Am Ufer des Murrumbidgee, um 1871

Jack ließ Bailey in den Trab wechseln, als er weiter vorn auf dem Treibweg das Muhen von Rindern hörte. Seit er Ballarook verlassen hatte, war er langsam nordwärts gezogen, Mary entgegen, die jetzt auf Wallandool lebte. Als er jedoch hörte, dass Mark Tully nach ihm suchte, wandte er sein Pferd in Richtung Osten. Er wusste, dass Mark zurzeit eine Herde von Kühen aus dem Dürregebiet hütete und sie am Murrumbidgee weiden ließ.

Jacks Haut prickelte vor Aufregung, als er zwischen den Bäumen die rotgefleckten Rücken der Rinder und den schwarzen Wallach mit der weißen Blesse ausmachte.

Auf der anderen Seite der Herde war Mark Tully damit beschäftigt, einen provisorischen Pferch aufzustellen. Erst als seine Hunde Jack laut bellend begrüßten und ihm entgegenrannten, sah er unter seinem breiten Hut hervor.

»Im Hotel hat man mir gesagt, dass du mit deiner Herde in der Gegend bist«, sagte Jack, stieg vom Pferd und schüttelte kraftvoll Marks Hand.

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass du ebenfalls von Ballarook weitergezogen bist… auf der Jagd nach einer Lady, vermute ich.«

»Nun ja«, sagte Jack, mit der Fußspitze im Staub stochernd. »Das wird sich noch erweisen.«

Mark legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. »Komm mit, ich habe etwas für dich, das dich Miss Ryan einstweilen vergessen lassen wird.« Er ging mit Jack los in Richtung seines Lagers.

Dort wartete, an einen Baum gebunden, ein eleganter schwarzer Hund mit kurzem, glattem Fell. Er hatte stehende Ohren und kluge braune Augen, und seine Rute peitschte Staubwolken hoch, als er die beiden Männer näher kommen sah.

»Ich halte ihn schon seit Wochen zurück, weil ich dich aufzuspüren versuche. Er heißt Moss. Ich dachte, ein solches Prachtexemplar von Hund wäre perfekt für deine Kelpie. Er hat den gleichen Stammbaum wie meine Hunde. Kommt aus Rutherford in Nordschottland. Als ich ihn treiben sah, wusste ich sofort, dass sein Stil zu deiner Kelpie passen würde.«

Jack bückte sich, um dem jungen Hund das Fell zu tätscheln.

»Er ist eine Schönheit.«

»Es wird Zeit, dass wir beide unsere Fähigkeiten unter Beweis stellen und bei einigen Hundevorführungen antreten. Mit Hunden wie diesen sind wir schwer zu schlagen, würde ich meinen.«

»Wie bist du zu so einem Tier gekommen?«

»Ach Jack… sagen wir einfach, Fortuna war mir an diesem Tag hold.«

Jack hängte Moss’ Leine ab, woraufhin dieser schwanzwedelnd Jacks Beine umtanzte. Kelpie kam angelaufen und tanzte vor ihm herum, eine Einladung zum Spiel, bei der sie mit ihren kleinen, festen Vorderpfoten auf den Boden stapfte. Moss legte daraufhin die Ohren zurück und sprang zähnebleckend hin und her.

»Er hat Charakter«, sagte Jack.

»Bei Gott ja. Wie du schon in der Nacht sagtest, als wir uns begegneten, auf dem Weg nach Ballarook… dies ist der Beginn von etwas Größerem als dir und mir und ein paar Hunden. Wir werden etwas bewegen, Jack. Das weiß ich genau.«



Als kurz vor dem Morgengrauen die Vögel vor dem Fenster zu zwitschern begannen, erwachte Rosie auf Mr Seymours Couch. Im Sessel gegenüber saß Mr Seymour mit weit geöffnetem Mund und schnarchte.

Jim, Julian und Evan waren schon vor Stunden in den muffigen Zimmern verschwunden, während Mr Seymour unablässig über Hunde schwadroniert hatte.

»Velourtagesdecken mit Troddeln! Die hatten wir auch, als ich klein war!«, war das Letzte, was Rosie von Evan gehört hatte, ehe er und Julian in einen todesähnlichen Schlaf gefallen waren.

Leicht verkatert nach dem vielen Rum schlich Rosie auf Zehenspitzen durch den Flur und spähte in die Zimmer. Dort lagen Evan und Julian friedlich schlafend Arm in Arm. Rosie musste unwillkürlich lächeln. So glücklich hatte sie ihren Bruder noch nie erlebt. Vorsichtig zog sie die Tür zu. Im nächsten Zimmer schlief Jim auf einem alten Feldbett. Rosie schlich zu ihm und setzte sich auf die Bettkante. Jim wälzte sich herum, schlug die Augen auf und sah sie an.

»Ich glaube, wir hatten gestern unseren ersten Streit«, flüsterte sie. »Aber das Schönste daran ist die Versöhnung, meinst du nicht?« Sie schlug die alte Decke zurück und kuschelte sich an ihn.

»Gut erfasst. So eine Versöhnung lasse ich mir gefallen.«

»Darf ich dich was fragen?«

»Mmm?«, meinte er schläfrig.

»Glaubst du wirklich, ich würde mich für dich schämen?«, Rosie hatte ihr Kinn auf seine Brust gebettet und sah zu ihm auf. Jim schloss die Augen wieder.

»Keine Ahnung.«

»Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Jim, du bist hier in Australien, nicht in Großbritannien. Hier gibt es keine Klassenschranken. «

»Ach ja, wirklich? Das glaube ich dir keine Sekunde.« Dann fügte er nachsichtig hinzu: »Wir kommen aus so unterschiedlichen Familien, Rosie. Vielleicht kann es gar nicht klappen?«

»So was darfst du nicht sagen!«, schimpfte ihn Rosie. »Natürlich kann es klappen!« Sie schmiegte sich wieder an seine Brust.

Jim drückte sie kurz, dann schob er sie liebevoll beiseite und setzte sich auf.

»Komm«, sagte er. »Wir haben heute viel zu tun. Ich bin wieder nüchtern genug, um zu fahren, also machen wir uns auf die Socken.«

»Wir streiten also nicht mehr?«, fragte sie.

»Alles vergeben und vergessen«, antwortete er und bückte sich, um seine Jeans anzuziehen.