XLIII
Schon waren die Reiter vorwärtsgeprescht. Wie eine
gewaltige Flutwelle aus donnernden Hufen strömten sie über die
Rippelmarke hinweg und stießen dabei ein solch schauriges
Kampfgeheul aus, dass es selbst die zähesten Krähen schließlich aus
ihren Bäumen vertrieb. In blankem Entsetzen rissen die Reihen der
Legionare ihre Langspeere hoch. Ihre Ausbildung bot ihnen selbst in
derlei beängstigenden Augenblicken eine feste Basis, etwas, woran
sie sich halten konnten; ihr Glaube an den Sieg aber war
beträchtlich ins Wanken geraten.
Unmittelbar links hinter Valerius ertönte Cygfas
Stimme: »Da, wo der Hase durchgerannt ist - an genau der Stelle
sollten auch wir die Reihen durchbrechen!«
»Richtig! Vorwärts!«
Der Wind peitschte ihm in die Augen, das Schwert
hielt er waagerecht gegen den Körper gepresst, und sein Schild saß
fest an seinem linken Unterarm. Das Krähenpferd war genauso
leistungsstark und kampfbereit wie eh und je, und neben ihm rannte
der Traumhund, den Kopf fast auf Höhe von Valerius’ Knie. Links von
ihm ritt Longinus. Cygfa hatte ihr Pferd unterdessen rechts hinter
das Krähenpferd gedrängt. Und selbst, wenn sie nun alle drei gleich
in den ersten Augenblicken, da sie den Angriffskeil zwischen die
Legionare trieben, sterben sollten, so hätte dieser Moment für
Valerius dennoch nichts von seiner Makellosigkeit verloren.
Noch hatte Corvus seine Kavallerie nicht gegen sie
gehetzt. Trotzdem hegte Valerius nicht den leisesten Zweifel daran,
dass dies mit Sicherheit noch passieren würde... Doch selbst das
würde dem perfekten Gefüge, als welches die Welt ihm mit einem Mal
erschien, keinen Abbruch tun.
Denn zwischen ihm und Corvus herrschte endlich
wieder Frieden. Darüber hinaus hielt der Tod das Versprechen der
Wiedervereinigung für sie bereit, ein Versprechen, welches das
Leben nicht mehr einzulösen vermochte.
Die Häsin war mehr in Richtung Mitte gerannt. Ganz
leicht dirigierte Valerius das Krähenpferd etwas weiter nach links
und damit fort von jener Stelle, die er in seinem ursprünglichen
Angriffsplan als den Punkt des ersten Zusammenstoßes auserkoren
hatte.
Civilis, Madb, Huw und der gesamte Kavallerieflügel
folgten ihm. Die Legionen hoben ihre Langspeere auf Schulterhöhe
empor. Wie lange, leichte Nadeln ragten diese gen Himmel, bereit,
auf den Befehl ihres Kommandeurs gegen die Feinde geschleudert zu
werden. Valerius sah, wie die Enden der Langspeere leicht zitterten
und der Wind sie sanft zur Seite drängte. Er hob seinen Schild,
versuchte, damit sowohl sich selbst als auch sein Pferd zu
schützen. Sein Gefolge tat es ihm gleich.
Nun hatten sie den Feind fast erreicht. Schmerz
durchzuckte ihn, jedoch nur ganz kurz. Der Schmerz darüber, dass er
seinen Seelenfrieden erst so spät hatte finden dürfen und dass ihm
so wenig Zeit vergönnt gewesen war, um diesen Frieden zu genießen.
Doch selbst die knappe Zeit, die ihm verblieben war, war ein
Geschenk der Götter gewesen, und als solches wusste Valerius die
Gabe trotz allem zu schätzen. Als sie fast in Wurfweite der
Langspeere angelangt waren, stieß er einen lauten Lobgesang an
seine beiden Götter aus und an all das, was diese ihm geschenkt
hatten. Wild und mit vor Glück frohlockendem Herzen ließ er seine
Stimme über die Ebene erschallen. Voller Freude stimmte seine
Ehrengarde in den Gesang mit ein.
Zu spät sah er den Graben. Er entdeckte ihn erst,
als er geradewegs an dessen Ausläufern vorbeiritt. Die Furche zog
sich schräg über die Ebene, um damit die Talenge noch etwas weiter
zu verschmälern. Hätte Valerius seinen Flügel genau in jenem großen
Bogen von links gegen die Legionen geführt, wie er ursprünglich
geplant hatte, so hätte er sein Pferd geradewegs auf das
Mittelstück des Grabens zugetrieben. Noch ehe die Schlacht richtig
begonnen hätte, wäre er gestorben, und alle, die ihm folgten, mit
ihm.
Letztendlich kam der Weg, den die Häsin ihm gezeigt
hatte, aber doch nur ihm selbst und seinem unmittelbaren Gefolge
zugute. Alle, die rechterhand von Valerius ritten und die
Außenkanten des Angriffsflügels bildeten, durften nicht mehr von
der Vorhersage des Tieres profitieren. Mutig trieben sie ihre
Pferde im gestreckten Galopp über gefährlich unebenen Grasboden,
nur um dann ohne jegliche Vorwarnung in einen Graben zu stürzen,
der etwa die sechsfache Breite eines Mannes besaß und den die
Legionare mit Felsbrocken und senkrecht in den Boden gerammten,
angespitzten Pfählen gefüllt hatten. Gliedmaßen und Hälse brachen,
Fleisch, Lungen und Eingeweide wurden von den Spießen durchbohrt,
und das sorgsam konstruierte Instrument von Valerius’
Angriffsflügel fiel heillos in sich zusammen.
Schreiend stürzten Pferde und Krieger in die
Fallgrube. Fleisch platzte auseinander, Knochen zersplitterten und
Reiter stürzten in ihre eigenen, bereits gezogenen Schwerter oder
aber rammten diese unwillentlich in die nach ihnen hinabstürzenden
Kameraden.
Binnen weniger Augenblicke war rund die Hälfte der
ehemals achthundert Gefolgsleute von Valerius zu Tode gestürzt. Und
auch die zweite, linke Hälfte näherte sich mit rasender
Geschwindigkeit dem schräg auf sie zulaufenden Graben, konnte nicht
mehr anhalten. Zumindest aber konnten sie ihre Tiere schließlich
doch noch halbwegs zügeln, und auch ihre Formation mit Valerius an
der Spitze war erhalten geblieben. Plötzlich hörte er jenen feinen,
sirrenden Wind, den jeder Legionar fürchtete und dessen Geräusch
ihm so vertraut war wie sein eigener Herzschlag: Der Beschuss mit
den Langspeeren hatte begonnen.
Hartes, alles Leben durchbohrendes Eisen traf Hail
- der Hund stürzte, ganz so, als besäße auch er noch einen Körper
aus Fleisch und Blut. Zeitgleich durchschlugen die Langspeere
sowohl Lederrüstungen als auch Eisenschienen, drangen ein in Haut
und Fleisch und Knochen und staken schließlich sogar in den
Schilden, die daraufhin völlig unbrauchbar wurden. Die Männer und
Frauen der Stämme starben zu Dutzenden.
»Valerius!«
Wie durch ein Wunder war Civilis noch immer am
Leben. Auch die Hälfte seiner Truppe war noch bei ihm, und hastig
eilten sie an Valerius’ rechte Seite. Der alte Legionar hob seinen
Schild gen Himmel und brüllte mit einer Stimme, so laut, dass sie
fast das Firmament zu erreichen schien: »Reite rüber nach links!
Wir bilden deine Schutzschilde!«
Valerius spürte, wie ein sanfter Hauch über seine
Haut strich. Doch diesmal war es bloß der Wind, kein Eisen, das an
ihm vorbeizischte. Normalerweise hätte er Civilis’ Anweisung nun
nicht so ohne Weiteres zugestimmt, doch zum Diskutieren blieb
einfach keine Zeit. Stattdessen hatte Civilis angeboten, ihn mit
seinem eigenen Leben zu schützen, und ohne zu zögern nahm Valerius
das Angebot an, denn das war in diesem Moment das einzig
Richtige.
Geleitet von einem Instinkt, der mindestens ebenso
tief in seinem Inneren verwurzelt war wie die blitzschnellen
Bewegungen, mit denen die Legionen ihre Waffen zogen, riss er das
Krähenpferd hart nach links. Über drei geradezu selbstmörderische
Pferdelängen hinweg preschte er parallel geradewegs vor der
Frontlinie des römischen Heeres entlang, wartete auf jenen
entsetzlichen Moment, in dem die Langspeere des Feindes seinen
Körper durchbohren würden - und fühlte doch nichts dergleichen,
denn schon war Civilis an seine Seite geeilt, dicht gefolgt von
seinen Männern, und gemeinsam bildeten sie eine feste Mauer aus
Fleisch und Knochen und Eisen, die den gefürchteten Speerhagel
abfing. Unbeirrt ritt die kleine Truppe weiter, geradewegs an jenen
Legionaren entlang, die bis vor kurzem noch ihre Kameraden gewesen
waren.
Rund fünfhundert Bataver mitsamt ihren Pferden
starben eines Todes, wie er ruhmreicher nicht hätte sein können,
auf dass zumindest der Rest ihres Flügels mit dem Leben davonkäme
und weiterkämpfen könnte.
»Civilis!«
Valerius’ Ausruf war Schlachtruf und Dankeswort in
einem, und sogar seine Trauer spiegelte sich in den kurzen Silben
wider - ein kurzer Schrei für sämtliche bereits gefallenen
Kameraden, denn für mehr war keine Zeit. Sein größter Trumpf aber
war das Krähenpferd. Es vollführte eine so scharfe Wende, wie sonst
nur Jagdhunde sie schaffen konnten, und galoppierte dann
schnurstracks wieder über jenes Feld zurück, über das sie soeben
noch auf die Legionen zugestürmt waren, dabei immer exakt jenem
Pfad folgend, den auch die Häsin gewählt hatte. Selbst der Hengst
schien in gewisser Weise begriffen zu haben, dass dies der einzige
Weg auf dem gesamten Schlachtfeld war, dem sie sicher und
unbeschadet folgen konnten.
Trotz der frühzeitigen Niederlage der Bataver
rückten die schier unzähligen Reihen von Breacas Kriegern, die
Valerius’ Flügel gefolgt waren, stetig weiter voran. Valerius zog
das Krähenpferd wieder ein Stückchen nach rechts, um den
Nachfolgenden nicht im Wege zu sein, zügelte es dann zu einem
langsameren Tempo und ließ es schließlich kehrtmachen, sodass es
abermals mit der Stirn in Richtung der Legionen gewandt stand.
Zwischenzeitlich hatten Cygfa und Longinus zu Valerius
aufgeschlossen. Doch nicht nur diese beiden hatten sich um Valerius
geschart, sondern auch Huw und Madb und Knife und gut zwei Drittel
der Krieger von Mona. Valerius wusste, dass er für diese Geste nun
eigentlich hätte dankbar sein müssen, und empfand doch nichts
dergleichen. Denn er hatte Civilis verloren und seinen gesamten
Flügel von Batavern. Und dabei hatte die Schlacht noch nicht einmal
wirklich begonnen.
Valerius hätte weinen mögen, doch auch dafür war
nun einfach nicht der passende Augenblick. Keuchend und mit
geröteten Wangen fragte Cygfa: »War das etwa Corvus’ Werk?«
»Ich weiß es nicht.« Genau diese Frage hatte er den
Göttern nämlich auch bereits gestellt und die Antwort letztlich
nicht entschlüsseln können. »In jedem Fall müssen die Gräben
gezogen worden sein, bevor unsere Späher dieses Tal entdeckten.
Gleich bei ihrer ersten Ankunft müssen die Pioniere und Wegbereiter
bereits diese Fallgruben ausgehoben haben. Das eigentliche Lager
wurde dann erst später errichtet. Falls Corvus diese Gräben also
nicht selbst befohlen hat, hat er zumindest davon gewusst.«
»Und hat dir trotzdem nichts davon gesagt.« Für
eine solche List hätte Cygfa Corvus auf der Stelle getötet.
»Aber warum sollte er denn auch? Wir befinden uns
schließlich im Krieg«, widersprach Valerius mit kräftiger Stimme,
doch sein Herz wehklagte, und noch nicht einmal er selbst glaubte,
was er da gerade sagte. Corvus hätte mir doch zumindest einen
kleinen Hinweis geben müssen, flüsterte eine Stimme in seinem
Hinterkopf.
Den gleichen Gedanken hatte auch Cygfa, er konnte
es klar an ihrem Gesichtsausdruck ablesen. »Und, was machen wir
jetzt?«, fragte sie.
»Ganz einfach: Wir kämpfen. In dem Bemühen, dabei
nicht selbst ums Leben zu kommen. Und natürlich müssen wir
versuchen, die rechte Flanke zu halten, genauso, wie wir es von
Anfang an geplant hatten. Das hier ist schließlich noch nicht das
Ende.«
Obwohl Cunomar ganz am anderen Ende des
Schlachtfelds stand, spürte er das Entsetzen, das durch die Reihen
der Krieger wogte, als der Angriffskeil, zu dem sich die Bataver
formiert hatten, einfach zerschmettert wurde.
Die Bärinnenkrieger kämpften natürlich zu Fuß und
waren folglich langsamer als die Pferde.
Cunomar blieb also gerade noch genügend Zeit, um
die Katastrophe, die diese Gräben für ihren Schlachtplan
darstellten, zu begreifen und daraus zu schlussfolgern, dass ihnen
das Gleiche womöglich auch auf der Seite drohen könnte, auf der er
kämpfte. Dann entdeckte er auch schon den Graben, brüllte Ulla und
Ardacos, die gemeinsam mit den älteren Bärinnenkriegern die
Außenflanke seiner Truppe bildeten, rasch noch eine Warnung zu, und
sprang dann mit schaurigem Kampfgeheul auch schon geradewegs über
den vor ihm gähnenden Graben hinweg. Sicher auf der anderen Seite
angekommen, rannte er dann schnell und immer schneller auf die
Legionare zu, die derweil noch abgelenkt waren von dem Blutbad zu
ihrer Linken und noch immer jene Langspeere in ihren Händen
hielten, die ihre Kameraden schon längst gegen die Krieger
geschleudert hatten.
Die Bärinnenkrieger kämpften unter dem Segen ihrer
Göttin, daran gab es keinen Zweifel. In der gleißenden Mittagssonne
stürmten sie geradewegs unter dem gegen sie gerichteten Speerhagel
hindurch, sodass der tödliche und sirrende Hagel in einem sanften
Bogen über sie hinwegflog und schließlich, ohne weiteren Schaden
anzurichten, einfach hinter ihnen im Gras landete. Kurz darauf
hatten die Krieger die Legionare auch schon erreicht, warfen sich
gegen die Schilde und die erst halb gezogenen Waffen. Schon sanken
die ersten Toten zu Boden, doch diese Opfer stammten nicht aus den
Reihen der Krieger.
Mit einem raschen Sprung zur Seite versuchte
Cunomar, sich unter einem Schild hindurchzuducken, den einer der
Legionare ihm geradewegs ins Gesicht rammen wollte. Plötzlich
schmeckte er Blut auf der Zunge, das aus einer Wunde an seiner
Wange herabrann - dem Schildbuckel hatte er ausweichen können, die
Kante aber hatte ihn dennoch erwischt. Rasch hieb er mit seinem
Messer nach einem der ungeschützten Augen des Legionars, spürte,
wie das Messer in den Augapfel eindrang und sich dann in das poröse
Knochengewebe der Augenhöhle bohrte. Falls der Mann geschrien
hatte, so hatte Cunomar dies zumindest nicht gehört. Der Schrei
musste wohl in dem um sie herum wütenden Chaos untergegangen sein.
Gellend brüllte der Sohn der Bodicea den Namen seiner Mutter,
hörte, wie gleich darauf Ulla in seinen Schlachtruf mit einstimmte
und schließlich auch Ardacos sein dumpfes Bärengeheul erklingen
ließ. Cunomars einstiger Albtraum verflüchtigte sich zu einem
Nichts, vertrieben durch den unbändigen Siegeswillen des Heeres der
Bodicea. Frei von jeglicher Angst stürzte er sich in die Schlacht.
Nur ein winzig kleiner Teil seiner selbst, kalt und schweigend in
der Leibesmitte kauernd, lauschte noch immer nach den
Trompetenstößen des Feindes.
Es war wichtig, dass Breaca während des Kampfes
gesehen werden konnte, dass sie sich als die Bodicea zu erkennen
gab.
Dementsprechend hatte sie sich bewusst so
gekleidet, dass man gar nicht umhin kam, sein Augenmerk auf sie zu
richten. Zum ersten Mal seit Jahren ritt sie wieder in einem Umhang
in dem Nachtblau der Eceni in eine Schlacht und nicht etwa in dem
Grau von Mona. Schimmernd schmiegte der Sonnenschlangenreif der
Ahnen sich um ihren Hals, und ihr Haar war wie ein Banner aus
gesponnenem Kupfer, das sich unter der heißen, hoch am Himmel
stehenden Sonne in Gold zu verwandeln schien. Der Speer, den sie
nun bei sich trug, war jener Speer mit der breiten Klinge, den
Valerius und Airmid voller Hoffnung und Liebe in jenen letzten
Tagen geschmiedet hatten, ehe sie das Land der Eceni
verließen.
Die kupfernen Wirbel, die sich über die Speerklinge
zogen, fingen hell leuchtend das Licht des Tages ein, ganz so, als
ob Breacas Speer nicht von einer Klinge sondern von einer Flamme
gekrönt würde. Zudem war der Speer perfekt austariert, und sein
Lied drang bis in die feinsten Fasern ihres Herzens, ließ in seinem
Widerhall die Stimme Brigas ertönen und die Lieder jedes einzelnen
Ahnen aus der langen Reihe der Vorfahren der Bodicea.
Sie allein war die Kriegerin mit den Augen und dem
Herzen eines Träumers. Und nun erfüllte sie mit einer einzigen
Geste auch die letzte der Vorhersagen der Träumerin der Ahnen: Sie
führte den zentralen Block ihres schier unermesslich großen
Kriegsheeres in die entscheidende Schlacht.
Und was ihr Anliegen betraf, unbedingt als die
Bodicea erkannt werden zu wollen, so konnte sie auch in dieser
Hinsicht einen vollen Erfolg verbuchen, denn schon zielten die
Speerkämpfer Roms - zumindest jene, die mittig in der langen Reihe
von Legionaren postiert waren - nur noch auf sie. Im Übrigen stand
fest, dass der Gouverneur offenbar nicht nur aus taktischen
Überlegungen, sondern auch aus ganz persönlichen Gründen seine
Legionen gegen sie hetzen wollte.
Aber mit dieser, aus der Formierung seines Heeres
erkennbaren Botschaft wusste nun natürlich auch Breaca, wer ihr
persönlicher Feind war in dieser Schlacht, und sie hatte auch schon
eine Idee, wie sie ihren Widersacher besonders schmerzhaft treffen
könnte. Und spätestens nach der Zerschlagung von Valerius’ Flügel
plagten sie noch nicht einmal mehr die leisesten Gewissensbisse,
ihren Plan auch tatsächlich in die Tat umzusetzen.
Zügig galoppierte sie über das Feld, beugte sich
dann seitwärts aus dem Sattel und hieb ihren Speer einmal mitten in
den Körper des verletzten Hundes, um dessen Leiden somit endlich
ein Ende zu bereiten. Irgendjemand unmittelbar vor ihr stieß einen
schrillen Schrei aus. Womöglich war es der atrebatische
Hundeführer, den sie gehört hatte, tief in ihrem Inneren aber hatte
Breaca eine andere Vermutung. Wer genau jedoch geschrien hatte,
konnte sie wiederum auch nicht sagen, denn sie hatte sich nicht
rasch genug wieder in den Sattel emporgehievt, um sich
umzuschauen.
Hawk, der unmittelbar hinter Breaca ritt, beugte
sich noch ein wenig tiefer aus dem Sattel hinunter, schnitt dem
toten Hund ein Ohr ab und warf dieses in vollem Galopp zu Breaca
hinüber. Diese steckte das Ohr auf die blutbeschmierte Spitze ihres
Speeres und stemmte ihre Waffe dann, ganz ähnlich einer
Legionsstandarte, hoch über ihren Kopf. Eine Vielzahl von Männern
schleuderte ihr daraufhin die wüstesten Verwünschungen entgegen,
und sogleich wurden auch schon wieder die nächsten Langspeere in
die Luft gejagt. Doch die Würfe waren nicht von der Vernunft,
sondern vom Zorn geleitet, sodass die Flugbahnen um ungefähr fünf
Pferdelängen zu kurz ausfielen.
Nach zwei weiteren Sprüngen ihres Pferdes ließ sie
den Arm wieder sinken, stützte den Speer auf ihre Schulter und
wartete, bis dessen Lied im Einklang war mit dem Galopprhythmus
ihres Tieres und dem Pochen ihres Herzens.
Vor ihr, in nicht mehr allzu weiter Entfernung, saß
Suetonius Paulinus, Gouverneur von ganz Britannien, auf seinem
Pferd. Würde und Arroganz schienen sich fast schon einem Mantel
gleich um ihn gebreitet zu haben, während die weißen Federbüschel
über seinem Kopf ein geradezu perfektes Angriffsziel abgaben.
Klar erklang die Stimme ihres Speeres, und der
Hengst mit den weißen Fesseln rannte, so schnell er nur irgend
konnte. Mit fast schon durchgedrückten Knien stemmte Breaca sich
aus dem Sattel empor und schleuderte den Speer so hoch und so
schnell und so zielgenau, wie sie noch niemals zuvor eine Waffe
geschleudert hatte.
Die Speerspitze bohrte sich in die ungeschützte
Brust des atrebatischen Hundeführers, trat hinten wieder aus, und
der Junge fiel tot um.
Der Zorn, der ihr nun aus den Reihen der Legionen
entgegenbrandete, ließ die Erde geradezu erzittern. So viele
Langspeere mit weiß gefärbten Schäften durchschnitten die Luft,
dass sogar das Blau des Himmels angstvoll zu weichen schien und der
schlichte Marschboden, in den diese sich schließlich bohrten, sich
abrupt in ein geradezu heimtückisches Gelände verwandelte.
Das Kriegerheer drosselte sein Tempo. Der zweite
Speerhagel reichte bereits eine knappe Pferdelänge dichter an sie
heran, und noch mehr Langspeere als zuvor zielten direkt auf die
Bodicea. Ganz offensichtlich hatte nicht nur der Gouverneur eine
Schwäche für den Hundeführer und dessen blaugraue
Schlangenkopfhunde gehabt. Als die dritte Speersalve schließlich
gegen ihre Schilde prallte und sogar noch ein ganzes Stück über
ihre Köpfe hinausflog, riss Breaca den Arm empor und rief: »Zurück!
Zieht euch zurück! Sonst erledigen sie uns!«
Bereits am Vorabend waren die Männer und Frauen
ausgewählt worden, welche Breaca in ihrem Angriff auf die Legionen
begleiten sollten und die damit auch der ersten und stärksten
Gegenreaktion standhalten müssten. Den gesamten Abend über und auch
noch einmal während der morgendlichen Vorbereitungen hatte Valerius
diesen Kämpfern seine Anweisungen eingeschärft und dabei zwei Dinge
stets ganz besonders hervorgehoben: Zum einen, so hatte er betont,
wäre der Speerwurf der Bodicea das Zeichen zum Rückzug; zum anderen
war es von Bedeutung, dass die hinteren Reihen des Heeres auf
dieses Signal hin nicht erst noch zögern dürften, sondern sofort
umkehren und die Flucht antreten müssten. Anderenfalls würden die
Bodicea und ihre unmittelbaren Begleiter von ihrem eigenen Heer in
die Schwertspitzen der Römer getrieben und damit in den sicheren
Tod.
Doch das Heer der Krieger war keine stehende Armee.
Die Männer und Frauen waren Drill und Disziplin einfach nicht
gewohnt, sodass es auch nach Breacas Speerwurf schließlich doch
noch eine Weile dauerte, bevor sie ihre Pferde zügelten, und dann
noch einen Augenblick länger, ehe sie endlich zum Stehen kamen. Die
wahre Mauer aus Legionaren wiederum rückte einen weiteren, großen
Schritt auf Breaca zu, und die Männer hoben bereits die Arme, um
den vierten Speerhagel gegen ihre Feinde zu entlassen. Schützend
riss Breaca ihren Schild hoch - und spürte, wie die Krähen aus der
Welt hinter dem Leben sich dicht um sie drängten, und deutlich
wahrnehmbar strich der Atem Brigas über ihre Haut …
»Los!«, brüllte Hawk. »Hinter uns ist frei!«
Dann, endlich, ließ der Druck der Tausenden von
hinter Breaca versammelten Kriegerseelen wieder nach, zerstob
schließlich zu einem Nichts. Zudem war der Hengst, den sie ritt,
von Civilis persönlich trainiert und abgerichtet worden, und
Valerius hatte ihr schließlich noch einmal sämtliche der
Raffinessen erklärt, die dieses Tier beherrschte. Sie ließ ihn auf
der Hinterhand herumwirbeln und trieb ihn zurück in Richtung des
Kriegsheeres. Das Pferd machte einen so gewaltigen Satz, wie ihn
sonst höchstens noch ein Hirsch, der in Todesangst von einer Klippe
sprang, schaffen könnte, oder aber, in etwas kleineren
Verhältnissen, ein Hase, der mit einem Riesensprung vor einem
Jagdhund floh.
Der Hengst rettete Breaca das Leben. Sie flogen
über die Kuppe der Rippelmarke und dann auf der anderen Seite
wieder hinab. Endlich war Zeit und Raum, um kurz innezuhalten, um
einen Schluck zu trinken aus einem der Hunderten von
Wasserschläuchen, die zwischen den Reihen der Kämpfer
hindurchgereicht wurden, um rasch mit der Hand über den
schweißnassen Pferdehals zu streicheln und dem Tier damit für seine
Leistung zu danken. Anschließend versuchte Breaca, sich für einen
Moment in sich selbst zurückzuziehen, versuchte, die Lieder der
Pferde und der Waffen zu erahnen und das tiefe, rhythmische Rufen
der Krähen der Göttin. Denn selbst die rund fünftausend Legionare,
die gleich mit dem ersten Angriff der Krieger an die Grenzen ihrer
Erschöpfung getrieben worden waren, konnten mit ihrem zornigen
Brüllen die Stimmen der Kreaturen Brigas noch nicht völlig aus
Breacas Bewusstsein auslöschen.
Und ganz plötzlich schien es, als ob imaginäre
Schleusen sich geöffnet hätten: Die Legionen stürmten heran.
Schier unzählige Männer in voller Kampfrüstung,
hell glitzernd wie Silber im Schein der Sonne, kamen einer
gewaltigen Woge gleich über die Rippelmarke gebraust und ergossen
sich wie ein von weiß schäumender Gischt gekrönter Brecher über den
kleinen Abhang. In der Mitte dieser Angriffswelle galoppierte ein
fuchsrotes Pferd, dessen Reiter einen hohen, federgeschmückten Helm
trug.
Dann sahen die ersten Reihen von Legionaren das vor
ihnen befindliche Kriegsheer, versuchten, stehen zu bleiben,
versagten jedoch kläglich. Genauso, wie Valerius prophezeit hatte,
würde das Gewicht ihrer eigenen Rüstungen und natürlich die
nachströmenden Männer sie nun in stetig zunehmender Ungeordnetheit
immer weiter nach vorn katapultieren. Ein halbes Dutzend Male hatte
er in der Asche der Feuerstellen skizziert, was die Krieger nun als
Nächstes tun müssten. Letztlich hatte er mit seinen Bemühungen aber
Erfolg gehabt und hatte allen Kämpfern vermitteln können, dass es
jetzt nur noch eine adäquate Gegenreaktion gab.
»Vorwärts!«
Der Befehl ertönte zeitgleich sowohl vom rechten
als auch vom linken Flügel des Heeres. Breaca dagegen riss den Arm
empor und bedeutete dem ihr unterstehenden, zentral positionierten
Heeresblock, noch zu warten, während die Reste von Valerius’ Flügel
bereits rechterhand an ihnen vorbei nach vorn stürmten und links
die Bärinnenkrieger von Cunomar lospreschten. Binnen weniger
Augenblicke schlossen die beiden Frontlinien des Kriegsheeres der
Bodicea sich zu einem halbkreisförmigen Bogen zusammen wie die
beiden Sichelenden des gehörnten Mondes und rissen die hastig
flüchtenden Infanteristen damit in eine Art eisenbewehrten Kessel
hinein, wo diese dann regelrecht zermalmt und einfach
niedergemetzelt werden sollten, ohne dass ihnen auch nur der
geringste Platz bliebe, um mit ihren Schwertern um sich zu
schlagen. Alles, was nun noch fehlte, um den Plan perfekt zu
machen, war das rechtzeitige Signal der Bodicea, mit dem diese
schließlich auch ihren mittleren Block vorwärtsstürmen ließ.
Noch fünf Speerlängen trennten die flüchtenden
Legionare von der Frontlinie des Heeres der Bodicea. Noch vier.
Dann nur noch drei …
»Vorwärts!«
Energisch trieb sie den Hengst mit den weißen
Fesseln nach vorn, und wie eine mächtige Woge folgte ihr Heer
hinterdrein.
Ausgehend von der glatten Frontlinie des gesamten
Kriegerheeres hatten Cunomar und Valerius ihre Kämpfer sich in
einem großen Bogen um die Legionare schließen lassen. Nun rückte
auch die Frontlinie immer näher, verringerte den Zwischenraum,
zerquetschte und brach Knochen, Fleisch und Rüstungen. Hastig fegte
der Tod über das Land und riss seine Beute. Breaca ritt derweil auf
einem Hengst, der weniger ein Pferd als vielmehr ein schwarzer
Blitz zu sein schien. Immer wieder bäumte er sich auf der
Hinterhand auf und tötete, so wie auch Breaca ihr Schwert immer
wieder emporriss und immer wieder in die Leiber der Legionare
stieß. Hell erklangen in ihrem Bewusstsein sowohl das Lied ihres
Pferdes als auch die Stimme ihres Schwertes. Zudem wurde sie
flankiert von der noch immer nicht niedergemetzelten Gunovar und
dem ebenfalls noch immer unter den Lebenden weilenden Hawk, und
plötzlich war in all dem Chaos Platz für eine grimmige, in ihrer
Kraft fast schon unerträgliche Hoffnung.
»Wir sind im Begriff zu siegen! Die Römer haben
ungefähr fünfmal mehr Tote zu beklagen als wir!«, rief Bellos
aus.
Weder Airmid noch Theophilus widersprachen ihm, was
bedeutete, dass er womöglich tatsächlich recht hatte.
Über diesen dreien thronte Graine. Sie stand auf
einem Haufen halb gegerbter Schafsfelle, die man auf dem Kutschbock
eines Karrens aufgeschichtet hatte, neben ihr Stone, der vor lauter
Erregung am ganzen Leibe zitterte. Theoretisch hätte Graine nun
einen in etwa ebenso guten Überblick über das Schlachtfeld gehabt
wie eine Krähe. Tatsächlich aber ließ sie ihren Blick noch ein
ganzes Stück weiter schweifen, und zwar genau in jene Richtung, die
auch die Häsin eingeschlagen hatte, um ihnen den Weg in die
Freiheit zu zeigen.
Erst ganz langsam wagte Graine es, ihr Augenmerk
wieder zurück auf das Schlachtfeld zu lenken. Sie sah, wie die
gleißend schimmernden Helme der Legionare sich in die
halbmondförmig angeordnete Schar der Krieger ergossen. Die rot
geschmückten Männer erinnerten an Blut, das sich mit Wasser
vermengte und schließlich immer mehr verdünnte. Gleichzeitig
schlossen die Spitzen der Mondsichel sich zunehmend dichter
zusammen, Valerius’ berittene Krieger auf der einen Seite, Cunomars
Bärinnenkrieger auf der anderen. Die bronzen glänzende Masse aus
Legionaren begann, an den Rändern regelrecht zu bröckeln, wurde
geradezu zermalmt. »Dann hat Valerius’ Taktik des gehörnten Mondes
also tatsächlich Erfolg.«
»Bis jetzt«, entgegnete Airmid in geistesabwesendem
Tonfall. »Denn da ganz hinten rechts... da lauert noch immer
Gefahr. Ich kann sie spüren.«
Das also war die bereits erahnte düstere Wolke, die
den Tag überschattete. Graine, umhüllt von strahlendem
Sonnenschein, fror mit einem Mal. »Dann wird Valerius diese Gefahr
sicherlich auch spüren.«
»Das können wir nur hoffen.«