Kapitel 15

Während Rosies Eltern in tiefem Schweigen aßen, starrte Rosie auf das dunkle Holz des Esstisches.

Kaum hatte Gerald fertig gegessen, stand er auf und stakste aus dem Zimmer. Ihre Mutter schaute ihm nach und warf verärgert die Serviette auf den Tisch.

»Danke für das Essen«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während sie die Teller abzuräumen begann. »Jetzt, wo Jim alles unter Kontrolle hat, kannst du wieder mit in die Stadt fahren, Rosemary. Und du kannst mir helfen, meine Tennisparty zum Saisonende vorzubereiten. Das Fleisch habe ich schon in einer Metzgerei in Hamilton bestellt, wir müssen also nur noch mit der Bäckerei telefonieren… und uns um die Blumen kümmern … Ida habe ich schon angerufen, sie kommt morgen und macht sauber, während wir weg sind.«

Rosie merkte, wie sie zu köcheln begann. Wie konnte ihre Mutter immer noch so tun, als wäre nichts geschehen?

»Vielleicht sollte ich Sage anrufen«, plapperte Margaret weiter. »Sie könnte dir die Haare schneiden, Rose, und ich müsste mir mal wieder die Wimpern färben lassen.«

Rosie wollte ihrer Mutter schon erklären, was sie mit ihren gefärbten Wimpern anstellen konnte, als jemand an der hinteren Veranda läutete.

»Ich gehe schon.« Rosie konnte es kaum erwarten, dem stickigen Esszimmer und ihrer affektierten Mutter zu entfliehen.

Jim stand in sauberen Sachen und frisch gewaschen mit dem Rücken zur Tür auf der Veranda. Als er die Tür aufgehen hörte, drehte er sich zu Rosie um.

»Ach! Du bist es! Ich dachte, das Dienstmädchen würde mir aufmachen. Oder arbeitest du gleichzeitig als Viehtreiber und als Dienstmädchen?«

»Was willst du?«, fragte Rosie eisig.

Er spürte ihre schlechte Laune und lächelte freundlich.

»Ich wollte nur kurz mit deinem Vater sprechen – ich bin auf dem Weg in die Stadt. Der alte Mr Seymour möchte ein paar Sachen in seinem Haus repariert haben, und ich schaue kurz bei ihm rein, um zu helfen. Wenn du das deinem Vater ausrichten könntest.«

»Du brauchst meinen Eltern nicht alles zu melden, was du tust.« Rosie verschränkte die Arme und sah ihn mit schmalen Augen an. »Sie brauchen zum Beispiel nicht zu wissen, wann du das nächste Mal einen Furz lässt.«

»Ach nein? Das ist gut zu wissen. Danke. Ich habe mir in der Unterkunft nämlich heute Nachmittag ein paar Bohnen in Tomatensoße gemacht, ich hatte also schon damit gerechnet, mich ziemlich regelmäßig melden zu müssen. Aber ich werde dir eine neue Dose hinstellen. Sieht so aus, als könntest du sie brauchen. Du wirkst ein bisschen verstopft.« Er wandte sich ab, doch ehe er in seinen Pick-up stieg, blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu ihr um.

»Ach ja. Ich wollte dir noch was sagen, bevor ich fahre … ich glaube, deine Hündin wirft.«

Mit offenem Mund sah Rosie Jim abfahren. Ihre Hündin? Warf?

»Dixie!«, rief sie aus. In ihrem Kopf herrschte Chaos. Sie schlüpfte in ein Paar Stiefel, die an der Hintertür standen, und lief zu den Hundezwingern, nicht ohne Jim bei jedem Schritt inbrünstig zu verfluchen. Er hätte ihr auch seine Hilfe anbieten können.

Im Halbdunkel konnte sie erkennen, wie die anderen Hunde an dem Hammel kauten, den Jim für sie geschlachtet hatte. Dixie lag kratzend und winselnd im letzten Zwinger. An der Gittertür hing eine Plastiktüte. Rosie band sie los und schaute hinein. Darin lag ein Buch, Die Hundefibel, und ein Fetzen Zeitungspapier markierte das Kapitel über die Geburt. Rosie öffnete das Gitter und schleifte Dixie am Halsband heraus. Ihre Pupillen waren weit und ängstlich aufgerissen, und ihre rosa Zunge hing weiter heraus, als Rosie je gesehen hatte.

»Komm schon, Mädchen. Wir suchen dir einen gemütlicheren Fleck.«

Im Stall kratzte Dixie ausgiebig an ihrem Lager, das aus ein paar alten Säcken und einer dicken Strohschicht bestand. Sie kreiste eine halbe Ewigkeit darüber und legte sich zuletzt winselnd und hechelnd nieder. Gleich darauf leckte sie ihre Flanke und begann dann von neuem zu kreisen. Hechelnd. Immerzu hechelnd. Rosie saß im Schneidersitz unter der nackten Glühbirne, die von den alten Dachbalken herabhing. Sie las konzentriert in dem Buch und legte es nur gelegentlich beiseite, um Dixies Hinterteil zu inspizieren.

Als Rosie den ersten Welpen sehen konnte, hielt sie fasziniert die Luft an. Die Hündin krümmte sich und leckte eifrig an dem winzigen Köpfchen, das zwischen ihren Beinen zum Vorschein kam. Rosie griff mit den Fingern nach der warmen, glitschigen Beule und zog sie sanft heraus. Eine Blase flutschte heraus, bis zum Platzen mit einem Kelpiewelpen gefüllt. Wie in Jims Buch beschrieben, zerrte Rosie an der zähen Hülle, während der kleine Welpe nach Luft schnappend zu zappeln begann. Er sah eher aus wie eine Ratte als wie ein Kelpie. Rosie lächelte glückselig, während Dixie den Welpen sauber leckte, ihn hin und her rollte und behutsam an der Nabelschnur knabberte. Minuten später suchte der Welpe blind, aber instinktiv nach Dixies Wärme und nach einer vollen Zitze. Rosie schaute auf ihre Uhr. Dem Buch zufolge musste sie jetzt nur auf den nächsten Welpen warten.

»Braves Mädchen, Dixie. Braves Mädchen.« Rosie streichelte Dixies silbrigen Rücken, und die Hündin schien aus ihrer Berührung Trost zu ziehen. Die Aufregung, bei der Geburt eines winzigen Kelpiewelpen zuzusehen, ließ Rosie daran denken, was sie erst vor kurzem über die Hunde auf der Warrock Station gelesen hatte. Ob die Menschen damals die Geburt eines Wurfes auch so aufgeregt verfolgt hatten?