KAPITEL VIER

Zwei Polizisten in San Francisco hielten im selben Moment an, als das seltsame Trio – eine Frau, zuerst gefolgt von einem Jungen im Teenageralter, dann von einem älteren Mann – aus einer Seitentür in das aus Glas und Marmor bestehende Foyer des brennenden Gebäudes stürmte.

»Ist sonst noch jemand in dem Ge–«, begann einer der Polizisten. Dann sah er, dass der Mann vor ihm ein kurzes Schwert in der Hand hielt und dass ein zweites an seinem Gürtel hing. Als der Polizist nach seiner Pistole griff, fiel ihm auf, dass der Junge ebenfalls zwei Schwerter am Gürtel hängen hatte, eines auf jeder Seite. Die Frau mit den langen Haaren trug seltsamerweise etwas, das aussah wie eine Blockflöte.

»Keinen Schritt weiter«, befahl der zweite Polizist. »Waffen auf den Boden.« Die beiden Polizisten brachten ihre Pistolen in Anschlag.

»Meine Herren, dem Himmel sei Dank, dass Sie da sind.« Der kleine, grauhaarige Herr machte einen Schritt auf sie zu.

»Bleiben Sie, wo Sie sind.«

»Ich bin Dr. John Dee, Besitzer der Enoch Enterprises. Dies ist unser Firmensitz.«

»Legen Sie die Schwerter auf den Boden, Sir.«

»Das werde ich nicht tun. Es handelt sich hierbei um Antiquitäten von unschätzbarem Wert aus meiner persönlichen Sammlung.« Der Magier trat noch einen Schritt vor.

»Bleiben Sie, wo Sie sind! Ich weiß nicht, ob Ihre Angaben stimmen, aber eines weiß ich: Jemand mit einem Schwert in der Hand kommt mir nicht zu nahe. Legen Sie die Waffen auf den Boden und dann gehen Sie dort hinüber. Und zwar schnell«, fügte er hinzu, da sich stinkender Rauch aus den geschlossenen Aufzugstüren ins Foyer ringelte.

Die letzten Worte, die die Polizisten hörten, kamen von der Frau: »Warum tust du nicht, was die Beamten verlangen, John?« Noch während sie sprach, hob sie die Flöte an ihre Lippen. An die Ohren der Männer drang nur ein einziger Ton, dann brachen die beiden Polizisten bewusstlos zusammen. »Und vertrödle nicht noch mehr Zeit«, fauchte Virginia Dare. Sie stieg über die Polizisten hinweg, kletterte durch ein großes Loch in der Wand, das dort klaffte, wo eigentlich der Haupteingang zu dem Gebäude hätte sein sollen, und trat hinaus auf die Straße. »Gehen wir.«

»Wir nehmen den Wagen.« Dee lief Richtung Telegraph Hill, blieb jedoch nach ein paar Schritten stehen, als er merkte, dass Josh nicht nachkam. Der Junge stand über die beiden bewusstlosen Polizisten gebeugt im Foyer. »Komm schon, wir haben keine Zeit!«

»Du willst sie einfach hier liegen lassen?«, fragte Josh sichtlich aufgebracht.

Dee blickte Virginia an und dann wieder Josh. Die beiden Unsterblichen nickten gleichzeitig.

Josh schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Bald stürzt das ganze Gebäude über ihnen zusammen.«

»Wir haben keine Zeit für …«, begann Virginia.

»Josh.« Dees Aura knisterte um ihn herum. Sein Zorn war greifbar.

»Nein.« Josh legte die linke Hand auf den mit Leder umwickelten Griff des Schwertes, das an seinem Gürtel hing. Augenblicklich war das zerstörte Foyer von intensivem Orangenduft erfüllt. Das Steinschwert pulsierte in einem matten Purpurrot. Der Rhythmus glich einem langsamen, gleichmäßigen Herzschlag. Josh spürte, wie die Wärme prickelnd seinen linken Arm hinaufkroch, dann weiter über die Schulter lief und sich im Nacken festsetzte. Seine Hand schloss sich um den vertrauten Griff. Dies war Clarent, die uralte Waffe, auch »Klinge des Feiglings« genannt.

Erinnerungen tauchten auf …

Dee, gekleidet nach der Mode einer ganz anderen Epoche, läuft durch eine brennende Stadt. Er hat ein paar Bücher an die Brust gedrückt.

London 1666.

Joshs freie Hand legte sich wie von selbst auf das Schwert an seiner rechten Hüfte. Eisige Kälte durchfuhr ihn. Diese Waffe war Durendal, das Luftschwert. Einst hatten es einige der edelsten Ritter getragen, die die Welt je gesehen hatte.

Neue Erinnerungen flackerten auf und wurden lebendig …

Zwei Ritter in glänzenden Rüstungen aus Gold und Silber stehen rechts und links von einem gefallenen Krieger und beschützen ihn vor den hungrigen Bestien, die im Hintergrund ihre Kreise ziehen.

Eine unbändige Wut machte sich in Josh breit. »Bringt sie nach draußen«, befahl er. »Ich werde sie hier nicht ihrem Schicksal überlassen.«

Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte der englische Magier ihn herausfordern, doch dann nickte er und lächelte kühl. »Selbstverständlich. Du hast recht. Wir können sie hier nicht liegen lassen, nicht wahr, Virginia?«

»Ich könnte«, antwortete sie.

Dee blickte sie finster an. »Aber ich nicht.« Er steckte sein Schwert in den Gürtel und ging wieder in das Gebäude hinein. »Du hast noch Verantwortungsbewusstsein, Josh«, lobte er. Er bückte sich und fasste einen der Polizisten unter den Achseln. »Aber pass auf, ich habe schon rechtschaffene Männer sterben sehen wegen ihrer Skrupel.«

Josh zog den anderen Beamten ohne Mühe durchs Foyer nach draußen. »Mein Vater hat mir und Sophie immer eingeschärft, dass wir unserem Herzen folgen und das tun sollen, was wir für richtig halten.«

»Das klingt nach einem rechtschaffenen Mann.« Dee keuchte. Den Polizisten über die Straße zu schleifen, hatte ihn außer Atem gebracht. Sie legten die beiden Männer hinter dem Polizeiwagen ab.

»Vielleicht lernst du ihn ja eines Tages kennen«, sagte Josh.

»Das bezweifle ich.«

Virginia Dare hatte sich in das Auto gesetzt, das immer noch am Straßenrand parkte. Auf dem Autodach lag inzwischen eine dünne Schicht Asche, durchsetzt mit glitzernden Glasscherben. »Wir müssen hier weg – und zwar augenblicklich!«

Dee setzte sich neben Virginia auf den Rücksitz. Josh zog seine beiden Schwerter und legte sie vor dem Beifahrersitz auf den Boden, bevor er sich ans Steuer setzte. »Wohin?«, fragte er.

Virginia Dare beugte sich zu ihm vor. »Fürs Erste einfach den Hügel runter.« Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als vom Dach des Gebäudes eine grünliche Rauchwolke aufstieg. Sofort flackerten alle drei Auren auf – eine gelb, eine hellgrün, die andere gold. »Wir müssen die Stadt verlassen. Inzwischen sind an der gesamten Westküste Amerikas alle alarmiert. Sie werden bald da sein.«

Plötzlich war überall Sirenengeheul zu hören, das rasch näher kam.

»An die Polizei hatte ich dabei noch nicht einmal gedacht«, fügte Virginia hinzu.

Nicholas Flamel Bd. 5 Der schwarze Hexenmeister
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