XI
Weit entfernt von jeglichen Kampfhandlungen
vibrierte das Nachtlager der Neunten Legion unter dem stetigen
Marschrhythmus schier unzähliger Füße. Eine Reihe nach der anderen,
Kolonne für Kolonne, stapften die Hundertschaften durch die schmale
Lücke in der Grabenanlage, die, streng nach Valerius’ Anweisungen
ausgehoben, das Nachtlager umriss. Erschöpft ließen die Männer ihre
Tornister vor ihren Zelten sinken - diese standen in jedem der
Feldlager, das die Soldaten jemals errichtet hatten, immer an der
gleichen Stelle. Anschließend machten die frisch eingetroffenen
Legionare sich daran, beim Ausheben weiterer Schützengräben
behilflich zu sein, schichteten um das Lager herum schützende
Erdwälle auf, die jeweils mit einem Gitterwerk von miteinander
verschränkten, scharf zugespitzten Holzpfählen versehen wurden,
zerrten einige letzte Zeltschnüre straff und widmeten sich
schließlich dem Schüren der Feuer und der Zubereitung der
abendlichen Mahlzeit.
Man zog Lose, um die Reihenfolge der Wachablösungen
zu bestimmen, und fingerte einige Streifen getrockneten
Hammelfleisches, Feigen und ein paar Haselnüsse aus dem Gepäck, um
damit der bescheidenen Abendmahlzeit ein wenig mehr Würze zu
verleihen. Eine Atmosphäre des Friedens hatte sich über das Lager
gelegt, als plötzlich das hohe, in den Ohren schrillende Schmettern
eines Signalhorns ertönte und den Alarm auslöste. Drei Töne, in
rascher Abfolge hintereinander ausgestoßen, das Ganze in dreifacher
Wiederholung mit einer kleinen Pause zwischen der zweiten und der
dritten Abfolge sowie einer Art Wirbel am Ende.
»Gütige Götter, sie haben die gesamte dritte
Kohorte von unserem Zug abgetrennt und auch noch zwei Zenturien von
der zweiten! Deine Schwester ist wirklich fleißig gewesen.«
Longinus wusste genau, dass die nächsten Augenblicke nicht nur über
sein Leben entschieden, sondern auch über das komplette weitere
Geschehen der Kampfhandlungen. Er sprach also nur leise und in
thrakischer Sprache, während tiefe Falten sich in seine Stirn
gruben.
Auf Lateinisch, laut genug, damit auch alle anderen
es hören konnten, erwiderte Valerius: »Das hintere Ende unseres
Legionszugs wird angegriffen. Mach Civilis ausfindig. Und richte
dich darauf ein, sofort wieder loszureiten.«
Noch während er die letzten Worte sagte, hatte er
sich auch schon umgewandt. Der Pavillon des Legaten lag dort, wo
die Hauptwege und die kleinen Seitenpfade des Feldlagers sich
kreuzten. Schlaff hingen die Lanzenfähnchen der Legion und
Cerialis’ persönliches Emblem, der blaugrüne Delfin auf weißem
Grund, im abendlichen Nebel. Lucius, jener junge Kurier, dem erst
vor kurzem das Zeichen des Mithras in die Haut eingebrannt worden
war, hielt draußen vor dem Pavillon Wache. Als er das Signal hörte,
hob er abrupt den Kopf und erinnerte damit ein wenig an einen
aufgeschreckten Hund, der verwirrt eine Witterung aufzunehmen
versuchte.
»Cerialis?«, rief Valerius an Lucius gewandt. »Wo
ist er?« Der Junge wies mit einer ruckartigen Kinnbewegung auf den
Pavillon. Valerius wartete nicht lange, sondern trat sofort in das
Zelt ein.
Sorgfältig gegerbte Ziegenhäute, besprengt mit
Rosmarinöl und Rosenwasser, bildeten das Dach und die Wände des
Pavillons des Legaten. Ein Kohlebecken spendete wohlige Wärme, und
dicht vor einer der Zeltwände stand der Arbeitstisch des
Legionsschreibers.
Valerius trat genau in dem Augenblick ein, als der
Legat sich gerade aus seinem Badezuber erhob. Der Mann dampfte
regelrecht, und um den Unterkörper hatte er ein leinenes Tuch
geschlungen. Seine Rüstung war dick mit Öl eingeschmiert und hing
frisch poliert von der Mittelstange des Zeltes herab.
»Eure Exzellenz?« Valerius ließ die lederne
Zeltklappe wieder hinter sich zufallen. »Habt Ihr den Alarm gehört?
Das Schwanzende der zweiten Kohorte wurde angegriffen, und die
dritte steckt offenbar in ernsten Schwierigkeiten. Die Zenturionen
haben zwar den Befehl zum sofortigen Rückzug gegeben, aber sollte
das Kriegsheer der Eceni bereits den Wald für sich eingenommen
haben, werden wahrscheinlich selbst diejenigen von unseren
Kameraden, die noch laufen können, unser Lager nicht mehr ohne
fremde Hilfe erreichen. Mit Eurer Erlaubnis möchte ich gern Civilis
und seine Bataver mit mir nehmen und den Rückzug der Zenturien
sichern.«
Es bestand ein gewisses Risiko darin, nun
ausgerechnet Cerialis vorzuschlagen, wie das weitere taktische
Vorgehen bei dieser Kampfhandlung aussehen sollte. Cerialis, jener
Mann, der sich selbst als das größte taktische Genie von ganz
Britannien betrachtete, der sich mehr Talent zusprach als
sämtlichen zuvor in Britannien regierenden Statthaltern und der
nach eigener Einschätzung sogar dem derzeit im Westen Britanniens
Krieg führenden Gouverneur mit Leichtigkeit das Wasser reichen
könnte. Valerius wartete, nutzte die bangen Augenblicke, um im
Stillen ein kurzes Stoßgebet zum Himmel zu senden.
Cerialis tastete nach seinem Unterhemd. Wer auch
immer sein Badediener gewesen sein mochte, so war dieser im
Augenblick jedenfalls nicht mehr anwesend. »Wie lange wird es noch
dauern, ehe sie das Lager angreifen?«, lautete Cerialis’
Gegenfrage.
Valerius schüttelte beschwichtigend den Kopf. »Ich
denke nicht, dass sie einen Vorstoß auf das Lager wagen werden.
Selbst die Eceni sind nicht so töricht, ein befestigtes Feldlager
anzugreifen. Aber der Hornbläser der zweiten Kohorte hat Signal
gegeben, dass seine Kameraden gegen eine wahre Übermacht von
Feinden zu kämpfen haben und dass seine Kohorte den Anschluss an
die noch folgenden Truppen verloren hat.«
Sowohl Cerialis’ Brust als auch sein Rücken waren
übersät mit knotigen Narben, Zeugnis dafür, dass seine bisherigen
Angriffstaktiken und Rückzugsmanöver augenscheinlich nicht immer so
ganz erfolgreich gewesen waren. Mit raschen Bewegungen zog er sich
sein Hemd über.
»Nein, du kannst jetzt das Lager nicht verlassen«,
entgegnete er. »Auf die Bataver kann man sich nicht wirklich
verlassen.«
»Aber die haben sich doch noch nie einem von
Civilis’ Befehlen widersetzt. Außerdem lebt der doch schon ewig in
deren Gesellschaft - genauer gesagt, seit er und die Bataver der
Neunten Legion damals zusammen am Rhein stationiert waren.«
»Richtig, und gleichzeitig träumt Civilis davon, in
genau solch einer Situation wie dieser hier den Heldentod sterben
zu dürfen. Mit dem als Anführer würdest du dich binnen weniger
Augenblicke mitten in einem Blutbad wiederfinden, und auch die
restlichen Bataver würden sämtliche Disziplin sofort über Bord
werfen, um dafür in dem heroischen Gefühl dahinsiechen zu dürfen,
dass man in den Winterzelten ihren Namen lobpreisen wird.«
Der Geruch, der aus dem Kohlebecken aufstieg, war
ganz ähnlich dem der heiligen Räuchermischung, die man zu Mithras’
Ehren anzuzünden pflegte. Das Rot der glühenden Kohlen erinnerte an
die Farbe von vergossenem Blut und an die sprenkelige Musterung
eines Stierfells. Das sanfte Licht, das von der Glut ausströmte,
verlieh Cerialis’ Rüstung einen kupfernen Schimmer, wodurch diese
mit ihren zahlreichen Panzerschuppen an einen zerbrochenen Spiegel
denken ließ.
Vorsichtig trat Valerius einen Schritt zur Seite,
dann noch einen, bis er in der Rüstung sowohl sein eigenes
Spiegelbild als auch das des Legaten erkennen konnte. Er
kontrollierte sorgsam seine eigene Miene, betrachtete das Gesicht
seines Vorgesetzten. »Nur mit Hilfe der Reiter ist das Ende der
Kolonne noch rechtzeitig zu erreichen. Ansonsten sind die Männer
dort verloren. Besser, wir riskieren, Civilis zu verlieren, als
dass wir den Großteil der Bataver verloren geben.«
Ihre Blicke begegneten sich, prallten funkelnd von
dem polierten Eisen ab. Für einen kurzen Moment schien es auf der
ganzen Welt nur sie beide zu geben: einen Legaten und einen
Dekurio, der zuletzt die Aufgaben eines Kuriers hatte versehen
müssen und der nun seine Empfehlung zur taktischen Vorgehensweise
bei diesem Angriff mit so nüchterner Stimme vortrug, so klar und
bar jeglicher Emotionen, dass es dem Legaten überaus schwerfiel,
die wahren Beweggründe hinter diesem Vorschlag zu erahnen.
Es war Cerialis, der den Blick als Erster wieder
abwandte. Er griff nach dem Becher, der auf dem Tisch des
Regimentsschreibers stand, nahm einige tiefe Schlucke und
konzentrierte sich dabei ganz auf den vollen Geschmack des Weines.
Dem Dekurio mit der nüchternen Stimme, der unmittelbar hinter der
Zeltklappe auf weitere Befehle wartete, bot er nichts an. Endlich
erwiderte der Legat: »Aber auch wir brauchen die Kavallerie - und
zwar noch dringender als die Kameraden auf dem Pfad. Wir können
schließlich nicht komplett ohne Reiter kämpfen. Und in dem Wald
wimmelt es wahrscheinlich nur so von diesen aufrührerischen
Kriegern. Nimm den halben Flügel, mit dem du hier unter Civilis’
Kommando eingetroffen bist. Und lass mir die andere Hälfte, also
jene Männer, die unter dem Befehl des Sohnes von Civilis’ Schwester
stehen. Normalerweise sollte Henghes, der es ja mittlerweile
immerhin zum Präfekten gebracht hat, den kompletten Flügel
befehligen, aber diese Bataver haben sich ja mit Leib und Seele dem
alten Civilis verschworen. Mach Henghes ausfindig und schick ihn zu
mir. Und gib der zweiten Kohorte Signal, dass sie sich beeilen soll
auf ihrem Rückzug. Ich brauche diese Männer. Und sie sollen ihre
Zeit nur dann mit Kämpfen verschwenden, wenn sie direkt angegriffen
werden.«
»Exzellenz.«
Als Valerius die Zeltklappe hob und dann wieder
hinter sich zufallen ließ, strömte ein wenig kalte Luft ins Innere
des Zeltes. Cerialis leerte seinen Weinbecher und befahl dem jungen
Diener, ihn noch einmal zu füllen, ehe er träge seinen Blick zu der
Rüstung hinüberschweifen ließ, in der sich vor einigen wenigen
Augenblicken noch das Gesicht des Dekurio gespiegelt hatte. Es fiel
dem Legaten schwer, sich an die genauen Züge in diesem Gesicht zu
erinnern. Nur die Leidenschaft, die in den schwarzen Augen
geschwelt hatte, war ihm im Gedächtnis haften geblieben. Eine
Leidenschaft, die so ganz und gar im Gegensatz stand zu dem
nüchternen Tonfall seiner Stimme.
Unmittelbar vor dem Zelt wartete schon Longinus und
hielt den fertig aufgezäumten Junghengst mit den weißen Fesseln für
Valerius bereit. Das Tier wirkte sehr ruhig und ließ sich von der
Hektik, mit der die anderen Reiter auf ihre Pferde stiegen, nicht
anstecken. Das Zeltlager war in heller Aufregung, und im
Laufschritt kamen bereits die ersten Männer der zweiten Kohorte
hereingeströmt. Sie waren heilfroh, nicht in das Gemetzel am Ende
der Kolonne hineingezogen worden zu sein, und dankbar, dass ihr
Legat sie nicht dazu gezwungen hatte, ihr Leben für die Rettung von
Kameraden aufs Spiel zu setzen, denen ohnehin niemand mehr helfen
konnte. Stattdessen hatte ihr oberster Befehlshaber sie in das
schützende Nachtlager mit seinen für den Feind tückischen
Grabenanlagen und dem Palisadenzaun zurückbeordert.
Hinter Valerius und Longinus hatte sich die Hälfte
der Bataver bereits in den Sattel geschwungen. Sie brachen denn
auch sofort auf, begleitet von den Hornstößen einer kompletten
Kohorte. Mit Civilis an ihrer Spitze nahmen sie den Weg in südliche
Richtung. Anders als auf dem Hinweg achteten sie dieses Mal jedoch
darauf, sich in der Mitte des befestigten Pfads zu halten, und
trieben ihre Pferde zu einem schnellen Tempo an. Hastig machten die
Fußsoldaten der zweiten Kohorte ihnen Platz, schlossen sich gleich
darauf aber in fast ordnungsgemäßer Formation wieder zusammen, um
endlich die sichere Umzäunung des Feldlagers zu erreichen.
Als keiner mehr in ihrer Nähe war, der sie hätte
belauschen können, sagte Longinus: »Nun hast du genau das, was du
wolltest. Die Civilis ergebene Hälfte der Kohorte reitet mit uns,
während die andere Hälfte im Zeltlager zurückgeblieben ist. Hast du
den Legaten etwa verhext?«
»Nein. Ich hab ihm einfach nur die Wahrheit
erzählt, und er hat sie begriffen. Denn noch vor allem anderen
lieben und unterstützen die Götter die Ehrlichen. Sag dem
Standartenträger, er soll fünfmal in sein Horn stoßen.«
Hell schallte das fünffache Signal des batavischen
Kavalleriehorns über den Steinernen Pfad der Ahnen, zerriss mit
seinem Klang die letzten Überreste des Nebels und ließ die
Nachmittagssonne ihre blendenden Strahlen über den Weg
ergießen.
Sie alle hörten das Signal. Krieger und
Legionssoldaten, im Kampf wie zu festen Knäueln miteinander
verheddert, hielten einen Moment inne. Schwerter, Zähne und
verkrampfte Finger lockerten für einen kurzen Augenblick ihren
grausamen Biss in Fleisch, Haut und Knochen. Sie alle, Römer wie
Eceni, glaubten, dass dieses Signal ihnen allein endlich die
ersehnte Hilfe ankündigte. Nur dass den Eceni zuvor gesagt worden
war, dass sie nun zunächst einmal so tun sollten, als ob das Signal
ihnen Angst mache. Eine kleine schauspielerische Leistung, die
jedoch jeder der Krieger überzeugend darzubieten vermochte.
Ohne den Befehl dazu erhalten zu haben und wie von
allein, lösten die beiden Kampfparteien sich langsam voneinander
und gaben den schmalen Streifen grünen Marschbodens wieder frei,
den sie zu ihrem Schlachtfeld erkoren hatten.
Schon sehr bald während des Gefechts hatten die
Krieger begriffen, dass sie, wenn ihnen an ihrem Leben noch etwas
lag, sich besser nicht mit den kleinen Verbänden von Legionaren
anlegten, die in geschlossener Formation und mit fest ineinander
verkeilten Schilden gegen die Eceni vorrückten. Und die Legionare
wiederum hatten erkannt, dass sie besser nicht den Marschpfad
verließen und sich auf keinen Fall in den Wald abdrängen lassen
durften, da dies einem Selbstmord gleichkäme. Denn sobald sie die
ersten Reihen der Bäume durchschritten hatten, konnten sie ihre
Schilde nicht mehr zusammenhalten, und ohne diesen schützenden Wall
vor ihren Körpern wurden sie nur allzu leicht Opfer von Speer und
Schlinge.
Rasch war der schmale Streifen grasbewachsenen
Bodens, der zwischen dem Wald und dem Pfad verlief, zum
eigentlichen Kampffeld geworden, eine Art Niemandsland, in dem
weder die Legionare noch die Krieger so recht Fuß fassen konnten.
Und allein, weil dieser Grünstreifen nun einmal da war, war er
damit zugleich zum zentralen Punkt in den Kampfhandlungen geworden.
Der Grünstreifen war jenes schmale Gebiet, von dessen Besitz beide
Parteien sich letztendlich den Sieg versprachen und auf dem nun die
hitzigsten Gefechte ausgetragen wurden.
Kaum aber, dass das Horn erschallt war, hatten die
Kämpfenden sich wieder von dem Streifen Grasland zurückgezogen, und
nun lag das schmale Schlachtfeld still und verlassen da. Frieden
schien sich über das Land zu legen, langsam und Stück für Stück.
Männer und Frauen, die gerade eben noch den eigenen Tod vor Augen
gesehen hatten, wagten es, wieder einmal tief durchzuatmen und an
eine Zeit jenseits des Überlebenskampfs zu denken.
Währenddessen zerstoben unter der heißen
Nachmittagssonne schließlich auch die letzten Nebelschwaden.
Lichtspeere fielen im schrägen Winkel sowohl auf die Toten als auch
auf die Sterbenden und jene wenigen, die noch immer mitten auf dem
Schlachtfeld standen und nun einige hastige Schlucke aus den durch
die Reihen gereichten Wasserschläuchen nahmen und dabei
misstrauisch ihre Gegner beäugten. Hinter den Kämpfern lag das
Marschland. Unschuldig wie ein neuer Tag erstreckte sich die
grüngraue Weite bis an den Horizont, flach und ohne jede
Bodenerhebung, bis auf einige vereinzelte Schilfinseln und Büschel
aus Bleichmoos. Feinste, feuchte Düfte würzten die Luft, erschienen
angesichts des Blutbads auf dem Grünstreifen nur noch köstlicher
als jemals zuvor.
Verborgen unter den schützenden Zweigen einer
knospenden Birke stand Breaca und zählte die Übriggebliebenen.
Soweit sie die beiden Kriegsparteien von ihrer Position aus
überblicken konnte, schienen unter den Lebenden mehr Krieger als
Legionare zu sein, wohingegen die Masse der Toten mehr Legionare
als Krieger aufwies.
Sie war überaus froh über den vorläufigen Ausgang
der Schlacht, und auch das Aufkeimen des Kampfgeistes, das bei
einigen kleinen Grüppchen der zuvor noch völlig unerprobten Krieger
zu erkennen war, erfüllte sie mit tiefer Dankbarkeit. Der Mangel an
Leidenschaft in ihrem eigenen Inneren jedoch machte ihr Angst, ließ
ihr Herz schwer werden, betäubte es regelrecht. Zwar hatte auch sie
in dieser Schlacht rasch und häufig genug getötet, um jenen jungen
Kriegern, die sich um sie geschart hatten, ein Vorbild zu sein,
doch die Leere in Breacas Seele war mindestens ebenso weit wie der
Horizont im Osten, und unaufhörlich schien ein kalter Wind durch
sie hindurchzuhauchen. Immer wieder drehte Breaca das Heft ihrer
Waffe in ihrer Hand herum und lauschte mit schmerzlicher
Verzweiflung auf den Gesang der Klinge. Doch der schien auf ewig
verstummt.
»Nur wenige werden erkennen, was fehlt. Und noch
weniger werden wissen, weshalb.«
Die Stimme ertönte unmittelbar hinter Breacas
linker Schulter. Einige Zweige erzitterten, wurden
auseinandergedrückt, und dann kam Cygfa zum Vorschein und trat
neben die Bodicea. Hell schimmerte ihr blondes Haar, in das sie
eine stattliche Anzahl von Federn geknotet hatte, zum Zeichen für
die von ihr besiegten Feinde. Über ihre Lippen spielte ein
verkniffenes kleines Lächeln, während ihre grauen Augen so scharf
und hart schienen wie das Eis zu Mittwinter. Ihr Gesicht war auf
der einen Seite mit feinen Sprenkeln getrockneten Bluts übersät,
ganz so, als ob sie sich zu dicht über einen der Sterbenden gebeugt
hätte. Das Schwert, das seitlich an ihrer Taille baumelte, war noch
unbenutzt. Sie atmete leicht und rasch, ähnlich einem Pferd am Ende
eines Rennens.
Cygfa war schon immer schön gewesen. Sie war wie
Caradoc, ihr Vater, nur in der Gestalt einer Frau und damit noch
anmutiger. Zwei Jahre der Inhaftierung in Rom an der Seite jenes
halben Mannes, zu dem ihr Vater verkrüppelt worden war, hatten sie
stiller und härter werden lassen, hatten sie unnachgiebiger
gegenüber den Fehlern anderer gemacht und ihr nicht zuletzt auch
eine erschreckende Brutalität im Kampf verliehen. Und schließlich
hatte auch die schier nicht enden wollende Flut an
Vergewaltigungen, die ihr durch die Männer des Prokurators angetan
worden war, sie nur noch weiter jenen Weg hinuntergetrieben, den
ihre Seele bereits eingeschlagen hatte. Cygfa war strahlend schön
und zerbrechlich zugleich, wie eine Waffe, die zu eifrig poliert
worden war und die bald rosten oder sogar ganz zerbrechen
würde.
Und es gab nichts dazu zu sagen, nichts, was man an
dieser fatalen Entwicklung noch hätte ändern können. Airmid hatte
Cygfa ihre Hilfe angeboten, hatte ihrer Seele Heilung schenken
wollen, doch nach drei Tagen vergeblicher Versuche, in denen Cygfa
ihr Angebot immer wieder ausgeschlagen hatte, hatte Airmid
schließlich aufgegeben. Einzig Valerius, jener Mann mit den tausend
Fehlern, der selbst bereits so manche seelische Verwundung hatte
ertragen müssen, hatte Cygfa als eine Art Vorbild dienen können,
wie sie die Qualen, die ihrer Seele zugefügt worden waren, eines
Tages vielleicht doch noch würde überwinden können. Als Einzige von
allen Kriegerinnen und Kriegern hatte Cygfa Valerius ohne jegliche
Zweifel als einen der ihren akzeptiert, hatte in ihm jenen einen
Mann gesehen, der sie als Einziger würde lehren können, wie sie
selbst die letzte Faser Roms noch zerreißen könnte.
»Bist du etwa den gesamten Weg gerannt?«, fragte
Breaca.
»Den Großteil.« Cygfa grinste und nahm dankend den
Trinkschlauch entgegen. Sie spülte sich den Mund, trank jedoch
nicht, sondern spuckte das Wasser gleich wieder aus. Feine rote
Streifen durchzogen das Gemisch aus Speichel und Wasser, zeigten
an, dass Cygfas Lungen unter dem Lauf ein wenig gelitten hatten und
bluteten. »Es gab ja schließlich keinen Grund, warum ich noch
länger dort hätte warten sollen. Ich hab Valerius’ Signal
weitergegeben und bin dann losgerannt. Ich wollte vor ihm hier
sein.«
»Um ihn kämpfen zu sehen?«
»Zum Teil. Ich hab ihn zwar schon in Gallien
beobachten können, aber hier wird er sicherlich noch ganz anders
kämpfen, und das möchte ich gern sehen. Doch das ist nicht der
einzige Grund, warum ich hier bin.« Cygfa reichte Breaca den
Wasserschlauch zurück. Ihr Blick war scharf und kalt wie ein
Häutemesser im Winter, und sie unternahm nicht den leisesten
Versuch, die Verletzungen, die ihr Blick anderen zuweilen zufügte,
zu lindern. »Denn falls es zum Kampf zwischen deinem Bruder und
deinem Sohn um die Führerschaft der Krieger kommen sollte, wüsstest
du dann, wen du gerne als deinen Nachfolger sehen würdest?«
Mit Ausnahme von Valerius hatte es bisher noch
niemand gewagt, dieses heikle Thema anzuschneiden. Doch Breaca
spürte eine gewisse Erleichterung, dass Cygfa nun so offen darüber
sprach, und entgegnete: »Nun ja, du jedenfalls hast deine Wahl
bereits getroffen. Das hast du an dem Morgen, als der römische
Kurier starb, allen deutlich zu erkennen gegeben. Und mit deiner
unverbrüchlichen Unterstützung sollte es zwischen meinem Bruder und
meinem Sohn höchstens noch zu einem Wortgefecht kommen, nicht aber
zu einem Kampf mit Waffen.«
»Vielleicht. Aber Valerius wird noch mehr Leute auf
seiner Seite brauchen als bloß mich, damit das Kriegsheer ihn als
neuen Führer akzeptiert. Die ganz Jungen wissen nur, was sie sehen.
Die Mehrzahl der Speerkämpfer ist jedoch bereits alt genug, um sich
noch an jene Zeit zu erinnern, als Valerius ihre Siedlungen in
Brand steckte und ihre Krieger niedermetzelte. Es gibt also noch
mehr als bloß Cunomar, die glauben, dass Valerius sich am Ende doch
wieder mit den Römern verbinden wird.«
»Ja, und das weiß auch Valerius. Genau das ist der
Grund, weshalb er die Nachricht aus Camulodunum Cerialis persönlich
überbracht hat. Obwohl er mit Leichtigkeit auch Hawk oder Longinus
hätte schicken können. Und es ist auch allein Valerius zu
verdanken, dass er die Neunte Legion so weit hat nach Süden locken
können. Sicherlich, wir haben der Schlange zwar höchstens ein wenig
den Schwanz kupiert, aber ohne die Mithilfe meines Bruders hätten
wir noch nicht einmal das geschafft.« Breaca beobachtete, wie Cygfa
scheinbar gleichgültig mit den Schultern zuckte. »Und du denkst,
das reicht noch immer nicht aus, um das Kriegsheer von seiner
Loyalität zu überzeugen?«
»Es ist zumindest schon einmal ein Anfang. Aber
jetzt müssen wir ihn auch noch im Kampf sehen, und zwar nicht nur
wir, sondern auch die Legionen müssen ihren einstigen Kameraden
dabei beobachten. Erst dann, wenn offensichtlich ist, auf wessen
Seite er steht, werden auch die Krieger langsam begreifen, wer
Valerius wirklich ist und wozu er fähig ist. Bis dahin warten sie
jeden Augenblick darauf, dass er sie verraten möge. Und selbst wenn
es auch nur den leisesten Konflikt zwischen Valerius und einem der
Krieger geben sollte, werden sie sich sofort auf Cunomars Seite
schlagen.«
»Zu einem Konflikt wird es nur dann kommen, wenn
die Krieger mich dabei erwischen, wie ich im Kampf versage«,
widersprach Breaca. »Aber ich werde meinen Zusammenbruch noch
mindestens so lange hinauszögern, bis Valerius endlich bereit ist,
die Führerschaft über das Kriegsheer zu übernehmen.«
»Ich danke dir.« Cygfa war schon immer die
Direkteste von allen Kindern Caradocs gewesen. »Auf genau diese
Antwort hatte ich gehofft. Im Übrigen ist Valerius jetzt gerade auf
dem Weg zu uns, gemeinsam mit den Batavern. Die werden nun an
unserer Stelle kämpfen. Aber sollten wir doch noch eingreifen
müssen, darf ich dann deine Schildseite schützen, während wir die
letzten verbliebenen Soldaten töten?«
Breaca verlagerte den Griff um ihr Schwert ein
wenig. Zehn lange Jahre der schier unaufhörlichen Schlachten
hindurch hatte Cygfa stets Breacas Schildseite geschützt - und nie
hatte sie um Erlaubnis bitten müssen, diese Stellung einnehmen zu
dürfen. »Aber«, entgegnete Breaca, »dieser Platz ist doch immer der
deine. So lange, bis du mir sagst, dass du ihn nicht mehr
willst.«
Cygfas Züge wirkten hart und spröde. Dennoch konnte
Breaca unter der Maske der scheinbaren Unbeteiligtheit jene Tochter
im Geiste erkennen, die bereits so viele Male den Kampf um Leben
und Tod mit ihr durchfochten hatte, dass sie sie schon gar nicht
mehr zählen konnte. Nach einer Pause entgegnete Cygfa mit
überraschend sanfter Stimme: »Das wird nicht passieren. Niemals.«
Sie blinzelte heftig und setzte dann ein etwas gezwungen wirkendes
Lächeln auf. »Achte auf den schwarzen Hengst mit den weißen Fesseln
und dem Mond auf der Stirn. Denn damit hat dein Bruder ein Tier
gefunden, das es mit dem Krähenpferd aufnehmen kann. Wenn es ihn
lebend durch die Schlacht bringt, werde ich mich mit ihm um das
Pferd schlagen, und zwar ehe Cunomar auch nur die leiseste Chance
erhält, Valerius das Tier abspenstig zu machen.«
Zum ersten Mal an diesem Tage breitete sich ein
herzliches Grinsen über Breacas Gesicht. »Du und Valerius im
Ringkampf um ein Pferd... also, das wäre doch wirklich mal
interessant zu beobachten.«
Die Ereignisse des Tages verdichteten sich. Weder
Mensch noch Tier, weder Legionar noch Krieger schienen noch ihrem
eigenen Willen zu folgen, sondern allein dem Befehl der Götter zu
unterstehen. Jenen Göttern, denen es gefiel, zu ihrer Unterhaltung
nun eine erbitterte Schlacht zu inszenieren.
Civilis ritt ganz vorn an der Spitze seiner
Kavallerie, Valerius dicht neben sich. Ein knapper Befehl des alten
Mannes genügte, und schon zügelten die Bataver ihre Tiere zu
gemächlicherem Schritttempo und ritten einer nach dem anderen den
schmalen Grünstreifen entlang. Stolz ging der schwarze Junghengst
mit den weißen Fesseln und dem Mond auf der Stirn voran und trat
behutsam zwischen den Körpern der bereits Getöteten hindurch, ganz
so, als ob diese nur schliefen und nicht geweckt werden
dürften.
Die Reihen der noch am Leben gebliebenen Legionare
begrüßten sowohl Pferd als auch Reiter, als ob diese alte Freunde
wären. Sie alle kannten Civilis und den Junghengst, den dieser
einst zugeritten hatte, und die meisten hatten im Verlaufe der
Nacht auch schon von dem Kurier und ehemaligen Dekurio gehört, der
den Ehrentitel des Löwen Mithras’ trug und somit ein hochrangiger
Diener des geheimen Gottes der Legionen war. Und genau jener Mann
war es auch, der sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um die
Nachricht aus der von den einheimischen Stammeskriegern gegeißelten
Hauptstadt Britanniens zu überbringen. Selbst jene Legionssoldaten,
die Valerius nicht aus gemeinsamen Jahren im Dienste des Kaisers
kannten, wussten, dass der junge Mann mit dem schwarzen Haar quasi
ihr Retter war, dass mit seinem Erscheinen auch der Sieg in
erreichbare Nähe rückte und dass der Kampf, zumindest für diese
eine Legion, schon bald ein Ende haben würde.
Die Männer traten vor, versammelten sich auf dem
Grünstreifen, trommelten zur Begrüßung ihrer Kameraden mit ihren
Schwertheften gegen ihre Schilde. Der forsche Viervierteltakt ihres
Willkommenschores stimmte exakt mit dem Marschrhythmus der Pferde
überein. Die wahre Wand von Kriegern dagegen, die sich hinter den
Reitern zu schließen schien, nahmen die von frischem Mut beseelten
Männer gar nicht richtig wahr.
Die Römer bildeten nun eine Streitmacht von
zweihundert Kavalleristen und etwas über dreihundert Infanteristen.
Sicherlich mochten sie damit noch immer nicht die Mannstärke der
Krieger erreicht haben, doch zumindest waren nun genügend Pferde
da, um jeweils zwei Männern als Schutzschild dienen zu
können.
Als schließlich auch der letzte Bataver die
vorderste Reihe der allein aus Römern bestehenden Division passiert
hatte, ließ der oberste Diener Mithras’ sein Tier wenden und blieb
dann, das Gesicht den Legionaren zugewandt, stehen. Ruhig blickte
er auf die Schilde und die zu Boden gesunkenen Schwertspitzen der
ersten beiden Männer der Infanterie. Die beiden Männer hatten den
Mann auf dem schwarzen Pferd mit den weißen Fesseln offenbar
erkannt und begrüßten ihn nun mit breitem Lächeln und in
lateinischer Sprache.
Die hinter Valerius einreitenden Männer taten es
ihrem Anführer gleich, stellten sich von Angesicht zu Angesicht
ihren Legionskameraden gegenüber. Hinten, am entgegengesetzten Ende
dieses Abschnitts des Steinernen Pfads der Ahnen, warteten die
versammelten Krieger der Eceni. Breaca und Cygfa standen an ihrer
Spitze, und von ihrer Position aus schien es ganz so, als ob sich
die ursprünglich immer näher rückende Mauer aus römischen Fratzen
nun in ein breites Band rotbraunen Pferdefells verwandelt hätte.
Ein Band, dessen obere Kante von glänzendem Kettenpanzergewebe
geschmückt wurde.
Das Heer der Krieger stimmte keinen Schlachtruf an.
Die Männer und Frauen stampften nicht mit den Füßen und grüßten
auch nicht, sondern warteten in tiefem Schweigen, ganz so, wie
Valerius es von ihnen erbeten hatte. Zudem zogen sie bei seinem
Näherkommen fast alle ihre Waffen aus ihren Gürtelschlaufen und
musterten ihn mit Hass und unverhohlenem Misstrauen. Eine derartig
ausgeprägte Zurschaustellung ihrer angeblichen Feindschaft hatte
Valerius zwar nicht verlangt, doch war diese von ehrlichem Argwohn
geprägte Reaktion der Krieger andererseits wohl kaum zu vermeiden
gewesen.
Ganz leise, sodass niemand anderer sie hören
konnte, flüsterte Cygfa: »Wenn er auch nur eine falsche Bewegung
macht, dann gibt es nichts mehr, was du oder ich noch für ihn tun
können.«
Langsam und ohne Begleiter ritt Valerius auf seinem
schwarzen Hengst mit den weißen Fesseln bis ans Ende der Reihe von
Legionaren. Erst unmittelbar vor den Kriegern der Eceni blieb er
stehen. Er stand so dicht vor ihnen, dass die Ersten von ihnen den
heißen, feuchten Atem seines Pferdes sanft über ihre Gesichter
streifen spürten. Die Augen erregt geweitet, sodass weiß die
Augäpfel hervorblitzten, vertrauensvoll und doch voller Zweifel war
jeder Einzelne von ihnen bereit, auf der Stelle zu töten - jenen
Mann zu töten, der das große Tier ritt, sollte dieser auch nur
ansatzweise den Versuch unternehmen, die Eceni nun an Rom zu
verraten.
Valerius blickte die Krieger an, und ohne auch nur
die Spur eines Lächelns über seine strengen Züge huschen zu lassen,
hob er seinen Schwertarm.
Seine Waffe war von römischer Machart, ebenso wie
das Kettenhemd, das er trug. Die Sonne war nahezu hinter dem
Horizont versunken, und ihr Licht wurde von den Bäumen zu schmalen
Streifen zerschnitten, sodass der heraufziehende Abend mehr
grünlich als golden erschien, ja, fast schon ins Gräuliche abfiel.
Vereinzelte Strahlen prallten funkengleich von der scharf
geschliffenen Spitze von Valerius’ Schwert ab, und auch sein
Kettenhemd sowie sein mit silberner Rüstung geschütztes Tier
erstrahlten in irritierendem Glanz. Der Hengst schnaubte erregt,
schüttelte den Kopf und spie dabei schaumigen, weißen Speichel
sowohl auf Breaca als auch auf jenen römischen Zenturio, der
weniger als drei Speerlängen entfernt das Ende der Reihe von
Legionaren markierte.
Fest presste der junge Römer den Handballen in die
Mitte seines Brustbeins, entbot damit Valerius jenen universellen
Gruß, der zwischen allen Jüngern Mithras’ gebräuchlich war, und
blickte grinsend zu seinem Anführer empor.
Breaca sah, wie eine flüchtige Woge des Bedauerns
über das Gesicht ihres Bruders glitt. Er schloss kurz die Augen und
presste den Mittelknochen seines Daumens gegen die gleiche Stelle
auf seiner Brust. Seine Lippen bewegten sich in einem stillen
Gebet, und Breaca spürte, wie die Anspannung, die sie wie ein
reales Wesen umfing, immer stärker wurde und fast nicht mehr zu
ertragen schien und mehr als nur ein Krieger im Stillen bereits den
Entschluss fasste, Valerius bei der nächstbesten Gelegenheit
einfach niederzumetzeln.
Ohne Vorwarnung und viel zu schnell, als dass man
es mit bloßem Auge hätte beobachten können, ließ Valerius sein eben
noch hoch in die Luft gerecktes Schwert mit sirrendem Klang
herabsausen und trennte dem Zenturio die rechte Hand ab. Alles
geschah so rasch, dass niemand Valerius mehr hätte aufhalten
können.
Zwei Pferdelängen hinter Valerius brüllte Civilis
den Schlachtruf seiner Ahnen, und der Hornbläser der Bataver ließ
drei bellende Töne erschallen. Doch noch ehe der letzte Ton
verhallt war, hatte auch schon das Kriegsgeschrei begonnen, und der
mitunter nurmehr träge Tanz, zu dem die Götter ihre Krieger und die
Römer hatten erlahmen lassen, verwandelte sich abermals in das
pulsierende Hämmern der Schlacht.
Vier Zenturien von Legionaren, darauf gedrillt,
jeglichen Angriffsbefehl ohne weiteres Nachdenken sofort
auszuführen, begannen, sich auf ihre Widersacher zu stürzen.
Angeführt von Civilis, der Reinkarnation des Helden Arminius,
warfen die Bataver sich in das Kampfgetümmel, droschen auf jene
Männer ein, die soeben noch ihre Kameraden gewesen waren, und
sangen dabei den Lobgesang des Todes.
Ganz am Ende der Reihe machten die versammelten
Eceni-Krieger sich unter der Führung von Breaca daran, auch ihren
Teil zur Vernichtung des Feindes beizutragen, und stürmten gegen
die erste Zenturie von Römern. Breaca kämpfte mit Cygfa an ihrer
einen Seite und Dubornos an der anderen und gab ihr Bestes, um sich
vom Rhythmus des Kampfes durchwogen zu lassen, auf dass dieser ihr
wieder in Erinnerung rufen möge, was es bedeutete, zu töten, ohne
zu denken, zu töten, ohne zu planen. Sie spürte genau, dass die
Pforte ihr offen stand, wusste, dass die Energie des Kampfes sie
wieder heilen und den gähnenden Abgrund in ihrer Seele versiegeln
könnte. Sie wusste, dass allein die Schlacht dem eisigen Wind, der
unentwegt mitten durch ihr Innerstes hindurchzustreichen schien,
Einhalt gebieten konnte.
Valerius war stets in ihrer Nähe. Er beobachtete
sie genau, so wie er sie auch schon bei ihrer Übung im Wald nicht
einen einzigen Moment aus den Augen gelassen hatte, während Breaca
sich im Gebrauch ihrer Waffe erprobt hatte. Und genau wie an jenem
Abend verlieh das Wissen, dass ihr Bruder jede ihrer Bewegungen
argwöhnisch verfolgte, Breaca einen ungeheuren Kampfeswillen und
erfüllte sie mit einer Glut, die zwar noch nicht so ganz ihrem
alten Kampffieber entsprach, aber immerhin schon mal besser war als
nichts.
Gegen Ende der Schlacht spürte sie, wie Valerius’
Aufmerksamkeit sich einem anderen zuwandte, und sie sah, wie er
sein Pferd den Pfad hinaufdrängte, um jenen anderen zu töten. Der
Schwerthieb, mit dem er dem Mann das Leben nahm, war zwar weniger
brutal als die Inbrunst, mit der er den Prokurator vernichtet
hatte, aber nichtsdestotrotz war auch dieser Schlag sauber
ausgeführt und frei von allem gedanklichen Ballast. Valerius
handelte weniger als Individuum, sondern vielmehr als ein Teil
jener gewaltigen Streitmacht, die mittlerweile selbst den letzten
feindlichen Schildwall fast durchbrochen hatte.
Breaca hörte, wie ihr Bruder in tiefem, kehligem
Batavisch Befehle brüllte, und sie sah, wie ihm Männer antworteten,
die nie unter seinem Kommando gestanden hatten und doch seiner
Führung folgten, weil allein er sie in den Sieg über den wahren
Feind zu führen vermochte. Er befahl ihnen, sich zu versammeln,
verdichtete sie sozusagen zu einer einzigen Faust aus Fleisch und
Kettenpanzern, und schickte diese kleine Einheit dann mitten in den
noch verbliebenen Kreis von Legionaren und sprengte diesen
auseinander.
All dies beobachtete Breaca mit großen Augen, und
tief nahmen ihr Herz und ihre Seele die Schönheit des Kampfes in
sich auf. Dubornos jedoch, der dicht neben ihr stand, stieß einen
leisen Fluch aus: »Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, ihn
kämpfen zu sehen. Er ist zum Kämpfen geboren, genauso, wie du es
bist. Nur mit dem einen Unterschied, dass er nicht so sehr am
Überleben hängt. Wäre er von Anfang an auf unserer Seite gewesen,
hätte so vieles ganz anders verlaufen können.«
Nachdenklich ergänzte Cygfa: »Und es ist eine
Schande, dass Cunomar jetzt nicht hier ist, um das alles sehen zu
können.«
Erst in diesem Moment stellten sie fest, dass der
Sohn der Bodicea nirgendwo zu entdecken war, dass er nicht bei
ihnen war, obwohl er es doch hätte sein müssen. Besorgt machte man
sich auf die Suche nach dem Grund für sein Verschwinden.