21
»Hallo?«
Am Ende der Leitung ist es still, dann hört man jemanden atmen.
Sie klemmt sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und rührt die Brotsauce um.
»Hallo?«
Yasmin sitzt am Küchentisch, trommelt mit ihren Absätzen gegen die Stuhlbeine, hält Messer und Gabel mit den Fäusten umklammert wie ein hungriges Kind in einem Comic. Sie kaut auf einer Haarsträhne herum, die sich unter ihrer Tiara gelöst hat. Gleich als sie aus der Kirche zurückgekommen sind, hat sie sich als Prinzessin verkleidet – pinkfarbenes Tutu, pinkfarbener Modeschmuck, pinkfarbene Schuhe, das alles hat sie heute Morgen beim Aufwachen am Fuß des Bettes vorgefunden. Bridget ist noch immer überrascht, dass sie es geschafft hat, sie zu überreden, nicht in dieser Aufmachung in die Kirche zu gehen.
»Hallo?«
»Verdammte Schlampe.«
Er ist betrunken. Die zwei simplen Schimpfwörter werden gelallt, aber seine Gehässigkeit ist trotzdem spürbar.
Sie sagt nichts. Überlegt: Ich sollte jetzt auflegen, die Verbindung unterbrechen. Aber sie ist wie erstarrt, machtlos, als stünde er tatsächlich hier im Raum. Sogar die Lichter scheinen schwächer zu werden, während sie nach Atem ringt.
»Frohe Weihnachten, verdammt«, sagt er.
Lautes Gelächter dringt durch den Fußboden herauf. Unten sitzen achtzehn Personen beim Essen.
Er kann dir nichts tun. Es sind Leute da.
Er weiß nicht, wo du bist. – Ich darf nicht zulassen, dass Yasmin sieht, wie viel Angst ich habe.
Sie dreht ihrer Tochter den Rücken zu, schiebt sich die Haare vors Gesicht.
»Wie geht’s meiner Tochter?«
»G-gut.«
Lass dich nicht auf ihn ein. Was machst du denn da? Rede nicht mit ihm.
Leg einfach auf.
»Ich möchte mit ihr reden.«
»Tut mir leid, aber das ist nicht möglich.«
»Lass mich mit ihr reden. Ich möchte mit meiner Tochter sprechen.«
»Nein«, sagt sie.
Mein Gott, ich habe gerade nein zu ihm gesagt.
Er brüllt: »Lass mich mit meiner Tochter reden, VERDAMMT! Das kannst du nicht machen! Du kannst nicht einfach davonrennen, verdammt, und erwarten, dass ich – das werde ich dir noch BEIBRINGEN, Bridget! Verflucht, du wirst …«
Sie legt auf. Unterbricht die Verbindung und knallt das Telefon hin.
Er kriegt dich nicht, Bridget. Er ist meilenweit weg. Er weiß nicht, wo du bist.
Ihre Hände zittern, und sie fühlt, dass sie schwitzt.
Es ist gut. Es ist gut. Atme weiter.
Es riecht verbrannt. Die Brotsauce, die immer noch auf dem Herd steht, ist angebrannt. Sie nimmt sie von der Platte und rührt wie wild. Atmet durch.
»Wer war das?«, fragt Yasmin.
Zwei weitere Atemzüge. Sie setzt ein Lächeln auf und wendet sich wieder dem Raum zu.
»Niemand«, antwortet sie. »Verwählt. Ist das zu fassen? Selbst an Weihnachten versuchen die noch, einem Sachen anzudrehen!«