Kapitel 14

Weiches Sonnenlicht kroch durch die Balkontüren im ersten Stock und erhellte langsam den Raum. Rosie setzte sich auf, das Haar zu einem Vogelnest zerzaust und immer noch grollend nach der durchwachten Nacht im eigenen Bett. Sie kam sich vor wie eine Gefangene. Die Holzdielen fühlten sich kalt unter den nackten Füßen an, als sie zum Fenster tappte und verstohlen in den Hof hinabsah. In der Unterkunft brannte Licht, aber Jim war nicht zu sehen. Die ganze Nacht durch hatte sie sich vorzustellen versucht, wie er in dem Raum schlief, der bis vor kurzem noch ihrer gewesen war. Stinkwütend auf ihre Mutter, die sie mit dieser Überrumpelung ins Haus zurück gezwungen hatte, biss sie die Zähne zusammen.

Rosie durchquerte den Raum, zog die Balkontüren auf und trat in Unterhemd und Unterhose nach draußen. Auf der anderen Talseite begann die Sonne, die abgegraste Weide zu bescheinen. Ein feiner, weißer Dunst lag über dem Buschland in der Talsenke. Rosie atmete tief ein und begann, ihren Tag zu planen. Sie würde mit Gerald zusammenarbeiten und ihm beim Klauenschneiden helfen. Sie streckte die Arme nach oben. Obwohl sie immer noch müde war, hatte sich ihr Körper noch nie so gut angefühlt. In ihren Armen ballten sich kleine, neu gebildete Muskeln, die sie voller Stolz anspannte. Zum Spaß ging sie eine Reihe von Bodybuilder-Posen durch. Sie brauchte nur noch etwas Babyöl, dachte sie. Während sie eine imaginäre Hantel hochriss, bemerkte sie aus dem Augenwinkel ein paar hundert Meter vom Haus entfernt eine Bewegung. Sie legte die Hand über die Augen und blickte vom Balkon aus über den Garten. Der neue Viehtreiber trottete auf einem kastanienbraunen jungen Pferd auf sie zu und schaute dabei zum Haus auf. Die Nüstern des jungen Hengstes waren von der Anstrengung weit gebläht, und jeder Atemzug dampfte in einer hellen Wolke. Während Jim den steilen Hügel auf das schmiedeeiserne Tor vor dem Haus heraufgeritten kam, winkte er ihr zu.

»O Gott! O Gott!«, hauchte Rosie und floh in ihr Zimmer, die Hand vor den Mund geschlagen. Jim Malony hatte sie eben dabei beobachtet, wie sie in ihrer Unterwäsche imaginäre Hanteln stemmte. Wie peinlich! Sie ließ sich bäuchlings aufs Bett fallen und stöhnte.


Im Scherstall, hinten auf dem Rost, hatte Jim die Planken und die Klauenschneidemaschine aufgebaut und schleifte jetzt noch den Kompressor hinüber. Ein roter, wenige Monate alter Welpe tappte ihm auf weichen Pfoten nach, die viel zu groß für seinen Körper zu sein schienen. Gerald war im Werkstattraum und schärfte die Klingen der Schneidemesser. Von dort aus unterhielt er sich laut rufend mit Jim.

»Ich sollte das wirklich von einem Fachmann machen lassen.«

»Nur keine Panik«, rief Jim zurück. »Wir schaffen das schon. Wenn Ihre Tochter mir die Schafe zutreibt, haben wir sie in Nullkommanichts durch.«

»Und Sie sind sicher, dass Sie mich nicht dabei haben wollen?«, fragte Gerald nach. »Rosie ist noch unerfahren. Und die Hunde … sind eigentlich nicht ihre, sie könnten also ungehorsam werden.«

»Sie macht das schon«, rief Jim zurück.

Gerald schüttelte seufzend den Kopf. Er wollte nur noch fort. Seit Sams Tod hatten Margarets Pillenkonsum und ihre Moralpredigten nie gekannte Ausmaße angenommen. Trotzdem bestand sie darauf, so weiterzumachen, als wäre nichts passiert. Schon plante sie Weihnachten für dieses Jahr. Gerald merkte, wie ihm die Brust eng wurde. Erst heute früh hatte er auf den Stapel von Rechnungsbüchern gestarrt, die bis in die Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts zurückreichten, und sich beklommen gefragt, ob seine Generation wohl diejenige wäre, die alles verkaufte. Die alles verlor. Er hatte das schon einmal miterlebt, als die Wollpreise in den Keller gefallen waren, als der Regen ausgeblieben war und die großen alten Eukalyptusbäume auf seinem Grund zu sterben begannen. Er malte sich seinen eigenen Tod aus… durch einen Herzinfarkt, einen Arbeitsunfall oder sogar durch die eigene Hand. Wie gern hätte er Julian alles übergeben. Aber Julian war nicht mehr da. Und jetzt steckte er hier fest. In einem Leben, das er nie gewollt hatte. Sollte er noch mal mit Giddy telefonieren? Sie wüsste, was er tun sollte. Gerald trug die Schneidemesser zur Maschine und hängte sie an den Kompressor. Jims Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

»Haben Sie ein tragbares Schermesser?«, fragte er. »Wenn Sie möchten, könnte ich den Tieren die Köttel vom Hintern rasieren, bevor ich sie wieder rauslasse.«

»Eine gute Idee. Die tragbaren Schergeräte sind in der Werkstatt. Ich hole sie Ihnen.«

Normalerweise hätte Gerald den Arbeiter hinübergeschickt, aber diesen Mann durfte er nicht verlieren. Anfangs war Gerald fuchsteufelswild gewesen, weil Margaret Jim eingestellt hatte, ohne ihn zu fragen. »Du weißt genau, dass wir ihn nicht bezahlen können!«, hatte er sie angebrüllt.

Aber Jim hatte sich mit einem Lohnabzug einverstanden erklärt, wenn er dafür am Wochenende mit seinen Hunden zum Trial fahren durfte. Und so hatten sie ihn eingestellt… den nächsten Viehtreiber. Gerald setzte die Brille ab und rieb sich müde die Augen, ehe er aus dem Schuppen verschwand.

Einen Augenblick später kam Rosie, immer noch einen Toast kauend, in den Scherstall gelaufen, dicht gefolgt von Diesel und Gibbo.

»Entschuldige die Verspätung«, sagte sie zu Jim, ohne ihn anzusehen.

»Dabei warst du heute schon so früh auf, um deine Übungen zu machen«, neckte er sie.

Rosie schaute auf und sah das Funkeln in seinen Augen. »Wenigstens hast du es diesmal geschafft, was anzuziehen«, fuhr er fort.

Rosies Schüchternheit schlug in Ärger um.

»Fangen wir an?«, fragte sie kühl.

»Unbedingt, aber könntest du erst dafür sorgen, dass dein Hund nicht länger versucht, meinen Hund zu besteigen?«

Rosie drehte sich mit hochrotem Kopf um und sah, wie Diesel auf Jims jungem Welpen hing und ihn zu bespringen versuchte.

»Diesel! Hierher!«, rief sie, aber Diesel hörte nicht.

Draußen vor dem Scherstall hatte Jim zwei Hunde mit kurzen Ketten am Zaun angebunden. Es waren hübsche Kelpies, eine Hündin und ein Rüde. Aus dem Schatten eines Pickups kam ein alter, schwarzer Rüde mit grauen Pfoten Schwanz wedelnd getrottet.

»Ah, da ist er«, sagte Jim freundlich zu dem alten Hund. Der fuchsrote Welpe hoppelte herbei und leckte den Hund an seiner ergrauenden Schnauze. Die beiden jungen Hunde saßen aufrecht da und sahen Jim flehentlich an, sie endlich arbeiten zu lassen. Rosie kam hinterher geschlendert, weil es ihr peinlich war, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der so viel Kompetenz ausstrahlte.

»So viele Hunde werden wir nicht brauchen«, sagte Jim zu ihr. »Ich lasse meine angebunden, und wir können mit deinen arbeiten, wenn du willst. Bones … der alte Hund. Lazy Bones wird uns seine Dienste sowieso nicht anbieten, oder, Kumpel?« Er bückte sich und kraulte den Hund hinter den Ohren.

»Er hat den Ruhestand schon angetreten, ehe er überhaupt zu arbeiten angefangen hat, aber ich habe ihn geschenkt bekommen, als ich nach Australien kam, und ich möchte seine Gesellschaft keinesfalls missen. Seine wichtigste Aufgabe ist es, mir stets vor Augen zu führen, dass man nicht davor zurückschrecken darf, für gute Gene gutes Geld auszugeben. Wenn du einen wirklich guten Hund willst, musst du die Abstammung eines Welpen studieren. Also, Bones hier hat ein paar Faultiere unter seinen Vorfahren. Ganz anders als dieser kleine Frechdachs.«

Jim hob den Welpen hoch, hielt ihn wie ein Baby im Arm und kraulte ihm den Bauch.

»Der Kleine hier stammt von den beiden da drüben ab, von Daisy und Thommo, und deren Stammbaum geht auf die Besten der Besten zurück. Ich kann ihm jetzt schon ansehen, dass er es drauf hat. Er arbeitet schon, obwohl er noch viel zu klein für so große Junghammel wie die da ist. Wenn er nicht aufpasst, wird er noch aufgespießt.« Rosie sah zu, wie Jims kräftige, sonnenbraune Finger auf dem rosa Bauch des kleinen Welpen auf und ab wanderten. Durch seinen irischen Akzent klang alles, was er sagte, einfach wunderbar. Rosie schluckte. Jim sah Rosies glasigen Blick, bückte sich, band den Welpen mit einer weiteren kurzen Kette an und strich ihm mit fester Hand über den Rücken.

»Entschuldige. Jetzt schwafle ich schon wieder über Hunde. Eine schlechte Angewohnheit von mir. Ich wollte dich nicht langweilen. «

»Nein! Nein, im Gegenteil. Mich interessiert so was«, sagte Rosie. »Warum nehmen wir nicht deine Hunde her? Dann binde ich meine so lange an.«

»Nein, nein. Ich bestehe darauf. Ich gehe am Wochenende auf einen Wettkampf mit ihnen. Ich möchte sie davor nicht allzu hart rannehmen. Thommo dreht manchmal ein bisschen durch, und Daisy beißt hin und wieder zu fest zu, wenn sie aufgedreht ist.«

Ehe Rosie protestieren konnte, spazierte Jim davon. Sie rief Diesel und Gibbo zu sich und folgte Jim um den Scherstall herum zu dem Pferch, in dem die Schafe warteten. Ihr Herz klopfte. Die Aussicht, vor Jim mit ihren Hunden arbeiten zu müssen, machte sie so nervös, dass sie Schweißrinnsale zwischen ihren Schulterblättern spürte.

»Gibbo ist noch jung«, sagte sie, während sie über den Zaun kletterte. »Er ist ein bisschen schwerhörig.«

»Hunde hören mindestens vierzigmal besser als wir, darum glaube ich keine Sekunde lang, dass er schwerhörig ist«, meinte Jim augenzwinkernd.

»Es sind eigentlich gar nicht meine Hunde. Sie arbeiten nicht wirklich für mich.«

»Komm schon. Sie machen das schon.«

Aber sie machten es nicht. Gibbo trennte einzelne Schafe aus der Herde und jagte sie an den Zaun. Diesel rannte vor der Herde her und blockierte den Durchgang zum Stall. Hitze prickelte unter Rosies Kragen, und die Verärgerung malte sich immer deutlicher auf ihrem Gesicht ab. Ihre Stimme wurde zusehends lauter.

»Diesel! Diesel! DIEEEE… SEL!«, brüllte sie.

Jim stand mit verschränkten Armen abseits und schaute sich das Chaos an. Gibbo war am schlimmsten. Er lief hin und her, schlug an und trieb dadurch die Herde gegen das Geländer, wo er ein einzelnes Schaf aussonderte und durch den Pferch jagte, dass es gegen einen Zaun krachte.

»Gibbo! Gibbo! Sitz!«, brüllte Rosie. Aber Gibbo war so mit Schafetreiben, Springen und Laufen beschäftigt, dass er sie gar nicht zu hören schien.

»Manchmal arbeiten sie nicht besonders«, sagte sie tief beschämt zu Jim.

»Darf ich?«, fragte er und machte einen Schritt nach vorn. »Dein Vater wird mir die Schuld geben, wenn wir heute nicht fertig werden. Und er wird mir den Lohn kürzen, wenn sich ein Schaf den Hals bricht.«

Rosie trat zurück und lehnte sich gegen das Gatter. Einen Moment lang blieb Jim ganz ruhig stehen. Im nächsten Augenblick tanzte er im Staub herum, klatschte in die Hände und hob direkt vor Gibbo die Arme hoch in die Luft. Er platzierte seinen Körper direkt vor dem jungen Hund und reagierte auf jede seiner Bewegungen, sodass Gibbo keine andere Wahl hatte, als den Blick von den Schafen zu wenden und zu dem großen Mann aufzusehen, der eine solche Autorität ausstrahlte.

Sobald Gibbo Jim ansah, wurde er von Jim gelobt. Bald kam Gibbo auf Jim zu und setzte sich auf dessen Befehl. Zu Rosies tiefer Verstimmung wurde Jim kein einziges Mal laut. Er redete immer ruhig und fest mit Gibbo.

Auch Diesel war auf Jim aufmerksam geworden.

»Diesel, komm«, sagte Jim und ließ einen schrillen Pfiff folgen. Diesel gehorchte, und schon bald strömten die Schafe in den Schuppen, während die Hunde Jim auf den Fersen folgten.

»Ich kann sie auch so zum Arbeiten bringen, aber nur, wenn niemand zusieht«, sagte Rosie aufgebracht, als sie die alten Torflügel des Schuppens zuschob.

»Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel«, sagte Jim freundlich, aber mit einem Lächeln.

Stundenlang arbeitete Rosie neben Jim her, und immer noch brannte die Schmach. Das rhythmische Zischen des Klauenschneiders und das Ab- und Anschalten des Kompressors ließen kaum Raum für ein Gespräch. Hier lenkten Diesel und Gibbo die Schafe geschickt von außerhalb des Gatters durch den kleinen, engen Laufgang und bellten jedes Mal, wenn das nächste Schaf in die Halterung musste. Obwohl Rosies Laune nach der katastrophalen Darbietung am Morgen immer noch am Boden war, konnte sie nicht anders, als Jims Muskelspiel zu beobachten, wenn er die Halterung kippte und die Klauen der Schafe beschnitt. Er arbeitete hoch konzentriert, was es Rosie erlaubte, in aller Ruhe sein Profil zu studieren. Seine blonden Haare waren kurz geschnitten. Seine Haut war honigbraun, und das kantige, glatt rasierte Kinn gab ihm ein kräftiges, maskulines Aussehen. Obwohl Jim durch und durch männlich wirkte, lag in seinen Augen eine sanfte Güte, die aus seinem Inneren zu kommen schien. Rosie gab sich Mühe, nicht allzu oft zu ihm hinüberzusehen, aber das kostete sie Kraft. Sie versuchte, sich stattdessen auf die störrischen Schafe zu konzentrieren, die sich in den Boden stemmten und nicht über die Rampe laufen wollten.

Während der Vormittagspause schaltete Jim den Kompressor ab, der Lärm erstarb und machte einer Stille Platz, die von dem Hufgetrappel auf dem Rost und dem leisen Hecheln der Hunde noch unterstrichen wurde.

»Danke für deine Hilfe, Rosemary«, sagte er und sah ihr dabei offen in die Augen.

»Rosie.«

»Entschuldige. Rosie

Er ging zu dem Spülbecken in der Ecke des Schuppens. Rosie hätte sich für ihr Leben gern mit ihm unterhalten. Sie wollte wissen, woher er kam. Ganz offensichtlich war er Ire, aber was tat er hier draußen? Wo hatte er das Handwerk eines australischen Viehtreibers gelernt? Sie hätte ihn gern persönlichere Dinge gefragt, wie… ob er eine Freundin hatte. Stattdessen folgte sie ihm ans andere Ende des Schuppens und fragte: »Wie hast du es geschafft, die Hunde so auszubilden?«

Jims Gesicht leuchtete in einem warmherzigen Lächeln auf.

»Es geht allein darum, wie du als Mensch bist, Rosie – mit den Hunden hat das wenig zu tun. Dein ganzes Leben lang werden dir die Menschen und Tiere auf der Nase rumtanzen, wenn du es zulässt. Und wenn du zu viel von den Menschen oder Tieren verlangst, werden sie sich abwenden. Aber wenn du Format zeigst und ihren Respekt einforderst … dann tun die Menschen und die Tiere alles für dich, und zwar freiwillig und gern. Also zeig Format, Mädchen! Nicht durch Rumschreien. Ich meine Format… hier drinnen.«

Er tippte gegen ihren Bauch und drehte sich dann von ihr weg, um seine Hände zu waschen.

»Format?« Rosie legte stirnrunzelnd die Hand auf ihren Bauch. Das kapierte sie nicht.

»Es ist nur eine Frage der Kommunikation«, sagte Jim. Plötzlich drehte er sich wieder um, richtete sich auf, die Augen weit aufgerissen, und schrie: »Rosie! ROSIE! ROSIEEEE!«

Sie zuckte zusammen und wich verdutzt einen Schritt zurück.

»Siehst du?«, fragte er. »Du reagierst verwirrt und abweisend. Genau so hast du Diesel vorhin im Hof angeschrien. Du hast seinen Namen gebrüllt, ohne ihm zu sagen, was er tun soll. Woher soll er wissen, was du von ihm erwartest? Du musst deine Wünsche klar und deutlich ausdrücken, du musst direkt, aber nicht aggressiv sein. Setze deine Körpersprache ein, um ihm zu zeigen, was du von ihm willst. Und wenn ich jetzt sagen würde: ›Rosie. Komm her zu mir‹.« Er öffnete seine Arme und neigte auffordernd den Kopf.

Als er die Worte noch einmal aussprach, klangen sie wie geschmolzene Butter. »Rosie. Komm her zu mir.« Leise, einladend und köstlich. Rosies große blaue Augen schauten offen in seine.

»Rosie. Komm her.« Wieder lockte er sie mit seinem offenen Blick und seinem leichten Tonfall. Instinktiv machte sie einen Schritt auf ihn zu, und sofort tanzten Wärme und Lob in seinen Worten: »Rosie! Gutes Mädchen

Rosie musste unwillkürlich lächeln. Sie spürte, wie sich ein warmes Gefühl in ihr ausbreitete.

»Siehst du? Bei den Hunden ist das nicht anders. Du musst klar sein. Erst den Hund ohne Zorn mit seinem Namen ansprechen und dann das Kommando geben, und zwar bittend, nicht fordernd. Und hinterher loben. Nicht nur mit deiner Stimme, sondern mit innerer Energie. Verstehst du? Du musst ihnen ein guter Chef sein.«

Damit war die Vorstellung zu Ende, und Jim wandte ihr wieder den Rücken zu, um unter der Spüle seine Arme abzuschrubben. Die Wärme, die Rosie für ihn empfunden hatte, kippte in Ärger um. Sie würde er nicht mit seinem super Körper, seinem Aussehen und vor allem seinem Akzent einwickeln. Er hatte sie eben gerufen wie einen Hund. Rosie hätte wetten können, dass er schon Millionen Frauen mit seinen blauen Augen und seinem irischen Singsang verführt hatte. Er war genau wie Sam, er sah gut aus und bekam alles, was er nur wollte. Sie hatte genug von Jim Mahony gesehen. Sie wollte sich gerade entschuldigen und die nächste Ladung Schafe aus dem Fußbad holen, als ihre Mutter in den Schuppen spaziert kam. In ihrer Armbeuge trug sie einen gigantischen Weidenkorb.

»Vesper!«, sang Margaret mit hoher Stimme. Sie stellte den Korb auf dem Tisch im Wollschuppen ab und machte sich daran, ein Tischtuch auszubreiten. Darauf stellte sie eine Thermosflasche, zwei Becher, Milch und Zucker. Dann zog sie ein Tuch von einem Teller mit dampfenden Fleischbrötchen. Scones, Kekse und ein Kuchen folgten.

»Mum? Du bringst sonst nie das Vesper in den Schuppen.«

Margaret sah kurz zu Jim hinüber.

»Sei nicht albern, Schätzchen. Natürlich tue ich das.«

Jim kam angeschlendert, ein Handtuch über der Schulter.

»Mmm. Das sieht phantastisch aus, Mrs Highgrove-Jones.«

»Dann fangen Sie am besten gleich an«, sagte Margaret und hielt ihm ein Fleischbrötchen hin.

»Soll ich sofort kotzen oder erst später?«, murmelte Rosie und ging.