PROLOG
Ein Hammer, ein Amboss, dazwischen heißes Eisen,
das mit kraftvollen Schlägen ausgetrieben wurde. Hartnäckig dröhnte
dieser Klang in ihr Sterben hinein.
Nemain war schon sehr nahe, die Gegenwart der
Göttin in dem von Nebelschwaden durchzogenen Mondlicht deutlich
spürbar. Und doch zeigte die Gottheit des Mondes und des Wassers
noch nicht ihr Gesicht. Stattdessen sprach sie: »Dein Bruder
schmiedet dir einen Speer mit dem Symbol der Schlange. Er glaubt,
dass dich das wieder enger mit dem Leben verbinden wird.«
Valerius, der verlorene Bruder aus Breacas
Kindheit, war wieder zu seiner Schwester zurückgekehrt. Doch sein
Wesen hatte sich gewandelt, so sehr, dass er kaum mehr
wiederzuerkennen war. Das Hämmern aus der Schmiede aber verriet
deutlich seine Anwesenheit: eine wilde Mischung aus Verzweiflung
und Mitgefühl. Doch da war auch noch eine gewisse andere Nuance in
seinem Lärmen - allerdings wusste Breaca diesen vagen Unterton
nicht zu deuten. Und vor allem wollte sie keinerlei Gaben, die sie
nur noch länger am Leben erhielten.
»Bin ich denn noch nicht tot?«, fragte sie. Ihre
Stimme ertönte nur in ihrem eigenen Kopf, dort, wo allein die
Götter und die Geister der Toten sie hören konnten. Jene Stimme,
mit der Breaca auch die Lebenden noch hätte erreichen können, war
schon vor langer Zeit in den Flammen ihres Fiebers verbrannt.
Die Göttin, zu der sie sprach, hatte viele
Gesichter. Zuerst erschien sie Breaca wie ihre Mutter, dann trug
sie plötzlich die Züge von Airmid und schließlich die von Graine.
Und sie alle umfingen sie mit ihrer ganzen Liebe. Dennoch half das
nichts, um die Schmerzen in ihrem Körper und ihrer Seele zu
lindern. Mit den Stimmen aller drei entgegnete die Göttin:
»Solltest du tatsächlich sterben wollen, so würde dir dieser Wunsch
selbstverständlich gewährt werden. Doch ich frage dich - gibt es
wirklich überhaupt keinen Anlass mehr für dich, um noch am Leben
festhalten zu wollen?«
»Nein«, wollte Breaca entgegnen, »es gibt
überhaupt keinen Grund mehr für mich, um noch am Leben bleiben zu
wollen.« Und dennoch schaffte sie es nicht, der Göttin im Geiste
diesen Gedanken entgegenzuschleudern. Denn ein Name, ein einziger
Name, hatte sich wieder und wieder wie ein starres Netz über ihre
Lippen gesponnen und diese damit regelrecht versiegelt.
Graine. Graine. Graine.
Sogar der Amboss sang im Dreiertakt des
Schmiedens Graines Namen. Sie war der Grund für Breacas Dasein. Sie
war der erste und der wichtigste Grund für Breacas Leben. Sie war
jenes Maß, an dem alles andere sich messen lassen musste. Diese
Erkenntnis schien Breaca mit einem Mal regelrecht wie ein Geschenk.
Ein Geschenk, das ihr Bruder ihr soeben durch den Lärm seines
Schmiedens überreicht hatte. Mit einem Mal schien sie auf den
harten Klängen regelrecht zu schweben, trieb wie auf einem See auf
der wahren Masse an Erinnerungen und dem Bewusstsein, dass sie
versagt hatte.
»Du trägst nicht die Schuld an den Wunden deiner
Tochter, ihre Ursache liegt nicht in deinem Versagen«, widersprach
Nemain.
»Wird sie sich denn jemals wieder davon
erholen?«
»Vielleicht. Nichts ist sicher. Aber wenn sie
sich wieder erholen würde - wäre das ein ausreichender Grund für
dich, um weiterleben zu wollen?«
»Wenn du mir Graines Genesung versprechen
könntest - ja.«
Breaca spürte, wie ein zartes Lächeln sie
berührte, dann fühlte sie einen Kuss, nahm vage wahr, dass
irgendjemand neben ihr stand. Schließlich ging dieser Jemand
wieder, die Stimme der Göttin aber blieb, verborgen in dem
lärmenden Schlag des Schmiedehammers, der auf den Amboss
niedersauste.
»Nichts ist sicher. Mit Ausnahme des Todes und
des Friedens, der dir nach dem Tod geschenkt wird. Ein Krieg zieht
herauf und mit ihm die Hoffnung auf Sieg. Ist das allein nicht
schon Grund genug, um am Leben bleiben zu wollen?«
Airmid trat an ihr Lager, keine Göttin, sondern
Breacas Liebhaberin und Träumerin. Sie erschien umgeben von einem
Kranz aus grellen Sonnenstrahlen und brachte den Duft von Rosmarin,
Seetang und Lanolin mit sich sowie das Gefühl von kühlem Wasser und
noch kühleren Händen, die das Fieber ein wenig zu dämpfen
schienen.
Doch Airmid sprach nicht mit Breaca, sondern mit
irgendjemand anderem, ganz so, als ob Breaca schliefe. Als die
Stimme ihrer Liebhaberin erklang, herrschte Stille. Das Lärmen des
Ambosses war verhallt. »Sollte das Fleisch nicht bald wieder über
dem Knochen zusammenwachsen, dann wird sie niemals wieder ihr
Schwert führen können.« Airmid war erschöpft, hatte geweint und
bemühte sich dennoch hartnäckig, beides zu verbergen.
»Im Augenblick, so fürchte ich, gibt es leider
noch dringlichere Sorgen als Breacas Waffe und die Frage, ob sie
wohl jemals wieder damit wird kämpfen können.« Von der anderen
Seite ihres Bettes her ertönte Valerius’ Stimme, wobei er Breaca so
fern schien, als ob er von einem vollkommen anderen Land aus
spräche, als ob er eine andere Sprache benutzte und eine ganz
andere Art von Schmerz litte als Airmid. »Wenn die Legionen
jemanden auspeitschen, dann geschieht das üblicherweise, um
denjenigen für etwas zu bestrafen, nicht aber, um ihn dauerhaft zu
verstümmeln. Breacas Auspeitschung dagegen wurde mit einer solchen
Brutalität ausgeführt... Bei ihr wird es deutlich länger dauern,
bis sie wieder genesen ist.«
»Aber sie wird doch wohl wieder genesen?«
»Ich denke schon«, antwortete Valerius.
»Zumindest, wenn auch sie das wirklich will.«
Kurz darauf verließen Airmid und Valerius, jene
beiden, die Breaca noch am Leben erhielten, ihre Bettstatt wieder.
Abermals erklang das rhythmische Hämmern auf dem Amboss. Einzig ein
Hund blieb neben ihr liegen. Dann wurden aus diesem einen Hund zwei
Hunde, je einer auf jeder Seite des Grabens zwischen Leben und Tod,
sodass Breaca in jedem Fall nicht ohne Begleiter würde gehen
müssen, egal, für welchen Pfad sie sich entschied.