Kapitel 20

Durchnässt und bibbernd erreichten Jim und Rosie die Stallungen. Mit eisigen, steifen Fingern fummelten sie an den nassen, steifen Gurten herum, um die Pferde so schnell wie möglich abzusatteln.

Endlich waren die Pferde für die Nacht in ihren Boxen untergebracht. Jim stand neben Rosie vor der Stalltür, hielt ihre Hände und sah sie an.

»Und du bist ganz bestimmt okay?«

»Ganz sicher«, antwortete sie lächelnd, aber immer noch zitternd.

Der Regen wehte wie eine halb durchsichtige Gardine vor den Laternen im Hof. Er fiel nicht in dicken, schweren Tropfen, sondern in einem dichten Schleier, der mit einem tröstlich klingenden Rauschen auf dem Blechdach der Stallungen landete. Es war so lange trocken gewesen, dass Rosie beim Gurgeln des ablaufenden Wassers in den Regenrinnen und dem leisen Trommeln auf den Fensterscheiben das Herz höher schlug. Der Regen durchspülte sie mit einer tiefen Ruhe. Sie schaute zu Jim auf. Wenn so wie jetzt kleine Tropfen aus den eingeringelten Spitzen seiner nassen Haare auf seine Wangen sickerten, sah er einfach unwiderstehlich aus. Das Hemd klebte ihm am Körper, und die dunklen Wimpern umrahmten seine Augen, Augen, aus denen der Himmel an einem strahlenden Sonnentag leuchtete. Sie legte die Arme um seinen Hals und ließ ihre Zunge in einem gierigen Kuss in die Wärme seines Mundes gleiten. Bald gab es für Rosie nichts mehr außer dem Rauschen des Regens und der Wärme von Jims Mund.

Sie nahm Jims Hand in ihre.

»Komm mit«, sagte sie und führte ihn in das Quartier und dort in die winzige Dusche. Sie drehte die Dusche bis zum Anschlag auf. »Ich brauche deine Körperwärme, du wirst dich also ganz ausziehen müssen, um mich aufzuwärmen«, erklärte sie ihm frech.

»Ach ja, wirklich?«

Im wabernden heißen Dampf und immer noch küssend begann sie, ihm die nassen Sachen vom Leib zu schälen, und entblößte glatte, goldene Haut, die nur selten die Sonne sah.

Sie fuhr mit den kalten Fingerspitzen über die breiten Schultern und knetete die Muskeln in seinen kräftigen Armen. Sie legte eine Spur von Küssen über seinen Hals und seine Brust. Jim löste die Schnalle seines Gürtels und zerrte die Jeans von seinen Beinen. Bald standen sie einander nackt gegenüber und traten, gleichzeitig nach Luft schnappend, unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselte auf ihre ausgekühlte Haut. Arme und Beine umschlangen sich in einer nassen, wärmenden Umarmung, und ein Kuss ging in den nächsten über. Jim verrieb Seife auf Rosies Leib, bis sie in einer glänzend weißen Schaumschicht vor ihm stand.

»Du bist so wunderschön«, flüsterte er.

»Ins Bett, lass uns ins Bett gehen«, murmelte sie, als sie ihren Mund von seinem gelöst hatte. Sie rubbelten sich gegenseitig mit kratzigen, frisch gewaschenen Handtüchern die vom heißen Wasser gerötete Haut trocken.

»Ich wollte das schon machen, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, genau hier in diesem Bett«, gestand Jim.

Rosie zog ihn mit nach unten, wo sie sich von neuem küssten, lang und innig, während sie sich gegenseitig mit den Fingern erforschten. Jim schien keine Eile zu haben, ihren Körper kennen zu lernen. Rosie glaubte vor Lust fast zu platzen. Draußen rauschte immer noch der Regen aufs Dach, und sie merkte, wie das tröstliche Geräusch über sie hinwegschwemmte. Ihre zögerlichen Küsse gewannen an Lust, und bald raste die Leidenschaft durch ihre Adern wie das Wasser durch die ausgetrockneten Flussbetten, die heute Nacht zu frischem Leben erwacht waren.

So intensiv war ihr Erlebnis, dass sie gar keine Zeit für die typische Erste-Nacht-Nervosität oder Schüchternheit hatten. Rosie streckte den Rücken durch und wand sich unter ihm, weil sie es kaum mehr erwarten konnte, ihn in sich zu spüren. Das Toben des Sturms hörte sich an, als würde ein Güterzug über die Stallungen und das Haupthaus hinwegbrausen. Ein ohrenbetäubender, grollender Donner ließ das Blechdach erbeben und vibrierte durch ihre Körper. Für einen Sekundenbruchteil erhellte ein gleißender Blitz den Raum. Die Blitze zeigten zwei Liebende, die einander hemmungslos und wie von Sinnen ritten. Die Luft war mit der Energie des Gewitters aufgeladen und entführte Jim und Rosie an einen anderen Ort. Sie gehörten nicht mehr in diese Welt, in diese Zeit. In einer Sphäre reiner Lust schwebend, vergaßen sie alles um sich herum. In diesem Augenblick gab es nur noch sie und ihre Leidenschaft und das Ungestüm der Natur. Nichts anderes zählte.


Am Morgen versteckte sich die Sonne schmollend hinter einer dicken grauen Wolkenwand, die alles in ein trübes Licht tauchte. Die Eukalyptusblätter hingen voll gesogen an den Zweigen, ließen den Regen an die Blattspitzen gleiten und in dicken Tropfen auf den Boden fallen. Fette Kookaburras flatterten von den Zaunpfosten und zerrten Würmer aus dem nassen Boden. Mit ihrem aufgeplusterten Federkleid, mit dem sie den Regen abhielten, sahen die Vögel aus wie kleine dicke Damen im Pelzmantel bei einem eleganten Abendessen. Auf der niedrigen Weide, wo das Gras allem Anschein nach über Nacht zu sprießen begonnen hatte, stolzierten Papageien umher und suchten nach Insekten. Sie tranken frisches Regenwasser aus den klaren Pfützen und hüpften wie tanzend im Regen herum. Die leuchtend grünen und roten Gefieder waren vom Regen sauber gewaschen und setzten strahlend bunte Farbtupfer in diesen düsteren, grauen Tag.

Im Quartier bekamen Jim und Rosie nichts von diesem Naturschauspiel mit. Kein Sonnenstrahl hatte sich durchs Fenster hereingeschlichen, um sie zu wecken. Der düstere Tag hatte sie friedlich bis in den Morgen hinein und bis weit nach sieben Uhr schlafen lassen.

Wenig später erwachte Rosie durch das unablässige Läuten des Telefons. Die Außenklingel schallte über den leeren Hof. Rosie küsste Jims Schulter. Er lächelte verschlafen.

»Kannst du nicht deine Mum drangehen lassen?«

»Ich muss sowieso nach ihr sehen.«

Rosie schlüpfte aus dem Bett und zog sich an. Als das Telefon nicht aufhören wollte zu klingeln, begann sie sich Sorgen zu machen. Wo blieb ihre Mutter?

Erst als Rosie ins Haus lief, erstarb das Klingeln.

»Typisch«, sagte sie, weil sie an Jim und sein warmes Bett denken musste.

In der Küche war niemand. In der Spüle stapelte sich das schmutzige Geschirr, und auf dem Tisch standen mehrere halb leere Kaffeetassen. Der Lavendel, den ihre Mutter letzte Woche gepflückt hatte, stand schlaff und halb verwelkt in seiner Vase.

»Mum?«, rief Rosie. Keine Antwort. Im Flur rief sie noch einmal, diesmal lauter: »Mum!« Aber das riesige Haus lag in tiefem Schweigen. Sie stieg die Treppe hoch und ging den Flur bis zum Ende, wo sie rechts zaghaft an die Tür des Elternschlafzimmers klopfte. Kleider hingen halb aus dem großen Ebenholzschrank, als hätte er plötzlich niesen müssen. Die goldene Uhr auf dem Kaminsims läutete wichtigtuerisch vor sich hin. Rosie sah ihre Mutter unter einer verknüllten Tagesdecke liegen.

»Mum?« Unsicher trat sie einen Schritt vor. Neben dem Bett lagen einige Tabletten verstreut, die ihre Mutter verschrieben bekam. Rosies Herz setzte vor Schreck aus. Ängstlich hob sie die Decke an und warf einen Blick darunter.

Bleich und mit verquollenen Augen sah Margaret zu ihr auf.

»Ich weiß genau, was du jetzt denkst«, sagte sie heiser. »Aber das stimmt nicht. Ich habe nichts Dummes angestellt. Nur ein bisschen zu viel getrunken.« Dann begann das Telefon wieder zu läuten. »Gehst du bitte für mich dran, Liebes?«

»Sicher.« Rosie tätschelte ihrer Mutter die Schulter und wandte sich ab …

»Rosie. Es tut mir Leid«, sagte Margaret leise, aber Rosie war bereits in den Flur zurückgelaufen. Sie wollte eben nach unten eilen, als sie einen Zettel unter ihrer Zimmertür liegen sah. Obwohl das Telefon immer noch nervtötend bimmelte, hob sie ihn auf. Hastig überflog Rosie Geralds korrekte Handschrift.

»Liebe Rosie. Ihr werdet ein paar Tage allein zurechtkommen müssen. Ich rufe so bald wie möglich an. Bitte verzeih mir.«

Unterzeichnet hatte er die Nachricht mit einem G und einem X, das für einen Kuss stand. Ohne dem schmerzhaften Stich nachzugeben, den Geralds Flucht ihr versetzte, stopfte Rosie die Nachricht in die Tasche und rannte nach unten, um ans Telefon zu gehen.

»Hallo?«

»Bist du es, Margaret?«, hörte sie eine Männerstimme am anderen Ende.

»Nein. Hier ist Rosie.«

»Ach so, Rosie. Ich bin’s, Marcus Chillcott-Clark.«

»Hi. Wie geht es dir?«

»Hör zu, ich wollte nur sichergehen, dass ihr das Fax bekommen habt.«

»Das Fax?«

»Es droht eine Überschwemmung. Eine schwere. Ich muss sofort los, meine Herden verlegen. Dein Vater muss das auch machen. Können wir ein andermal plaudern? Bis dann«, und damit hatte er aufgelegt.


Schon wieder vom Regen durchnässt, stand Rosie im Quartier. Jims Gesicht hellte sich auf, als er sie sah.

»Hallo noch mal«, sagte er.

»Dieses Fax ist eben reingekommen«, sagte sie und streckte es ihm hin. »Flussaufwärts ist der Pegel über Nacht um hundertfünfzig Millimeter gestiegen. Es wird vor einer Flut gewarnt. Auf allen unseren Flussweiden stehen Tiere. Was sollen wir jetzt machen? «

»Wie viel Zeit bleibt uns nach so einem Regen?«, fragte Jim und nahm ihr das Fax aus der Hand. Rosie schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nicht. Ich war noch nie – «

»Könnte es deine Mum wissen?«

Wütend auf sich und auf Margaret, weil sie sich nie für diese Dinge interessiert hatten, schüttelte Rosie den Kopf.

»Hast du Geralds Nummer? Er kann es uns bestimmt sagen.«

Rosie zuckte mit den Achseln. »Er hat mir nur einen Zettel hinterlassen, dass er sich melden wird. Aber ich kann es bei Giddy probieren und dann wieder herkommen.«

Sie drehte sich um und lief los.

»Schiet«, sagte Jim im Aufstehen und stieg in seine Kleider. Auf diese Art von Drama konnte er wahrhaftig verzichten. Aber er hatte im Kimberley River Country schon mehrere Überschwemmungen erlebt. Er hatte aufgeblähte Rinder gesehen, die mit entsetzt aufgerissenen Augen wie Treibgut in den Zäunen hingen. Er würde nicht zulassen, dass es den Rindern, die jetzt auf den ebenen Weiden der Highgroves grasten, ebenso erging. Nicht wenn er etwas dagegen unternehmen konnte. Also griff er nach seinem Mantel und Hut und ging in den Stall. Wenig später war Rosie zurück.

»Hab’ ihn nicht erwischt«, war ihre Auskunft.

»Und deine Mum? Hast du der erzählt, was uns bevorsteht?«

»Die schläft tief und fest. Aber ich habe ihr einen Zettel geschrieben«, sagte sie und zog gleichzeitig die Schnalle an Oakwoods Zaumzeug zu.

»Auf jeden Fall müssen wir uns beeilen«, sagte Jim. »Du nimmst das Auto und holst die Jungschafe von den eingezäunten Weiden direkt am Fluss. Treib sie fürs Erste hier hoch zu den Stallungen. Aber bleib auf den Wegen, okay? Ich bringe solange die Hammel vom hinteren Weideland auf den großen Hügel.«

»Und die Kühe und Kälber?«, fragte Rosie. »Die weiden alle am anderen Ufer im Cattleyard Swamp, oder?«

Jim legte die Stirn in Falten und überlegte.

»Wir müssen rüber und das Gatter öffnen, damit sie sich auf das Weideland oben im Busch zurückziehen können. Andernfalls werden sie mit Sicherheit ertrinken. Für den Pick-up ist es dort zu sumpfig. Ich führe Oakwood hin und warte an Murphy’s Gate auf dich.«

»In Ordnung«, sagte Rosie und versuchte, sich dabei ins Gedächtnis zu rufen, welches Gatter Murphys Gate war. Sie wünschte, sie hätte mehr darauf geachtet, welches Tor wie hieß.

Jim legte den Sattelgurt straff um den Bauch der Stute. Dann schnallte er zwei lederne Satteltaschen an die Messingringe an seinem Sattel. Er hatte es sich zur festen Gewohnheit gemacht, stets seine Satteltaschen mitzunehmen, selbst wenn er nur einen winzigen Auftrag zu erledigen hatte. Sie waren mit Notverpflegung, Streichhölzern, Papier, Zucker, Süßigkeiten und einem kleinen Erste-Hilfe-Kasten bepackt. Auch wenn ihm der Western Distrikt nach den Jahren im zerklüfteten, roten Nordwesten Australiens zahm vorkam, fühlte er sich so sicher.

Nachdem er die Stalltüren aufgestoßen hatte, führte er die Pferde in den Regen hinaus. Seine Stute und Oakwood folgten mit angelegten Ohren, sobald sie die ersten kalten Tropfen auf ihrem warmen, trockenen Rumpf spürten.