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Michael Terry, ich hasse dich. Dich und deine dürre Schnalle. Es sind nicht nur die fleckigen Leintücher, die auf die Perserteppiche ausgeleerten Aschenbecher oder die Streifen ölhaltiger Schminke auf den Sofakissen – wo vermutlich jemand mit dem Gesicht nach unten geschwitzt hat – oder die zerbrochenen Gläser – mindestens drei, wenn man die Stiele zählt – auf dem Weg im Vorgarten, wo meine Tochter sich ja zum Spielen hätte aufhalten können, oder die große Kerbe im Lack des Türrahmens vom Salon, in dem du und deine Freunde Tausendwattlautsprecher aufgestellt habt, um mich und meine Tochter die ganze Nacht wach zu halten, oder der helle Fleck auf dem Esszimmertisch, wo einer deiner Freunde ein Glas umgestoßen und keiner sich die Mühe gemacht hat, die Flüssigkeit aufzuwischen, oder die Tatsache, dass du jedes einzelne Utensil beider Küchen benutzt hast – Töpfe, Pfannen, Teller, Schüsseln, Gläser, Becher, Tassen, Platten, Besteck, Sandwichmaker, Dampfkochtöpfe und Tupperdosen –, um dir selbst die schreckliche Mühe zu ersparen, die Spülmaschine zu beladen, und mich das alles machen lässt, sobald ihr abgereist seid. Oder das weiße Pulver – ach, was seid ihr doch für vornehme Leute! –, für das ich jetzt eine Stunde aufgewendet habe, um es aus den Ritzen des Couchtischs zu kratzen, oder die benutzten Kondome, die ich mit Gummihandschuhen aus dem Siphon der Sickergrube fischen musste, oder der tolle große Brandfleck auf der Arbeitsfläche der hinteren Küche, wo du eine Kasserolle abgestellt hast, ohne dir die Mühe zu machen, einen Untersetzer zu benutzen, oder die Spuren in deinem Klo, obwohl direkt daneben ein Bürstenset steht, oder die Art und Weise, wie ihr eure Handtücher, anstatt sie aufzuhängen, zusammengeknüllt und feucht liegen gelassen habt, sodass sich die Keime schön vermehrten, ja nicht einmal die Tatsache, dass du es nicht für nötig gehalten hast, auch nur eine einzige Münze als Trinkgeld dazulassen – keiner von euch –, und das nach dem, wie ihr uns die ganze Woche behandelt habt, mit dieser Arroganz und dem Befehlston und ohne je Bitte oder Danke zu sagen. Du gehörst wahrscheinlich zu jenen Leuten, die den Mindestlohn als Rechtfertigung dafür anführen, dass sie in Restaurants kein Trinkgeld geben.
Nein, es ist nichts davon, so widerwärtig das alles auch sein mag. Es ist die Art und Weise, wie du in deinem Zimmer gewütet hast.
So benimmt man sich nicht. Nicht einmal die Brüder Gal-lagher verhalten sich so. Was ist an diesem Zimmer, dass es seine Bewohner offenbar durchdrehen lässt? Und sie in eine seltsame Mischung aus Mensch und Schwein verwandelt?
Sie haben es wieder buchstäblich auseinandergenommen. Es sieht wieder so aus wie an dem Tag, als ich ankam, der Baldachin des Himmelbetts wieder heruntergezogen, die Gemälde schief, die Bettdecken herausgerissen und in den Wandschrank gestopft, dessen Tür offen steht. Aber es ist noch schlimmer. Ich weiß nicht, was sie sich dabei gedacht haben. Da ist ein Rotweinfleck auf der Matratze. Und was der Sache die Krone aufsetzt, daneben etwas, was wie eine Lache getrockneten Bluts aussieht. Mehr noch. Es sieht so aus, als hätten sie den Inhalt des Beautycases in Jumbogröße ausprobiert, den die schrille Frau Terry bei ihrer Ankunft mit sich trug. Gesichtscreme. Körpermilch. Shampoo. Poison von Calvin Klein. Kakaobutter von Palmer’s. Puder, in einem Tiegel mit einer flauschigen, pinkfarbenen Quaste. Grundierung. Selbstbräuner. Das alles ausgedrückt, ausgeleert, aufgerissen und im Zimmer herumgeschmissen. Da ist Lidschatten in den Teppich getreten. Conditioner – o mein Gott, bitte, lass es Conditioner sein – über die Vorhänge verteilt.
Die Kaution könnt ihr euch wirklich abschminken. Was bringt Leute bloß dazu, so etwas zu machen? Tun sie das auch bei sich zu Hause? Tun sie das wirklich?
Es ist zehn Uhr. Am Abend. Und sie hat es gerade einmal geschafft, all die Teller und Gläser – abgestellt und mit den Speiseresten stehen gelassen, wo immer den Gästen gerade die Lust darauf verging – aus den Zimmern zu räumen und in die Küche zu bringen. Yasmin geht ab morgen in die Schule, und dann wird sie den ganzen Tag allein sein in diesem großen, leeren Haus, und alle Zeit der Welt haben, systematisch vorzugehen, Zimmer für Zimmer blitzsauber zu machen, die Oberflächen zu desinfizieren und das Holz zu ölen. Aber jetzt, wo sie das hier gesehen hat, lässt es ihr keine Ruhe mehr. Eigentlich wollte sie nur die Betten abziehen, aber jetzt, da Yasmin eingeschlafen ist, kniet sie auf der Matratze und betupft die Widerwärtigkeiten der Gäste mit Fleckenmittel, weil viele dieser Flecken behandelt werden müssen, bevor sie sich festsetzen.
Was für ein Mensch muss man sein?
Und das Komische ist, sie kommt sich vor, als würde sie beobachtet. Ertappt sich immer wieder dabei, dass sie nach Luft schnappt und herumfährt, um einen Blick in den offenen Schrank zu werfen. Er wird kommen. Das ist es, was ihr immer wieder durch den Kopf geht. Er wird kommen. Und wenn sie genauer hinsieht, macht sie im Halbdunkel etwas Dunkles aus, aber natürlich ist niemand da.
Habe ich die Tür abgeschlossen?
Selbstverständlich hast du das.
Wirklich?
Ich kann mich nicht erinnern.
Er wird zurückkommen.
Er kann nicht zurückkommen. Er war ja noch nie hier.
Er wird zurückkommen, und ich kann nirgends hin.
Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. Viertel nach. Ob wohl irgendwann die Zeit kommen wird, wenn ich nicht mehr automatisch noch einmal nachsehe? Wenn ich einfach ins Bett gehe und liegen bleibe? Es hat ja nicht nur mit Kieran zu tun: Es hat mit dem Leben auf dem Lande zu tun. Die Leute hier liegen nachts nicht wach und horchen, ob irgendwo einer eine Glasscheibe einschlägt.
Besser, ich gehe hinunter und schaue nach. Ich kann mich nicht erinnern. Kann mich nicht erinnern, die Riegel vorgeschoben zu haben. Kann mich nicht erinnern, der Reihe nach an jedem der Fenster im Erdgeschoss gerüttelt zu haben. Kann mich nicht erinnern, den großen, schweren Schlüssel umgedreht zu haben, der immer in der Tür der Spülküche steckt.
Sie geht hinüber, schaut kurz in der Wohnung vorbei. Steckt den Kopf in Yasmins Zimmer. Sie schläft tief und fest: völlig entspannt, die Glieder so genüsslich ausgestreckt, dass sie wie eine Stoffpuppe aussieht. Wieder hat sie das Gästebett ausprobiert. Das Laken ist zerwühlt, die Decke zurückgeschlagen, als wäre sie hastig aus dem Bett gestiegen, das Kissen ist zwischen Bett und Nachttischchen gerutscht. Macht nichts. Irgendwann wird sie sich entscheiden. Wird heimisch werden. Vielleicht lasse ich es einfach so, verzichte darauf, das Bett wieder zu machen. Sie wird es sowieso wieder zerwühlen.
Noch immer hängt im Speisezimmer ein Geruch in der Luft: nach Zigarettenrauch und abgestandenem Wein. Sie geht langsam und methodisch durch das Erdgeschoss. Fenster im Vorraum. Salonfenster. Hintere Küche. Die hat nur ein Sicherheitsschloss. Sie wird Tom Gordhavo bitten müssen, in Sachen Schlösser aufzurüsten. Das ist eigentlich nur fair. Tür des Ostflügels. Eingangstür. Der obere Riegel ist nicht vorgeschoben, aber der Schlüssel ist natürlich umgedreht worden. Jetzt erinnere ich mich. Ich erinnere mich, weil mir dabei dieser dumme Gedanke durch den Kopf gegangen ist: Wenn man abschließt, schließt man sich zugleich ein.
Sie wirft einen Blick über die Schulter. Das Problem ist, dass ein Haus wie dieses eigentlich voller Menschen sein müsste. Vielleicht nicht gerade Leute wie die Terrys, aber ohne sie, jetzt, da sie, nachdem sie wie ein Starenschwarm eingefallen waren, wieder davongeflogen sind, ist der Kontrast umso stärker. Ohne sie ist die Dunkelheit dunkler, die düsteren Stellen düsterer. Ohne die Rastlosigkeit anderer Menschen hallt jedes Geräusch, jedes Knirschen im vierhundert Jahre alten Gebälk des Gebäudes wie Kanonenfeuer wider. Wenn sie abreisen, bin ich mir, weil sie da waren, stärker bewusst, dass ich allein bin.
Während sie an den Speisezimmerfenstern rüttelt, späht sie in den Garten und den Hof dahinter hinaus. Noch nie hat sie eine solche Dunkelheit gesehen. Die Hügel zu allen Seiten verdecken die Lichter des Dorfes, und Wolken haben sich vor den Mond geschoben. Das einzige Licht kommt aus ihren eigenen Fenstern: die Lichter hier und im Zimmer mit dem Himmelbett lassen den Winterliguster wie kauernde Trolle und die alte Ulme wie eine bucklige Riesin erscheinen, und der Knoten, wo vor Jahren wohl ein Ast entfernt wurde, wirkt wie ein einzelnes, starres Auge.
Es ist schön. Komm schon, es ist schön. Viele Leute würden alles geben, um so wohnen zu dürfen.
Die Fenster sind alle geschlossen. Sie zieht die Vorhänge zu, um die Nacht auszusperren.
Halb elf. Ich muss um sieben aufstehen, damit Yasmin rechtzeitig für die Schule gewaschen ist und gefrühstückt hat. Sie braucht ein ordentliches Frühstück, denn sie muss einen guten Eindruck machen. Das Letzte, was Yasmin gebrauchen kann, ist, als vernachlässigtes Stadtkind abgestempelt zu werden, bevor sie überhaupt die Chance haben, sie kennenzulernen. Wahrscheinlich hinkt sie den anderen beim Lesen etwas hinterher. In der letzten Schule scheinen sie nicht viel gemacht zu haben, außer dass sie sich weigerten, Schüler von der Schule auszuschließen und Kinder, die mit Messern zum Unterricht kamen, zur Beratung zu schicken.
Sie knipst das Licht im Speisezimmer aus und macht schnell die Tür zu. Küchenfenster. Spülküche. Alles in Ordnung. Der Wasserhahn tropft, und sie dreht ihn zu. Vielleicht sollte sie diese Vorhänge in die Waschmaschine stecken. Einen davon zumindest. Noch bevor ich ins Bett gehe. Die sind so schwer, die werden eine Woche brauchen, bis sie wieder trocken sind. Diese verdammten Terrys. Morgen werde ich Tom Gordhavo anrufen und ihm Bericht erstatten. Er muss es wissen, sonst werde ich für die Schäden selbst aufkommen müssen. Man stelle sich das nur vor. Was kann ihnen nur durch den Kopf gegangen sein, dass sie dachten, es sei irgendwie lustig, ihr Zimmer derart zu verwüsten? Wie lange haben sie sich noch darin aufgehalten, nachdem sie so gewütet hatten?
Ihr fallen die weggeworfenen, zu Origami-Figuren gefalteten Papierstreifen ein, die sie vom Teppich aufgehoben hat; Seiten aus Porno-Magazinen, so zurechtgeschnitten, dass lauter Lippen und Brüste und Penisse zu sehen waren, wieder und wieder zusammengefaltet; der widerliche kleine Spaß eines Drogendealers. Natürlich weiß ich, was denen zu Kopf gestiegen ist. Dazu braucht man keine wissenschaftliche Koryphäe zu sein.
Sie fühlt sich richtig erschöpft, als sie die Treppe zur Wohnung hinaufgeht. So, wie sie sich immer in London gefühlt hat, wenn sie den Schlafmangel spürte. Leute wie die Terrys, denkt sie, sind Widerlinge. Ihre dominierende Stellung, die es ihnen ermöglicht, anderen Leuten Schwierigkeiten zu bereiten, macht ihnen genauso viel Freude wie ihr Verhalten selbst. Das habe ich schon zu lange miterlebt. Das macht einen fertig. Ich bin froh, wenn ich heute in mein Bett komme.
Das Zimmer mit dem Himmelbett stinkt nach verschüttetem Parfum. Hier wird ein Dampfreiniger und ein Liter Febrèze nötig sein, um den Geruch rauszubekommen. Übel. Üble Leute. Gott sei Dank, dass sie fort sind. Gott sei Dank, dass wir endlich wieder allein sind.
Sie trägt den Frisierhocker zum Fenster hinüber und steigt darauf. Der Bettpfosten ist viel höher als gedacht, sie muss sich richtig strecken, um hinaufzureichen. Sie weiß, dass sie abwarten und morgen die Trittleiter holen sollte, aber vor lauter Müdigkeit wird sie hartnäckig. Sie will, dass die Anwesenheit der Terrys in diesem Haus getilgt wird, und sie möchte es so schnell wie möglich tun. Sie streckt sich, kommt mit dem Zeigefinger unten an den ersten Haken und drückt dagegen. Er springt heraus. Da, denkt sie. Senkt die Hand und schüttelt den Arm aus. Er tut von der Arbeit über Kopf bereits weh. Zum Teufel mit dir, Michael Terry.
Es dauert fünf Minuten, bis der Vorhang, Haken um Haken, abgehängt ist. Inzwischen schwitzt sie. Die Oberschenkelmuskeln schmerzen und auch ihre Schultern, und in ihren Fußsohlen hat sie vom langen Stehen auf den Zehenspitzen einen Krampf. Von draußen muss es aussehen, als sei ich verrückt, denkt sie; dass ich um elf Uhr abends auf einem Hocker herumbalanciere. Der Gedanke veranlasst sie, einen Blick in den leeren Garten hinunterzuwerfen. Das silberne Mondlicht beginnt zwischen den Wolken hindurch zu brechen, und beleuchtet den taufeuchten Rasen.
Bridget legt sich den Vorhang über den Unterarm. Da. Es lohnt sich doch. Das Licht ist inzwischen so stark, dass sie die Umrisse der einfarbigen Landschaft unter sich sieht. Licht fällt auf Silberspuren in den Granitmauern des Hauses und lässt sie glitzern. Alles glänzt und wirkt sauber, als wäre es von Regen rein gewaschen.
Im Ostflügel geht ein Licht an.