XXXII
Auf Blitz folgte Donner, jedoch nicht mehr ganz so
rasch wie noch vor wenigen Augenblicken. Valerius stand unter einem
Zeltvordach aus Bullenleder, die Finger der einen Hand auf das
Handgelenk der anderen gelegt, und zählte die Herzschläge zwischen
dem blitzenden Feuer der Götter und dem donnernden Schlag, mit dem
sie den Hammer auf ihren Amboss niedersausen ließen.
Als man ihn schließlich über den Lärm und das
darauf folgende Echo wieder einigermaßen verstehen konnte, erklärte
Valerius: »Zehn. Das heißt, das Gewitter zieht wieder von
dannen.«
»Bestände vielleicht die Möglichkeit, einen deiner
Götter darum zu ersuchen, dass er das Unwetter bitte noch ein wenig
schneller verscheuchen soll?« Neben Valerius hatte auch Theophilus
sich unter das Vordach gedrängt und teilte damit dessen naive
Vorstellung, dass sie unter dem kleinen Überhang weniger nass
würden, als wenn sie einfach einen Schritt vorträten und sich
mitten in den schier nicht enden wollenden Regenguss stellten.
Ebenso gut hätten sie natürlich auch in voller Bekleidung in den
vom Unwetter überschwemmten Flusslauf eintauchen können, der
bereits weit über seine Ufer getreten war und nun durch die
verbrannten Überreste der Siedlung bei Vespasians Brücke
brauste.
»Bis zum Mittag wird sich das wieder verzogen
haben. Sobald die Götter sich einmal in Bewegung setzen, sind sie
kurz darauf meist auch schon wieder verschwunden.«
Damit trat Valerius tatsächlich einfach unter dem
Vordach hervor und stand nun nackt im strömenden Regen. Bereits vor
drei Tagen, noch ehe das Unwetter einsetzte, hatte er seine
Oberbekleidung abgelegt. Am zweiten Tage dann verbannten er und -
mit Ausnahme von Theophilus - auch alle anderen den Rest ihrer
Kleidung, da sich diese schon bald als nicht nur nutzlos, sondern
sogar als regelrecht hinderlich erwiesen hatte. Von da an war das
Heer splitterfasernackt durch Schlamm und Feuerasche
gestapft.
Der Regen rann über Valerius’ Körper, sammelte sich
in den kleinen Einbuchtungen über seinen Schlüsselbeinen und fiel
dann glatt wie flüssige Laken über seine Haut. Allein die knotigen
Narben riefen winzige Kräuselungen in der ansonsten glatten
Wasserfläche hervor. Ein Mann mit dem nötigen Wissen konnte in
diesen Narben die Geschichte eines ganzen Lebens lesen, womöglich
sogar deren tiefere Bedeutung.
Theophilus war einer dieser Männer, und aufmerksam
ließ er den Blick über Valerius’ wulstige Male schweifen, ganz so,
wie er auch aus den zerschundenen, landkartengleichen Körpern
sämtlicher anderer Menschen um ihn herum zu lesen verstand. Doch
trotz seiner Neugier folgte er Valerius nun nicht etwa in den Regen
hinaus, sondern blieb zögerlich noch immer unter dem Zeltdach
stehen. Aus Gründen, die mittlerweile auch er selbst nicht mehr so
ganz verstand, die aber irgendetwas zu tun hatten mit
Schamhaftigkeit und Würde und den Sitten seiner Jugendzeit, hatte
er sich zwar seines Schuhwerks entledigt, trug aber immer noch
seine Tunika und seinen Umhang. Beide waren nun schon seit drei
Tagen nicht mehr trocken geworden und vollkommen durchweicht.
Kalte, nasse Wolle kratzte bei jeder Bewegung unter seinen Achseln
und scheuerte an seinem Unterleib und hatte Theophilus’ sonst so
besonnenes Temperament damit merklich aus dem Gleichgewicht
gebracht.
Amüsiert, doch vorsichtig wanderte Valerius einmal
um den Arzt herum, was dessen Laune nicht gerade zu verbessern
schien. Schließlich erklärte der Bruder der Bodicea: »Ehe wir von
hier aufbrechen, müssen wir noch die Brücke zerstören. Und ich weiß
natürlich, wie du bei diesem Gedanken empfindest. Wenn du also
lieber nicht Zeuge dieses traurigen Schauspiels werden möchtest,
kannst du ja schon einmal den Weg gen Norden antreten. Wir werden
dich später schon wieder einholen.«
»So, könnte ich das deiner Meinung nach? Dann bist
du also ernsthaft der Ansicht, dass die Nordstraße ein sicherer Weg
wäre für einen Mann, der in diesem Krieg bereits auf beiden Seiten
gesichtet wurde? Ich dagegen möchte das doch sehr bezweifeln.«
Theophilus fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die
Nasenspitze und schleuderte anschließend schwungvoll eine Hand voll
Regenwasser von sich. Verdrießlich schaute er Valerius an.
»Manchmal denke ich, du bist nicht weniger Römer als die Männer,
gegen die du kämpfst. Dann wiederum betrachtest du ein Wunderwerk
der Ingenieurskunst, wie zum Beispiel diese Brücke da, und hast
nichts Erhebenderes im Kopf als die Frage, wie man diese wieder
zerstören könnte. Aber in Wahrheit sieht es in deinem Inneren
wahrscheinlich noch viel schlimmer aus, dessen bin ich mir
vollkommen sicher. Denn bei all dem grässlichen Geschrei, das
Paulinus zuweilen von sich gibt, hat der doch letztendlich immer
noch ein Herz, das da irgendwo unter seiner Rüstung schlägt. Du
dagegen bist eher wie Vespasian oder wie Caesar, der hier
einmarschiert ist, um eure Kornkammern und euer Silber zu plündern,
nur um damit seine eigenen Armeen besser ernähren zu können.«
Theophilus hielt einen Moment inne. Unterdessen
wurde das Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenübers noch breiter.
Dann, mit einem übellaunigen Blick in Richtung des Wassers, das
über den Rand des Vordachs rauschte, nahm Theophilus von Athen und
Kos, den Heimatlanden der segensreichen und immerwährenden
Trockenheit, sich zusammen und trat schließlich doch hinaus in den
wahren Ozean von Schlamm. Dort, wo nun Wassermassen alles unter
sich begruben, hatte einst die Weide der Pferde von Lugdunum
gelegen und später das Hafengelände.
Einen Augenblick lang dachte der Grieche ernsthaft
darüber nach, sich nun ebenfalls einfach die Kleidung vom Leib zu
reißen und damit auch die geradezu demütigenden Unbequemlichkeiten
von sich zu schleudern, mit denen diese ihn gestraft hatte. Dann
aber ließ er den Blick vorbeigleiten an Valerius und den zahllosen
anderen, ebenso nutzlosen Zeltvordächern - vorüber an den
bemitleidenswerten Pferden mit ihren durchweichten Schweifen,
vorbei an den nackten Kriegern, die dicht zusammengedrängt unter
einem der Schutzdächer hockten und gegartes, jedoch längst
erkaltetes Hammelfleisch aßen, das sie aus den Lagerhäusern des
niedergebrannten Hafenorts genommen hatten - und betrachtete den
unter dem Unwetter weit über seine Ufer getretenen Fluss.
Theophilus starrte auf genau jene Stelle, wo noch immer die Brücke
von Vespasian sich in elegantem Bogen über das strudelnde Wasser
spannte.
Nackt und schwarz und stolz hob sie sich von dem
Schlamm und dem grauen Himmel ab. Sie schwebte geradezu über dem
Chaos aus Wolkenbruch und Krieg, gefangen in einem unsichtbaren
Netzwerk purer Geometrie.
Während der drei Tage, die das Unwetter nun schon
andauerte, war Theophilus dazu übergegangen, sich geradezu mit
dieser Brücke zu identifizieren und mit deren Fähigkeit, scheinbar
jeglichem Unglück, das über sie hereinbrach, stumm und stolz zu
trotzen. Somit war die Brücke auch der Grund, warum er noch immer
seine Kleidung am Leibe trug und dies auch weiterhin so bleiben
würde. Für Theophilus war es von größter Bedeutung, dass er nicht
den Glauben verlor an all das, wofür diese Brücke einst gestanden
hatte. So harrte er nun aus, mitten im strömenden Regen, und
grübelte über die nahende Zerstörung des Bauwerks nach, glaubte
fast schon weinen zu müssen bei diesem traurigen Gedanken, und
musste dann zu seinem eigenen Erstaunen feststellen, dass ihm
tatsächlich bereits Tränen über die Wangen rannen.
Langsam trat er neben Valerius. »Sie ist so
schön, viel schöner als das Forum in Camulodunum oder das
Theater oder diese groteske Monstrosität von Claudius’ Tempel. Sie
ist einfach perfekt. Ein Zeugnis für die Macht des Menschen über
seine Götter. Warum müsst ihr diese Brücke unbedingt
zerstören?«
»Aus genau dem Grund, den du gerade selbst
angeführt hast. Nur aus diesem einen Grund. Denn wir wollen endlich
wieder den Göttern zu ihrer rechtmäßigen Regentschaft verhelfen,
hier, in diesem Land, das die Menschen sich untertan gemacht haben.
Wir versuchen, das Land zurückzuerobern, um es dann nicht mehr nach
menschlichem Gutdünken, sondern wieder im Sinne der höheren Mächte
zu bestellen.«
Valerius war wieder ganz er selbst, energiegeladen
und voller Leben, als ob der Regen ihm förmlich die Seele nährte -
oder als ob die Schlachten seinem Inneren neue Kraft verliehen. Und
nun wurde auch klar, dass er, entgegen Theophilus’ ursprünglicher
Vermutung, überhaupt nicht so war wie Julius Caesar, diesem
einstigen Lustknaben der Könige, sondern dass Valerius vielmehr
Vespasian zu gleichen schien, jenem Mann, der jenseits der
Zerstörungen, die jeder Krieg unweigerlich mit sich brachte, auch
die vielschichtigen Ereignisse und Ursachen zu erkennen vermochte,
die überhaupt erst zu diesen Kriegen geführt hatten.
Valerius war ganz zweifellos ein Mann, der es
geschafft hatte, all das, was die Götter in ihm an Potenzial
angelegt hatten, tatsächlich fast komplett auszuschöpfen. Hätte
Theophilus sagen sollen, welchen Teil seiner selbst Valerius noch
nicht erfüllt hätte, so hätte es dem Arzt zweifellos einige Mühen
bereitet, nun den Finger auf diese noch fehlende Facette in
Valerius’ Seele zu legen. Und dennoch war klar, dass es - irgendwo
- noch eine Lücke geben musste in Valerius’ Wesen. Ein winziges
Stückchen fehlte noch zu dem Mosaik seines Lebens, und sollte er
eines Tages auch diese letzte Scherbe noch finden und einpassen in
das stimmige Ganze, dann wäre aus dem Suchenden schließlich ein
wahrhaft außergewöhnlicher Mensch geworden.
Denn bereits jetzt war dieser einstige Legionar zu
einem alles andere als durchschnittlichen Mann gereift. Der Schlag
gegen Lugdunum war geradezu ein Paradebeispiel von kluger
Ressourcennutzung gewesen, sodass es auf Seiten der Angreifer
schließlich nur eine minimale Anzahl von Todesopfern gegeben hatte.
Zumal Valerius bei der Planung dieses Angriffs immer wieder auch
Theophilus zu Rate gezogen hatte, dann nämlich, wenn Themenbereiche
diskutiert werden mussten, die nach einer etwas gemesseneren
Sichtweise verlangten, als Madb von Hibernia sie zu bieten hatte
oder Huw oder gar der noch sehr jugendliche Knife, der sich aber
immerhin und trotz seiner relativen Unerfahrenheit bereits als
guter Späher erwies.
Und genau in dieser Funktion als maßvolle
Gegenstimme zog Valerius Theophilus nun abermals zu Rate, während
sie gemeinsam über das Gelände wanderten, auf dem einst die
Pferdekoppeln gelegen hatten.
»Im Übrigen«, so fuhr Valerius nun in seinen
Erläuterungen fort, »gibt es natürlich auch noch einige
strategische Überlegungen, weshalb wir die Brücke niederreißen
müssen. Denn vorausgesetzt, dass Cunomar es tatsächlich geschafft
haben sollte, Verulamium auszulöschen, dann wäre das gesamte Land
nördlich des Flusses nun unser Land - das heißt, bis an die
Territorialgrenze der Briganter natürlich. Ohnehin war der
Südwesten ja schon immer auf unserer Seite gewesen und damit ein
erklärter Feind Roms. Alles, was jenseits dieser Grenze dort
verläuft...«, damit zeigte Valerius auf den Fluss, »also alle
Stämme südlich des Flusses, stehen wiederum auf Roms Seite. Und das
wird auch in Zukunft so bleiben. Sollte Paulinus sich somit dazu
entschließen, seine Armee nicht von Norden aus, sondern durch den
Süden des Landes auf uns zu hetzen, wäre es besser, wenn es ihm
zumindest nicht gelänge, den Fluss zu überqueren und in das Gebiet
der Atrebater vorzudringen. Eine Legion auf dem Durchmarsch können
wir schon irgendwie noch in die Knie zwingen; das haben wir ja
bereits am Beispiel der Neunten unter Beweis gestellt. Sollten wir
diesen Angriff jedoch in einer Phase des Krieges forcieren müssen,
während der Paulinus und seine Männer sich gerade auf dem
Territorium von Verbündeten Roms befinden, dürfte uns dieses
Vorhaben wesentlich größere Mühe bereiten. - In jedem Fall brauchen
wir nicht damit zu rechnen, dass Paulinus einen Rückzieher
macht.«
Valerius und Theophilus hatten die in den Norden
führende Handelsstraße erreicht, die von den Legionen eigens zu
jenem Zweck angelegt worden war, um das Vorankommen der Männer und
der Versorgungszüge in das nordwestliche Kriegsgebiet zu
beschleunigen. Die Straße war ordentlich befestigt und auf einem
Wall aus Kalksteingeröll angelegt worden, sodass zwar auch dieser
Weg aufgeweicht war von den Wassermassen, die vom Himmel
herabströmten, man hier aber immerhin nicht durch so tiefen Schlamm
waten musste, dass er einem fast bis an die Oberschenkel reichte.
Hier konnten Valerius und Theophilus Seite an Seite nebeneinander
hermarschieren und damit trotz ihres erbärmlichen Äußeren
wenigstens so tun, als wären sie zivilisierte Menschen.
»Der Gouverneur war mit dem Auftrag nach Britannien
geschickt worden, das Land entweder zu unterwerfen oder aber bei
dem Versuch umzukommen. Und selbst wenn er nicht Kaiser Nero im
Nacken sitzen hätte, der ihm konsequent mit der Hinrichtung droht,
so ist Paulinus ganz einfach nicht die Sorte von Mann, die sich aus
einem aussichtslosen Kampf irgendwann einfach zurückzieht,
geschweige denn, dass er die Flucht antreten würde. Dennoch könnte
es sein, dass er das diskrete Vordringen dem tapferen Einmarsch
vorzieht. Wenn er die Legionen von Süden aus über die Brücke
schickt, könnte er bei Berikos von den Atrebatern erst einmal in
Ruhe den Winter über verschnaufen. Oder vielleicht bezieht er ja
auch im Gebiet von Cogidubnos von den Regni Quartier. Sind ja
beides Männer, die sich mit Herz und Seele dem römischen Reich
verschrieben haben.«
Mittlerweile hatten sie das Ende der Koppeln
erreicht. Valerius stieg über einen herabgefallenen Dachbalken
hinweg, der durch Zufall genau dort liegen geblieben war, wo die
Grenzlinie des einstigen Hafengeländes verlief. Der Regen hatte den
Gestank des Todes ein wenig fortgewaschen, nicht jedoch dessen
grausigen Anblick. Zu beiden Seiten des Marschwalls wühlten noch
immer nackte Krieger und Jugendliche sich durch die Überreste der
verkohlten Hütten und Händlerbuden und nahmen Metallreste an sich,
die sich vielleicht noch einmal zu einer Waffe einschmelzen ließen.
Sie sammelten auch Leder für eventuelle Rüstungen und natürlich
alles, was noch an Essbarem vorhanden war, das nicht dem Feuer zum
Opfer gefallen oder durch die allgegenwärtigen Aasvögel
verunreinigt worden war.
Zudem war die Ausbeute hier auch deutlich
ertragreicher als in den Trümmern von Camulodunum: Ehe die Feuer
die Überreste des Ortes an der Brücke allzu nachhaltig vernichten
konnten, hatte der Sturm die Flammenherde schon wieder gelöscht.
Außerdem gab es hier auch keine steinerne Tempelanlage, um die bis
zum Endsieg schließlich noch eine regelrechte Belagerungsschlacht
geführt werden musste. In der Siedlung an der Brücke von Vespasian
gab es einfach keine ausreichend trutzigen Anlagen, die eine
Belagerung wert gewesen wären oder diese überhaupt erst ermöglicht
hätten, und es gab auch keine Veteranen, die sich zu einem Wehrheer
hätten zusammenschließen können. Das - im wahrsten Sinne des Wortes
- Schlachten an der Brücke von Vespasian war also alles in allem
überaus rasch vonstatten gegangen, wobei die meisten Opfer auch
noch mit dem Schwert oder dem Speer erzielt wurden. Die letzten
Überreste hatte dann das Feuer beseitigen sollen.
Valerius, der den Sturm bereits hatte herannahen
gesehen, hatte seinen Kriegern befohlen, sich in einem
Dreiviertelring um die Stadt zu gruppieren, dessen Öffnung zum
Flussufer hinweisen sollte. Dann, auf ein zuvor abgesprochenes
Kommando hin, sollten sie schließlich auch diese letzte Lücke noch
schließen, sodass es keine unerwarteten Einbrüche mehr geben konnte
in dem Ring aus eisernen Waffen. Die eigentliche Schlacht war sehr
zügig und diszipliniert vonstatten gegangen, und die letzte noch
verbliebene kleine Horde von wehrhaften Bürgern, die sich in der
Mitte des Ortes versammelt hatte, war schließlich dem über die
Siedlung fegenden Rauch zum Opfer gefallen. Reglos lagen die Toten
nun da, in genau jener Haltung, in der sie zu Boden gefallen waren,
nur dass ihre Leiber mittlerweile aufgedunsen waren von den Gasen,
die sich nach dem Tode und unter der Einwirkung der Wärme in ihnen
gebildet hatten.
Die befestigte Straße dagegen war komplett
gesäubert von eventuellen Leichen oder verkohltem Holz. Vorsichtig
kletterten Valerius und Theophilus nun von dem Marschwall hinab und
näherten sich der Brücke.
»Theophilus, was würdest du tun, wenn du an meiner
Stelle wärst?«, fragte Valerius.
Der Regen hatte zwischenzeitlich etwas
nachgelassen. Entsprechend hatte sich auch Theophilus’ Laune wieder
ein wenig gehoben. »Ich würde genau das tun, was auch du tust, nur
dass ich wahrscheinlich noch ein wenig besorgter wäre bei dem
Gedanken, dass Paulinus womöglich die Vasallenkönige im Süden dazu
aufrufen könnte, ihre jeweiligen, durch Eid an sie gebundenen
Speerkämpfer zu vereinigen und diese dann als geschlossenes
Kriegsheer nach Norden über den Fluss zu entsenden, um dem
Gouverneur zur Seite zu stehen. Ich stimme also vollkommen mit dir
überein: Allein schon, um das zu verhindern, würde auch ich die
Brücke zerstören. Die Frage ist nur, wie du das anstellen willst,
ich meine, jetzt, da die Brückenanlage zu nass ist, um sie einfach
niederzubrennen?«
»Für dieses Problem habe ich doch Madb von
Hibernia, sozusagen meine ganze eigene Ingenieurin. Sie kennt das
Holz, wie ein Schmied das Eisen versteht. Und solltest du noch ein
bisschen hier verweilen wollen, dürftest du Zeuge werden, wie die
Stämme zerstören, was Rom einst aufgebaut hat.«
Die Nachricht, die der Späher überbrachte, wurde
erst an Ulla übermittelt und von Ulla dann an Cunomar, der sich mit
einem halben Dutzend Krieger in einem Kuhstall ganz in der Nähe des
Hauses des obersten Verwaltungsbeamten von Verulamium versammelt
hatte. Die Krieger versuchten, drei schieferrote Kühe samt der
beiden dazugehörigen Färsenkälber zu umzingeln.
»Die Brücke von Vespasian ist gefallen.«
Ulla stand mitten in der Scheunentür und schrie die
Botschaft geradezu heraus, um sich bei all dem Lachen und Muhen im
Stall besser Gehör verschaffen zu können.
Abrupt verstummten alle Krieger. Allein die Kühe
stießen noch immer ihre aufgebrachten Schreie aus. Keuchend lehnte
Cunomar sich gegen einen Pfosten und fuhr sich mit einer
nassgeschwitzten Hand durch das Haar. Mit einem Mal war sein ganzes
Wesen wieder ernst und konzentriert. Dennoch dauerte es noch eine
Weile, bis endlich auch das Grinsen wieder aus seinen Zügen
gewichen war, ganz so, als ob dieser Teil seiner Anatomie sich erst
als Letzter an die Tatsache gewöhnen könnte, dass die Jagd auf die
Kühe ein Ende gefunden hatte. Cunomar spie einen kleinen Strohhalm
zwischen seinen Zähnen hervor, starrte nachdenklich zu Boden und
sammelte sich innerlich, um nun wieder zum Anführer der
Speerkämpfer zu werden.
»Wann ist die Brücke gefallen?«, erkundigte er sich
schließlich.
»Letzte Nacht, unmittelbar vor Einbruch der
Dunkelheit.« Der morgendliche Sprühregen hatte aufgehört, und
schimmernde, fast schon nassglänzende Sonnenstrahlen umschlossen
Ullas Silhouette. Schützend hob sie die Hand über die Augen.
»Valerius hat das endgültige Zerbersten der Brücke als eine Art
Zeremonie initiiert und hat die eine Hälfte des Bauwerks als
Opfergabe an Nemain verbrannt. Die andere Hälfte wurde dann
entzündet, als die Sonne hinter dem Horizont versank - als Geschenk
an Lugh vom Glänzenden Speer, dem Sonnengott der Ahnen. Sämtliche
Krieger und Flüchtlinge waren dabei und haben zugesehen. Sie
behaupten, dass auf jenem Teil des Kriegsheeres, der unter der
Anführerschaft des Bruders der Bodicea kämpft, der Segen der Ahnen
ruht und dass diese Krieger bereits eine ganz eigene, ruhmreiche
Armee gebildet haben.«
Kaum wahrnehmbar schienen Cunomars Augen sich an
den Außenwinkeln ein wenig zu verengen. »Stammen diese Worte etwa
von Valerius?«
»Selbstverständlich nicht. Aber die Krieger von
Mona, die an seiner Seite kämpfen, behaupten das. Und da sie von
der Insel der Götter stammen, trifft ihre Meinung natürlich auch
bei den anderen nicht auf taube Ohren. Unter Valerius haben sich
mittlerweile mehr Speerkämpfer versammelt als unter jedem anderen
Anführer: Die Silurer sind aus dem Westen angereist, nur um sich
Valerius anschließen zu können, und auch die Krieger der Durotriger
und die Dumnonii, die noch immer treu hinter Gunovar stehen,
kämpfen nun unter seinem Befehl. Sie alle hatten zwar ursprünglich
für die Bodicea kämpfen wollen, aber da sie die nirgends mehr
finden konnten, sind sie schließlich in das Heer ihres Bruders
eingetreten.« Cunomars Blick schien immer stechender zu werden.
»Aber andererseits haben sie sich doch auch nur deshalb Valerius’
Führung angeschlossen«, erklärte Ulla beschwichtigend, »weil er der
erste der Heeresführer war, den sie ausfindig machen konnten. Und
wenn sie heute Abend zu uns stoßen, kann es immer noch passieren,
dass sie sich auch wieder von Valerius abwenden und fortan dir
folgen.«
Nichts war mehr übrig von dem jungen Burschen, der
erst vor wenigen Augenblicken noch die übermütige morgendliche Jagd
im Kuhstall genossen hatte. »Valerius und sein Heer kommen zu uns
in den Norden? Wollen uns treffen? Hier? Heute?«
Zwischenzeitlich waren selbst die Rinder verstummt.
Die jugendlichen Krieger unter der Bärengöttin tauschten einige
rasche, wachsame Blicke und begannen dann, das kotverklebte Stroh
des Kuhstalls von ihrem Körper zu klauben. Sie rochen nach frischem
Mist und hatten bräunliche Füße und Knöchel. Noch vor kurzem war
das alles überhaupt nicht von Belang gewesen, nun jedoch, das
heißt, wenn sie die Aufgabe, die ihnen gestellt worden war,
zumindest noch mit einem Mindestmaß an Würde erfüllen wollten, kam
selbst diesen Äußerlichkeiten plötzlich eine immense Bedeutung
zu.
Denn im Gegensatz zu der Schlacht bei Lugdunum
hatte der Kampf um Verulamium überhaupt nichts Glorreiches an sich
gehabt. Es hatte keinerlei zeremonielle Zerstörung irgendeiner
Brücke gegeben, und selbst das Brandschatzen der besiegten Stadt
hatte - noch - nicht stattgefunden. Die Bodicea hatte ihrem Sohn
ein Drittel ihres gesamten Heeres überlassen, mit dem Befehl, Roms
zweitwichtigste Stadt in dessen britannischen Provinzen
einzunehmen. Damit sollte Cunomar sich auf einem sozusagen
überschaubaren Spielfeld sowohl als Taktiker als auch als Anführer
der Speerkämpfer beweisen, ehe er schließlich ohne fremde
Anführerschaft in größeren Schlachten agieren durfte. Gegenwärtig
aber mussten Cunomar und seine Gefolgsleute erst einmal mit der
nicht enden wollenden Scham leben, dass sie leider noch nichts
dergleichen unter Beweis gestellt hatten.
Die ganze Eroberung von Verulamium war eher eine
Art Antiklimax gewesen, die sich langsam dem Ende
entgegenschleppte. Denn nicht einem der Krieger war im Vorfeld die
Idee gekommen, dass die Einwohner dieser Stadt, die sie nun erobern
wollten, womöglich gar nicht gewaltsam erobert werden wollten,
sondern die Krieger stattdessen regelrecht willkommen hießen, und
dass auch kaum einer der Bürger Widerstand leisten würde gegen
Cunomars Heer.
Wie sich herausstellte, hatten die hoch in den
Himmel emporsteigenden Rauchsäulen von Camulodunum nämlich bereits
ihre ganz eigene Geschichte erzählt, sodass jene Einwohner von
Verulamium, die sich für den Lohn der Bürgerrechte am
bereitwilligsten an Rom verkauft hatten, entweder schon geflüchtet
oder bereits ermordet worden waren, als der Sohn der Bodicea
schließlich mit seinen Kriegern in der Stadt eintraf.
Mehrere tausend alte Männer, Frauen und Kinder
waren in dem nicht mehr verteidigungsfähigen Ort zurückgelassen
worden. Beim Anblick von Cunomars Vorkämpfern hatten sich alle in
nichtrömische Kleidung geworfen und zumindest versucht, so wenig
römisch auszusehen wie nur irgend möglich, und hatten die Tore weit
aufgerissen, um den Sohn der Bodicea bei seinem Erscheinen mit
übertriebenem Jubel und gar Dankbarkeitsbezeugungen geradezu zum
Betreten ihrer Stadt aufzufordern.
Trotz des verzweifelten Wunsches, sie alle nun
einfach ohne Gnade niederzumetzeln, hatte Cunomar sich schließlich
bezähmt und den Befehl ausgegeben, dass keinem der Einwohner der
Stadt ein Leid angetan werden dürfte und stattdessen allen Menschen
sowohl Nahrung als auch Wagen zur Verfügung gestellt werden
müssten, mit denen sie die Kleinstadt, ehe diese schließlich
niedergebrannt würde, verlassen könnten - falls sie dies denn
wünschten.
Nur überraschend wenige hatten daraufhin
tatsächlich das Weite gesucht, sodass Cunomar sich praktisch über
Nacht mit der Aufgabe konfrontiert sah, die Versorgung von
tausenden mehr Menschen zu organisieren. Und genau das war
letztlich auch der Grund, warum er mit einer kleinen Gruppe von
Freunden in einem Kuhstall einer mageren, rotgrauen Färse
hinterherjagte. Den Krieg, den es eigentlich zu gewinnen galt,
hatten sie vollkommen vergessen, und das Schlimmste, was ihnen in
diesem Augenblick zu drohen schien, waren ein Paar mistbeschmierte
Füße und ein Sprung in den Fluss hinein, um sich von diesem Dreck
wieder zu reinigen.
Die Krieger in dem Kuhstall hatten sich nun
allesamt wieder beruhigt, schauten mit ernsten Mienen ihren
Anführer an und erwarteten dessen Befehle. Langsam ließ Cunomar den
Blick über sie schweifen, achtete darauf, jedem von ihnen in die
Augen gesehen zu haben, damit seine Krieger erkannten, dass seine
Dankbarkeit aufrichtig war.
»Ich danke euch allen. Es wäre wohl besser, wenn
wir nicht länger versuchen würden, die Tiere hier in ihre Halfter
zu zwingen, sondern sie einfach hinaustreiben zu den restlichen
Rindern. Wir können sie auch später noch melken, dann, wenn wir
etwas mehr Zeit haben. Wenn jetzt ihr drei da« - mit dem Arm
beschrieb er einen großzügigen Bogen und teilte die Gruppe dadurch
in zwei Lager - »euch bitte um die Kühe kümmern könntet und der
Rest mit mir käme? Ich glaube, wir müssen jetzt erst einmal eine
komplette Stadt niederbrennen. Zumal selbst dazu die Zeit bereits
knapp zu werden scheint.«
Die Mitglieder des Ältestenrats der Bärinnenkrieger
hatten ihn einst gewarnt vor dem Gift der Anführerschaft. Sorgsam
darauf bedacht, nun nicht in der Macht der Hingabe seiner
Gefolgsleute zu schwelgen, beobachtete Cunomar, wie die erste
Hälfte seiner Gruppe mit bemerkenswerter Entschlossenheit
versuchte, die Rinder endlich nach draußen zu treiben, um dann auch
den Rest der Tiere durch die Gassen der Stadt hinauszuführen und
hin zu jenem Platz, wo die schwache Sonne dem Wind seine Kühle
raubte.
Außerhalb der Stadttore hatte man Wagen aufgereiht.
Eifrig huschten einige weitere kleine Gruppen von Jugendlichen um
sie herum und beluden sie mit prall gefüllten Getreidesäcken aus
dem Zollspeicher sowie mit Strohballen und Fässern voller
Räucherfleisch und Fisch und mit Töpfen voller Oliven und in Wein
eingelegter Feigen, welche einst Geschenke eines dankbaren Kaisers
an jene Wilden gewesen waren, von denen er die nachhaltigste und
bedingungsloseste Unterstützung erhalten hatte. Denn sogar mehr
noch als Camulodunums Einwohner hatten die Bewohner von Verulamium
sich darum bemüht, die Vorgaben Roms so gut wie nur irgend möglich
zu erfüllen.
Cunomar fand also für alle, die ihm in diesem
Augenblick folgten, genug Arbeit, und auch er selbst packte mit an,
wo es nur ging. Schließlich sandte er einige Späher aus, damit
diese ihn über das Vorankommen von Valerius’ Heer unterrichteten,
und achtete darauf, dass er sich fortan nur noch an Plätzen
aufhielt, wo seine Späher ihn auch sofort ausfindig machen könnten,
wenn sie kamen, um ihm Bericht zu erstatten.
Doch es war nicht etwa einer von Cunomars Spähern,
der auf ihn zutrat, als dieser gerade einen voll beladenen Karren
emporstemmte, damit ein anderer der Krieger die gebrochene Achse
reparieren konnte, sondern Braint, Ranghöchste Kriegerin von
Mona.
Ihr Haar war schwarz, durchzogen von feinen grauen
Strähnen und besprenkelt mit kleinen Schlammspritzern. Ihre
ebenfalls schwarzen Brauen schienen so fein und scharf, wie mit dem
Messer gezogen, und unter ihnen funkelten Augen mit einem so
strengen Blick wie der eines Raben. Diese Augen schienen sowohl
Feinde als auch Freunde gleichermaßen zu durchbohren, und selbst
für Letztere schien Braint nur wenig Wärme zu empfinden. Zornig
beugte sich nun ihre schlanke Gestalt über Cunomar, ganz so, als ob
ein inneres Feuer sie antrieb, ein Feuer, das nur wenig zu tun zu
haben schien mit den Anstrengungen, die ihnen allen dieser Tage
abverlangt wurden - noch nicht einmal die besondere Bürde des
gegenwärtigen Tages schien Braints innere Glut zu erklären.
Schließlich war die Achse wieder repariert, das Rad
wurde angesetzt und der Bolzen wieder an seinen Platz gehämmert.
Cunomar ließ den Karren los und führte die Ranghöchste Kriegerin
von Mona hinaus auf die Pferdekoppel, wo nicht mehr so viele
Menschen waren, die sie belauschen könnten.
Ganz im hinteren Winkel der Koppel stand eine
kastanienrote Stute und beoachtete Cunomar argwöhnisch. Immer
wieder hatte er in den vergangenen drei Tagen versucht, das Tier
einzufangen. Nun, mit Braint an seiner Seite, schritt er abermals
auf die Stute zu.
»Und ich dachte, du wärst bei Valerius?«, begann er
die Unterhaltung.
»Das war ich auch«, erwiderte sie, während ihre
Augen ihn mit hellem, kaltem Blick anstarrten. Denn obgleich Cygfa
Valerius mittlerweile offenbar vertraute, war doch allgemein
bekannt, dass ihre Liebhaberin, Braint, die Ranghöchste Kriegerin
von Mona, den Bruder der Bodicea fast ebenso sehr verabscheute, wie
sie die Legionen hasste.
Genau diese feine Abwägung zwischen dem Hass auf
Valerius und dem noch größeren Hass auf ihre Feinde hatte Braint
schließlich dazu verleitet, eine Nachricht von Valerius zu
übermitteln. »Er hat mich mit der Hälfte meiner Krieger wieder
zurückgeschickt, um dir eine Botschaft zu überbringen, die diesen
Tag für dich zu einem Glückstag werden lassen dürfte: Suetonius
Paulinus marschiert gen Süden und damit genau auf dich zu, gefolgt
von dem, was noch übrig geblieben ist von seinen Legionen, nachdem
die Meerenge sie auf Geheiß der Götter von Mona wieder ausgespuckt
hat.«
Alarmiert schienen Cunomars Innereien sich
regelrecht zusammenzukrampfen. »Woher weiß er das denn?«, wollte er
sogleich wissen. »Unsere Späher sind doch einen halben Tagesritt
weit in sämtliche Richtungen ausgeschwärmt, und die haben keinerlei
Anzeichen für ein Näherrücken des Feindes gesehen.«
»Valerius sah Corvus und den Gouverneur, als die
beiden mit einer Gruppe irgendwelcher anderen Offiziere auf
den
Hügeln oberhalb von Lugdunum standen«, erklärte
Braint. »Und er meint, dass sie gekommen wären, um Lugdunum zur
Gegenwehr zu bewegen, dann aber begriffen hätten, dass der Ort
nicht mehr zu verteidigen war, und darum schließlich wieder
davongeritten sind, um die Siedlung an der Brücke von Vespasian
Valerius zu überlassen, damit dieser sie in Flammen aufgehen
lässt.«
»Und genau das hat er dann ja auch getan.«
»Richtig. Jedenfalls sind die römischen Offiziere in Richtung
Westen und auf die Küste zugeritten. Valerius glaubt, dass sie die
Legionen von Mona aus hierherbefehlen werden, um dann irgendwo zu
ihnen zu stoßen, und dass sie dann gemeinsam über diese neue
Straße, die sie aufgeschüttet hatten, gen Süden marschieren wollen
- ich meine diesen Wall, der breit genug ist, dass acht Männer
nebeneinander darauf entlanggehen können, und der sich bis ganz
nach unten an die Ufer des Großen Flusses erstreckt.
In der Obhut des Bruders deiner Mutter befinden
sich im Übrigen auch nicht weniger als zehntausend Flüchtlinge
sowohl aus Canonium, Caesaromagus und natürlich auch aus Lugdunum.
Wenn die Legionen auf diese Flüchtlinge treffen, dann gibt das ein
wahres Blutbad. Und darum hat er mich ausgesandt, um zu fragen, ob
du es schaffen wirst, die Legionen schon einmal auf die gleiche
Weise ein wenig zu stutzen, wie du auch in den Wäldern im Osten
gegen die Neunte vorgegangen bist. Das heißt, du sollst den Römern
zumindest so lange aus dem Hinterhalt heraus zusetzen, bis Valerius
ebenfalls hier eingetroffen ist. Der Ort, an dem die Bodicea euch
beide wieder treffen will, liegt nur ein wenig weiter nördlich von
hier. Valerius wäre es lieber, wenn er dort zunächst einmal auf sie
warten könnte, ehe er sich auf den Weg zu dir macht. Immer
vorausgesetzt natürlich, sie ist nicht schon hier bei dir
eingetroffen?«
In Braints Worten lag ein warnender Unterton,
schärfer, als es dieser simplen Frage eigentlich angemessen gewesen
wäre. Für einen kurzen Augenblick traten sowohl die Bedrohung als
auch die Verheißungen, die mit dem Näherrücken der Legionen
einhergingen, weit in den Hintergrund zurück. »Nein, hier ist sie
nicht«, antwortete Cunomar. »Es ist jetzt zwölf Tage her, seit sie
aufgebrochen ist, und seit dem dritten Tag nach unserem Abschied
voneinander haben wir keine Nachricht mehr von ihr erhalten. Hat
Valerius etwa auch nichts von ihr gehört?«
»Nichts.« Mit einem Mal schien Braints Blick nicht
mehr ganz so eisig. Cygfa, die Seelenfreundin von Braint, war
auserwählt worden, um an der Seite der Bodicea zu reiten. Falls
Breaca umgekommen sein sollte, wäre mit Sicherheit auch ihre
Tochter nicht mehr am Leben.
»Und ich war der festen Überzeugung, dass sie
bereits zu eurem Heer dazugestoßen wäre oder euch zumindest eine
Nachricht hätte zukommen lassen. Wir könnten jetzt natürlich ein
paar Späher ausschicken, um sie zu suchen...«
»Wenn Breaca mit Ardacos und Cygfa unterwegs ist?«
Braint schenkte Cunomar ein vielsagendes Grinsen. »Die lassen sich
nicht aufspüren, nicht von unseren Spähern. Wenn Breaca gefunden
werden will, wird sie gefunden. Sollte sie hingegen noch ein
Weilchen versteckt bleiben wollen, oder sollte sie nicht mehr in
der Lage sein, sich aus ihrem Versteck heraus bemerkbar zu machen,
werden auch die Späher nichts von ihr finden. Du solltest deine
Krieger also besser daransetzen, die Legionen aufzuspüren, statt
nach Breaca zu suchen.«
Cunomars Mund war wie ausgedörrt, und er musste
hart schlucken, ehe er entgegnen konnte: »Wie viele sind es denn?
Und wie nahe sind sie schon herangerückt?«
»Es ist fast die gesamte Vierzehnte Legion mit
ungefähr einem Drittel der Zwanzigsten, plus zwei
Kavallerieflügeln. Also vielleicht sechstausend Legionare und
eintausend Pferde. Und was die Entfernung anbelangt, so ist
Valerius der Meinung, dass sie mittlerweile wohl in jenem Gebiet
angelangt sein müssten, wo die Coritani leben, jene, die den
gehörnten Gott anbeten. Es gibt dort einige Landstriche, die sich
für einen Hinterhalt geradezu anbieten. Es sollte uns also
keinerlei Schwierigkeiten bereiten, den Schwanz des Marschtrupps
auf die gleiche Weise anzugreifen, wie wir es schon einmal mit der
Neunten Legion gemacht haben.«
Damit fuhr Braint sich einmal mit der Zunge über
die Zähne. »Valerius hätte für diese Aufgabe natürlich auch bloß
die Krieger von Mona auszusenden brauchen«, fuhr sie dann fort.
»Stattdessen aber hat er sich dazu entschieden, mich zu dir zu
schicken, damit unsere beiden Heere gemeinsam kämpfen. Wärst du ein
Hund, so hätte ich den Eindruck, dass Valerius dir nun wohl eine
Art Knochen zuwerfen will. Willst du auf einen solchen Happen
tatsächlich anbeißen? Und hast du genügend Krieger, um die Legionen
aus dem Hinterhalt anzugreifen?«
Wütend wollte Cunomar gegen diese spöttischen
Bemerkungen aufbegehren, stellte aber fest, dass er sich innerlich
vollkommen leer fühlte. Im Geiste hörte er die Stimme seiner
Mutter, und sie wiederholte, was sie einst, vor langer Zeit und ehe
sie in den Osten gezogen waren, schon einmal gesagt hatte. Wenn
du dich vollkommen leer fühlst, dann ist das der Augenblick, da die
Götter ganz und gar in dir ruhen. Und dann ist die Zeit gekommen,
um auf dem Wind zu reiten und dich allein seiner Führung
anzuvertrauen.
Der Wind kam aus Südosten. Und er wehte in Richtung
Nordwesten, dorthin, wo die Insel Mona lag und von wo die Legionen
auf ihn zumarschierten. Cunomar hob den Blick. Aus drei
verschiedenen Himmelsrichtungen eilten Schwärme von Krähen
aufeinander zu, und der Wind war erfüllt von zerrissenen Schreien.
Ein schwarzer Wirbel schien sich über das Graublau des Himmels zu
breiten, bis die Vögel wieder abdrehten und geschlossen in
nordwestliche Richtung davonzogen.
Heißer Atem streifte über Cunomars Hals. Vorsichtig
schaute er zur Seite, drehte aber nicht den Körper. Hinter ihm
stand die kastanienrote Stute, knabberte mit ihren weichen Lippen
an seiner Schulter und schien bereit zu sein, sich von ihm das
Halfter anlegen zu lassen. Und mit einem Mal - wenngleich aus
keinem besonderen Grund - fühlte Cunomar sich von der Stute an die
rothaarige Corra erinnert, eine der angehenden
Bärinnenkriegerinnen, die sich den Arm gebrochen hatte und darum
vorerst nicht mehr kämpfen konnte. Doch Corra glänzte nicht nur als
Kriegerin, sondern auch mit ihrem Organisationstalent. Sie besaß
eine gute Portion gesunden Menschenverstand, und Cunomar konnte
darauf vertrauen, dass sie es problemlos bewerkstelligen könnte,
Verulamium niederzubrennen, und dass sie sich sogar noch freuen
würde, wenn er sie um diesen Gefallen bäte.
Dann fielen ihm noch weitere Krieger und deren
besondere Gaben ein, und nach nur kurzer Pause entgegnete Cunomar:
»Ich habe fünfzig Bärinnenkrieger, die neben euren Pferden
herlaufen und in das Land der Coritani eindringen könnten. Vor
allem wären diese Krieger selbst nach einem solchen Lauf noch in
der Lage, effektiv in einer Schlacht mitzuwirken. Wenn diese
fünfzig also deine Krieger unterstützen würden, dann, so denke ich,
könnten wir das Tempo, mit dem die Legionen weiterkommen, durchaus
etwas bremsen. Genau darum hatte Valerius uns ja gebeten. Und
sollte seine Bitte nun tatsächlich nicht mehr sein als ein Knochen,
den man einem Hund zuwirft, so werde ich diesen Knochen dennoch
akzeptieren.«
Braint entbot Cunomar den Gruß der Krieger, und
zwar auf jene alte Art, wie man sie noch auf Mona pflegte, und
entgegnete: »Du bist der Sohn der Bodicea, der Hund, der über die
Meere kam. Und selbst wenn Valerius’ Bitte nicht mehr wäre als ein
Knochen, hast du dir diesen Knochen doch in jedem Fall redlich
verdient, und du wirst Valerius mit deinem Einsatz beweisen, dass
du noch viel mehr wert bist!«