XI

Weit entfernt von jeglichen Kampfhandlungen vibrierte das Nachtlager der Neunten Legion unter dem stetigen Marschrhythmus schier unzähliger Füße. Eine Reihe nach der anderen, Kolonne für Kolonne, stapften die Hundertschaften durch die schmale Lücke in der Grabenanlage, die, streng nach Valerius’ Anweisungen ausgehoben, das Nachtlager umriss. Erschöpft ließen die Männer ihre Tornister vor ihren Zelten sinken - diese standen in jedem der Feldlager, das die Soldaten jemals errichtet hatten, immer an der gleichen Stelle. Anschließend machten die frisch eingetroffenen Legionare sich daran, beim Ausheben weiterer Schützengräben behilflich zu sein, schichteten um das Lager herum schützende Erdwälle auf, die jeweils mit einem Gitterwerk von miteinander verschränkten, scharf zugespitzten Holzpfählen versehen wurden, zerrten einige letzte Zeltschnüre straff und widmeten sich schließlich dem Schüren der Feuer und der Zubereitung der abendlichen Mahlzeit.
Man zog Lose, um die Reihenfolge der Wachablösungen zu bestimmen, und fingerte einige Streifen getrockneten Hammelfleisches, Feigen und ein paar Haselnüsse aus dem Gepäck, um damit der bescheidenen Abendmahlzeit ein wenig mehr Würze zu verleihen. Eine Atmosphäre des Friedens hatte sich über das Lager gelegt, als plötzlich das hohe, in den Ohren schrillende Schmettern eines Signalhorns ertönte und den Alarm auslöste. Drei Töne, in rascher Abfolge hintereinander ausgestoßen, das Ganze in dreifacher Wiederholung mit einer kleinen Pause zwischen der zweiten und der dritten Abfolge sowie einer Art Wirbel am Ende.
»Gütige Götter, sie haben die gesamte dritte Kohorte von unserem Zug abgetrennt und auch noch zwei Zenturien von der zweiten! Deine Schwester ist wirklich fleißig gewesen.« Longinus wusste genau, dass die nächsten Augenblicke nicht nur über sein Leben entschieden, sondern auch über das komplette weitere Geschehen der Kampfhandlungen. Er sprach also nur leise und in thrakischer Sprache, während tiefe Falten sich in seine Stirn gruben.
Auf Lateinisch, laut genug, damit auch alle anderen es hören konnten, erwiderte Valerius: »Das hintere Ende unseres Legionszugs wird angegriffen. Mach Civilis ausfindig. Und richte dich darauf ein, sofort wieder loszureiten.«
Noch während er die letzten Worte sagte, hatte er sich auch schon umgewandt. Der Pavillon des Legaten lag dort, wo die Hauptwege und die kleinen Seitenpfade des Feldlagers sich kreuzten. Schlaff hingen die Lanzenfähnchen der Legion und Cerialis’ persönliches Emblem, der blaugrüne Delfin auf weißem Grund, im abendlichen Nebel. Lucius, jener junge Kurier, dem erst vor kurzem das Zeichen des Mithras in die Haut eingebrannt worden war, hielt draußen vor dem Pavillon Wache. Als er das Signal hörte, hob er abrupt den Kopf und erinnerte damit ein wenig an einen aufgeschreckten Hund, der verwirrt eine Witterung aufzunehmen versuchte.
»Cerialis?«, rief Valerius an Lucius gewandt. »Wo ist er?« Der Junge wies mit einer ruckartigen Kinnbewegung auf den Pavillon. Valerius wartete nicht lange, sondern trat sofort in das Zelt ein.
Sorgfältig gegerbte Ziegenhäute, besprengt mit Rosmarinöl und Rosenwasser, bildeten das Dach und die Wände des Pavillons des Legaten. Ein Kohlebecken spendete wohlige Wärme, und dicht vor einer der Zeltwände stand der Arbeitstisch des Legionsschreibers.
Valerius trat genau in dem Augenblick ein, als der Legat sich gerade aus seinem Badezuber erhob. Der Mann dampfte regelrecht, und um den Unterkörper hatte er ein leinenes Tuch geschlungen. Seine Rüstung war dick mit Öl eingeschmiert und hing frisch poliert von der Mittelstange des Zeltes herab.
»Eure Exzellenz?« Valerius ließ die lederne Zeltklappe wieder hinter sich zufallen. »Habt Ihr den Alarm gehört? Das Schwanzende der zweiten Kohorte wurde angegriffen, und die dritte steckt offenbar in ernsten Schwierigkeiten. Die Zenturionen haben zwar den Befehl zum sofortigen Rückzug gegeben, aber sollte das Kriegsheer der Eceni bereits den Wald für sich eingenommen haben, werden wahrscheinlich selbst diejenigen von unseren Kameraden, die noch laufen können, unser Lager nicht mehr ohne fremde Hilfe erreichen. Mit Eurer Erlaubnis möchte ich gern Civilis und seine Bataver mit mir nehmen und den Rückzug der Zenturien sichern.«
Es bestand ein gewisses Risiko darin, nun ausgerechnet Cerialis vorzuschlagen, wie das weitere taktische Vorgehen bei dieser Kampfhandlung aussehen sollte. Cerialis, jener Mann, der sich selbst als das größte taktische Genie von ganz Britannien betrachtete, der sich mehr Talent zusprach als sämtlichen zuvor in Britannien regierenden Statthaltern und der nach eigener Einschätzung sogar dem derzeit im Westen Britanniens Krieg führenden Gouverneur mit Leichtigkeit das Wasser reichen könnte. Valerius wartete, nutzte die bangen Augenblicke, um im Stillen ein kurzes Stoßgebet zum Himmel zu senden.
Cerialis tastete nach seinem Unterhemd. Wer auch immer sein Badediener gewesen sein mochte, so war dieser im Augenblick jedenfalls nicht mehr anwesend. »Wie lange wird es noch dauern, ehe sie das Lager angreifen?«, lautete Cerialis’ Gegenfrage.
Valerius schüttelte beschwichtigend den Kopf. »Ich denke nicht, dass sie einen Vorstoß auf das Lager wagen werden. Selbst die Eceni sind nicht so töricht, ein befestigtes Feldlager anzugreifen. Aber der Hornbläser der zweiten Kohorte hat Signal gegeben, dass seine Kameraden gegen eine wahre Übermacht von Feinden zu kämpfen haben und dass seine Kohorte den Anschluss an die noch folgenden Truppen verloren hat.«
Sowohl Cerialis’ Brust als auch sein Rücken waren übersät mit knotigen Narben, Zeugnis dafür, dass seine bisherigen Angriffstaktiken und Rückzugsmanöver augenscheinlich nicht immer so ganz erfolgreich gewesen waren. Mit raschen Bewegungen zog er sich sein Hemd über.
»Nein, du kannst jetzt das Lager nicht verlassen«, entgegnete er. »Auf die Bataver kann man sich nicht wirklich verlassen.«
»Aber die haben sich doch noch nie einem von Civilis’ Befehlen widersetzt. Außerdem lebt der doch schon ewig in deren Gesellschaft - genauer gesagt, seit er und die Bataver der Neunten Legion damals zusammen am Rhein stationiert waren.«
»Richtig, und gleichzeitig träumt Civilis davon, in genau solch einer Situation wie dieser hier den Heldentod sterben zu dürfen. Mit dem als Anführer würdest du dich binnen weniger Augenblicke mitten in einem Blutbad wiederfinden, und auch die restlichen Bataver würden sämtliche Disziplin sofort über Bord werfen, um dafür in dem heroischen Gefühl dahinsiechen zu dürfen, dass man in den Winterzelten ihren Namen lobpreisen wird.«
Der Geruch, der aus dem Kohlebecken aufstieg, war ganz ähnlich dem der heiligen Räuchermischung, die man zu Mithras’ Ehren anzuzünden pflegte. Das Rot der glühenden Kohlen erinnerte an die Farbe von vergossenem Blut und an die sprenkelige Musterung eines Stierfells. Das sanfte Licht, das von der Glut ausströmte, verlieh Cerialis’ Rüstung einen kupfernen Schimmer, wodurch diese mit ihren zahlreichen Panzerschuppen an einen zerbrochenen Spiegel denken ließ.
Vorsichtig trat Valerius einen Schritt zur Seite, dann noch einen, bis er in der Rüstung sowohl sein eigenes Spiegelbild als auch das des Legaten erkennen konnte. Er kontrollierte sorgsam seine eigene Miene, betrachtete das Gesicht seines Vorgesetzten. »Nur mit Hilfe der Reiter ist das Ende der Kolonne noch rechtzeitig zu erreichen. Ansonsten sind die Männer dort verloren. Besser, wir riskieren, Civilis zu verlieren, als dass wir den Großteil der Bataver verloren geben.«
Ihre Blicke begegneten sich, prallten funkelnd von dem polierten Eisen ab. Für einen kurzen Moment schien es auf der ganzen Welt nur sie beide zu geben: einen Legaten und einen Dekurio, der zuletzt die Aufgaben eines Kuriers hatte versehen müssen und der nun seine Empfehlung zur taktischen Vorgehensweise bei diesem Angriff mit so nüchterner Stimme vortrug, so klar und bar jeglicher Emotionen, dass es dem Legaten überaus schwerfiel, die wahren Beweggründe hinter diesem Vorschlag zu erahnen.
Es war Cerialis, der den Blick als Erster wieder abwandte. Er griff nach dem Becher, der auf dem Tisch des Regimentsschreibers stand, nahm einige tiefe Schlucke und konzentrierte sich dabei ganz auf den vollen Geschmack des Weines. Dem Dekurio mit der nüchternen Stimme, der unmittelbar hinter der Zeltklappe auf weitere Befehle wartete, bot er nichts an. Endlich erwiderte der Legat: »Aber auch wir brauchen die Kavallerie - und zwar noch dringender als die Kameraden auf dem Pfad. Wir können schließlich nicht komplett ohne Reiter kämpfen. Und in dem Wald wimmelt es wahrscheinlich nur so von diesen aufrührerischen Kriegern. Nimm den halben Flügel, mit dem du hier unter Civilis’ Kommando eingetroffen bist. Und lass mir die andere Hälfte, also jene Männer, die unter dem Befehl des Sohnes von Civilis’ Schwester stehen. Normalerweise sollte Henghes, der es ja mittlerweile immerhin zum Präfekten gebracht hat, den kompletten Flügel befehligen, aber diese Bataver haben sich ja mit Leib und Seele dem alten Civilis verschworen. Mach Henghes ausfindig und schick ihn zu mir. Und gib der zweiten Kohorte Signal, dass sie sich beeilen soll auf ihrem Rückzug. Ich brauche diese Männer. Und sie sollen ihre Zeit nur dann mit Kämpfen verschwenden, wenn sie direkt angegriffen werden.«
»Exzellenz.«
Als Valerius die Zeltklappe hob und dann wieder hinter sich zufallen ließ, strömte ein wenig kalte Luft ins Innere des Zeltes. Cerialis leerte seinen Weinbecher und befahl dem jungen Diener, ihn noch einmal zu füllen, ehe er träge seinen Blick zu der Rüstung hinüberschweifen ließ, in der sich vor einigen wenigen Augenblicken noch das Gesicht des Dekurio gespiegelt hatte. Es fiel dem Legaten schwer, sich an die genauen Züge in diesem Gesicht zu erinnern. Nur die Leidenschaft, die in den schwarzen Augen geschwelt hatte, war ihm im Gedächtnis haften geblieben. Eine Leidenschaft, die so ganz und gar im Gegensatz stand zu dem nüchternen Tonfall seiner Stimme.
Unmittelbar vor dem Zelt wartete schon Longinus und hielt den fertig aufgezäumten Junghengst mit den weißen Fesseln für Valerius bereit. Das Tier wirkte sehr ruhig und ließ sich von der Hektik, mit der die anderen Reiter auf ihre Pferde stiegen, nicht anstecken. Das Zeltlager war in heller Aufregung, und im Laufschritt kamen bereits die ersten Männer der zweiten Kohorte hereingeströmt. Sie waren heilfroh, nicht in das Gemetzel am Ende der Kolonne hineingezogen worden zu sein, und dankbar, dass ihr Legat sie nicht dazu gezwungen hatte, ihr Leben für die Rettung von Kameraden aufs Spiel zu setzen, denen ohnehin niemand mehr helfen konnte. Stattdessen hatte ihr oberster Befehlshaber sie in das schützende Nachtlager mit seinen für den Feind tückischen Grabenanlagen und dem Palisadenzaun zurückbeordert.
Hinter Valerius und Longinus hatte sich die Hälfte der Bataver bereits in den Sattel geschwungen. Sie brachen denn auch sofort auf, begleitet von den Hornstößen einer kompletten Kohorte. Mit Civilis an ihrer Spitze nahmen sie den Weg in südliche Richtung. Anders als auf dem Hinweg achteten sie dieses Mal jedoch darauf, sich in der Mitte des befestigten Pfads zu halten, und trieben ihre Pferde zu einem schnellen Tempo an. Hastig machten die Fußsoldaten der zweiten Kohorte ihnen Platz, schlossen sich gleich darauf aber in fast ordnungsgemäßer Formation wieder zusammen, um endlich die sichere Umzäunung des Feldlagers zu erreichen.
Als keiner mehr in ihrer Nähe war, der sie hätte belauschen können, sagte Longinus: »Nun hast du genau das, was du wolltest. Die Civilis ergebene Hälfte der Kohorte reitet mit uns, während die andere Hälfte im Zeltlager zurückgeblieben ist. Hast du den Legaten etwa verhext?«
»Nein. Ich hab ihm einfach nur die Wahrheit erzählt, und er hat sie begriffen. Denn noch vor allem anderen lieben und unterstützen die Götter die Ehrlichen. Sag dem Standartenträger, er soll fünfmal in sein Horn stoßen.«
 
Hell schallte das fünffache Signal des batavischen Kavalleriehorns über den Steinernen Pfad der Ahnen, zerriss mit seinem Klang die letzten Überreste des Nebels und ließ die Nachmittagssonne ihre blendenden Strahlen über den Weg ergießen.
Sie alle hörten das Signal. Krieger und Legionssoldaten, im Kampf wie zu festen Knäueln miteinander verheddert, hielten einen Moment inne. Schwerter, Zähne und verkrampfte Finger lockerten für einen kurzen Augenblick ihren grausamen Biss in Fleisch, Haut und Knochen. Sie alle, Römer wie Eceni, glaubten, dass dieses Signal ihnen allein endlich die ersehnte Hilfe ankündigte. Nur dass den Eceni zuvor gesagt worden war, dass sie nun zunächst einmal so tun sollten, als ob das Signal ihnen Angst mache. Eine kleine schauspielerische Leistung, die jedoch jeder der Krieger überzeugend darzubieten vermochte.
Ohne den Befehl dazu erhalten zu haben und wie von allein, lösten die beiden Kampfparteien sich langsam voneinander und gaben den schmalen Streifen grünen Marschbodens wieder frei, den sie zu ihrem Schlachtfeld erkoren hatten.
Schon sehr bald während des Gefechts hatten die Krieger begriffen, dass sie, wenn ihnen an ihrem Leben noch etwas lag, sich besser nicht mit den kleinen Verbänden von Legionaren anlegten, die in geschlossener Formation und mit fest ineinander verkeilten Schilden gegen die Eceni vorrückten. Und die Legionare wiederum hatten erkannt, dass sie besser nicht den Marschpfad verließen und sich auf keinen Fall in den Wald abdrängen lassen durften, da dies einem Selbstmord gleichkäme. Denn sobald sie die ersten Reihen der Bäume durchschritten hatten, konnten sie ihre Schilde nicht mehr zusammenhalten, und ohne diesen schützenden Wall vor ihren Körpern wurden sie nur allzu leicht Opfer von Speer und Schlinge.
Rasch war der schmale Streifen grasbewachsenen Bodens, der zwischen dem Wald und dem Pfad verlief, zum eigentlichen Kampffeld geworden, eine Art Niemandsland, in dem weder die Legionare noch die Krieger so recht Fuß fassen konnten. Und allein, weil dieser Grünstreifen nun einmal da war, war er damit zugleich zum zentralen Punkt in den Kampfhandlungen geworden. Der Grünstreifen war jenes schmale Gebiet, von dessen Besitz beide Parteien sich letztendlich den Sieg versprachen und auf dem nun die hitzigsten Gefechte ausgetragen wurden.
Kaum aber, dass das Horn erschallt war, hatten die Kämpfenden sich wieder von dem Streifen Grasland zurückgezogen, und nun lag das schmale Schlachtfeld still und verlassen da. Frieden schien sich über das Land zu legen, langsam und Stück für Stück. Männer und Frauen, die gerade eben noch den eigenen Tod vor Augen gesehen hatten, wagten es, wieder einmal tief durchzuatmen und an eine Zeit jenseits des Überlebenskampfs zu denken.
Währenddessen zerstoben unter der heißen Nachmittagssonne schließlich auch die letzten Nebelschwaden. Lichtspeere fielen im schrägen Winkel sowohl auf die Toten als auch auf die Sterbenden und jene wenigen, die noch immer mitten auf dem Schlachtfeld standen und nun einige hastige Schlucke aus den durch die Reihen gereichten Wasserschläuchen nahmen und dabei misstrauisch ihre Gegner beäugten. Hinter den Kämpfern lag das Marschland. Unschuldig wie ein neuer Tag erstreckte sich die grüngraue Weite bis an den Horizont, flach und ohne jede Bodenerhebung, bis auf einige vereinzelte Schilfinseln und Büschel aus Bleichmoos. Feinste, feuchte Düfte würzten die Luft, erschienen angesichts des Blutbads auf dem Grünstreifen nur noch köstlicher als jemals zuvor.
Verborgen unter den schützenden Zweigen einer knospenden Birke stand Breaca und zählte die Übriggebliebenen. Soweit sie die beiden Kriegsparteien von ihrer Position aus überblicken konnte, schienen unter den Lebenden mehr Krieger als Legionare zu sein, wohingegen die Masse der Toten mehr Legionare als Krieger aufwies.
Sie war überaus froh über den vorläufigen Ausgang der Schlacht, und auch das Aufkeimen des Kampfgeistes, das bei einigen kleinen Grüppchen der zuvor noch völlig unerprobten Krieger zu erkennen war, erfüllte sie mit tiefer Dankbarkeit. Der Mangel an Leidenschaft in ihrem eigenen Inneren jedoch machte ihr Angst, ließ ihr Herz schwer werden, betäubte es regelrecht. Zwar hatte auch sie in dieser Schlacht rasch und häufig genug getötet, um jenen jungen Kriegern, die sich um sie geschart hatten, ein Vorbild zu sein, doch die Leere in Breacas Seele war mindestens ebenso weit wie der Horizont im Osten, und unaufhörlich schien ein kalter Wind durch sie hindurchzuhauchen. Immer wieder drehte Breaca das Heft ihrer Waffe in ihrer Hand herum und lauschte mit schmerzlicher Verzweiflung auf den Gesang der Klinge. Doch der schien auf ewig verstummt.
»Nur wenige werden erkennen, was fehlt. Und noch weniger werden wissen, weshalb.«
Die Stimme ertönte unmittelbar hinter Breacas linker Schulter. Einige Zweige erzitterten, wurden auseinandergedrückt, und dann kam Cygfa zum Vorschein und trat neben die Bodicea. Hell schimmerte ihr blondes Haar, in das sie eine stattliche Anzahl von Federn geknotet hatte, zum Zeichen für die von ihr besiegten Feinde. Über ihre Lippen spielte ein verkniffenes kleines Lächeln, während ihre grauen Augen so scharf und hart schienen wie das Eis zu Mittwinter. Ihr Gesicht war auf der einen Seite mit feinen Sprenkeln getrockneten Bluts übersät, ganz so, als ob sie sich zu dicht über einen der Sterbenden gebeugt hätte. Das Schwert, das seitlich an ihrer Taille baumelte, war noch unbenutzt. Sie atmete leicht und rasch, ähnlich einem Pferd am Ende eines Rennens.
Cygfa war schon immer schön gewesen. Sie war wie Caradoc, ihr Vater, nur in der Gestalt einer Frau und damit noch anmutiger. Zwei Jahre der Inhaftierung in Rom an der Seite jenes halben Mannes, zu dem ihr Vater verkrüppelt worden war, hatten sie stiller und härter werden lassen, hatten sie unnachgiebiger gegenüber den Fehlern anderer gemacht und ihr nicht zuletzt auch eine erschreckende Brutalität im Kampf verliehen. Und schließlich hatte auch die schier nicht enden wollende Flut an Vergewaltigungen, die ihr durch die Männer des Prokurators angetan worden war, sie nur noch weiter jenen Weg hinuntergetrieben, den ihre Seele bereits eingeschlagen hatte. Cygfa war strahlend schön und zerbrechlich zugleich, wie eine Waffe, die zu eifrig poliert worden war und die bald rosten oder sogar ganz zerbrechen würde.
Und es gab nichts dazu zu sagen, nichts, was man an dieser fatalen Entwicklung noch hätte ändern können. Airmid hatte Cygfa ihre Hilfe angeboten, hatte ihrer Seele Heilung schenken wollen, doch nach drei Tagen vergeblicher Versuche, in denen Cygfa ihr Angebot immer wieder ausgeschlagen hatte, hatte Airmid schließlich aufgegeben. Einzig Valerius, jener Mann mit den tausend Fehlern, der selbst bereits so manche seelische Verwundung hatte ertragen müssen, hatte Cygfa als eine Art Vorbild dienen können, wie sie die Qualen, die ihrer Seele zugefügt worden waren, eines Tages vielleicht doch noch würde überwinden können. Als Einzige von allen Kriegerinnen und Kriegern hatte Cygfa Valerius ohne jegliche Zweifel als einen der ihren akzeptiert, hatte in ihm jenen einen Mann gesehen, der sie als Einziger würde lehren können, wie sie selbst die letzte Faser Roms noch zerreißen könnte.
»Bist du etwa den gesamten Weg gerannt?«, fragte Breaca.
»Den Großteil.« Cygfa grinste und nahm dankend den Trinkschlauch entgegen. Sie spülte sich den Mund, trank jedoch nicht, sondern spuckte das Wasser gleich wieder aus. Feine rote Streifen durchzogen das Gemisch aus Speichel und Wasser, zeigten an, dass Cygfas Lungen unter dem Lauf ein wenig gelitten hatten und bluteten. »Es gab ja schließlich keinen Grund, warum ich noch länger dort hätte warten sollen. Ich hab Valerius’ Signal weitergegeben und bin dann losgerannt. Ich wollte vor ihm hier sein.«
»Um ihn kämpfen zu sehen?«
»Zum Teil. Ich hab ihn zwar schon in Gallien beobachten können, aber hier wird er sicherlich noch ganz anders kämpfen, und das möchte ich gern sehen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum ich hier bin.« Cygfa reichte Breaca den Wasserschlauch zurück. Ihr Blick war scharf und kalt wie ein Häutemesser im Winter, und sie unternahm nicht den leisesten Versuch, die Verletzungen, die ihr Blick anderen zuweilen zufügte, zu lindern. »Denn falls es zum Kampf zwischen deinem Bruder und deinem Sohn um die Führerschaft der Krieger kommen sollte, wüsstest du dann, wen du gerne als deinen Nachfolger sehen würdest?«
Mit Ausnahme von Valerius hatte es bisher noch niemand gewagt, dieses heikle Thema anzuschneiden. Doch Breaca spürte eine gewisse Erleichterung, dass Cygfa nun so offen darüber sprach, und entgegnete: »Nun ja, du jedenfalls hast deine Wahl bereits getroffen. Das hast du an dem Morgen, als der römische Kurier starb, allen deutlich zu erkennen gegeben. Und mit deiner unverbrüchlichen Unterstützung sollte es zwischen meinem Bruder und meinem Sohn höchstens noch zu einem Wortgefecht kommen, nicht aber zu einem Kampf mit Waffen.«
»Vielleicht. Aber Valerius wird noch mehr Leute auf seiner Seite brauchen als bloß mich, damit das Kriegsheer ihn als neuen Führer akzeptiert. Die ganz Jungen wissen nur, was sie sehen. Die Mehrzahl der Speerkämpfer ist jedoch bereits alt genug, um sich noch an jene Zeit zu erinnern, als Valerius ihre Siedlungen in Brand steckte und ihre Krieger niedermetzelte. Es gibt also noch mehr als bloß Cunomar, die glauben, dass Valerius sich am Ende doch wieder mit den Römern verbinden wird.«
»Ja, und das weiß auch Valerius. Genau das ist der Grund, weshalb er die Nachricht aus Camulodunum Cerialis persönlich überbracht hat. Obwohl er mit Leichtigkeit auch Hawk oder Longinus hätte schicken können. Und es ist auch allein Valerius zu verdanken, dass er die Neunte Legion so weit hat nach Süden locken können. Sicherlich, wir haben der Schlange zwar höchstens ein wenig den Schwanz kupiert, aber ohne die Mithilfe meines Bruders hätten wir noch nicht einmal das geschafft.« Breaca beobachtete, wie Cygfa scheinbar gleichgültig mit den Schultern zuckte. »Und du denkst, das reicht noch immer nicht aus, um das Kriegsheer von seiner Loyalität zu überzeugen?«
»Es ist zumindest schon einmal ein Anfang. Aber jetzt müssen wir ihn auch noch im Kampf sehen, und zwar nicht nur wir, sondern auch die Legionen müssen ihren einstigen Kameraden dabei beobachten. Erst dann, wenn offensichtlich ist, auf wessen Seite er steht, werden auch die Krieger langsam begreifen, wer Valerius wirklich ist und wozu er fähig ist. Bis dahin warten sie jeden Augenblick darauf, dass er sie verraten möge. Und selbst wenn es auch nur den leisesten Konflikt zwischen Valerius und einem der Krieger geben sollte, werden sie sich sofort auf Cunomars Seite schlagen.«
»Zu einem Konflikt wird es nur dann kommen, wenn die Krieger mich dabei erwischen, wie ich im Kampf versage«, widersprach Breaca. »Aber ich werde meinen Zusammenbruch noch mindestens so lange hinauszögern, bis Valerius endlich bereit ist, die Führerschaft über das Kriegsheer zu übernehmen.«
»Ich danke dir.« Cygfa war schon immer die Direkteste von allen Kindern Caradocs gewesen. »Auf genau diese Antwort hatte ich gehofft. Im Übrigen ist Valerius jetzt gerade auf dem Weg zu uns, gemeinsam mit den Batavern. Die werden nun an unserer Stelle kämpfen. Aber sollten wir doch noch eingreifen müssen, darf ich dann deine Schildseite schützen, während wir die letzten verbliebenen Soldaten töten?«
Breaca verlagerte den Griff um ihr Schwert ein wenig. Zehn lange Jahre der schier unaufhörlichen Schlachten hindurch hatte Cygfa stets Breacas Schildseite geschützt - und nie hatte sie um Erlaubnis bitten müssen, diese Stellung einnehmen zu dürfen. »Aber«, entgegnete Breaca, »dieser Platz ist doch immer der deine. So lange, bis du mir sagst, dass du ihn nicht mehr willst.«
Cygfas Züge wirkten hart und spröde. Dennoch konnte Breaca unter der Maske der scheinbaren Unbeteiligtheit jene Tochter im Geiste erkennen, die bereits so viele Male den Kampf um Leben und Tod mit ihr durchfochten hatte, dass sie sie schon gar nicht mehr zählen konnte. Nach einer Pause entgegnete Cygfa mit überraschend sanfter Stimme: »Das wird nicht passieren. Niemals.« Sie blinzelte heftig und setzte dann ein etwas gezwungen wirkendes Lächeln auf. »Achte auf den schwarzen Hengst mit den weißen Fesseln und dem Mond auf der Stirn. Denn damit hat dein Bruder ein Tier gefunden, das es mit dem Krähenpferd aufnehmen kann. Wenn es ihn lebend durch die Schlacht bringt, werde ich mich mit ihm um das Pferd schlagen, und zwar ehe Cunomar auch nur die leiseste Chance erhält, Valerius das Tier abspenstig zu machen.«
Zum ersten Mal an diesem Tage breitete sich ein herzliches Grinsen über Breacas Gesicht. »Du und Valerius im Ringkampf um ein Pferd... also, das wäre doch wirklich mal interessant zu beobachten.«
 
Die Ereignisse des Tages verdichteten sich. Weder Mensch noch Tier, weder Legionar noch Krieger schienen noch ihrem eigenen Willen zu folgen, sondern allein dem Befehl der Götter zu unterstehen. Jenen Göttern, denen es gefiel, zu ihrer Unterhaltung nun eine erbitterte Schlacht zu inszenieren.
Civilis ritt ganz vorn an der Spitze seiner Kavallerie, Valerius dicht neben sich. Ein knapper Befehl des alten Mannes genügte, und schon zügelten die Bataver ihre Tiere zu gemächlicherem Schritttempo und ritten einer nach dem anderen den schmalen Grünstreifen entlang. Stolz ging der schwarze Junghengst mit den weißen Fesseln und dem Mond auf der Stirn voran und trat behutsam zwischen den Körpern der bereits Getöteten hindurch, ganz so, als ob diese nur schliefen und nicht geweckt werden dürften.
Die Reihen der noch am Leben gebliebenen Legionare begrüßten sowohl Pferd als auch Reiter, als ob diese alte Freunde wären. Sie alle kannten Civilis und den Junghengst, den dieser einst zugeritten hatte, und die meisten hatten im Verlaufe der Nacht auch schon von dem Kurier und ehemaligen Dekurio gehört, der den Ehrentitel des Löwen Mithras’ trug und somit ein hochrangiger Diener des geheimen Gottes der Legionen war. Und genau jener Mann war es auch, der sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um die Nachricht aus der von den einheimischen Stammeskriegern gegeißelten Hauptstadt Britanniens zu überbringen. Selbst jene Legionssoldaten, die Valerius nicht aus gemeinsamen Jahren im Dienste des Kaisers kannten, wussten, dass der junge Mann mit dem schwarzen Haar quasi ihr Retter war, dass mit seinem Erscheinen auch der Sieg in erreichbare Nähe rückte und dass der Kampf, zumindest für diese eine Legion, schon bald ein Ende haben würde.
Die Männer traten vor, versammelten sich auf dem Grünstreifen, trommelten zur Begrüßung ihrer Kameraden mit ihren Schwertheften gegen ihre Schilde. Der forsche Viervierteltakt ihres Willkommenschores stimmte exakt mit dem Marschrhythmus der Pferde überein. Die wahre Wand von Kriegern dagegen, die sich hinter den Reitern zu schließen schien, nahmen die von frischem Mut beseelten Männer gar nicht richtig wahr.
Die Römer bildeten nun eine Streitmacht von zweihundert Kavalleristen und etwas über dreihundert Infanteristen. Sicherlich mochten sie damit noch immer nicht die Mannstärke der Krieger erreicht haben, doch zumindest waren nun genügend Pferde da, um jeweils zwei Männern als Schutzschild dienen zu können.
Als schließlich auch der letzte Bataver die vorderste Reihe der allein aus Römern bestehenden Division passiert hatte, ließ der oberste Diener Mithras’ sein Tier wenden und blieb dann, das Gesicht den Legionaren zugewandt, stehen. Ruhig blickte er auf die Schilde und die zu Boden gesunkenen Schwertspitzen der ersten beiden Männer der Infanterie. Die beiden Männer hatten den Mann auf dem schwarzen Pferd mit den weißen Fesseln offenbar erkannt und begrüßten ihn nun mit breitem Lächeln und in lateinischer Sprache.
Die hinter Valerius einreitenden Männer taten es ihrem Anführer gleich, stellten sich von Angesicht zu Angesicht ihren Legionskameraden gegenüber. Hinten, am entgegengesetzten Ende dieses Abschnitts des Steinernen Pfads der Ahnen, warteten die versammelten Krieger der Eceni. Breaca und Cygfa standen an ihrer Spitze, und von ihrer Position aus schien es ganz so, als ob sich die ursprünglich immer näher rückende Mauer aus römischen Fratzen nun in ein breites Band rotbraunen Pferdefells verwandelt hätte. Ein Band, dessen obere Kante von glänzendem Kettenpanzergewebe geschmückt wurde.
Das Heer der Krieger stimmte keinen Schlachtruf an. Die Männer und Frauen stampften nicht mit den Füßen und grüßten auch nicht, sondern warteten in tiefem Schweigen, ganz so, wie Valerius es von ihnen erbeten hatte. Zudem zogen sie bei seinem Näherkommen fast alle ihre Waffen aus ihren Gürtelschlaufen und musterten ihn mit Hass und unverhohlenem Misstrauen. Eine derartig ausgeprägte Zurschaustellung ihrer angeblichen Feindschaft hatte Valerius zwar nicht verlangt, doch war diese von ehrlichem Argwohn geprägte Reaktion der Krieger andererseits wohl kaum zu vermeiden gewesen.
Ganz leise, sodass niemand anderer sie hören konnte, flüsterte Cygfa: »Wenn er auch nur eine falsche Bewegung macht, dann gibt es nichts mehr, was du oder ich noch für ihn tun können.«
Langsam und ohne Begleiter ritt Valerius auf seinem schwarzen Hengst mit den weißen Fesseln bis ans Ende der Reihe von Legionaren. Erst unmittelbar vor den Kriegern der Eceni blieb er stehen. Er stand so dicht vor ihnen, dass die Ersten von ihnen den heißen, feuchten Atem seines Pferdes sanft über ihre Gesichter streifen spürten. Die Augen erregt geweitet, sodass weiß die Augäpfel hervorblitzten, vertrauensvoll und doch voller Zweifel war jeder Einzelne von ihnen bereit, auf der Stelle zu töten - jenen Mann zu töten, der das große Tier ritt, sollte dieser auch nur ansatzweise den Versuch unternehmen, die Eceni nun an Rom zu verraten.
Valerius blickte die Krieger an, und ohne auch nur die Spur eines Lächelns über seine strengen Züge huschen zu lassen, hob er seinen Schwertarm.
Seine Waffe war von römischer Machart, ebenso wie das Kettenhemd, das er trug. Die Sonne war nahezu hinter dem Horizont versunken, und ihr Licht wurde von den Bäumen zu schmalen Streifen zerschnitten, sodass der heraufziehende Abend mehr grünlich als golden erschien, ja, fast schon ins Gräuliche abfiel. Vereinzelte Strahlen prallten funkengleich von der scharf geschliffenen Spitze von Valerius’ Schwert ab, und auch sein Kettenhemd sowie sein mit silberner Rüstung geschütztes Tier erstrahlten in irritierendem Glanz. Der Hengst schnaubte erregt, schüttelte den Kopf und spie dabei schaumigen, weißen Speichel sowohl auf Breaca als auch auf jenen römischen Zenturio, der weniger als drei Speerlängen entfernt das Ende der Reihe von Legionaren markierte.
Fest presste der junge Römer den Handballen in die Mitte seines Brustbeins, entbot damit Valerius jenen universellen Gruß, der zwischen allen Jüngern Mithras’ gebräuchlich war, und blickte grinsend zu seinem Anführer empor.
Breaca sah, wie eine flüchtige Woge des Bedauerns über das Gesicht ihres Bruders glitt. Er schloss kurz die Augen und presste den Mittelknochen seines Daumens gegen die gleiche Stelle auf seiner Brust. Seine Lippen bewegten sich in einem stillen Gebet, und Breaca spürte, wie die Anspannung, die sie wie ein reales Wesen umfing, immer stärker wurde und fast nicht mehr zu ertragen schien und mehr als nur ein Krieger im Stillen bereits den Entschluss fasste, Valerius bei der nächstbesten Gelegenheit einfach niederzumetzeln.
Ohne Vorwarnung und viel zu schnell, als dass man es mit bloßem Auge hätte beobachten können, ließ Valerius sein eben noch hoch in die Luft gerecktes Schwert mit sirrendem Klang herabsausen und trennte dem Zenturio die rechte Hand ab. Alles geschah so rasch, dass niemand Valerius mehr hätte aufhalten können.
Zwei Pferdelängen hinter Valerius brüllte Civilis den Schlachtruf seiner Ahnen, und der Hornbläser der Bataver ließ drei bellende Töne erschallen. Doch noch ehe der letzte Ton verhallt war, hatte auch schon das Kriegsgeschrei begonnen, und der mitunter nurmehr träge Tanz, zu dem die Götter ihre Krieger und die Römer hatten erlahmen lassen, verwandelte sich abermals in das pulsierende Hämmern der Schlacht.
Vier Zenturien von Legionaren, darauf gedrillt, jeglichen Angriffsbefehl ohne weiteres Nachdenken sofort auszuführen, begannen, sich auf ihre Widersacher zu stürzen. Angeführt von Civilis, der Reinkarnation des Helden Arminius, warfen die Bataver sich in das Kampfgetümmel, droschen auf jene Männer ein, die soeben noch ihre Kameraden gewesen waren, und sangen dabei den Lobgesang des Todes.
Ganz am Ende der Reihe machten die versammelten Eceni-Krieger sich unter der Führung von Breaca daran, auch ihren Teil zur Vernichtung des Feindes beizutragen, und stürmten gegen die erste Zenturie von Römern. Breaca kämpfte mit Cygfa an ihrer einen Seite und Dubornos an der anderen und gab ihr Bestes, um sich vom Rhythmus des Kampfes durchwogen zu lassen, auf dass dieser ihr wieder in Erinnerung rufen möge, was es bedeutete, zu töten, ohne zu denken, zu töten, ohne zu planen. Sie spürte genau, dass die Pforte ihr offen stand, wusste, dass die Energie des Kampfes sie wieder heilen und den gähnenden Abgrund in ihrer Seele versiegeln könnte. Sie wusste, dass allein die Schlacht dem eisigen Wind, der unentwegt mitten durch ihr Innerstes hindurchzustreichen schien, Einhalt gebieten konnte.
Valerius war stets in ihrer Nähe. Er beobachtete sie genau, so wie er sie auch schon bei ihrer Übung im Wald nicht einen einzigen Moment aus den Augen gelassen hatte, während Breaca sich im Gebrauch ihrer Waffe erprobt hatte. Und genau wie an jenem Abend verlieh das Wissen, dass ihr Bruder jede ihrer Bewegungen argwöhnisch verfolgte, Breaca einen ungeheuren Kampfeswillen und erfüllte sie mit einer Glut, die zwar noch nicht so ganz ihrem alten Kampffieber entsprach, aber immerhin schon mal besser war als nichts.
Gegen Ende der Schlacht spürte sie, wie Valerius’ Aufmerksamkeit sich einem anderen zuwandte, und sie sah, wie er sein Pferd den Pfad hinaufdrängte, um jenen anderen zu töten. Der Schwerthieb, mit dem er dem Mann das Leben nahm, war zwar weniger brutal als die Inbrunst, mit der er den Prokurator vernichtet hatte, aber nichtsdestotrotz war auch dieser Schlag sauber ausgeführt und frei von allem gedanklichen Ballast. Valerius handelte weniger als Individuum, sondern vielmehr als ein Teil jener gewaltigen Streitmacht, die mittlerweile selbst den letzten feindlichen Schildwall fast durchbrochen hatte.
Breaca hörte, wie ihr Bruder in tiefem, kehligem Batavisch Befehle brüllte, und sie sah, wie ihm Männer antworteten, die nie unter seinem Kommando gestanden hatten und doch seiner Führung folgten, weil allein er sie in den Sieg über den wahren Feind zu führen vermochte. Er befahl ihnen, sich zu versammeln, verdichtete sie sozusagen zu einer einzigen Faust aus Fleisch und Kettenpanzern, und schickte diese kleine Einheit dann mitten in den noch verbliebenen Kreis von Legionaren und sprengte diesen auseinander.
All dies beobachtete Breaca mit großen Augen, und tief nahmen ihr Herz und ihre Seele die Schönheit des Kampfes in sich auf. Dubornos jedoch, der dicht neben ihr stand, stieß einen leisen Fluch aus: »Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, ihn kämpfen zu sehen. Er ist zum Kämpfen geboren, genauso, wie du es bist. Nur mit dem einen Unterschied, dass er nicht so sehr am Überleben hängt. Wäre er von Anfang an auf unserer Seite gewesen, hätte so vieles ganz anders verlaufen können.«
Nachdenklich ergänzte Cygfa: »Und es ist eine Schande, dass Cunomar jetzt nicht hier ist, um das alles sehen zu können.«
Erst in diesem Moment stellten sie fest, dass der Sohn der Bodicea nirgendwo zu entdecken war, dass er nicht bei ihnen war, obwohl er es doch hätte sein müssen. Besorgt machte man sich auf die Suche nach dem Grund für sein Verschwinden.
Die Kriegerin der Kelten
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