Kapitel 27

Duncan Pellmet war viel zu angespannt, um schlafen zu können, und so schaute er stattdessen den Verkaufskanal und grübelte über seine ausufernde Taille nach. Den Hometrainer hatte seine Frau mitgenommen, genau wie den Sitzball und Red, den Irish Setter. Immerhin hatte sie ihm Derek gelassen, sinnierte Duncan und fuhr mit dem Finger über die weichen Ohren des Jack Russells. Verärgert über die Störung bleckte Derek die Zähne. Duncan seufzte. Er hätte kaum sagen können, wen er mehr vermisste – seine Frau oder seinen Setter. Erst vor kurzem hatte er beide an der Gold Coast gesehen, als seine Tochter in Brisbane ihr Diplom verliehen bekommen hatte. Seine Frau war bronzefarben gebräunt gewesen und hatte in ihrem Kostüm mit Hibiskusblütenaufdruck und mit ihrem neuen Mann am Arm schlank und eidechsenhaft ausgesehen. Der Hund hatte fett ausgesehen.

Als das Telefon läutete, ging Duncan voller Hoffnung an den Apparat. Vielleicht war es ja seine Frau. Vielleicht wollte sie zu ihm zurückkommen? Stattdessen meldete sich Rosie.

»Duncs … könntest du bitte dein Phallussymbol anschmeißen und zum Pub kommen? Wir brauchen jemand, der uns nach Hause fährt. Es ist ein Notfall.«

»Rosie Jones«, sagte Duncan müde. »Warum sollte ich so was tun wollen?«

»Weil meine Mum auch hier ist und sie einen Gentleman wie dich braucht, der sie heimfährt.«

»Margaret Highgrove-Jones im Pub? Erzähl keine Geschichten, Rosie …«

Im nächsten Augenblick war Margaret persönlich am Apparat.

»Duncan, Darling«, schnurrte sie, »würdest du bitte einer Dame in Not zu Hilfe eilen?«

Augenblicklich stand Duncan stramm und zog den Bauch ein. »Ich bin sofort da, Margaret … Du kannst auf mich zählen.«


Duncans Sportwagen stand vor dem Pub und brachte mit seinem tiefen Grollen alle Hunde im Ort zum Bellen.

»Es ist ein Zweisitzer, du taube Nuss«, sagte Julian zu Rosie. »Da passen wir nie im Leben alle rein! Ich dachte, du hättest gesagt, Duncan hätte einen großen, dicken.«

Während alle in den Wagen starrten, kam Carrots herangetaumelt, stützte seine Pranke auf die Kühlerhaube und übergab sich geräuschvoll und im vollen Scheinwerferlicht in den Gulli.

O Gott. Bitte mach, dass er nicht mein Vater ist, betete Rosie. Der Abend hatte so gut angefangen, und nun ging alles in die Brüche. Jim stand abseits, die Hände in die Hosentaschen geschoben, und schaute mit ernster Miene zu. Rosie wollte nur noch weg.

»Können wir uns nicht irgendwie reinquetschen?«, bettelte sie.

»Ich weiß wie!« Julian hatte die Lösung. »Duncan kann den Pajero fahren. In den passen wir alle rein.«

Doch ehe sie wussten, wie ihnen geschah, hatte Duncan Margaret auf den Beifahrersitz verfrachtet. Dann schlug er wie einer der Heinis aus Miami Vice den Kragen hoch und ließ sich auf das quietschende Leder des Fahrersitzes plumpsen. Nach einem kurzen Grollen und Aufheulen des Motors verschwanden die beiden in der Nacht.

»Mum?«, fragte Rosie völlig konsterniert. Sie stand bibbernd in der kalten Nachtluft. Halb wünschte sie sich, Jim würde sie in den Arm nehmen, aber gleichzeitig war sie immer noch wütend auf ihn. Dubbo stand in dem Gedränge vor dem Pub, sah von Zeit zu Zeit herüber und drückte ein feuchtes Tuch auf sein anschwellendes Auge.

»Und jetzt was?«, fragte Evan. »Warum nehmen wir nicht ein Taxi?«

»Ein Taxi? In Casterton?«, fragte Julian. »Es gibt im ganzen Ort nur einen einzigen Taxifahrer, und der ist längst im Bett.«

»Ich weiß nicht, wie es mit euch steht, aber ich werde bei Ronnie Seymour schlafen«, sagte Jim. »Er ist bestimmt noch auf und schaut Sport. Es ist keine luxuriöse Unterkunft, beileibe nicht, aber mir reicht sie. Natürlich weiß ich nicht, ob sie euren Ansprüchen genügt.« Jim sah Rosie an, als wollte er andeuten, dass sie ihr nicht gefallen würde.

Rosie dachte an die schmuddelige alte Hütte, die sie damals mit ihrer Mutter besucht hatte, und an den senilen Alten, der darin wohnte. Sie schauderte in der Kälte. Sie hatte keine andere Wahl, wenn sie nicht mit Dubbo auf irgendeine Party abziehen wollte, und das wollte sie auf gar keinen Fall.

»Können wir mitkommen?«, fragte Julian.

»Klar«, sagte Jim. »Wir müssen da lang.«

Rosie machte sich auf den Weg. Sie konnte es nicht erwarten, die lärmende Menge vor dem Pub hinter sich zu lassen. Sie hatte das Gefühl, dass alle Frauen ausschließlich über sie redeten, und sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sich Dubbo allmählich in einen Wutanfall steigerte und sich noch mal mit Jim anlegen würde.

Als Evan und Julian ein wenig zurückfielen, griff Jim nach ihrer Hand.

»Bist du immer noch sauer auf mich?«, fragte er.

»Was sollte das da drin?«

»Komm schon, Rosie. Das ist unsere Kultur. Erst besaufen wir uns, dann kloppen wir uns, und hinterher trinken wir miteinander. Alle meine irischen Kumpel machen das so!«

»Du bist ganz bestimmt nicht Dubbos Kumpel, das weißt du genau. Er hat dir nichts getan. Und außerdem kann ich mich sehr gut selbst verteidigen.«

»Aber er ist ein echtes Sackgesicht. Sich so einzumischen.«

»Trotzdem ist das kein Grund, sich in der Öffentlichkeit zu schlägern!«, fuhr Rosie ihn an.

»Ach so, da liegt also der Hund begraben!«

»Wo liegt der Hund begraben?«

»Es stört dich, dass wir in der Öffentlichkeit sind. Du schämst dich für mich.«

Rosie blieb schockiert stehen. »Das ist nicht wahr!«

Jim zuckte mit den Achseln, zog die Jacke über den Schultern zusammen und marschierte weiter die Straße hinauf, sodass Rosie nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.


»Hallo?«, rief Jim singend in Ronnie Seymours Flur hinein. Der aufgeregte Kommentar eines aufgezeichneten Greyhound-Rennens empfing sie, und an den Wänden leuchtete flackernd das kühle blaue Licht des Fernsehers.

In dem Sessel in der Zimmerecke saß dösend Mr Seymour. Seine Katze hockte auf einem alten Piano und beäugte sie argwöhnisch. Julian, Evan und Rosie standen abwartend vor dem alten Mann.

»Ronnie?«, fragte Jim.

Mr Seymours Augen gingen auf. Er setzte sich in seinem Sessel auf und sah sie grimmig an. Die buschigen grauen Brauen waren tief über die schlierigen, geröteten Augen gezogen. Dann änderte sich schlagartig seine Haltung.

»Ach, du bist es, Jim«, sagte er und sprang aus dem Sessel. Sein Gesicht wirkte ganz und gar nicht mehr abgeschlafft. »Hast dir wohl im Pub einen zu viel gegönnt und bist jetzt zu blau, um nach Highgrove zurückzufahren, wie?«

Jim stellte ihm Julian, Rosie und Evan vor.

»Nett, euch kennen zu lernen. Aber dem hübschen Mädel bin ich schon begegnet. Vor einer ganzen Weile.«

Rosie sah den Alten zweifelnd an, denn sie war immer noch verblüfft, ihn stehend zu sehen, und noch verwunderter, zusammenhängende Sätze aus seinem Mund zu hören. Er grinste sie an.

»Ja! Ich weiß. Du dachtest, ich wäre ein blöder, seniler, grober, alter Klotz. Blöde und senil bin ich eigentlich nicht, aber dass ich grob bin, muss ich zugeben, und dass ich alt bin … also, das kann ich erst recht nicht abstreiten.« Er stellte sich Rosies fragendem Blick.

»Dass ich den senilen Greis spiele, fing eigentlich mit einem kleinen Jux an… und Frauen wie deine Mutter habe ich damit ganz eindeutig reinlegen können. Später habe ich einfach weiter gespielt. Ich würde mit Sicherheit kein Essen auf Rädern mehr geliefert bekommen, wenn ich nicht ein wenig schauspielern würde. Außerdem bekomme ich umso deutlicher zu hören, was sie von mir halten, je öfter ich den ›alten Wirrkopf‹ spiele. Dumme alte Hennen. Sie glauben, ich sei stocktaub und verrückt wie ein altes Huhn.« Er tippte sich an den Kopf und lachte hoch und glücklich. Dann trat er ans Sideboard und holte eine Flasche Tullamore Dew heraus.

»Setzt euch, dann trinken wir einen Schluck Whisky. Aber erst muss ich das vermaledeite Katzenklo sauber machen, von dem Gestank wird mir ganz schlecht. Ich hatte gehofft, eine von den alten Hennen würde das für mich erledigen, aber die haben sich in der letzten Woche rar gemacht«, gestand er augenzwinkernd.

Rosie setzte sich in einen durchgesessenen Lehnstuhl und schaute zu, wie Mr Seymour das Katzenklo hinaustrug.

»Wow!«, flüsterte Evan, während er eine Schneekugel mit einem Rennpferdfoto in die Hand nahm und schüttelte. »Die Hütte ist genial retro! Das Zeug könntest du in Melbourne für ein Schweinegeld verticken!«

Mr Seymour kehrte zurück und schenkte ihnen allen reichlich Whisky ein, ehe er sich wieder in seinem Sessel niederließ. Die Katze lag immer noch in Lauerstellung auf dem Klavier und beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen.

Mr Seymour erhob sein Glas. Er sah Rosie direkt ins Gesicht.

»Jim hat mir erzählt, dass du die Geister der Vergangenheit zu erwecken versuchst … dass du die Geschichte von ›Kelpie Jack‹ erforschst.«

Rosie fragte sich, was ihm Jim sonst noch über sie erzählt hatte.

»Stimmt«, antwortete sie höflich. Ihr Blick wanderte über die Wand mit den alten Fotos und Zeichnungen längst verblichener Rennpferde und über die Stapel vergilbter Zeitungen auf dem Boden. »Vielleicht sollte ich fragen, ob Sie Bücher oder Artikel über ihn haben?«

»Tritt bloß nichts los«, warnte Jim.

Rosie war überhaupt nicht danach, mit Mr Seymour über Kelpies zu plaudern. Im Grunde wollte sie sich nur noch mit Jim ins Bett legen und ihm zeigen, dass es ihr piepegal war, was der Rest der Stadt dachte.

»Ein paar mündliche Überlieferungen könnten nicht schaden«, meinte Rosie verträumt und warf Jim dabei einen flirtenden Blick zu, den er geflissentlich übersah.

»Tja«, sagte Mr Seymour, »ich kann dir alles über die Abstammungslinien erzählen, und ich weiß auch genau, welche Hunde mit Jacks Kelpie gekreuzt wurden, um die Rasse zu gründen. «

»Ach«, ergab sich Rosie in ihr Schicksal, »das ist ja … schön.«