KAPITEL ACHTUNDDREISSIG

Perenelle Flamel wandte sich vom Fenster ab und blickte ihren Mann an. »Du würdest mir nicht glauben, wenn ich dir sagen würde, was ich gerade gesehen habe«, begann sie in altem Französisch.

Nicholas Flamel stand vor dem Spiegel und rasierte sorgfältig seinen Dreitagebart ab. Er sah seine Frau im Spiegel an. »Du hast mich gerade von den Toten auferweckt. Ich glaube alles, was du sagst.«

Perenelle setzte sich ans Fußende eines Bettes, das so hoch war, dass ihre Füße in der Luft baumelten. »Eben sind drei Ältere und ein Unsterblicher hier aufgekreuzt. Einer von ihnen trägt eine Augenklappe«, fügte sie bedeutungsvoll hinzu.

Nicholas grinste. »Odin. Er ist hinter Dee her. Wer sind die anderen?«

»Eine junge Frau. Sie sah etwas merkwürdig aus. Ihr Gesicht war nur schwer zu erkennen, aber es war von irgendetwas befallen. Es hatte schwarze und weiße Flecken …«

»Das klingt nach Hel«, sagte Nicholas leise. »Odin und Hel zusammen. Dann hat Dee aber ganz massive Probleme. Wer ist noch dabei?«

»Ein kräftiger Älterer in einer Lederjacke. Ich bin ihm noch nie begegnet. Aber im selben Augenblick, in dem er Prometheus gesehen hat, hat er sich mit einem kurzen Schwert auf ihn gestürzt.«

Nicholas lächelte. »Das könnte jeder sein. Prometheus hat viele Feinde, obwohl nur sehr wenige noch am Leben sind. Und wer ist der Unsterbliche?«

»Ich bin mir nicht sicher, aber sein Gesicht kam mir irgendwie vertraut vor.« Perenelle runzelte die Stirn und versuchte, sich zu erinnern. »Ein Indianer. Aber nicht dein Freund Geronimo«, fügte sie rasch hinzu.

»Das hab ich auch nicht angenommen.« Flamel wischte sich Rasierschaum vom Kinn. »Er würde nie in der Gesellschaft von Dunklen des Älteren Geschlechts hierherkommen.« Er drehte sich zu seiner Frau um und breitete die Arme aus. »Wie sehe ich aus?«

»Alt.« Perenelle sprang vom Bett, schlang die Arme um ihren Mann und hielt ihn ganz fest. Dann fuhr sie mit den Fingern seine Stirnfalten nach. »Selbst deine Falten haben Falten.«

»Na ja, ich bin nun mal sechshundertsiebenundsiebzig Jahre alt …«

»Sechshundertsechsundsiebzig«, korrigierte sie ihn. »Es sind noch drei Monate bis zu deinem Geburts–« Sie hielt inne. Beide wussten, dass sie seinen nächsten Geburtstag nicht erleben würden. Perenelle wandte sich rasch ab, damit Nicholas ihre Tränen nicht sah. Sie zeigte auf einen Stapel Kleider am Fußende des Bettes. »In diesem Zimmer schlafen die Eltern der Zwillinge, wenn sie in der Stadt sind. Die Sachen gehören ihrem Vater. Möglich, dass sie dir etwas zu groß sind, aber wenigstens sind sie sauber.«

»Was ist mit meiner Jeans und meinem T-Shirt passiert?«, wollte Flamel wissen.

»Hinüber.« Perenelle setzte sich auf die Bettkante und schaute ihrem Mann beim Anziehen zu. »Ein Tag, Nicholas. Ich habe dich nur noch einen einzigen Tag.«

»An einem Tag kann eine ganze Menge passieren«, erwiderte er leise. Er schlüpfte in ein khakifarbenes Hemd. Es war am Hals zu weit und die Ärmel reichten bis an die Fingerspitzen. Perenelle rollte die Ärmel hoch, während er das Hemd zuknöpfte. Dann holte sie den Skarabäus aus Jade vom Nachttisch. Sie hatte ein Lederband daran befestigt, und Nicholas senkte den Kopf, damit sie es ihm um den Hals hängen konnte. Dann legte sie die Hand auf den Käfer und drückte ihn auf Nicholas’ Brustkorb. Er legte seine Hand auf ihre. Ihre Auren knisterten grün und weiß und im Zimmer roch es plötzlich intensiv nach frischer Minze.

»Danke«, sagte er leise.

»Wofür?«

»Dafür, dass du mir einen zusätzlichen Tag geschenkt hast.«

»Ich habe das nicht für dich getan«, erwiderte sie mit einem Lächeln. »Das hatte rein egoistische Gründe.«

Er hob fragend eine Augenbraue.

»Ich habe es für mich getan. Ich wollte keinen Tag ohne dich leben.«

»Noch sind wir nicht tot«, erinnerte er sie. Dann nahm er ihre Hände. »Komm, lass uns nachsehen, was die Älteren im Schild führen. Es ist verdächtig still da unten.«

»Das liegt daran, dass sie alle eine Heidenangst vor Tsagaglalal haben. Sie wissen schließlich alle, wer sie ist.« Perenelle schwieg einen Augenblick, dann korrigierte sie sich. »Was sie ist.«

Nicholas Flamel Bd. 5 Der schwarze Hexenmeister
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