17
Sie steckt wieder in dem alten Traum fest. Dem Albtraum. Nacht für Nacht, immer wieder, wie eine Videosequenz, die immer wieder abläuft: seine Zähne gebleckt, die Faust erhoben, das Knirschen, wenn er zuschlägt, das Rot. Immer wieder. Sein verschlagenes Gesicht, das sich in der Dunkelheit drohend abzeichnet, wie er auf sie zustürzt, einen Satz macht …
Sie denkt, dass sie vielleicht geschrien hat. Irgendetwas hat sie aufgeweckt. Und dann fällt es ihr ein.
Er war hier, denkt sie. Er war hier. Ich habe ihn gegen die Tür trommeln hören, brüllen hören, dass er hereingelassen werden will. Aber jetzt ist da nichts außer dem Wind. Und dem Schweiß auf den Laken. Und der Dunkelheit. Samtige, alles einhüllende Dunkelheit. Jene Art von Dunkelheit, wie sie ihrer Vorstellung nach die Blinden sehen. Sie kann in ihrem Schlafzimmer nichts erkennen: Kein Schein einer Straßenlaterne schimmert durch die Vorhänge, keine roten LED-Ziffern eines Weckers schaffen ihre eigene winzige Oase von Normalität. Kein einziger Laut: nur das Heulen des Sturms und das Geräusch ihres eigenen Atems.
Er ist hier. Er ist hier.
Sie tastet in die Dunkelheit, um das Licht anzuknipsen, greift ins Leere. Spürt, wie die Panik ihr wieder die Kehle zuschnürt. Sie ist weg. Sie ist weg. Die Welt ist verschwunden, während ich geschlafen habe …
Und dann erinnert sie sich. Du bist nicht mehr in Streatham. Du bist in Cornwall. Die Lampe steht auf der anderen Seite des Betts.
Wieder streckt sie die Hand aus, dieses Mal die linke, findet die vertraute Form ihrer Nachttischlampe und drückt auf den Knopf. Atmet durch. Lässt sich auf das Kissen zurückfallen.
Plötzlich wird das Zimmer, das riesig wie der Hades gewirkt hat, als sie dessen Begrenzung nicht sehen konnte, wieder kleiner, wird gemütlich. Sie mag dieses Zimmer bereits. Die Holztäfelung und das Geräusch des Windes, der draußen durch die Blätter raschelt, vermitteln ihr das Gefühl, in einem Boot zu sein, weit draußen auf dem Meer, in sicherer Distanz von London, von Kieran, von ihrer Angst. Das hier wird unser sicherer Hafen sein. Ich weiß es. Das wird unser Zufluchtsort sein.
Bridget entspannt sich allmählich. Er kann uns nicht finden. Wir sind in Sicherheit, und er kann mich nur in meinen Träumen verfolgen, und jetzt bin ich wach, und wir sind wieder sicher.
Sie greift nach ihrer Armbanduhr, die auf dem Nachttischchen liegt – der Wecker ist noch immer irgendwo vergraben, wohl ganz unten in einem der Müllsäcke im Wohnzimmer –, und schaut, wie spät es ist. 1 Uhr 30. Schon wieder bin ich mitten in der Nacht wach. Wie lange wird es dauern, bis ich wieder lerne, richtig zu schlafen? Wann werde ich ins Bett gehen, meine Augen zumachen, liegen bleiben und schlafen, ohne mit einem Ohr nach einem Eindringling zu lauschen? Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt. Habe so viele Nächte damit verbracht, auf den Schlag gegen die Tür zu warten, das Trommeln mit den Fäusten, seine bellende Stimme.
Das braucht Zeit, Bridget. Es wird lange, lange dauern, bis du wieder die ganze Nacht durchschläfst.
Neben dem Wasserkocher liegt eine Packung Baldriantee, den sie in dem Öko-Laden in Wadebridge auf Anraten eines Mädchens gekauft hat, das aussah, als sei es kaum alt genug, um lesen zu können, geschweige denn Fremde zu beraten. Sie wirft die Decke zurück, steigt aus dem Bett und tapst in die Küche hinüber.
Heute Nacht bläst der Wind aber richtig stark. Es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen, dass das warme, schöne Cornwall, das Ziel Hunderttausender Urlauber, die den britischen Traum von einer eigenen, sonnigen Riviera träumen, im Winter so unwirtlich sein kann. Aber das ist es natürlich: Schließlich liegt es eingeklemmt zwischen dem Bristolkanal und dem stürmischen westlichen Ärmelkanal. Am Rande eines für seine Tücken und Todesgefahren berüchtigten Ödlands. Diese felsigen Küsten haben schon immer für reichlich Strandgut von Schiffswracks gesorgt. Nur in einem ungezähmten Teil des Landes konnten die Bewohner dies so lange treiben, nämlich in Seenot geratenen Seeleuten einfach die Kehle zu durchschneiden und ihre angespülte Ladung zu plündern, um die jämmerlichen Erträge ihrer Farmen aufzustocken. Als sie noch ein Kind war – bevor es uncool wurde, zu lesen, bevor der Tod ihrer Eltern sie frühzeitig in eine Welt der Sorgen Erwachsener warf, vor Kieran –, pflegte sie die Bücher von Daphne du Maurier zu verschlingen, sich mit Vergnügen die Geschichten über ferne Länder und wagemutige Abenteuer reinzuziehen. Es ist wirklich komisch, dass sie erst jetzt bemerkt hat, dass sie nun genau an dem Ort wohnt, an dem viele dieser Geschichten spielten. Sie waren auf dem Weg hierher sogar an Hinweisschildern auf ein Jamaica Inn vorbeigekommen.
Sie füllt den Wasserkocher, schaltet ihn ein und setzt sich an den Küchentisch, um zu warten, bis das Wasser kocht. Während sie so dasitzt, wird ihr klar, dass sie tatsächlich zum ersten Mal, seit sie den Plan, hierher zu kommen, in die Tat umgesetzt hat, Hunger verspürt. Richtigen Hunger. Sie ist nicht einfach nur aus dem Wissen heraus hungrig, dass sie etwas essen muss, um fit zu bleiben, sondern sie empfindet einen so genüsslichen und vorfreudigen Hunger, dass sie sich kaum erinnern kann, wann sie das letzte Mal ein so starkes Gefühl verspürt hat.
Ein pochiertes Ei auf Toast, genau das möchte sie jetzt essen. Ihr läuft das Wasser im Mund zusammen bei dem Gedanken an zähflüssiges Eigelb, das sich auf einer warmen Schicht Butter und Marmite ausbreitet, auf schwerem Vollkornbrot frisch aus dem Toaster. Unglaublich, wie die einfachsten Genüsse im Kern eine solche Sinnlichkeit haben können. Sie geht zum Kühlschrank, holt ein paar Scheiben Brot aus der Tüte und steckt sie in den Toaster.
Das Heulen des Windes nimmt zu, er donnert gegen die Fensterscheiben wie ein vorbeisausender Schnellzug. Sie erschaudert unweigerlich, obwohl der Raum warm und sie gut eingemummelt ist. Dann schmunzelt sie. Mensch, das ist nett. Ich kann mich erinnern … ach, Yasmin, das wird schön. Wir werden hier eine glückliche Zeit verbringen. Unser erster richtiger Winter. Wir können all die typisch britischen winterlichen Traditionen pflegen: Brötchen an einem offenen Feuer rösten; eine Schneeballschlacht machen; geschützt von Mützen mit Ohrenklappen durch den Regen rennen, mit vom Wind geröteten Wangen und von der Kälte leuchtenden Augen. Das ist gut. Das ist richtig gut …
Der Wasserkocher schaltet sich ab. Sie steht wieder auf, bereitet ihren Tee zu und füllt für die Eier einen Topf mit Wasser.
Es kann alles so einfach sein, denkt sie. Hier, an unserem Zufluchtsort: Wir müssen nur ehrliche Arbeit für ehrlichen Lohn leisten und die Freuden des einfachen Lebens genießen. Es ist wunderbar. Fast himmlisch. Wie konnte ich nur so lange leben, ohne mir darüber klar zu werden, dass ein pochiertes Ei der Beweis ist, dass es tatsächlich einen Gott gibt? Die Eier, von freilaufenden Hühnern, haben Dotter, die größer und gelber sind als alles, was sie, so weit sie sich erinnert, je in London gesehen hat. Sie zerbrechen unter ihrem Messer, tropfen in goldenen Punkten perfekt auf den Toast, sickern ein. Bridget nimmt einen Schluck von ihrem Tee, schneidet sich eine Ecke vom Toast ab, verstreicht das Eigelb und steckt sich das Ganze in den Mund. Schließt die Augen und unterdrückt ein erstauntes, freudiges Stöhnen. Ihr kommt es vor, als erwache sie langsam aus einem langen tiefen Schlaf. Plötzlich nimmt sie Dinge um sich wahr – Essen, Farben, Wärme und Kälte –, gegen die sie glaubte, möglicherweise für immer unempfänglich geworden zu sein.
Es gibt ein Sprichwort – aus Spanien, glaubt sie –, das besagt: »Ein in Angst verbrachtes Leben ist nur ein halbes Leben«, und sie meint, allmählich die ganze Wahrheit dahinter zu begreifen. Das Leben mit Kieran – die Angst, der ständige Eiertanz, der vorsichtige Umgang mit Wörtern, Blicken und Taten, um zu verhindern, dass eine neue Runde der Bestrafungen beginnt – war ein Leben in Schwarz und Weiß und Grauschattierungen. Sie hat nie gewagt, die Farben zu kosten, die Wärme zu sehen und Musik zu fühlen.
Ich hatte nie auch nur eine Sekunde für mich, selbst wenn er nicht da war, überlegt sie. Es wäre undenkbar gewesen, einfach so dazusitzen und diesen Moment zu genießen, wenn ich wüsste, dass er jeden Augenblick durch die Tür kommen könnte, mich untätig antrifft, wütend wird. Es ging ums nackte Überleben, denkt sie: Das war kein Leben. Sie schneidet sich noch ein Stück Brot ab, macht die Augen zu und genießt den salzigen, fettigen Geschmack.
»Ich kann nicht schlafen.«
Bridget schlägt die Augen auf. Yasmin – im pinkfarbenen dicken Schlafanzug, den abgewetzten alten Plüschaffen gegen die Brust gepresst – steht barfuß in der Tür, die Haare zerzaust, die Augen groß und braun.
»Tut mir leid, Baby. Hab ich dich geweckt?«
Yasmin reibt sich müde mit der Faust über die Nasenwurzel.
»Ich weiß nicht«, stellt sie fest. »Ich glaub, ich bin schon die ganze Zeit wach. Was isst du da?«
»Eier. Willst du was?«
»Igitt«, antwortet Yasmin, »Eier.« Sie verzieht das Gesicht und streckt die Zunge heraus. »Nein, danke.«
»Gar nicht igitt«, sagt sie. »Eier sind wunderbar. Vor allem auf Toast.«
»Eklig«, entgegnet Yasmin unmissverständlich. Gestern hat sie ohne einen Mucks drei Schalen selbst gemachten Vanillepudding ausgelöffelt. Das Rätsel der ständig wechselnden Vorlieben von Kindern wird wohl nie gelöst werden.
»Ich bin beinahe fertig«, sagt Bridget, »dann bringe ich dich wieder ins Bett.«
»Ich will nicht«, antwortet Yasmin.
»Doch«, beharrt Bridget, »es ist Schlafenszeit. Schon längst.«
»Kann ich nicht zu dir kommen?«
»Nein, Schatz. Du hast jetzt dein eigenes Zimmer. Und da schläfst du auch.«
»Ja, aber«, sagt Yasmin.
»Nichts aber«, entgegnet Bridget. »Du bist jetzt ein großes Mädchen. Du willst doch sicher in deinem eigenen Zimmer schlafen, oder etwa nicht? Nur Babys wollen bei den Erwachsenen schlafen.«
Yasmin sieht aus, als sei sie hin und her gerissen. Die Anspielung, wie groß sie doch ist, funktioniert immer. Bis zu einem gewissen Punkt. Ihre Freude darüber, jetzt ein Zimmer für sich allein zu haben, hat offensichtlich einen harten Kampf mit der Erinnerung an all die kuscheligen Nächte bei ihrer Mutter auszufechten. Bridget wusste ja im Voraus, dass diese Trennung schwierig werden würde. Sie ist sogar erstaunt, dass Yasmin schon sechs Nächte mitgespielt hat.
Yasmin runzelt die Stirn. »Ja, aber wenn ich nicht schlafen kann, dann bin ich morgen müde, und das gefällt dir dann auch nicht«, droht sie.
Bridget schiebt sich den letzten Bissen ihres Mitternachtsmahls in den Mund, kaut ein paar Mal und spült ihn dann mit dem Rest des Tees hinunter. Es ist Zeit, konsequent zu sein. Wenn ich weiter mit ihr herumdiskutiere, dann glaubt sie noch, es bestehe Spielraum für Verhandlungen. »Ja«, sagt sie und streckt die Hand aus, »und du weißt, dass morgen die ersten Gäste kommen. Und das bedeutet, dass wir beide fit sein müssen. Komm schon. Ich bring dich zurück.«
Und plötzlich hat ihre Tochter Tränen in den Augen. »Mummy, bitte! Bitte? Kann ich kommen und bei dir schlafen? Nur heute Nacht?«
»Schatz«, antwortet Bridget, »wenn wir es heute Nacht machen, dann geht es morgen Abend und übermorgen so weiter. Komm schon. Du bist doch ein großes Mädchen. Weißt du, wie viele Leute sich inständig wünschen, ein Zimmer ganz für sich allein zu haben?«
»Aber das ist es nicht! Das ist es nicht!«
»Nicht was?«
»Nicht nur für …« Sie hält inne und sieht ein bisschen verwirrt aus, was sie da gerade sagen wollte, schlägt eine andere Richtung ein. »Ich kann heute Nacht einfach nicht schlafen! Bitte, Mummy! Ich war nicht mehr – ich war nicht mehr bei dir, seit wir hierher gekommen sind, oder?«
Bridget muss einräumen, dass das stimmt. Gewissermaßen. Yasmin hat zumindest immer gewartet, bis sie selbst fest eingeschlafen war, bevor sie zu ihr unter die Decke geschlüpft ist. »Und was ist heute Nacht so anders?«
»Ich weiß nicht«, antwortet Yasmin zögerlich. »Ich kann einfach nicht … Ich habe das Gefühl, da ist …«
»Es ist nur der Wind. Nichts weiter. Heute Nacht ist es da draußen nur ein bisschen stürmisch.«
Sie kommen an der Zimmertür an. Yasmin, die Bridgets Hand noch immer umklammert, weicht energisch zurück, versucht, ihre Mutter wieder in den Korridor zu ziehen. »Bitte, Mummy!«
Ich muss hart bleiben. Wir können nicht so weitermachen und in einem Bett schlafen, bis sie ein Teenager ist. Sie beugt sich hinab, nimmt ihre Tochter hoch und drückt sie sich an die Seite. Yasmin schlingt automatisch die Beine um ihre Hüfte, sitzt auf der Rundung, die mit den Jahren und durch die falsche Ernährung noch üppiger geworden ist. »Bitte«,
fleht sie wieder.
»Ich stecke dich ins Bett«, sagt Bridget.
Sie knipst das Licht an und stellt fest, dass beide Betten im Zimmer zerwühlt sind. Das Gästebett, dasjenige auf der rechten Seite, sieht aus, als sei es von einem Oberfeldwebel, der im Kadettenschlafsaal eine Kontrolle durchgeführt hat, komplett auseinandergenommen worden. Kissen, Quilt und Leintuch liegen zusammengeknüllt an der Wand. Bridget seufzt.
»Du musst mit dem Einschlafen ja echte Schwierigkeiten gehabt haben. Und, hast du dich jetzt entschieden, welches dein Bett sein soll?«
Yasmin schaut verdutzt drein. »Na ja – das da.«
Sie deutet auf jenes, für das sie sich ursprünglich entschieden hat, dasjenige unter der Dachschräge. Es ist, so, wie sie es gemeinsam hergerichtet hatten, mit ihren Kuscheltieren, Puppen und Büchern vollgeladen. Nur ein kleiner Platz in der Mitte ist frei. Es sieht jedenfalls nach einem Bett aus, in dem eine Sechsjährige gerne schläft. »Selbstverständlich«, fügt sie hinzu.
»Dann hast du das andere nur ausprobiert, ob es groß genug ist, Schatz?«
Bridget reibt die Nase an der Wange ihrer Tochter, atmet den Duft von Seife und Kindershampoo ein. Wie ich dich liebe, denkt sie. Wie sehr ich dich liebe. Wie viel Arbeit du auch machst.
»Ich hab nicht …«, sagt Yasmin.
»Na ja, irgendjemand muss es ja gemacht haben«, stellt Bridget lachend fest. »Wer war das? Der unsichtbare Mann?«
Ihre Tochter erstarrt. »Welcher unsichtbare Mann?«
Sie ist gut darin, Dinge wörtlich zu nehmen, wenn sie meint, sich damit einen Vorteil verschaffen zu können.
»Ein Spaß«, sagt Bridget. »Nur ein Spaß, Yasmin. Es gibt keinen unsichtbaren Mann. Keinen einzigen. Das war nur Spaß.«
»Na ja, ich war es nicht!«, beharrt sie. »Irgendjemand muss es gewesen sein, weil ich es nicht war!«
Klar, klar, klar. Und dieser Spiegel ist heute Vormittag ganz von allein von der Wand gefallen.
»Hör auf, Yasmin! Sofort!«, fährt sie sie an. »Du zögerst das mit deinen Spielchen jetzt nicht weiter hinaus. Ins Bett mit dir, sonst …«, sie sucht nach einer Strafe, »… sonst machst du morgen dieses Bett da ganz allein!«
»Nein, Mummy!« Yasmin klammert sich fester an ihren Hals, gräbt die Knie in ihren Bauch und ihren Rücken wie ein Cowboy, der sich auf einem bockenden Pferd halten will. »Neinneinnein, bitte, Mummy! Ich verspreche dir auch, dass ich gleich einschlafe.«
»Das kann ich mir denken«, antwortet Bridget und löst die sie umklammernden Arme. Der Baldriantee wirkt allmählich, und sie fühlt sich zu müde, um weiter herumzudiskutieren, zu müde, etwas anderes zu tun, als in ihr Zimmer zurückzustolpern und unter die Decke zu schlüpfen. Sie hat heute achtzehn Betten bezogen und von oben bis unten sämtliche Gästezimmer gesaugt. Morgen muss sie freundlich und herzlich sein und achtzehn Handtuchgarnituren austeilen, einem halben Dutzend Erwachsenen die Holzvorräte, Waschküchen und Garagen zeigen. »Dafür habe ich keine Zeit, Yasmin. Geh ins Bett.«
Sie ist erstaunt, wie streng und entschlossen sie klingt. »Keinen Quatsch mehr«, fordert sie. »Mach schon. Steig rein.«
Yasmin lässt los, fällt auf die Matratze. In ihren Augen stehen noch immer Tränen. »Bitte, lass mich nicht allein«, sagt sie. »Bitte, Mummy.«
»Komm schon«, antwortet Bridget. »Mach die Augen zu, und wenn du wieder aufwachst, ist es Morgen. Ich lasse das Licht im Flur an.«
Ein einzelner Schluchzer. Reine Erpressung, denkt Bridget. Sie weiß, dass sie mich immer rumkriegt, wenn sie auf tragisch macht. Meine ganzen Schuldgefühle, mein großes, weiches Herz. Ich finde es so schwierig, ihr etwas abzuschlagen, weil ich ihr einen so schlechten Start geboten habe. Das ist nicht fair. Ich muss konsequent bleiben. Sie zieht die Daunendecke hoch, sodass sie den Körper ihrer Tochter bedeckt, steckt sie an Hals und Schultern fest, während Yasmin weiterschluchzt. »Das funktioniert nicht«, sagt sie. »Jeder muss schlafen gehen.«
Sie streicht eine Strähne aus Yasmins Gesicht. »Na also«, sagt sie und zwingt ihre Stimme, beruhigend zu klingen. »Kuschelig und warm. Ist das nicht gleich besser?«
»Nein«, antwortet Yasmin. »Ich möchte bei dir schlafen.«
»Na ja, Sinn und Zweck eines eigenen Zimmers ist doch, dass man darin auch schläft. Komm schon, Schatz. Versuch’s noch mal. Du gewöhnst dich bestimmt daran, das verspreche ich dir.«
Yasmin straft sie mit ihrem Schweigen.
»Jetzt dreh dich einfach um und schlaf«, befiehlt Bridget.
Brav dreht Yasmin dem Raum den Rücken zu, nimmt ein Mittelding zwischen Embryo- und Gebetshaltung ein. Bridget beugt sich vor und drückt ihr einen Kuss auf den Haaransatz, unmittelbar vor ihrem Ohr. »Gute Nacht«, murmelt sie. »Schlaf gut, mein Schatz, und träum schön.«
Yasmin sagt nichts. Schnieft nur.
»Jetzt sei nicht beleidigt«, sagt Bridget. »Ich sehe dich morgen früh. Denk dran, dass ich dich lieb habe.«
Keine Antwort. Es ist erstaunlich, wie früh Kinder kapieren, dass eine der effektivsten Strafen überhaupt darin besteht, auf liebevolle Worte nicht zu reagieren.
Bridget geht durchs Zimmer, bleibt in der Tür stehen und knipst das Licht aus. »Gute Nacht, mein Schatz«, wiederholt sie. Noch immer keine Antwort.
Ihre Füße fühlen sich an, als seien sie auf dem Sisalteppich im Flur festgeklebt. Was immer sie von dem Teenager gehalten hat, der ihr den Tee verkaufte, es ist klar, dass das Mädchen wusste, wovon es redete. Sie trottet in ihr Zimmer zurück, lässt ihren Morgenmantel auf den Boden fallen und sinkt erschöpft ins Bett. Die Laken haben sich abgekühlt, während sie in der Küche war. Sie haben noch immer die Falten von der Verpackung – sie konnte einfach nicht widerstehen, sich in der Stadt, als Zeichen für den Neubeginn, neue Bettwäsche zu kaufen – und fühlen sich frisch und luxuriös an. Sie kuschelt sich hinein und horcht auf den Wind. Genießt das Gefühl, es in dieser kalten Nacht warm zu haben und im Trockenen zu sein. Es wird gut, denkt sie. Es wird alles gut …
Die Tür geht auf. Sie braucht nicht in Richtung des Lichts zu schauen, um zu wissen, dass Yasmin dort steht. Stures kleines Ding, denkt sie. Nimmt einfach kein Nein hin. Das muss sie von ihrem Vater haben.
Ich befasse mich morgen damit. Jetzt bin ich zu müde. Morgen …
Kleine Füße tapsen über den Teppich. Die Bettdecke wird angehoben, sodass die kalte Nachtluft hereinströmt. Bridget rückt ein Stück, um Platz zu machen. Ich kann jetzt in der Nacht keinen Wutanfall gebrauchen. Bloß nicht heute Nacht …
Yasmin schlüpft neben sie. Kuschelt sich an sie und zieht Bridgets Arm über sich. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht schlafen kann«, sagt sie und drückt ihre Nase unter Bridgets Achsel.
Und Lily schaut zu und wartet, bis der Atem der beiden langsamer und tiefer wird und ein leises Schnarchen zu vernehmen ist.