37

Steve hat einen ruhigen Tag. Für diesen Abend hat er im Pitcher and Piano in Holborn eine Falle ausgelegt für einen Sachbearbeiter der British Telecom, dessen Frau ihn verdächtigt, im Büro an mehr als nur an seinem Schreibtisch zu hängen. Aber diesen Nachmittag hat er mit Telefonaten zugebracht, um seine Klienten jeweils auf den neuesten Stand zu bringen.

Es wird schon dunkel, stellt er fest, als er auf der Liste einen Haken hinter Darren Keating setzt (Baumaterialien; verdächtigt seinen Partner – zu Recht – der Veruntreuung von Firmengeldern). Heutzutage scheint sich der Winter ewig hinzuziehen. Anfang Januar haben wir ja noch nicht einmal das Schlimmste hinter uns, aber ich bin mir sicher, dass es früher, als ich ein Kind war, ein paar Anzeichen gab, dass er bis März vorüber sein wird. Heutzutage scheinen wir von September bis Mai unter einem bleiernen, düsteren Himmel zu leben – so viel zum Thema globale Erwärmung.

Er wählt die nächste Nummer auf seiner Liste. Wartet, fingert an seinem Kugelschreiber herum, während es klingelt.

»Kieran Fletcher.« Steve hört, dass im Hintergrund Telefone läuten und Anweisungen gebrüllt werden.

»Hallo, Mr Fletcher.«

»Ja.«

»Steve Holden. Trident Investigations.«

»Ach, richtig. Bleiben Sie dran.«

Der Lärm im Hintergrund wird leiser, verschwindet ganz. »Hallo«, sagt Kieran Fletcher. »Gibt es Neuigkeiten?«

»Nichts besonders Erfreuliches, tut mir leid. Ihre Frau scheint ihre Spuren ziemlich gut verwischt zu haben. Es wäre natürlich hilfreich, wenn sie eine Kreditkarte oder Treuekarte oder dergleichen hätte, aber …«

Offenkundig hat sie nicht viel zum Leben gehabt, aber das fügt er nicht hinzu. Und wie viele Leute, die knapp bei Kasse sind, gehört sie zu jenen, die lieber alles bar bezahlen. Es müsste mehr Menschen klar sein, wie leicht sie anhand ihres Einkaufsverhaltens aufzuspüren sind. Mit wie vielen Ehebrechern hatte er es nicht schon zu tun gehabt, die ihre Rechnungen zwar bar bezahlten, aber nicht widerstehen konnten, die Payback-Punkte zu kassieren …

»Wenn Sie sie als vermisst melden könnten«, sagt er.

»Ich hab es versucht«, antwortet Kieran. »Konnte es nicht. Die Polizei hat sie auf ihrem Handy angerufen, und sie ist drangegangen, deshalb gilt sie nicht als vermisst.«

Da ist etwas, womit du hinter dem Berg hältst, denkt Steve Holden. »Tja, ich kann Ihnen nur den Vorschlag machen, dass Sie einen Antrag auf Besuchsrecht stellen.«

Ein verärgertes Schnauben am anderen Ende der Leitung. »Das nutzt mir ja viel, wenn ich keine Adresse habe.«

Wo er recht hat, hat er recht.

»Können Sie sie nicht durch ihr Handy ausfindig machen? Ich dachte, es gibt da so eine Satellitenortung …«

»Tja. Das wäre vielleicht möglich, wenn ich Kontakt zu ihrem Provider hätte, aber ich fürchte, die halten sich an so etwas wie Datenschutz.«

»Sie können nicht einmal herausfinden, wohin ihr die Rechnungen zugeschickt werden?«

»Nicht bei prepaid, Mr Fletcher.«

»Scheiße«, sagt Kieran.

»Tut mir leid.«

Schweigen.

»Wenn sie eine neue Nummer hätte, könnten wir herausfinden, wo die SIM-Karte gekauft wurde, aber ansonsten …«

»Sie können also im Grunde gar nichts tun?«

»Ich kann es weiter versuchen. Wenn Sie wollen.«

»Natürlich will ich das«, sagt Kieran. »Und machen Sie sich keine Sorgen. Geld ist kein Problem.«

Hmm, denkt Steve. Okay. Dann hängt ihre Geldknappheit also nicht mit einer allgemeinen Knappheit auf dieser Seite zusammen. »Gibt es ein Bankkonto«, hebt er an, »auf das Ihre Unterhaltszahlungen für Ihre Tochter fließen? Denen wird sie ja wohl ihre neue Adresse gegeben haben müssen.«

Schweigen. Mit einem hörbaren dumpfen Geräusch wechselt Kieran Fletcher das Thema. »Und, was ist mit Yasmin? Sie muss doch zur Schule gehen. Sie ist sechs Jahre alt. Alles andere wäre doch gesetzeswidrig.«

»Absolut.«

»Und, wie sieht es damit aus?«

»Auch die Schulunterlagen unterliegen dem Datenschutz, tut mir leid. Nicht etwa, dass das im Grunde genommen ein Problem wäre. Die Schulämter sind ziemlich lax, was die Sicherheit anbelangt. Aber Tatsache ist, dass ich kein einziges Kind mit diesem Namen irgendwo anders registriert ausfindig machen konnte als in ihrer alten Schule, die ihr Fehlen offenbar noch nicht einmal bemerkt hat, bis ich mich nach ihr erkundigt habe. Wie gesagt, sie hat es gut gemacht. Ich weiß nicht, wie viel davon im Voraus geplant war, aber es war effektiv. Sie ist nirgends bei einer Versicherung gemeldet, sie hat keinen Büchereiausweis beantragt oder einen Arzt aufgesucht. Sie hat sich bei keinem Internetprovider angemeldet. Sie hat kein Auto umgemeldet. Sie hat, soweit ich weiß, nirgends etwas bestellt. Sie kassiert kein Kindergeld und hat ihren Wohnsitz nicht umgemeldet. Könnte es sein, dass sie irgendeinen anderen Namen angenommen hat als Fletcher oder Barton, der Ihnen einfällt?«

»Nein. Ich glaube nicht, dass sie so viel Fantasie hat, sich einen auszudenken.«

Sie würden staunen. Dazu braucht man keine Fantasie. Nur ein Telefonbuch und eine Pin-Nummer. Es ist natürlich schwieriger, offiziell etwas zu unternehmen, aber Sie können sich Hurdy-Gurdy bin Laden nennen, wenn Sie wollen, und keiner kann Sie davon abhalten.

»Tja«, sagt er, »es gibt eine Grenze, wie viel mehr ich mit den Informationen, die ich habe, tun kann. Ich möchte Sie ja nicht abzocken.«

»Versuchen Sie es weiter«, fordert Kieran. »Es ist mir egal, was es kostet.«

»Wenn Sie sich sicher sind …«

»Absolut. Die beiden können nicht einfach verschwinden.«

Genau genommen verschwinden jedes Jahr Tausende, auch wenn die Regierung unsinnig viel Geld für die Überwachung ausgibt. Aber was für einen Sinn hat es, Ihnen das zu sagen? Honorar ist schließlich Honorar.

»Tja«, sagt er, »wenn Ihnen irgendetwas einfällt, was mir einen Hinweis geben könnte, lassen Sie es mich wissen.«

»Selbstverständlich«, antwortet Fletcher.

Er legt auf. Macht sich ein paar Notizen und bereitet sich einen Becher Nescafé zu. Tut drei Stück Zucker hinein.

Das Telefon klingelt. Er nimmt ab und hört zu.

»Ich habe nachgedacht«, erklärt Kieran Fletcher. »Und mir ist da etwas eingefallen. Ihre Eltern haben sie bekommen, bevor sie verheiratet waren. Ich hatte das ganz vergessen, weil das etwas war, worüber nicht viel gesprochen wurde. Aber ich vermute, sie könnte sich jetzt vielleicht Sweeny nennen.«

Das Haus der verlorenen Kinder
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