Kapitel 23

Rosie lenkte Oakwood mit einem Schenkeldruck durch das flache Wasser auf der Wiese auf die Kühe und Kälber zu. Gibbo und Diesel standen abwartend auf dem trockenen Uferstreifen und schauten ihr nach, die Schwänze zwischen die Hinterbeine geklemmt und ängstlich jaulend. Aber ihre Treue trieb sie schließlich doch dazu, sich ins Wasser zu wagen und ihrer Herrin zu folgen.

Bislang hatte Rosie ihre Hunde nur auf trockenen Weiden arbeiten lassen. Die Schafe bewegten sich, wenn die Hunde es geschickt anstellten, in einer kompakten, flüssigen Herde. Sie war überrascht, wie schwer es war, die Kühe und Kälber auf den überfluteten Weiden zusammenzuhalten. Die Rinder scheuten vor jedem Ablaufkanal zurück und blieben immer wieder störrisch stehen. Sie weigerten sich, in der Herde zu bleiben, und rannten lieber ihren Kälbern hinterher. Einige Kühe machten sogar kehrt und griffen die Hunde an.

Rosie begriff bald, dass sie schneller vorgehen und dichter an die Rinder heranreiten musste, wenn sie die Herde auf sicheres Gelände schaffen wollte. Die Schenkel mit aller Kraft um Oakwoods nackten Rücken gespannt, drängte sie den Wallach vorwärts. Als sich ihnen eine Kuh aufgebracht entgegenstellte, trat Oakwoods Instinkt in Aktion. Rosie rutschte auf seinem Rücken zurück und packte eine Faust voll Mähne, während die Treiberpferd-Gene in ihm durchschlugen. Er stellte sich vor das Tier und reagierte auf jede Bewegung der Kuh. Die Beine unablässig in Bewegung, tänzelte er vor ihr hin und her, bis er sie zum Rest der Herde zurückgedrängt hatte. Rosie überließ Oakwood das Arbeiten. Sie vertraute ihm. Sie ermutigte ihn. Ab und zu verlor sie den Halt, rutschte von seinem Rücken und landete schmerzhaft auf dem Boden, der unter dem flachen Wasser lag, aber er blieb immer gleich stehen und wartete geduldig, bis sie wieder aufgesessen war.

Auch die Hunde schienen den Ernst der Situation zu begreifen und zeigten, was sie konnten. Diesel und Gibbo gaben alles, um die Leitkühe und Kälber durch das Wasser zu treiben, das sich in rasendem Tempo auf der flachen Weide ausbreitete. Manchmal brüllten die wütenden Kühe, die ihre Kälber beschützen wollten, die Hunde an oder stürmten mit gesenktem Kopf und spitzen Hörnern auf sie zu. Dann schlossen sich die Kelpies zusammen und schnappten mit lautem Gebell nach den offenen, muhenden Kuhmäulern. Ein leichter Biss in die Wade, gefolgt von einem sofortigen Rückzug, um nicht getreten zu werden, brachte jede abtrünnige Kuh in die Herde zurück.

So arbeiteten sie eine volle Stunde lang, wobei sie ganz langsam höher gelegenes Gelände erreichten, getrieben vom schrecklichen Tosen des immer noch ansteigenden Flusses. Die Kühe wateten durch die Ablaufkanäle und stiegen auf der anderen Seite wieder aus dem Wasser, immer dem Buschland entgegen, das hinter dem Zaun wucherte. Statt der Stachelbinsen wuchsen hier niedrige Ti-Trees und Gebüsch und hinter dem Zaun hohe Eukalyptusbäume.

Rosie blickte zurück. Es sah aus, als hätte das Wasser alles, was einst Land gewesen war, mit einem silbernen Leichentuch zugedeckt. Oakwood schnaufte, und aus seinem Fell stieg Dampf auf, während die Kühe rastlos muhten und ihre Kälber bei sich zu halten suchten. Die Hunde standen hechelnd im Regen. Rosie hatte es zwar geschafft, die Rinder wegzubringen, aber sie selbst saß nun auf der falschen Seite des Flusses fest – und sie hatte immer noch keine Ahnung, wo Jim steckte. Sie merkte, wie ihr die Wut auf Gerald hochkam, dessen Stimme in ihrem Kopf tönte: »Weißt du nicht, dass diese Rinder in direkter Linie von dem ersten Crondstadt-Hereford-Stier abstammen, der aus Herefordshire importiert wurde?« Und wenn schon, dachte Rosie. Diese Rinder hätten sie beinahe das Leben gekostet, und jetzt hatten sie mit Sicherheit Jim das seine gekostet.

Rosie schlotterte. Ihr war klar, dass sie einen trockenen Platz für sich und die Tiere finden musste.

»Wo ist das Gatter?«, fragte Rosie Oakwood. Die Rinder marschierten bereits am Zaun entlang.

Im Geist hörte sie Jims Stimme: »Lass dich von den Tieren leiten«, und so rief sie die Hunde zu sich und begann, der Herde zu folgen. Die Leitkühe wanderten in gemessenem Tempo dahin, und bei jedem Schritt schwankten ihre roten Ohren vor und zurück. Rosies Füße brannten, und ihre Beine wurden allmählich taub. Sie wackelte mit den Zehen in den nassen Socken und wurde augenblicklich von glühend heißen Nadelstichen gepeinigt.

Als die letzte Kuh durch das Gatter am Busch getrottet war, wendete Rosie Oakwood noch einmal zum Fluss hin. Sie wäre gern zurückgeritten, um nach Jim zu suchen, aber inzwischen waren die glühenden Schmerzen in ihren Beinen bis zu den Knien hochgestiegen, und sie konnte sich, so ohne Stiefel, Mantel und Hut, vor Schlottern kaum noch auf Oakwood halten. Außerdem wurde es allmählich dunkel. Wenn sie jetzt noch einmal umkehrte, um am Fluss nach Jim zu suchen, würde sie damit ihre Hunde und ihr Pferd in Gefahr bringen. Sie kehrte dem überfluteten Land den Rücken zu und ritt hügelan, nach dem Pfad Ausschau haltend, der sie hoffentlich zu der Hütte führen würde.

Oben auf dem Hügelkamm blies der Wind wie besessen, und der Regen peitschte fast waagerecht an Rosie heran. Inzwischen spürte sie ihre Finger oder Zehen überhaupt nicht mehr. Sie hatte keine Vorstellung, wie weit sie von der Hütte entfernt war oder ob sie auch nur auf dem richtigen Weg war. Sie wusste, dass der Pfad manchmal von Jägern oder Reitern benutzt wurde, aber sie hatte bei diesen Ausritten nie dabei sein dürfen.

»Ach, unsere Rosemary ist keine Pferdenärrin«, hatte ihre Mutter immer gesagt, wenn der Vorreiter angeboten hatte, das schlanke, stille Mädchen auf einen Ausritt mitzunehmen. »Ehrlich gesagt hat sie Angst vor Pferden«, hatte Margaret dann noch hinzugefügt und dabei den Arm um Rosies Schultern gelegt.

Von frühester Kindheit an hatte Rosie die Geschichten geglaubt, die ihre Mutter über sie verbreitet hatte. Auf diese Weise begann sie tatsächlich, alles zu fürchten und jedem Abenteuer aus dem Weg zu gehen, obwohl sie für ihr Leben gern mit den anderen ausgeritten wäre. Jetzt, im böigen Wind über das überschwemmte Land reitend, fühlte sie sich verängstigt wie noch nie, aber gleichzeitig auch tapferer als je zuvor. Sie hielt den Blick fest auf den Weg gerichtet und stellte sich vor, Jim würde vor ihr reiten. Sie malte sich aus, wie das Wasser an seinem Ölzeug herunterlief und am Rumpf seines Pferdes herabtropfte, während er aufrecht, stolz und stark im Sattel saß und den Elementen trotzte. Aber schon beim ersten Blinzeln löste sich das Bild in nichts auf, und sie war wieder ganz allein unter den triefend nassen Eukalyptusbäumen, an denen zornig der Wind rüttelte. Rosie sah in ihrer Phantasie Jack Gleeson mit seiner kleinen Hündin und seinem Treiberpferd dahinziehen und spürte, wie sie ein Schauer überlief. Plötzlich schien sich der Busch um sie herum vor der Zeit zu verschließen. Es gab nur noch den Raum. Diese nasse, kalte Welt war so traumhaft schön und so albtraumhaft wild zugleich. Es gab nur noch sie und die Tiere; gemeinsam bewegten sie sich durch eine Landschaft, die in ihrer Wucht und Kälte beängstigend war und doch voller Leben. Rosie duckte sich unter einem Ast durch und sah vor sich, am Rand einer Lichtung, die Hütte stehen.

Ein seitlich angebrachter Unterstand bot Oakwood Schutz. Sie band das schleimige Leder seiner abgerissenen Zügel an den soliden Pfosten fest und deckte sein Hinterteil mit einem alten Leinsack zu, den sie auf der Veranda gefunden hatte. Auf diese Weise würden zumindest seine Nieren warm gehalten. Dann stieß Rosie die Tür auf und trat mit eingezogenem Kopf dicht gefolgt von den Hunden ein. Vor Kälte zusammengekrümmt, zündete sie den kleinen Kanonenofen an, der mitten in der Hütte stand. Jemand hatte ihn, dem ungeschriebenen Gesetz getreu, zum Anzünden bereit hergerichtet, sodass er augenblicklich zum Leben erwachte und die Spinnen, die sich darin häuslich niedergelassen hatten, aufgeregt die Flucht ergriffen. Rosie zündete zwei Kerzen an, die in alten Whiskyflaschen steckten, und stellte sie auf ein Regal, um sich die düstere Hütte besser anschauen zu können. In einer Ecke stand ein durchgelegenes, schmales Feldbett, dessen aufgeplatzte Matratze mit Possum- und Rattenkot bedeckt war. Sie wischte die Matratze mit dem Hemdsärmel sauber und schleifte sie dann vom Bett über die Dielen bis vor den Ofen. Dann rollte sie sich neben dem Feuer zusammen, die Arme um ihre Hunde geschlungen, und begann zu weinen. Die Tiere leckten ihr mit warmen, nassen Zungen die Tränen vom Gesicht, bis sie wieder zur Ruhe kam.

Dem Himmel sei Dank für meine Hunde, dachte sie. Ohne sie würde sie mit Sicherheit durchdrehen. Immer noch zitternd sehnte sie sich nach der Umarmung ihres Viehtreibers. Und dann traf sie mit voller Wucht die Erkenntnis – sie hatte sich in Jim verliebt. Die Gefühle, die in ihr tobten, waren viel stärker als alles, was sie je für Sam empfunden hatte. Im gleichen Moment zersprang ihr das Herz bei dem Gedanken, dass Jim vielleicht ertrunken war, und sie begann wieder, unkontrolliert zu weinen.