Kapitel 8

Die Sonne stand glühend rot am Himmel, als Rosie in ihrem neuen Pick-up über den Viehrost in den Garten auf der Vorderseite des Hauses fuhr. Der Falcon kam vor dem vornehmen Haupthaus zum Stehen und furzte, als sie den Motor abstellte, eine letzte knallblaue Rauchwolke in die Luft. Ihr Hochgefühl verpuffte ebenso. Sie atmete tief durch und stieg dann aus. Als sie das Haus betrat, beschlich sie eine düstere Vorahnung.

Vor der Küchentür blieb Rosie unschlüssig stehen. Dahinter hörte sie die aufgeregt flüsternden Stimmen ihrer Eltern. Sie konnten nur mit Mühe den Zorn zügeln, der von ihren Lippen schäumte.

»Wie konntest du nur?«, hörte Rosie ihre Mutter durch die zusammengebissenen Zähne zischen. Ihr Vater antwortete mit einem halblauten Murmeln. Rosie trat einen Schritt näher und legte das Ohr an die Tür.

»Du hast versprochen, dass du ihr das nie sagen würdest.«

»Du hast damit angefangen!«

»Das habe ich aber anders in Erinnerung«, widersprach Margaret eisig.

»Es ist doch gleich, wer schuld ist. Früher oder später muss sie die Wahrheit sowieso erfahren.«

»Sie hat noch nicht einmal den schlimmen Schock mit Sam verwunden!«

Rosie hielt es nicht länger aus. Sie zog die Tür auf und sah ihre Eltern an der Spüle stehen, ihre Mutter in einer geradezu lächerlichen Schürze mit Blumenmuster, ihr Vater mit der Brille auf der Nasenspitze. Beide Gesichter waren knallrot vor Zorn.

»Was für eine Wahrheit?«, fragte Rosie.

Sie erstarrten und sahen sie erschreckt an. Margaret löste ihre Schürze und zog sie über den Kopf. Gerald schob seine Brille nach oben.

»Ich habe versucht, mich damit abzufinden«, sagte er kopfschüttelnd und ging dabei zur Tür. »Aber das geht schon zu lange so. Es tut mir Leid, Rose.« Er warf Rosie einen Blick zu, aus dem sie nicht schlau wurde. »Von nun an musst du dich an deine Mutter wenden. Ich habe mit der Sache nichts mehr zu schaffen.«

»Schleich dich nicht wieder aus der Affäre!«, schrie Margaret ihm hinterher. »Komm zurück, und steh dazu!«

»Wozu soll ich stehen, Margaret?«, fragte Gerald von der Tür aus. »Es ist nicht an mir, ihr alles zu erzählen. Du hast das zu verantworten. Es war dein Fehltritt. Du musst die Konsequenzen tragen. «

Margaret begann zu zittern. »Bitte, bitte! Du musst mir helfen, ihr das zu erklären! Es geht nicht nur um mich, es geht um uns alle!«

Tränen rollten über ihre Wangen, und sie umklammerte das Geschirrtuch in ihren Händen so fest, dass ihre Knöchel weiß hervorstanden.

»Ich habe deinetwegen mein Leben lang genug auf Eis gelegt. Es reicht, Margaret. Hast du mich verstanden? Es reicht!«

Völlig verwirrt sah Rosie ihren Vater weggehen. Sie wandte sich wieder an ihre Mutter.

»Mum? Was ist denn los, verdammt noch mal?« Margaret schüttelte nur den Kopf und weinte noch hemmungsloser.

»Mum?« Angst lag in Rosies Stimme. In diesem Moment kam Julian in die Küche spaziert.

»Nettes Outfit«, meinte er mit Blick auf Rosies Teddybären-Shirt und die Trainingshose, die sie mit ihren Blundstone-Stiefeln gepaart hatte. Aber die gutmütige Ironie in seiner Stimme war wie weggeblasen, als er seine Mutter sah.

»Ist alles okay, Mum?«

Margaret konnte nur hilflos den Kopf schütteln.

»Mum hat mir etwas zu sagen, Julian«, erklärte ihm Rosie, »und sie wird es mir jetzt sagen!« Ein Beben hatte sich in ihre Stimme geschlichen, trotzdem machte sie einen Schritt auf ihre Mutter zu, nahm sie bei den Schultern und sah ihr in die Augen.

»Es tut mir so Leid«, schluchzte Margaret. »Es tut mir so schrecklich Leid. Es war ein Fehler. Es war nur ein dummer Fehler. Ich wollte das nicht.«

»Herr Gott noch mal, Mum, sag es endlich!«

»Gerald ist nicht dein richtiger Vater«, platzte es aus Margaret heraus.

Rosie blinzelte. In ihrem Geist blitzte ein Regalfach voller verstaubter Bücher im Arbeitszimmer auf. Sie enthielten die Zuchtaufzeichnungen der Highgrove Station. Ihr Großvater hatte einst die Bücher vor ihr ausgelegt, und sie hatte mit ihren kleinen Fingern die Abstammungslinien der Stiere und Hammel nachgefahren. Dann hatte er das Ritual mit einem alten Familienstammbuch wiederholt. So hatte sie den Stammbaum ihrer Familie von den Wurzeln in Schottland bis zu jenem Punkt nachvollzogen, an dem ihr eigener Name stand. Rosemary Margaret Highgrove-Jones … Tochter von Gerald und Margaret.

Plötzlich fühlte sie sich wie eine Schiffbrüchige auf hoher See. Das Tau, das sie bis jetzt mit einem stolzen, mächtigen Schiff verbunden hatte, war gekappt, und sie wurde abgetrieben. Mutterseelenallein. Sie schluckte ihre Übelkeit hinunter. Inmitten des Chaos in ihrem Kopf fühlte Rosie eine mächtige Frage aus den Wogen auftauchen. Wer dann? Wer ist dann mein Vater? Sie war wie gelähmt. Sie konnte sich nicht mehr rühren, sie spürte nicht einmal Julians Hand auf ihrer Schulter. Sie sah nur noch die rot geränderten Augen ihrer Mutter, aus denen Tränen über Tränen strömten. Rosie sah ihre Mutter an und schluckte mühsam.

»Und wer ist mein Vater?«

»Das weiß ich nicht«, schluchzte Margaret.

»Das weißt du nicht?« Rosie glaubte sich verhört zu haben.

Margaret schüttelte den Kopf und kniff mit aller Macht die Augen zu. »Es hatte nichts zu bedeuten! Gar nichts! Es war nur ein Unfall. Ich kann nicht darüber sprechen, Rosemary. Das wird mir zu viel.«

»Aber Mum!«

»Es tut mir Leid! Das wird mir zu viel! Erst muss ich Gerald finden!«

Margaret floh aus dem Zimmer. Wie versteinert sah Rosie Julian an. Sie las Mitleid und gleichzeitig tiefe Angst in seinem Gesicht. Er breitete die Arme aus, um sie zu trösten, aber sie stieß ihn zurück.

»Nein!«, sagte sie. »Lass mich in Ruhe!« Sie hielt es keine Sekunde länger in diesem Haus aus.


Rosies Schädel pochte, als sie das schwere Eichentor an den Ställen zuzog und Atem schöpfte. Die Felle der Tiere glänzten unter der Stallbeleuchtung. Die Hunde schnüffelten an ihren Hosenbeinen, als sie sich zwischen ihnen niederließ.

»Hallo«, sagte sie mit Tränen in den Augen, während sie mit den Fingern über die schlanken Rücken strich. »Erst mache ich eure Box sauber, dann bringe ich euch was zu essen. Und morgen früh machen wir einen Ausflug.«

Die Hunde stellten die Ohren auf und blickten schwanzwedelnd zur Stalltür.

»Jetzt nicht«, vertröstete Rosie sie mit belegter Stimme. »Ihr müsst noch warten.« Beim Wort »Warten« hörten die Ruten wie auf Kommando auf zu wedeln.

Die Gefühle drohten sie zu überwältigen. Sam hatte seine Hunde exzellent ausgebildet. Sie wünschte, er wäre jetzt bei ihr und würde ihr sagen, was sie tun sollte. Dann spürte sie einen schmerzlichen Stich, weil ihr klar wurde, dass ihn das Geständnis ihrer Mutter schwer getroffen hätte. Sie schluckte ihre Tränen hinunter und kämpfte gegen ihre Angst an. Sie musste stark bleiben.

Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf Sams Tiere. Sie brauchten sie. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Um die Pferde zu füttern, würde sie zu ihnen in die Boxen müssen, vor dieser Vorstellung graute ihr. Das waren nicht die zotteligen Ponys, mit denen sie im Pony-Club gespielt hatte. Ihr Blick wanderte zu den großen Pferden in ihren Boxen hinüber. Wenn nur jemand da gewesen wäre, um ihr zu helfen, aber ihr Vater hatte erst diesen Monat den letzten Stallarbeiter entlassen. Und zwar nachdem ihre Mutter verkündet hatte, dass der Stallbursche keine fremden Frauen aus der Stadt auf ihre Station mitbringen dürfe.

Puh, dachte Rosie jetzt, ihre Mutter hatte gut reden. Rosie musste daran denken, wie der Stallarbeiter Margaret angesehen hatte, die sich kerzengerade, hoheitsvoll und stolz vor ihm aufgebaut hatte. Sie sah von Kopf bis Fuß nach einer Großgrundbesitzerin aus und gab ihr Bestes, ihn spüren zu lassen, dass er nur ein einfacher Tagelöhner war. Aber dieser Kerl hatte schon öfter mit Frauen wie ihr zu tun gehabt und ihr genüsslich erklärt, dass es sie einen feuchten Dreck anging, was er in seiner Freizeit mit fremden Frauen anstellte. Dann hatte er mit einem gehässigen Grinsen gesagt: »Wenn Sie mich fragen, sind Sie nur eifersüchtig, Mrs H-J. Bringt es Ihr Alter nicht mehr, oder was?«

Danach hatte Gerald kaum noch eine Wahl gehabt, und so hatte ein weiterer Arbeiter seine Sachen zusammengepackt und war zum letzten Mal von der Highgrove Station weggefahren.

Rosie trat an die Futterschütten am Ende des Stalls. Sie hob die schweren Klappen an, schaute in jede hinein und rätselte, welches Getreide wohl in welcher Schütte lag und welche Spreu wohin gehörte.

»Bring es einfach hinter dich, Rosie«, ermahnte sie sich ärgerlich und ließ gleich darauf mit einem Aufschrei die Klappe fallen, weil eine Maus über ihren Handrücken gehuscht war. Rosie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und beugte sich mit eiserner Entschlossenheit in die Schütten. Sobald die Pferde hörten, dass Getreide in die Futtereimer geschaufelt wurde, begannen sie, aufgeregt zu wiehern.

»Ich komme schon! Ich komme schon!«

Sie schleifte die Eimer zu den Boxen und trat zuerst in Oakwoods. Er drehte den Kopf, um an dem Plastikeimer zu schnüffeln, und warf dann den Kopf auf und ab, als wollte er sagen: »Beeil dich!« Rose gab ihm sein Fressen und streichelte anschließend seinen langen, geschmeidigen Hals. Ihr Puls normalisierte sich spürbar, während sie ihm zuschaute, wie er zufrieden seine Spreu kaute. Vor Oakwood brauchte sie keine Angst zu haben, erkannte sie. Er war ein sanftmütiges Tier und geriet nur vor einem Rennen in Wallung, aber das tat jedes Pferd.

In der nächsten Box streichelte Rosie die goldene Fuchsstute beim Fressen. Sie fuhr mit den Händen sanft über den angeschwollenen Bauch, weil sie zu spüren hoffte, wie sich das Fohlen darin regte. Die Stute ignorierte sie und kaute stoisch weiter, bis Rosie über eine Stelle oberhalb des Schweifes strich. In diesem Moment lehnte sich die Stute in ihre Hand, woraufhin Rosie sie fester zu kraulen begann. Ihr fiel wieder ein, wie gern es Julians Pony Trixie gehabt hatte, wenn man ihr das Gesicht kratzte. Rosie schrubbte eine Weile den Rumpf der Stute und versuchte, sich gleichzeitig ihren Namen ins Gedächtnis zu rufen. Sam hatte ihr beim Tennis von seiner neuen Zuchtstute aus dem Hunter Valley erzählt. Wie hieß sie noch? Rosie versuchte, das Bild von Sams sexy Mund heraufzubeschwören und ihn den Namen aussprechen zu lassen. Sally? Nein. Sassy? Ja, genau. Jetzt war sie sicher.

»Sassy«, wiederholte sie laut und brach im nächsten Moment in Tränen aus. Lange blieb sie so stehen, die Arme um den Hals der Stute geschlungen, während vor ihrem inneren Auge Szenen vorbeiflogen, die sie mit Gerald erlebt hatte. Wie er sie angeschrien hatte. Sie ignoriert hatte. Sie verächtlich angesehen hatte. Plötzlich bekam alles einen Sinn.

Rosie ging nach draußen und schaute über den Hof auf das Haupthaus. Am einen Ende konnte sie Licht sehen. Bestimmt saß Gerald im Wohnzimmer, las Zeitung oder döste vor dem Fernseher. So als wäre überhaupt nichts passiert. Ihre Mutter hatte mit Sicherheit ihre Tränen hinuntergeschluckt und scheuerte wütend eine Vase oder einen Edelstahltopf aus, um ihrem Zorn Luft zu machen. Julian war bestimmt in seinem Zimmer, hatte die Kopfhörer auf und las ein Buch oder hörte Radio National. Rosies Blick wanderte hoch zum Obergeschoss. In ihrem Zimmer brannte Licht. Aber niemand saß im Fenster und schaute in den Hof hinunter. Das Fensterbrett war leer, das Mädchen war nicht mehr da.


Erschöpft legte sich Rosie in der Arbeiterunterkunft auf eine alte, gestreifte Matratze. Die Nacht war warm, aber sie zog dennoch die Beine an die Brust und umschlang sie mit den Armen. Sie schaute sich um. Der Schlafraum war ein angenehmer Ort, auch wenn er verstaubt und leer geräumt war. Er roch leicht nach Moschus, er roch nach Männern. Richtigen Männern, die in Staub und Schmutz schufteten. Männern, die schwitzten und Hammelfleisch aßen und sich den Mund mit dem Ärmel abwischten, die aus Emailbechern tranken und den Zucker und die Teeblätter am Boden kreiseln ließen.

Rosie hatte die Viehtreiber immer gebannt und fasziniert beobachtet und sie um ihre Freiheit beneidet. Wie gern hätte auch sie den ganzen Tag im Freien gearbeitet, bis sie verschwitzt, verschmiert und todmüde war. Und zum Ausgleich hätte sie dann ein großes, herzhaftes Mahl verschlungen, das sie mit Bier hinunterspülte. Nach langen Stunden des Zäuneflickens, Viehtreibens oder anderer Hilfsarbeiten hätte sie die übersäuerten Muskeln geduscht, glücklich, dass der Tag geschafft war. So wollte sie leben. Schon immer wollte sie eine von ihnen sein.

Vor der Tür der Unterkunft hörte sie ein Pferd schnauben und scharren. Dann klopfte jemand an die Tür.

»Rose?« Julian streckte den Kopf ins Zimmer.

Sie rollte sich zu einem Ball zusammen.

»Geh weg!«

»Ist alles in Ordnung?«

Rosie antwortete nicht. Julian kam herein und setzte sich auf die Bettkante. »Dad hat mich gebeten, rüberzukommen und nach dir zu sehen. Um sicherzugehen, dass du okay bist.«

Zorn kochte in ihr hoch. Er war nicht ihr Dad. Warum war ihre Mutter nicht gekommen? Als hätte Julian ihre Gedanken gelesen, fuhr er fort:

»Mum hat ein paar Tabletten genommen. Damit sie schlafen kann. Du weißt, wie sie sich immer aufregt.«

Rosie presste das Kissen auf ihren Kopf.

»Komm schon, Rosie«, bettelte Julian sie an. »Komm wieder ins Haus. Bitte?« Er zog an ihrem Arm, aber sie wand sich aus seinem Griff.

»Nein! Auf keinen Fall gehe ich da wieder rein!«

»Hör zu, ich weiß nicht, ob es dir hilft, aber ich bin genauso geschockt. Ich möchte auch nicht mit den beiden in einem Haus sein.«

»Aber du bist Dads goldener Junge. Jetzt erst recht.« Rosie setzte sich auf.

»Ach, Rosie, wenn du wüsstest.« Plötzlich klang Julian todmüde. »Wie oft ich ihm am liebsten eins über den Schädel gezogen hätte und wie oft ich Mum gern erklärt hätte, was sie sich alles wohin schieben kann. Ich weiß wirklich nicht, warum ich diese Scheiße so lange mitgemacht habe. Und jetzt, nach dieser frohen Kunde, dass Mum einen Fehltritt hatte und du … also, das ist total seltsam.« Er verstummte und sagte nach einer Weile leise: »Es tut mir Leid, dass sie dir so wehgetan haben.«

Rosie begann wieder zu weinen, und Julian zog sie an seine Brust. Er hielt sie fest, während Rosie allmählich begriff, welche Konsequenzen die Eröffnung ihrer Mutter hatte.

Nach einer Weile wischte sie sich die Augen trocken und sah zu Julian auf.

»Hilfst du mir, von hier wegzugehen?«, fragte sie.

»Aber sicher. Wohin denn? Auch egal. Du brauchst es nur zu sagen.«

»Auf die Farm. Hierher. Ich möchte von jetzt an hier wohnen. «

»Na dann komm.« Julian zog sie vom Bett hoch. Sie schlichen ins Haus, behutsam über alle knarrenden Dielen hinwegsteigend. Gemeinsam stopften sie Rosies Habseligkeiten in einen Rucksack, sammelten Handtücher und Bettzeug zusammen und schlichen, zusätzlich beladen mit Duncans Bücherkiste, die Treppe wieder hinunter.

Während der alte Wasserkessel in der Ecke der Unterkunft klapperte, spülte Julian die angeschlagenen Emailbecher aus. Rosie schüttelte die Kissen auf und stellte den Wecker auf den Nachttisch.

»Bitte sehr«, sagte Julian und reichte ihr einen Becher mit gezuckertem Tee. »Ich habe noch einen Schuss Rum reingegeben, den ich aus Mums Schnapsschrank abgezweigt habe. Sie wird ihn nicht vermissen.«

»Danke«, sagte Rosie, nahm die Tasse und setzte sich damit an den Küchentisch.

»Geht es wieder?«, fragte Julian.

»Sicher, es wird schon gehen. Und was ist mit dir?«

»Mir geht es gut. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir … du weißt schon… warum sie immer so verkniffen sind. Ich dachte immer, das wäre eben so, wenn man verheiratet ist. Aber zwischen den beiden liegt schon seit langem manches im Argen.«

»Gehst du wieder rein?«, fragte Rosie. »Oder willst du hier unten auf einem Schlafsack oder so schlafen?«

Julian schüttelte den Kopf.

»Ich kann damit umgehen. Ich habe eigene Pläne. Du wirst schon sehen.«

Rosie lächelte. »Dann sehen wir uns morgen bei der Arbeit.«

»Hundertprozentig«, bestätigte Julian. »Du könntest mit Oakwood rausreiten und nach der Herde sehen. Das wäre mir eine echte Hilfe.« Dann lächelte er sie liebevoll an und verschwand in der Nacht.

Die Vorstellung, auf Oakwood zu reiten, machte Rosie Angst. Sie vergrub sie tief in ihrem Inneren, gleich neben dem Entsetzen über die Entdeckung, dass Gerald nicht ihr leiblicher Vater war. Stattdessen fasste sie in Duncans Geschichtsbücherkiste.

Rosie setzte sich an den alten Küchentisch in der Arbeiterunterkunft mit den eingeschnitzten Namen von Arbeitern aus längst vergangener Zeit, um zu lesen. Sie versuchte nach Kräften, sich in der Geschichte zu verlieren, die in diesen Seiten enthalten war. Im Moment war es wesentlich besser, das Leben anderer Menschen auszuforschen, als sich mit ihrem eigenen zu beschäftigen.