Wangen waren gerötet, und in ihren Augen standen Tränen.

»Nein, Mum! Hör auf, so ein Theater abzuziehen. Er überschreibt mir und Julian die Station… unter der Bedingung, dass wir für dich sorgen.« Margaret klappte der Mund auf.

»Aber du wirst dich einschränken müssen«, warnte Rosie und zielte dabei mit dem Finger auf sie. »Ich kann dir nicht den Lebensstandard bieten, den du gewohnt bist. Von jetzt an haben Julian und ich das Sagen.«

»Heißt das, dass ich hier bleiben kann?«, fragte Margaret ungläubig.

»Ja … aber ich würde dir trotzdem raten, deine Abendkleider zu verkaufen und meine gleich dazu. Ich habe unsere Bücher geprüft, wir stecken bis zum Hals in den roten Zahlen. Wenn wir nicht einiges ändern, können wir alles verlieren.«

»Natürlich«, sagte Margaret, der vor Erleichterung über Geralds Entscheidung beinahe die Beine wegknickten.

»Hör zu, du musst mir versprechen, dass du von jetzt an vernünftig mit unserem Geld umgehst.«

»Ja. Ja, natürlich werde ich das. Von jetzt an werde ich sparsam und vernünftig sein.« Dann umspielte ein Lächeln ihre Lippen. »Aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich mir nicht mehr wünschen werde, ich könnte ihm die Eier abschneiden.«

»Schon in Ordnung, Mum.« Rosie lachte. »Das kannst du dir so oft wünschen, wie du willst. Solange du mich da rauslässt.«


Jetzt, Monate später, richtete sich Rosie auf, mit Lämmerblut besprenkelt und todmüde, aber glücklich, das letzte Lamm markiert zu haben. Während sie und Jim den provisorischen Pferch zurück zu den Stallungen transportierten, freuten sie sich schon auf etwas Heißes zu trinken und auf ein warmes Essen. Rosie wusste, wie glücklich sie sich schätzen konnte, ihren Traum ausleben zu können. Sie schaute vom Fahrersitz zu Jim hinüber und lächelte. Auch er war ein einziger Traum. Nie griff er ungefragt ein und riss eine Aufgabe an sich. Trotzdem war er immer für sie da, teilte ihre Last, half und riet ihr, munterte sie auf, brachte sie zum Lachen und küsste ihre Sorgen weg.

Sie liebte die Abende an seiner Seite. Dann nahm er ihre Hände, beugte sich darüber, zog die Distelstacheln aus ihren Fingern und verpflasterte ihre Blasen. Sie machten sich Toast in seinem Quartier, tranken Bier und redeten bis tief in die Nacht. Die schönsten Zeiten aber waren vielleicht die Stunden, in denen sie die kleinen, rabaukenhaften Welpen trainierten. Sie waren inzwischen fünf Monate alt, und Rosie hatte beschlossen, den ganzen Wurf zu behalten und die Tiere erst als ausgebildete Hütehunde zu verkaufen. Wieder einmal musste sie an die allererste Lektion denken, die Jim ihr beim Training der winzigen, ungestümen Welpen erteilt hatte.

»Aber sie sind doch noch so klein«, hatte sie sich beklagt, während sie gleichzeitig einem Welpen ein rotes Halsband anlegte.

»Welpen sind nie zu jung zum Lernen, Rosie. Sie müssen erst gründlich Gehorsam lernen, bevor du sie auch nur in die Nähe eines Schafes lassen kannst.« Jim hatte neben ihr gekniet und einem zweiten Welpen das Halsband angelegt.

»Aber ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll!«

»Also, vielleicht damit, dass du ihnen einen Namen gibst. Du kannst einem Hund nicht beibringen, auf deine Befehle zu reagieren, solange er keinen eigenen Namen hat.«

»Mmmm. Namen? Na gut, dann denken wir uns welche aus. Aber nichts von diesem Bono- oder Björk-Quatsch, okay?«

»Du brauchst nicht so pinselig sein, was meine Qualitäten als Namensgeber angeht.«

»Pinselig? Was für ein Wort soll das denn sein? Ihr Iren mit euren komischen Worten und Namen! Wenn ihr eure Namen wenigstens so schreiben würdet, wie sie klingen… im Ernst, das ist doch lächerlich! Schau dir nur mal an, wie ihr einen Namen wie Siobhan und Grainne schreibt. Woher soll ein normaler Mensch wissen, wie man so was ausspricht?«

Sie verstummten nachdenklich.

»Ich weiß!«, rief Rosie plötzlich aus. »Ich könnte sie nach den berühmten Hunden nennen, die von Gleesons Kelpie abstammten! Die, von denen ich gelesen habe.«

Sie lief ins Quartier, kam mit einem Zettel wieder und fuhr die Zeilen mit dem Finger nach.

»Die beiden Hündinnen könnten Sally und Jess sein. Und die drei Rüden wären dann Clyde und Coil und – «

»Chester!«, ergänzte Jim.

»Perfekt!«, befand Rosie.

Und so wurden die Welpen getauft.