XVIII
Tief schien Mona, die Insel der Götter, im Ozean
zu liegen. Graue Wogen brandeten gischtsprühend gegen ihre Ufer,
und zäh wie flüssiges Eisen strömte das Wasser durch jene Meerenge,
die die Insel vom Festland trennte.
Noch war die Sonne nicht aufgegangen, und es
herrschte jenes typische farblose und zugleich blassrosa Licht, das
immer dann zu beobachten war, wenn der Himmel die Nacht
verabschiedete und den neuen Tag willkommen hieß.
Inmitten von blassen Sanddisteln und den langen,
raureifweißen Halmen des Strandhafers lag Graine bäuchlings auf dem
Boden und beobachtete jene Stelle, an der das Land ins Wasser
überging. Die Ebbe hatte eingesetzt. Kleine Wellen schlängelten
sich über den Kiesstrand, mussten aber stetig weiter zurückweichen.
In regelmäßigen Abständen schätzte Graine die Entfernung ab
zwischen den schäumenden kleinen Wellen und ihrer, Graines, ganz
persönlicher Hochwassermarke, jener Stelle, die nur knapp eine
Handbreit von ihrem Gesicht entfernt lag und an die der während der
vergangenen drei Tage wütende Sturm einen zerrissenen Halbmond aus
Blasentang angetrieben hatte. Zwischen den Algen und Tangfetzen
lagen von der See gebleichtes Treibholz und transparente Quallen,
die im Inneren ihrer Leiber blassrote Sterne zu tragen schienen.
Und diese Hochwassermarke lag nun bereits ein gutes Stück oberhalb
des restlichen Treibguts, das sich am Strand angesammelt
hatte.
Breacas Tochter maß die Zeit, die verstrich, in
Wellen. Dazwischen aber, zwischen den Wogen, herrschte keine Zeit,
sondern allein tiefer Frieden. Der durchdringende Duft der See,
vermischt mit dem Geruch nach vermoderndem Seetang, drang in
Graines Haut ein, schlich sich in ihr rotes Haar, lag reif auf
ihrer Zunge und ließ ihre Lungen sich weiten, sodass schließlich
auch längst vergessene Erinnerungen wieder hervorgelockt wurden.
Erinnerungen an die Zeit davor, als Graine noch auf Mona
gelebt hatte, als sie noch heil und unversehrt gewesen war und die
Welt sicher schien, als ihre Mutter noch die Geliebte Brigas
gewesen war, eine Kriegerin, der niemand das Wasser zu reichen
vermochte und die als unbesiegbar galt. Damals, als Rom bloß ein
ferner, gesichtsloser Feind gewesen war, der durch die
überwältigende Macht der Bodicea und der Götter irgendwann
zweifellos besiegt sein würde. Damals, als die Tochter der Bodicea
der Göttin Nemain diente und noch kein Schmerz sich in ihren Körper
eingefressen hatte. Ein Schmerz, der jede einzelne Faser zu
durchdringen schien, ausgelöst durch die brutale Schändung durch
schier unzählige Männer.
Und dennoch war der Schmerz nun nicht mehr ganz so
verzehrend wie zu Anfang. Denn die See hatte während Graines
Überfahrt einen Teil von deren Qual geschluckt, eine Erfahrung, die
Graine selbst überrascht hatte. Doch auch das Gefühl der Freiheit
und die euphorische Stimmung, die das Meer in ihr hervorgekitzelt
hatte, waren ganz unerwartet über sie gekommen. Sie hatte gar nicht
gewusst, um wie viel lieber sie vorn im Bug eines durch die Wogen
pflügenden Schiffes stand, als auf einem Pferd zu reiten, selbst
wenn es das ruhigste und gehorsamste aller Pferde gewesen wäre, die
jemals geboren wurden. Niemals würde sie ein Pferd einem Boot
vorziehen. All dies war ihr aber erst bewusst geworden, als sie an
Bord des Schiffes gegangen war, das Luain mac Calma ausgeschickt
hatte, um sie zu holen. Die Reise von dem fernen südwestlichen
Zipfel Britanniens hinüber zur südwestlichen Spitze der Insel Mona
hatte drei ganze Tage gedauert. Die letzten beiden Tage hatte die
Besatzung stets hart gegen den Sturm kreuzen müssen. Jeder der
gegen die Bordwände krachenden Brecher war in Graines Augen eine
mindestens ebenso große und ebenso wundersame Herausforderung
gewesen wie die Kriegerprüfungen ihrer Schwester und ihres Bruders.
Denn diese Wellen hatten die Tränen und Wunden von Graines Körper
nach und nach zu einem Nichts verblassen lassen, hatten ihr
gezeigt, wie winzig die Verletzungen doch waren, die sie hatte
erleiden müssen, verglichen mit der unermesslichen und alles
zermalmenden Macht der Götter.
Zuerst hatte Graine ganz still gestanden, hatte
einfach nur versucht, der geballten Kraft des Meeres ohne allzu
große Angst entgegenzublicken. Was die Wogen ihr entgegenspuckten,
das nahm sie an, schweigend, wenngleich es sie eine ungeheure Kraft
kostete. Später dann, durchgefroren und wie betäubt und zugleich
belebt von neuem Mut, lernte sie, sich zu wehren, zu schreien und
der Macht der See entgegenzubrüllen.
Gefangen in dem Verlangen, sich zu befreien, hatte
sie jeden Augenblick des Tages und gut die Hälfte einer jeden Nacht
auf dem Vorderdeck der Cormorant ausgeharrt, hatte sich im
Licht der Fackeln an die Bugreling geklammert und in den Schlund
jenes Sturmes hineingebrüllt, den Manannan ausgesandt hatte, um die
Insel der Götter vor der Invasion Roms zu schützen. Eisig war
Graine die See auf die Hände und ins Gesicht gespritzt, bis ihre
Haut sich rötete und langsam vom Fleisch abpellte, bis ihr
ochsenblutrotes Haar seinen Glanz verlor und von einer harten,
grauen Salzkruste überzogen wurde.
Hawk und Dubornos hatten sie unter Deck und in
Sicherheit bringen wollen. Segoventos aber, der alte Gallier, dem
das Schiff gehörte, hatte versprochen, für Graines Leben mit seinem
eigenen zu bürgen. Im Übrigen war er mit der Cormorant auch
allein auf Graines Wunsch hin bereits einen guten halben Mond eher
in See gestochen, als dies eigentlich anzuraten gewesen wäre.
Schließlich hatte Gunovar noch eine Art Geschirr aus Seilen
geknüpft und es mitsamt Graine an der Bugreling befestigt, sodass
diese, selbst wenn sie den Halt verlieren sollte, nicht über Bord
gerissen werden könnte. Endlich hatten selbst Graines Weggefährten
es aufgegeben, sie unter Deck locken zu wollen, und hatten ihr
stattdessen ihre Mahlzeiten nach oben gebracht und sie erst dann
gebeten, zum Schlafen in die Kabine zu kommen, wenn die Nacht am
finstersten war. In der letzten Nacht aber, als sie sahen, dass der
Sturm, der über ihren Köpfen gewütet hatte, langsam nachließ,
hatten sie noch nicht einmal mehr das versucht und Graine einfach
an Deck schlafen lassen.
Ein neuer Morgen war heraufgedämmert, und als sie
das Beiboot zu Wasser gelassen hatten und an das Ufer Monas
gerudert waren, war der Wind schließlich gänzlich abgeflaut. Die
weißen Mähnen, mit denen die Wellenkämme durch die Nacht gebraust
waren, waren kürzer und kürzer geworden, bis sie schließlich mit
dem grünen Meer verschmolzen, das nurmehr träge plätschernd die
Klippen an der Landspitze mit nassen Küssen begrüßte.
Das Szenario ihrer Ankunft auf Mona war um so
vieles leiser gewesen als die Überfahrt - eine Enttäuschung, wenn
man es denn so betrachten wollte. Doch diese Enttäuschung hatte
auch ihr Gutes, denn wäre Graine geradewegs aus der ungezügelten
Freude, die ihr die Überfahrt zuletzt bereitet hatte, in die
Einsamkeit des verlassenen Großen Versammlungshauses getreten, und
hätte sie, berauscht von der Reise, plötzlich die hohle Leere der
unbewohnten Siedlung gespürt, so wäre der Verlust all dessen, was
Mona einst gewesen war, ihr sicherlich noch grausamer bewusst
geworden als ohnehin schon.
Trotz Graines unspektakulärer Ankunft auf der Insel
ihrer Geburt aber hatten die gut fünfhundert Krieger, die
ausgewählt worden waren, um auf Mona auszuharren, der Tochter der
Bodicea einen würdevollen Empfang bereitet, sodass diese gar nicht
darum herumgekommen war, sie alle der Reihe nach zu begrüßen, sich
ihre Namen einzuprägen und ihren Geschichten zu lauschen und sich
jene besonderen Stellen im Dachgebälk des Großen Versammlungshauses
anzusehen, wo ihre Traumsymbole eingeritzt waren. Es war also
bereits wieder dunkel geworden, als Graine endlich die Zeit
gefunden hatte, einmal nach Bellos zu schauen, jenem jungen Mann
mit dem weizenblonden Schopf und den Augen eines Gottes, dessen
Traum sie, Graine, wieder nach Hause gerufen hatte. Im Gegensatz zu
den anderen hatte er aber weder eine Bemerkung über ihre
Verletzungen gemacht, noch hatte er so getan, als würde er sie
nicht wahrnehmen. Bellos schwieg einfach nur, denn er hatte Graine
ja bereits in ihrem gemeinsamen Traum getroffen und wusste darum,
wie es um die Tochter der Bodicea bestellt war. Graine war sehr
erleichtert gewesen über die ungezwungene Art, mit der er sie
behandelte, sodass sie den gesamten Rest des noch verbleibenden
Abends bei Bellos verbracht hatte.
Gemeinsam hatten sie am Feuer gesessen, hatten
Malzgerste und sahnige Dickmilch von einem erstgebärenden
Mutterschaf genossen. Erst da hatte Graine plötzlich begriffen,
dass Bellos blind war. Später dann, als sie in der Dunkelheit lag
und schon halb eingeschlafen war, erkannte sie, dass Valerius
selbstverständlich von Bellos’ Blindheit gewusst haben musste, ihr
aber offenbar ganz gezielt nichts davon hatte sagen wollen, sondern
es ihr überlassen hatte, dies selbst herauszufinden. Während sie in
Gedanken noch bei der Frage verharrte, warum Valerius dies wohl so
beschlossen hatte, war Graine schließlich eingeschlafen.
Im Traum hatte sie die Antwort gehört, doch als sie
aufgewacht war, hatte sie sich an nichts mehr erinnern können. Die
Frustration über den Verlust dieses Traums und die schmerzende
Leere, die in der einst vor Leben regelrecht pulsierenden Siedlung
herrschte, hatten schließlich so schwer auf Graine gelastet, dass
sie aus ihrem Nachtlager geflüchtet war. Sie war den Pfad zum
Kiesstrand hinuntergelaufen, wo sie nun flach auf dem Boden lag, in
der Hoffnung, dass keiner sie entdecken würde. Im Geiste versuchte
sie, die zahlreichen Erzählungen zu ordnen, in denen man ihr den
Ablauf der Invasion Roms auf Mona bereits prophezeit hatte. Sie
versuchte, zu erahnen, ob diese Geschichten wirklich alle der
Wahrheit entsprachen.
Noch reichte das Licht nicht aus, um deutlich
sehen zu können. Allein und umfangen von einer Art stillen Friedens
lag Graine bäuchlings in das raue Gras geschmiegt, lauschte dem
gedämpften Rauschen, mit dem die Wellen bei ihrer Ankunft auf dem
Kies auszuatmen schienen. Tief sog Graine die nunmehr sanfte
Energie des Meeres in sich ein, während die Morgendämmerung der
Welt wieder Farbe verlieh.
Aus dem Grau lösten sich erste scharfe Konturen.
Schließlich konnte sie sogar das von Entenmuscheln überzogene Holz
des Schiffsanlegers der Insel erkennen, der nur einen Speerwurf
entfernt zu ihrer Rechten lag. Eine Weile lang schaffte Graine es
noch, sich allein auf den Seenebel und das dahinter ruhende,
eisengraue Wesen des Meeres zu konzentrieren, schaffte es, bei
ihrer Erinnerung daran zu verweilen, wie sie Mona zu Zeiten ihrer
Kindheit erlebt hatte. Sicherlich, auch damals war die Insel kein
Ort des reinen Friedens gewesen, denn die Krieger, die Mona zu
ihrem Zuhause erkoren hatten, hatten auch damals schon den schier
nicht enden wollenden Kampf gegen Rom geführt, sodass Graine genau
genommen noch nie erfahren hatte, was wirklicher Frieden
bedeutete... Und dennoch war diese Insel für sie stets ein Ort der
Zuflucht gewesen, ein Platz, der vor jeglicher Bedrohung geschützt
schien.
Nun aber war auch Mona nicht mehr sicher.
Das Meer verwandelte sich in einen wahren Ozean
blinder Spiegel, die gierig das Morgenlicht einzufangen schienen,
um es dann wieder und wieder, hoch und höher zurück in die Wolken
zu schleudern. Unmittelbar über den kleinen Wellenkämmen jagten
zwei Austernfischer über das Wasser, strebten geradewegs auf Graine
zu, um dann abrupt wieder abzudrehen und schließlich mit lautem,
warnendem Kreischen in Richtung Norden und auf das offene Meer
hinauszufliehen. Graine hatte aufmerksam die Fluglinie der beiden
Tiere beobachtet und stellte nun fest, dass der Fähranleger auf der
anderen Seite der Meerenge, der eigentlich ein gutes Stück ins
Wasser hätte hineinragen sollen, um einlaufenden Booten einen
Landeplatz auf dem Festland zu bieten, verschwunden war. Dort, wo
einst der Anlegesteg gewesen war, ragten jetzt nur noch schwarz
angesengte Klippen empor, und auf den leise plätschernden Wellen
tanzten noch immer Bruchstücke von verkohlten Holzbohlen.
Die verbrannten Überreste, die zwischen Fels und
Nebel eingebettet lagen, vermittelten einen seltsamen Eindruck von
Ruhe. Doch auch einige scharfe, gerade Linien waren mittlerweile
zwischen den sich hoch auftürmenden Klippen zu erkennen. Aus den
Enden dieser Linien erwuchsen rechte Winkel, und, viel zu rasch,
enthüllte das zunehmend heller werdende Licht die Silhouetten von
Dollborden und Schiffsnasen, und Graine erkannte, was Bellos schon
vor einiger Zeit beschrieben hatte: Dutzende von Flachbodenkähnen
waren Bug an Heck hintereinander vertäut worden und dümpelten nun
auf den seichten Wellen. Die Boote schienen wie Perlen, die
irgendjemand auf eine lange Schnur gezogen und dann aufgespannt
hatte, um einem kleinen Kind als Spielzeug zu dienen. Hinter diesen
Booten wiederum ragten die Zelte der Legionare auf. Und die
drängten sich nicht nur dicht an dicht entlang des Strandes,
sondern erstreckten sich bis weit in die Heide und das Farndickicht
auf den unteren Berghängen hinein. Graine konnte Zelte ausmachen
und Pavillons, Maultiere und Pferde, Latrinengräben und die flachen
Lagerhäuser der Quartiermeister, um die herum man eine Handvoll
Kettenhunde angebunden hatte, damit diese die Vorräte vor den
Ratten schützten. Vor der Meerenge von Mona lagerten nicht weniger
als zwei komplette Legionen der römischen Armee und vier ihrer
Kavallerieflügel. Noch dichter aber als das feindliche Hauptlager
hatten sich zwei kleine Gruppen von Zelten an das Meeresufer
gedrängt, scharten sich gemeinsam mit zwei voneinander getrennten
Pferdepferchen um den von Flammen zerfressenen Stumpf des
Festlandanlegers, während über ihnen stolz zwei verschiedene
Kavalleriebanner im Wind flatterten.
Graine brauchte die Zelte nicht zu zählen, um
ziemlich genau abschätzen zu können, wie viele Männer dort
lagerten. Sie war aufgewachsen in einer Welt, in der ihr die
Standarten und Banner Roms sowie die Anzahl der Soldaten, die unter
diesen üblicherweise dienten, mindestens ebenso vertraut waren wie
die Traumsymbole ihres eigenen Volkes. Wenn man diese Wimpel,
Fahnen und Standarten nun alle zusammennahm, so kam man auf eine
Zahl von rund achttausend Männern. Achttausend Legionssoldaten, von
denen ein jeder nur eine einzige Aufgabe zu erfüllen hatte: seinen
Dienst im Krieg zu versehen. Nur ein schmaler Streifen Wasser hielt
diese Männer noch von Mona fern, und das reichte bei Weitem nicht
aus, um die Insel zu schützen.
»Ihre Boote liegen schon bereit. Warum haben sie
also nicht gleich gestern angegriffen, als der Sturm sich
legte?«
Laut sprach Graine diese Frage in den stillen
Morgen. Nach einer kurzen Pause entgegnete Bellos mit den Augen der
Götter, den jeder andere nur als Bellos den Blinden kannte,
verwundert: »Hab ich aus Versehen irgendein Geräusch gemacht? Oder
woher weißt du, dass ich hier bin?« Er klang amüsiert und verärgert
zugleich. Ihre Frage aber hatte er noch immer nicht
beantwortet.
»Nein. Nicht irgendein Geräusch hat dich verraten.
Sondern die Austernfischer. Denn die haben bei deinem Anblick Angst
bekommen und sind wieder fortgeflogen. Natürlich hättest du auch
Hawk sein können, der kann schließlich genauso leise schleichen wie
du. Aber allein deine Tunika riecht nach dem Rauch von
Apfelbaumholz, während Hawks Tunika nach Meer riecht.« Graine
rollte sich auf die Seite, um über ihre Schulter hinweg zu Bellos
hinüberzuschauen. »Kennt denn irgendjemand den Grund, weshalb der
Gouverneur noch nicht angegriffen hat?«
»Wahrscheinlich haben wir bislang einfach nur Glück
gehabt. Oder vielleicht liegt es auch daran, dass Manannan so
gnädig war, uns noch einen weiteren Tag lang unter seinem Schutz
leben zu lassen. Denn obgleich auf der Westseite der Insel, an der
ihr gestern angekommen seid, klare Sicht herrschte, so waren doch
hier, auf dieser Seite, beide Ufer der Meerenge in dichten Nebel
gehüllt. Man konnte kaum die eigene Hand vor Augen sehen. Für mich
stellt so etwas natürlich keine Beeinträchtigung dar, und auch du
könntest damit wahrscheinlich gut umgehen. Die Legionen aber haben
sich davon aufhalten lassen, ein Umstand, für den wir dankbar sein
sollten.«
Dies war das erste Mal, dass Bellos von sich aus
seine Blindheit erwähnte. Aufmerksam musterte Graine sein Gesicht,
suchte nach Spuren der Bitterkeit und fand doch keine. Dafür aber
schien in Bellos’ Innerem eine Tür sich leise zu schließen, eine
Tür, die ohnehin nie wirklich offen gestanden hatte. Ganz so, als
ob Bellos Graines Neugier zwar erahnte, aber noch nicht bereit war,
ihr sein wahres Wesen zu offenbaren.
»Aber wäre das dann nicht genau der passende Moment
für sie gewesen, uns anzugreifen? Ich meine, während der Nebel die
wahre Anzahl ihrer Männer vor uns verborgen hätte? Allzu viel
hätten die Legionare ja ohnehin nicht zu sehen brauchen. Nur gerade
so viel, um sich nicht aus Versehen gegenseitig
abzuschlachten.«
»Ja, ich denke, die Offiziere könnten genau deiner
Meinung gewesen sein. Und der Gouverneur wohl auch, zumindest, wenn
ich die Lage richtig deute. Aber die Soldaten fürchten sich. Sie
fürchten sich vor den Wesen aus ihren Albträumen und den Untoten,
die angeblich über die Strände wandern. Außer bei hellem Tageslicht
werden die Legionen also keinen Angriff auf uns wagen.«
Langsam lernte Graine, Bellos’ Regungen richtig zu
deuten. Sie erahnte den leicht singenden Rhythmus der Befriedigung
in seiner Stimme, spürte eine Spur von Stolz in ihm aufkeimen,
obgleich er sich natürlich bemühte, all diese Emotionen nicht allzu
deutlich hervortreten zu lassen. Aufs Geratewohl fragte sie: »Wer
hat ihnen eigentlich diese Albträume geschickt? Warst du
das?«
»Nein, aber ich war es, der diese Träume noch ein
bisschen grausamer gestaltet hat, als sie ohnehin schon in den
Köpfen der Männer wüteten.« Nun endlich breitete sich ein
fröhliches und ganz unverhohlenes Lächeln über seine Lippen.
Vorsichtig trat er zu Graine hinüber, setzte sich neben sie und
streckte seine nackten Füße über das feine Strandgeröll, bis seine
Fersen auf dem glitschigen Polster aus Seetang ruhten.
Bellos war schlank, fast schon mager, und wirkte
sehr viel jungenhafter, als er Graine in ihrem Traum erschienen war
oder als er am Vorabend im Schein der Feuer ausgesehen hatte. Er
mochte vielleicht drei oder vier Jahre älter sein als Hawk. Sein
Haar war so fein wie gekämmte Wolle und von einem noch helleren,
glänzenderen Gold als das Haar von Cunomar oder Cygfa. Am
bemerkenswertesten aber waren seine Augen. Sie waren so blau wie
der Himmel am Mittag und schienen starr über das Meer
hinauszublicken und im Nichts ein Ziel zu suchen. Doch obwohl er
nicht sehen konnte, war er auf der Suche nach Graine vom Großen
Versammlungshaus aus losmarschiert und ohne Umwege den Strand
hinabgewandert.
»Wie gut kennst du diese Insel eigentlich?«, wollte
Graine wissen.
»Gut genug, um mich halbwegs
zurechtzufinden.«
»Ist das der Grund, warum du Mona noch nicht
verlassen hast? Weil Hibernia ein vollkommen neuer Ort für dich
wäre und es dir sicherlich nicht leicht fallen würde, die große
Insel genauso gut kennenzulernen wie Mona?« Graine stellte ihre
Frage geradeheraus und frei von jeglichem falschen Mitleid. Aber
andererseits war es auch nicht ihre Absicht gewesen, sonderlich
behutsam mit Bellos umzugehen. An dem Tag, als sie erkannt hatte,
wie frustrierend es war, wenn andere versuchten, einen mit
Rücksicht auf die Qualen, die man hatte erleiden müssen, besonders
vorsichtig zu behandeln, an diesem Tag hatte sie auch aufgehört,
andere Mitmenschen, die vielleicht Ähnliches hatten erdulden
müssen, in irgendeiner Weise behutsamer zu behandeln als den Rest
der Welt. Dennoch hielt sie in diesem Augenblick gespannt den Atem
an und lauschte auf Bellos’ Antwort, um zu sehen, ob sie mit ihrer
forschen Art vielleicht eine Grenze überschritten hatte, die zuvor
keinem von ihnen beiden bewusst gewesen war.
Bellos jedoch lächelte bloß gelassen, ja, geradezu
friedlich. So, wie überhaupt sein ganzes Wesen friedlich zu sein
schien. Nachdenklich entgegnete er: »Nachdem Valerius mich aus der
Sklaverei in Gallien befreit hatte, habe ich zwei Jahre mit ihm auf
Hibernia gelebt. Die Insel wäre also nicht völlig fremd für mich.
Andererseits jedoch war sie mir natürlich auch nie so vertraut wie
Mona. Und auch die Krieger wären selbstverständlich hiergeblieben,
um die Insel gegen die Römer zu verteidigen - wenn man es ihnen
denn erlaubt hätte. Letztendlich aber durften nur fünfhundert von
ihnen bleiben. Der Rest wird anderenorts dringender gebraucht.
Luain mac Calma ist der Vorsitzende des Ältestenrats von Mona. Er
entscheidet, wer kommen darf und wer geht, und die Einzigen, mit
denen er sich über diese Fragen berät, sind Nemain und die
restliche Götterwelt. Wir dagegen werden nicht in die Gründe für
seine Entscheidungen eingeweiht. In jedem Fall hatte er mich
gebeten, dass ich hier auf Mona bleiben solle. Hätte er wiederum
von mir verlangt, dass ich nach Hibernia übersiedeln müsste, hätte
ich selbstverständlich schon vor langer Zeit gemeinsam mit den
anderen das Schiff bestiegen, egal, wie schwer mir das auch
gefallen wäre.«
»Dann war es also auch Luain, der dich gebeten
hatte, uns nach Mona zurückzurufen?«
»Dich zurückzurufen. Ich habe nur dich
gerufen. Die anderen sind aus eigenem Willen mitgekommen. Und
vielleicht werden sie, um ihrer eigenen Sicherheit willen, auch
wieder von Mona fortgeschickt. Sieh mich jetzt bitte nicht so
vorwurfsvoll an. Ich werde dir deine Frage schon noch beantworten -
bin ja gerade dabei. Nein, mac Calma hatte mich nicht gebeten, dich
zu rufen. Aber als es dann passiert war, hat er mir auch nicht
befohlen, das wieder rückgängig zu machen. Er kann nicht mehr in
deine Träume eintreten.«
Er kann nicht mehr in deine Träume
eintreten... Früher einmal hatte Airmid von Graines Geburt
geträumt, und Luain mac Calma hatte vorausgesehen, dass Breacas
Tochter einmal einen Platz im Ältestenrat einnehmen würde. Graine
hatte also stets die Hoffnung gehabt, dass mit ihrer Rückkehr nach
Mona auch ihr Leben sich wieder in jene Richtung entwickeln würde,
wie es einst für sie prophezeit worden war. Diesen Gedanken hatte
sie nie ganz aufgegeben, noch nicht einmal in der leisen Trauer,
die sich am Morgen über sie gelegt hatte, nachdem sie die
Erinnerung an ihren Traum aus der vergangenen Nacht verlor.
Abermals ertönte der Schrei der Austernfischer,
jedoch aus weiter Ferne. Und erneut rauschte eine Welle heran, die
siebte Welle, nach Graines Rechnung. Sie rollte dichter zu dem
Strandgut hinauf als irgendeine Welle vor ihr. Im Kavallerielager
auf der anderen Seite der Meerenge trat ein schlanker Mann aus
seinem Zelt. Auf dem Kopf wuchs sein schwarzes Haar zwar nur noch
spärlich, dafür aber umso dichter auf seinem nackten Oberkörper. Er
gähnte herzhaft und reckte beide Arme empor, um den grauen Morgen
zu begrüßen.
Es fiel Graine nicht leicht, den Mann anzusehen.
Doch auch Bellos’ Anblick erfüllte sie mit leisem Schmerz, sodass
sie schließlich auf den Kiesstrand schaute und entgegnete: »Nun ja,
vielleicht kann Luain deshalb nicht mehr in meine Träume
eindringen, weil ich selbst nicht mehr träumen kann.«
»Vielleicht. Vielleicht liegt es aber auch daran,
dass im Moment selbst die Götter nicht wissen, was aus deiner Gabe
eines Tages noch einmal werden könnte, was aus dir womöglich noch
werden könnte oder auch nicht. Wir, die wir hier auf Mona leben,
sind noch immer der Ansicht, dass du dem tanzenden Stein in diesem
Brettspiel gleichst. Ich glaube, das Spiel heißt Kriegertanz.
Jedenfalls meine ich jenen Spielstein, der ungehindert und
ungesehen vom einen Ende des Spielbretts zum anderen eilen kann und
der somit manchmal über das gesamte Spiel entscheidet. Und sollten
wir in dieser Annahme recht haben, könnten wir zusammen Mona
vielleicht immer noch retten.«
Mit einem Mal schien die Morgenbrise schneidend
kalt, und die feine Gischt auf Graines Gesicht schmerzte
regelrecht. Abrupt setzte sie sich auf und schlang die Arme um ihre
Knie. Ihr war übel. »Und was, wenn ihr euch irrt?«
Bellos saß weiterhin reglos und entspannt neben
ihr, und noch immer spielte ein feines Lächeln über seine Züge. Er
starrte hinaus über das Wasser, das er nicht sehen konnte, die
blinden Augen auf das römische Lager jenseits der Meerenge
gerichtet, in dem mittlerweile hektische Betriebsamkeit zu
herrschen schien, schürzte die Lippen und dachte nach. »Dann haben
wir immer noch zweitausend Träumer, die den Legionaren den Verstand
vernebeln können.
Und wenn auch die Träumer versagen sollten, werden
wir schließlich doch noch gegen die Römer kämpfen müssen. Und genau
zu diesem Zweck befinden sich fünfhundert Krieger auf dieser
Insel.«
»Fünfhundert Krieger gegen achttausend Legionare
und genügend Lastschiffe, um damit einen geschlossenen Kreis rund
um Mona ziehen zu können? Das ist doch Wahnsinn.«
»Vielleicht. Ich dagegen halte mich lieber an die
Sichtweise, dass es ganz einfach das Pragmatischste ist, was wir in
unserer gegenwärtigen Situation tun können. Wir kennen unsere
Insel, und wir haben auch keine Angst vor irgendwelchen Albträumen.
Achttausend von Angst gepeinigte Männer können sich hier ganz
schnell selbst verlieren. Und zuvor müssten sie ja auch erst einmal
einen Platz finden, wo sie mit ihren Booten anlanden können. Und
davor wiederum müssen die Legionen das Kunststück vollbringen,
überhaupt erst einmal ausreichend Männer zu finden, die bereit
sind, hier an Land zu gehen.« Bellos sprach, als ob er mit seinen
Gedanken in Wahrheit ganz woanders wäre. Offenbar dachte er nicht
mehr länger über Graine und ihre Sorgen nach. »Aber ich vermute
mal, all das werden wir bald herausfinden. Und sollte ich mich
dennoch irren, bliebe dir ja immer noch genügend Zeit, mich mit
meiner Fehleinschätzung aufzuziehen. Was meinst du, ob sie sich
wohl gerade dazu bereitmachen, zu ihren Schiffen zu
marschieren?«
Graine folgte seinem Blick und erkannte, dass in
das chaotische Durcheinander des Morgens etwas mehr Struktur und
Ordnung einzukehren schien. Das Legionarslager am Fuße der Berge
organisierte sich zu einem Angriffskommando. Genau in dem Moment,
in dem Graine den Mund öffnete, um auf Bellos’ Frage zu antworten,
ertönte der blecherne Klang einer Trompete, mit dem die Soldaten
zum Appell gerufen wurden. Verzerrt schallte das Signal über die
Meerenge hinüber.
Wieder schürzte Bellos die Lippen und stieß durch
die Zähne ein kleines weißes Atemwölkchen in die kalte Luft.
»Dann hatte mac Calma also doch recht. Der Angriff
findet heute statt.« Er erhob sich, streckte Graine beide Hände
entgegen und starrte auf einen fernen Punkt irgendwo über ihrem
Kopf. »Wenn ich dir nun anbieten würde, dir beim Aufstehen zu
helfen, würdest du mir dann helfen, zurück zum Großen
Versammlungshaus zu finden? Ich könnte den Weg auch allein gehen,
aber mit ein wenig Hilfe wäre ich doch wesentlich schneller. Und
ich glaube, heute können wir uns den Luxus zu bummeln leider nicht
leisten. Heute können wir uns nicht an kleinen
Birkenrindenstückchen orientieren oder an Flechten, die über Steine
wachsen, um eine ungefähre Ahnung davon zu bekommen, in welche
Richtung wir wohl laufen müssen.«
Genauso wie die Männer im römischen Feldlager
erhoben sich auch die Krieger von Mona sowie die fünfhundert
Träumer, die im Inneren und in der Nähe des Großen
Versammlungshauses geschlafen hatten. Sie standen auf, um einem
grauen und nur langsam an Licht gewinnenden Morgen
entgegenzublicken, der womöglich ihr letzter sein könnte.
Überall auf der Lichtung vor dem Rundhaus
flackerten in unterschiedlichen Intervallen immer neue Feuer auf.
Blasse Flammen und blauer Rauch hoben sich vor den von jungem Grün
belaubten Eichen ab.
Halb angekleidete Männer und Frauen wuschen sich,
benutzten die Kloakegruben oder standen mit ruhigem Blick
regungslos da und hielten Zwiesprache mit den Göttern ihrer Träume.
Am Rande der Lichtung wurden Mutterschafe gemolken, verfolgte man
Hennen zu deren Nachtlager zurück, um ihre Eier zu finden, und
Getreide wurde gemahlen und zu kleinen Frühstücksfladen
gebacken.
Dicht beim Strom hielt Gunovar eine Stute fest, die
das erste Mal brünstig war, um sie von Hawks Hengst decken zu
lassen. Dieser ritt einen auffälligen Grauschimmel mit einer weißen
Blesse, der einst ein Geschenk von einem Kavalleriekommandeur
gewesen war.
Das Pferd war von thessalischer Abstammung und
ursprünglich für Wagenrennen gezüchtet worden, bis es sich in den
Ställen als zu ungebärdig erwiesen hatte und schließlich
fortgegeben worden war, um für den Kriegsdienst trainiert zu
werden. Als es später auf Segoventos’ Schiff verladen werden
sollte, befürchteten alle, dass das Tier die Überfahrt nicht
überstehen würde, dass es einfach zu viel Temperament besäße und
sich selbst verletzen würde, wahrscheinlich sogar ein Loch in die
Bordwand schlagen könnte und damit letztlich auch die Menschen an
Bord gefährdete. Sämtliche Mitreisenden waren der Ansicht, dass sie
das Pferd letzten Endes doch am Ufer zurücklassen müssten. Dann
aber hatte der Hengst die Schiffspassage zu jedermanns Überraschung
bemerkenswert ruhig über sich ergehen lassen. Stattdessen war es
Gunovars schweres schwarzes Zugpferd, das in Panik ausbrach, sodass
den Großteil der Reise immer jemand bei dem Tier bleiben musste, um
es daran zu hindern, mit seinen wild auskeilenden Hufen das ganze
Schiff zu demolieren.
Auch jetzt war Gunovar da und achtete sorgfältig
darauf, dass die Stute den Hengst während des Deckens nicht mit
ihren Hufen verletzte, beziehungsweise, dass auch der Hengst der
Stute nichts antat. Ein kleines Stück entfernt saß Graine. Sie
hatte sich mit dem Rücken gegen die ganz aus Steinen erbaute Hütte
gelehnt, die einst Airmids Heim gewesen war, ehe diese Breaca in
den Westen gefolgt war. Im Augenblick wurde das kleine Haus
offenbar von Bellos bewohnt. Diese Nacht aber hatte Gunovar in dem
winzigen Raum geschlafen. Noch immer waren die Gerüche von
Schwingelgras, Auenknoblauch und Gunovars selbst zubereiteter
Wundheilsalbe spürbar. Doch diese Gerüche schwebten auch noch über
anderen Orten, eben überall dort, wo die von Narben übersäte
Träumerin der Dumnonii in ihrer schlaflosen Nacht gewacht und jene
Aufgüsse zubereitet hatte, die ihr durch den Morgen helfen
sollten.
Der Hengst deckte die Stute genauso selbstbewusst,
wie dies bei Pferden eben üblich war, und er gab sich offenbar
Mühe, ein starkes, schnelles und intelligentes Fohlen zu zeugen.
Hawk dagegen musste sich augenscheinlich sehr beherrschen, um nicht
allzu zufrieden dreinzuschauen, schließlich wollte er vermeiden,
dass noch irgendjemand auf die Idee käme, er vergleiche sich selbst
in Gedanken womöglich mit seinem Pferd und die Stute mit einer
Geliebten. Graine zwang sich, bei dem Akt ganz bewusst zuzuschauen,
ließ die Übelkeit in sich aufwallen, musste sich dann, zu ihrer
eigenen Überraschung, aber doch nicht übergeben. Und dies war
wahrhaftig bereits eine Errungenschaft für sie, zumal niemand ihr
in diesem Moment Beachtung schenkte und sie den Brechreiz ganz
allein für sich selbst überwand. Starr blickte sie auf einen
kleinen Ast im Wald hinter der Lichtung, atmete tief ein und aus
und bewegte sich noch nicht einmal, als ein Schatten über sie glitt
und damit die schwache Wärme der Sonnenstrahlen von ihr
stahl.
»Warst du das, die da im Morgengrauen zum Strand
hinunterlief?« Gunovar trat noch ein Stückchen weiter von den
Pferden zurück und ließ sich neben Graine auf der Erde
nieder.
»Woher weißt du das?«, fragte Graine. »Hast du etwa
davon geträumt?«
»Nein. Aber ich habe gesehen, wie Bellos aus dem
Großen Rundhaus schlich, und da habe ich ihn einfach gefragt, wohin
er denn wollte. Im Übrigen hatte auch Bellos nicht von dir
geträumt. Der Junge hat ganz einfach ein sehr viel feineres Gehör
als irgendjemand sonst. Bei Menschen, die einen ihrer Sinne
verlieren, funktionieren die anderen dafür irgendwann umso besser.
Darum haben sie die besten der Träumer früher ja auch
geblendet.«
Gunovar schenkte Graine ein schiefes Grinsen, so,
wie sie eben immer grinste. Und weil der Morgen nun einmal war, was
er war, und falsche Scham keinen Platz mehr hatte, musterte Graine
sie ganz unverhohlen, besah sich die Narben in deren Gesicht, die
Narben auf deren Händen, dachte über die schwerfällige, offenbar
schmerzvolle Art nach, wie diese Frau ging, und mit einem Mal
begriff Graine, dass es schon sehr lange her war, seit sie
irgendetwas von alledem das letzte Mal bewusst wahrgenommen hatte.
Gunovar war nicht schön, war es auch nicht gewesen, bevor die
römischen Inquisitoren sie gefoltert hatten - Gunovar war einfach
schon immer zu grobknochig und schwer gewesen, um als schön zu
gelten. Doch sie nahm sich selbst an, wie sie war, und das mit
einer solchen Würde, einem solchen Selbstbewusstsein und nicht
zuletzt auch einer guten Portion Humor, dass jeder, der sie sah,
ihre äußere Erscheinung und die entstellenden Narben, die man ihr
zugefügt hatte, nicht nur mit milderem Urteil betrachtete, sondern
dies alles schließlich vergaß und sich allein noch auf Gunovars
inneres Wesen konzentrierte.
»Der Nebel lichtet sich, und die Legionare bereiten
sich darauf vor, ihre Boote zu Wasser zu lassen. Die Kavallerie ist
auch schon dort. Bevor ich mich auf den Weg nach Mona machte, hatte
Valerius mir noch gesagt, dass er, wenn er das Kommando hätte,
zuerst einmal die Kavallerie über die Meerenge schwimmen und einen
Landekopf einnehmen und sichern lassen würde, damit die schweren
Schiffe gefahrlos anlanden können. Andererseits aber meinte
Valerius auch, dass der Gouverneur, der den Angriff leitet, keine
Ahnung davon hätte, wie er die Kavallerie am besten einsetzen
könne, und dass er den Reitern womöglich befehlen würde, mit ihren
Tieren neben den Schiffen herzuschwimmen. Hast du bei deiner
Rückkehr aus dem Osten eigentlich auch wieder etwas von dem
getrockneten Brennwurz mitgebracht?«
»Ja. Warum?«
»Mir ist da gerade eine Idee gekommen. Sulla, die
Fährfrau, hatte einmal gesagt, dass die Strudel der Meerenge ihre
Freunde seien und dass sie vom einen Ufer zum anderen
hinüberschwimmen könnte und auch wieder zurück, ohne dabei zu
ertrinken. Allerdings müssten wir uns beeilen. Das alles muss
beendet sein, ehe der Nebel sich vollständig verzogen hat.
Ansonsten würden die Römer Sulla entdecken. Aber falls wir das
schaffen sollten, könnten wir noch einen kleinen Trick anwenden,
der uns am Ende vielleicht nützlich sein wird.«
An diesem Morgen galt es, die kleinen Freuden zu
genießen: den Ausdruck der Überraschung, der sich über Gunovars
Gesicht legte, das Aufblitzen unverhohlener Freude, das ihre Augen
erstrahlen ließ, als sie endlich begriff, was Graine ihr da gerade
vorschlug - plötzlich war es denkbar, dass Gunovar einst vielleicht
doch recht attraktiv gewesen war. Und selbst die ungewohnte
Geschmeidigkeit, mit der sie sich plötzlich bewegte und ihren
Kräutersack aus der Hütte holte, war bereits ein Anblick, den es
für einen Moment zu genießen galt. Dann machte Gunovar sich daran,
die nötigen Vorbereitungen zu treffen, während Graine loslief, um
Sulla zu finden und in Erfahrung zu bringen, ob die Fährfrau noch
immer die Meerenge durchschwimmen konnte.
Und es war tatsächlich noch Zeit genug, um Graines
Plan in die Tat umzusetzen. Sulla nahm die Idee mit Begeisterung
auf, machte sogar noch einen Verbesserungsvorschlag, und Dubornos
erklärte sich schließlich bereit, Sulla dabei zu helfen, an
geeigneter Stelle in die Meerenge hinabzutauchen und wieder
herauszukommen. Im Übrigen hielt das Dubornos davon ab, unablässig
über Graine nachzugrübeln, sodass einen flüchtigen Moment lang und
im Angesicht des Krieges doch noch einmal so etwas wie Frieden sich
über die Insel breitete.
Der Frieden dauerte gerade lange genug, um die
Stimmung der Ruhe und Zuversicht ein letztes Mal tief in sich
aufzunehmen, ehe plötzlich jemand in ein Bullenhorn stieß und das
Zeichen zur Zusammenkunft des Ältestenrats von Mona gab: ein
tiefer, lang anhaltender Ton, der mehrmals anschwoll und dann
wieder schwächer wurde und dessen Klang sämtlichen in Hörweite
befindlichen Männern und Frauen die Luft aus den Lungen zu pressen
schien und ihre Rippen klappern ließ.
Überall auf der Lichtung ließen die Träumer ihre
morgendlichen Vorbereitungen ruhen und machten sich daran, sich zu
zweit oder in schweigenden kleinen Grüppchen im Großen
Versammlungshaus von Mona einzufinden. Luain mac Calma wartete
bereits auf sie, um mit ihnen die Visionen der vergangenen und auch
aller vorherigen Nächte zu besprechen und um zu klären, wie die
Träumer daraus eine Verteidigungsstrategie für die Insel und alles,
was diese Insel ausmachte, entwickeln könnten.
Unten am Bach, wo vor kurzem noch in einem
dampfenden Kessel der Brennwurz gekocht hatte, hielt Gunovar abrupt
inne, hörte auf, ihren Kessel auszukratzen, und erhob sich mit
gerunzelter Stirn. »Graine, willst du nicht auch mitkommen? Denn
was immer auch passiert sein mag, so bist du doch noch immer von
Rechts wegen und von Geburt an eine Träumerin. Man würde dich
sicherlich mehr als willkommen heißen.«
Graine stand bis zu den Waden im Bach und reinigte
sich von den klebrigen Überresten, die während des Kochens auf sie
gespritzt waren. Bräunliches Wasser wirbelte in kleinen Strudeln um
sie herum, die dunkle Schlieren aus Torf von Graine forttrugen. Nur
schwach konnte sie noch die Kieselsteine und den Sand und die helle
Kontur ihrer Füße erkennen. Der rechte war vom Rist bis zum Knöchel
hinauf noch immer schwärzlich violett verfärbt, eine Erinnerung an
jenen Mann, den Graine von sich wegzutreten versucht hatte, und der
dafür ihren Fuß gepackt, ihn in seiner Hand gequetscht und dabei
gewaltsam nach außen gedreht hatte.
Graine musterte ihre Verletzung und bemühte sich,
nicht mehr an den Schmerz zu denken, sondern auf Gunovars Frage zu
antworten.
Bellos und Luain mac Calma meinen, ich wäre der
tanzende Stein auf dem Spielbrett, dachte Graine im Stillen.
Und diese Vorstellung macht mir sogar noch mehr Angst als die
Tatsache, dass ich meine Gabe zu träumen verloren habe. Denn ich
habe keine Ahnung, was ich tun sollte oder wann ich handeln sollte
oder ob ich überhaupt in der Lage wäre zu handeln, wenn sich
herausstellen sollte, dass ich in diesem Krieg tatsächlich das
Zünglein an der Waage, der tanzende Stein bin.
Laut hingegen antwortete sie: »Ich habe seit meiner
Ankunft hier nichts mehr geträumt. Heute Morgen hatte ich
vielleicht noch einen vagen Traum von irgendetwas, aber ich
erinnere mich nicht mehr genau.«
Gunovar stellte ihren Topf umgekehrt auf das
feuchte Gras. Mit einiger Mühe richtete sie sich wieder auf und
entgegnete: »Vielleicht irrt Bellos sich ja auch. Und auch mac
Calma kann mal ein Fehler unterlaufen. Das wäre zumindest nicht das
erste Mal, dass auch ein Träumer von seiner Begabung sich mal
irrt.« Nicht die kleinste Regung schien sich in ihrem Gesicht zu
spiegeln, weder bot sie Graine ihr Mitgefühl an, noch forderte sie
sie zu irgendetwas heraus.
Unbeweglich stand Graine im Wasser des Bachs. Ihre
Beine waren eiskalt. Doch das registrierte Graine nur am Rande,
ganz so, als seien ihre Glieder in Wahrheit Teil irgendeines
anderen Körpers, um den sie sich eventuell einmal kümmern sollte.
Falls sie denn die Lust dazu verspürte.
Den Großteil ihres jungen Lebens hatte sie in dem
Glauben gelebt, dass es im Grunde doch keine große Sache sei, wenn
sie die Gedanken der sie umgebenden Menschen las. Das fiel ihr
nicht schwer - oder zumindest dann nicht, wenn die Gedanken, die
diesen Menschen durch den Kopf gingen, zugleich mit intensiven
Gefühlsregungen verknüpft waren. Sie hatte nie verstanden, warum
das nicht jeder konnte und manche sogar Angst bekamen, wenn Graine
mal wieder ihre geheimsten Sehnsüchte aussprach. Nun jedoch
verstand sie nur allzu gut, wie einen diese Fähigkeit vor Staunen
verstummen lassen oder wie man sich davor gar fürchten konnte. Und
sie begriff, dass ihr somit nicht nur die Gabe des Träumens,
sondern auch die des Gedankenlesens abhanden gekommen war.
Ein harter Kloß schien sich in ihrer Kehle zu
bilden, so dick, dass er sich nicht hinunterschlucken ließ. »Dann
hast du mich also auch schon als den tanzenden Stein auf dem
Spielbrett gesehen?«, fragte sie.
Echtes Mitgefühl hatte die Züge der Frau ganz weich
werden lassen. »Nein. In meinen Träumen bist du ein Kind, das
schwer misshandelt worden ist und das dennoch wieder geheilt werden
könnte. Auf Mona leben mächtige Kräfte, mehr, als dir bislang
begegnet sind. Die könnten deine Seele wieder zusammenfügen. Im
Herzen dieser Kräfte steht das Große Versammlungshaus, und falls
wir heute bei der Verteidigung unserer Insel versagen sollten,
könnte es passieren, dass das Große Versammlungshaus morgen nicht
mehr existiert. Und du willst dennoch nicht mit mir kommen und
vielleicht noch ein letztes Mal die Gegenwart der Träumer in dich
aufnehmen?«
Und so kam es, dass Graine Gunovar doch zu dem
Treffen im Großen Versammlungshaus begleitete, obgleich dies im
Grunde nur geschah, weil ihr kein vernünftiges Argument mehr
eingefallen war, um nicht mitgehen zu müssen. Der Kessel lag
umgekehrt am Ufer des Bachs, neben ihm ein Rest von dem Brennwurz
und die auskühlenden Kohlen des Feuers aus Wermutkraut.
»Was siehst du?«
Es war Bellos, der Junge mit den Augen eines
Gottes, der dies fragte. Doch andererseits war Bellos blind und
hatte somit womöglich tatsächlich guten Grund, diese Frage zu
stellen. Zumal er nur ganz leise sprach, um Luain mac Calma, den
Sprecher und Vorsitzenden des Ältestenrats, nicht zu
unterbrechen.
Ebenfalls flüsternd antwortete Graine: »Ich sehe
ein Feuer aus Rotdornzweigen und Kiefernholz. Doch das Holz ist zu
feucht, und es bildet sich zu viel Rauch. Das Feuer hat also kein
Herz.«
Der Feuergraben durchmaß das halbe Rundhaus. Graine
und Bellos saßen am nördlichen Ende der lang gezogenen Grube, dicht
neben dem zusammengefalteten Fell einer schwarzen Stute, auf dem
Luain mac Calma Platz genommen hatte. Der Vorsitzende des
Ältestenrats hatte Graine zwar kurz zugenickt, als diese das Haus
betrat, ihr ansonsten jedoch keine große Beachtung gezollt. Das
Ende Monas stand kurz bevor, es blieb keine Zeit mehr, sich mit
einem Kind zu unterhalten, ganz gleich, wie lebhaft dessen Visionen
auch einst gewesen sein mochten.
»Aber ein bisschen Licht wird doch wohl von dem
Feuer ausgehen, oder?«, hakte Bellos nach. »Ich kann doch die Hitze
spüren.«
»Ja, es glimmt ein wenig. In der Mitte ist es rot
glühend, aber dort, wo die Flammen zwischen den Holzscheiten
hervorzüngeln, sind sie nur noch gelb, fast schon weiß.«
»Und was ist mit den Menschen? Was kannst du mir
von den Menschen hier erzählen?«
»Nun ja, viel kann ich nicht sehen, es ist einfach
zu dunkel. Ich sehe einige Gesichter, an die ich mich aber nur noch
bruchstückhaft erinnern kann. Von einigen von ihnen weiß ich
vielleicht noch die Namen, falls das für dich von Interesse sein
sollte.«
Bellos hatte ein Ziel, wollte Graine mit seinen
Fragen irgendwohin führen. Breacas Tochter aber ärgerte sich über
die Manipulation, die er da gerade an ihr versuchte. Gunovar war
nicht mehr an Graines Seite, denn irgendeiner der Männer, deren
Namen ihr entfallen waren, hatte die alte Frau gleich nach ihrer
Ankunft in die Mitte der dicht zusammengedrängt sitzenden Schar von
Träumern gerufen. Bellos stützte die Ellenbogen auf die Knie und
neigte den Kopf zu Graine hinüber. Im schwachen Schein des Feuers
schienen seine strahlend blauen Augen fast weiß zu sein, wie Eis,
durch das von hinten das Sonnenlicht brach. Immer eindringlicher
bahnte Bellos’ Blick sich seinen Weg in Graines Innerstes, wobei
seine blinden Augen eine Schärfe bewiesen, die weit über jegliches
normale Sehvermögen hinausging. »Nun gut«, entgegnete er. »Dann
rede du ruhig weiter von den Flammen. Erzähl mir von ihrer Farbe
und was weiß ich nicht noch alles. Und lass dir ruhig Zeit, denn
die Besprechung hier dauert sicherlich noch länger.«
Er sprach mit ihr wie mit einem Kind. Graine fühlte
sich sehr ungerecht behandelt. Zumal sie sich dadurch erst recht
nicht mehr darauf konzentrieren konnte, das Große Versammlungshaus
wieder zu jenem Ort werden zu lassen, als den sie es sich gerne
vorstellen wollte. Als einen Ort voller Geheimnisse und Träume und
als einen Ort, an dem sie die Antwort darauf finden würde, wie sie
das Ende Roms herbeiführen könnten. Stattdessen schien das Rundhaus
nichts weiter zu sein als ein Hort erschöpfter und verängstigter
Träumer, ein Haus, in dem Schweißgeruch die unangenehm feuchte
Dunkelheit erfüllte und das Brennholz so ungeschickt aufgeschichtet
worden war, dass es nicht richtig brannte, sondern nur rußte, ein
Ort, an dem die Pferdefelle, auf denen sie saß, schon ganz steif
waren vor Alter und darin getrocknetem Salzwasser.
Noch mehr jedoch, als das alte Große
Versammlungshaus noch ein letztes Mal wieder so zu erleben, wie sie
es aus besseren Tagen kannte, wünschte Graine sich, dass mac Calma
ihnen allen endlich wieder Kraft verleihen möge, dass er ihnen
vernünftige Strategien dazu unterbreiten würde, wie sie die
Tausende von Legionaren, die bald gegen sie in die Schlacht ziehen
würden, irgendwie doch überwältigen könnten. Stattdessen hockte
Breacas Tochter in der trügerischen Finsternis und musste mit
anhören, wie mac Calma genau jenes Desaster, das ihnen unmittelbar
bevorstand, mit Worten auch noch in aller Deutlichkeit vorwegnahm.
Letztendlich gestand er ihnen allen ein, dass er persönlich nicht
wüsste, wie das alles noch zu verhindern sei. Stattdessen forderte
er die Träumer dazu auf, den Anwesenden zu erläutern, was die
Götter ihnen in der Nacht womöglich an Eingebungen geschenkt
hatten. Und sie kamen seiner Aufforderung nach. Wortgewaltig, dafür
aber müder und weniger präzise als an den anderen Morgen und bei
anderen Zusammenkünften beschrieben sie ihre Visionen. Die Zeit
verstrich, ohne dass irgendetwas Bedeutsames passiert wäre, außer
dass Sulla bis zum Festland hinübergeschwommen war und wieder
zurück und dass Dubornos, der die Fährfrau dabei unterstützt hatte,
leise ins Versammlungshaus geschlichen kam und Graine mit einem
knappen Nicken zu verstehen gab, dass wenigstens einer der Bewohner
Monas etwas Sinnvolles bewerkstelligt hatte.
Bis zu Dubornos’ Eintreten hatten bereits sechs
Träumer, sowohl Männer als auch Frauen, ihre Visionen erläutert.
Das Bewusstsein der unaufhaltsam näher rückenden Gefahr hatte sie
heiser und unsicher werden lassen. Ihre Stimmen hatten stumpf und
leblos geklungen, sodass es bereits eine gewisse Herausforderung
darstellte, nicht einzuschlafen, während sie sprachen. Nach den
ersten sechs sprachen noch sechs weitere, und diese klangen nicht
weniger bedrückt und hatten auch keine besseren Vorschläge zu
machen als ihre Vorgänger. Ihren zahlreichen Nachrednern erging es
nicht anders.
Frustrierter, als sie jemals in Worte zu fassen
vermochte, starrte Graine in die spärlichen Flammen und wünschte
sich, sie wäre draußen bei Hawk geblieben. Der immerhin hatte ein
paar durchaus praktische Ideen, die nicht auf so vagen Bildern
beruhten wie etwa einem Bussard, den irgendjemand in seinem Traum
über irgendeinen Bach hatte fliegen sehen. Genauso sinnleer war die
Beschreibung der Flugbahn eines Speers, der angeblich drei Tage
brauchte, ehe er in den Boden einschlug und dabei den römischen
Gouverneur täglich aufs Neue tötete. Zumal dieser Speer den
Gouverneur dann in den Nächten angeblich jedes Mal wieder zum Leben
erweckte, um ihn am darauf folgenden Morgen mit einem noch
geschickteren Stoß töten zu können.
Es geschah also nicht um Bellos’ willen, sondern
ihrem eigenen mentalen Gleichgewicht zuliebe, dass Graine sich
schließlich doch auf das Feuer konzentrierte und darauf, in seinen
Flammen irgendetwas zu lesen. Als Erstes erschien ihr die Gestalt
Hawks. Allerdings war der auch nicht allzu schwer aus der Form der
Flammen herauszulesen, so viel Fantasie besaß Breacas Tochter
immerhin noch. Sie versuchte, in dem feinen Flackern auch seinen
scharfen Blick zu erkennen und die Art, wie er ritt oder lachte
oder sich bemühte, ein ernstes Gesicht zu machen. Erst nachdem sie
in ihren Gedanken eine Weile mit den Flammen gespielt hatte, fiel
ihr auf, wie gehorsam ihre Vision von Hawk ihren Befehlen gefolgt
war und ihr stets genau jenes Abbild seiner schmalen Gestalt
lieferte, das sie sich gewünscht hatte. Als ihr dies endlich
bewusst wurde, schickte sie ihn in ihrer Vorstellung probehalber
aus, um am Strand gegen die Legionen zu kämpfen. Und Hawks Bild
folgte ihrem Befehl voller Eifer, sprang so flink über die Felsen
wie ein Hirsch, während sein schwarzes Haar wild hinter ihm
herflatterte und seine Stammeszeichen - die Tätowierungen in Form
von Eidechsen auf seinen Oberarmen - sich wanden, als wären auch
sie in den Flammen plötzlich zum Leben erwacht.
Doch Hawk allein reichte Graine noch nicht aus. Sie
stellte sich vor, dass auch Valerius dort am Ufer auftauchte. Denn
egal, wie zwiespältig ihre eigenen Gefühle ihm gegenüber auch sein
mochten, so war doch nicht zu bestreiten, dass zumindest er genau
wusste, wie man die Römer zu bekämpfen hatte. Er hätte dieses
Ausweichmanöver vor der Realität, das die Mitglieder des
Ältestenrats da gerade praktizierten, niemals geduldet. Auch
Graines Mutter hätte in einer solchen Situation darauf bestanden,
dass die Träumer handeln müssten, statt immer nur zu reden. Umgeben
von Flammen stellte Graine sich erst einen dunklen Haarschopf vor,
dann einen kupferroten. Sie dachte an schwarz glühende Augen und
leuchtend grüne, dachte an jenes flüchtige, doch stets so
trocken-ironische Grinsen, das sowohl von dem einen als auch von
dem anderen hätte stammen können, dachte an die Leichtigkeit, mit
der sie selbst eigentlich mit Pferden und Waffen sollte umgehen
können, weil beides ihr Geburtsrecht war, jenes Recht, das sie noch
nicht ergreifen konnte.
Graine beneidete alle, die jene Kräfte besaßen, die
ihr missgönnt waren. Und den Flammenbildern gegenüber konnte sie
ihren Neid auch endlich offen eingestehen und sich dadurch zu jener
kämpferischen Frau entwickeln, die sie so gerne werden wollte. Das
Feuer zeigte ihr Fragmente der jungen Kriegerin, die in ihr zu
schlummern schien. Sie kämpfte, wie auch Cunomar kämpfte, oder
besser gesagt, wie Cygfa. Denn selbst in seiner Flammengestalt war
Cunomar noch immer zu sehr damit beschäftigt, sich selbst zu
beweisen, ein Zustand, den Cygfa schon lange hinter sich gelassen
hatte, falls sie denn überhaupt jemals diese Phase durchgemacht
hatte.
In Graines Vorstellung und somit auch im Tanz der
Flammen kehrte Cygfa nach Mona zurück und wartete am Ufer, während
die römische Kavallerie ihre Pferde über die Meerenge schwimmen
ließ. Hoch aufgerichtet saß Cygfa auf dem Hengst mit den weißen
Fesseln, der das Temperament seines Urahns besaß. Dann gesellte
sich auch Valerius auf dem Krähenpferd zu Cygfa, und schließlich
ritt sogar Breaca noch heran, unter sich jenes rotbraune Tier, das
Cygfa ihr zum Geschenk gemacht hatte.
Die Pferde der Feinde kamen dem Strand immer näher.
Ihre Mähnen waren weiß wie die mit Schaumkronen bedeckten Köpfe von
Manannans Geschöpfen, jenen Wesen, die aus nichts anderem bestanden
als aus Wasser und Wellen. Sie alle strebten auf jene Stelle zu,
von der aus Graine am selben Morgen den Sonnenaufgang beobachtet
hatte. Sie hatte sich also aus einem ganz bestimmten Grund an genau
diesem Abschnitt des Ufers zwischen den Strandhafer gelegt, auch
wenn ihr das zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst gewesen war. Im
Flammentanz aber ergab dies alles plötzlich einen Sinn. Denn
während der dreitägigen, sturmgepeitschten Überfahrt hatte Graine
ihren Frieden geschlossen mit dem Gott des Meeres und hatte diese
Übereinkunft in der Stille der Ebbe noch einmal besiegelt. Die
schier unendliche Menge an Wasser kannte Graine nun ebenso gut, wie
Graine das Wasser kannte.
Leise atmete sie einmal tief ein, tauchte in das
Meer hinab, versuchte, ihr eigenes Wesen vom Wasser durchdringen zu
lassen, bis sie selbst plötzlich der Ozean war. Sie spürte die
Wellentäler, fühlte die Wogen, erahnte den wesentlich langsameren
Rhythmus der Gezeiten. Sie war das Meer, und wie Hornissen schienen
die Pferde der Feinde ihre Haut zu durchstechen. Sie wusste, dass
die Pferde in diesem Augenblick in Panik gerieten, eine Panik, die
sie, Graine, ganz bewusst auf die Tiere gehetzt hatte. Es tat ihr
leid, die Tiere so zu ängstigen. Andererseits aber strampelten die
Pferde dadurch umso hektischer, was letztendlich gut war, weil sie
dadurch das Meer nur noch wilder aufwühlten.
Die Männer dagegen taten Graine nicht im Geringsten
leid. Sie waren wie scharfkantiges Eisen, und ihre Seelen lauerten
auf die Entweihung all dessen, was Graine liebte. Es war ein
ungutes Gefühl, sie über jenes Meer schwimmen zu spüren, zu dem
Graine nun geworden war. Sie schienen genau an jener Stelle zu
kratzen, an der der Gezeitenwechsel sich vollzog, dort, wo die
riesigen Wassermassen, zu denen Graines Seele gewachsen war,
innehielten, um dann, dem Ruf Nemains folgend, ihre Richtung zu
wechseln und wieder in die andere Richtung zu strömen. In der
Meerenge gab es eine Unterströmung, das wusste Graine genau, hatte
es seit dem Anbeginn aller Zeit in ihrem Unterbewusstsein gespürt.
Diese Unterströmung ließ die Wogen beim Gezeitenwechsel einander
überschlagen, jagte den Männern entgegen, gehorchte allein Graines
Willen.
Ein zufriedenes Lächeln hatte sich über Graines
Züge gebreitet. Das Meer, das sie war, wälzte sich wieder in die
entgegengesetzte Richtung, aus der es ursprünglich auf die Insel
zugeströmt war. Sie spürte, wie die Unterströmung in sich selbst zu
vibrieren begann, sah, wie die Pferde immer verzweifelter mit ihren
Hufen im Wasser strampelten, sah, wie sie mit der Strömung
abgetrieben wurden und die Männer in ihren Rüstungen, die sich ohne
die Unterstützung ihrer Tiere nicht an der Wasseroberfläche halten
konnten, in blinder Panik um sich schlagend untergingen, in kleinen
Spiralen immer tiefer sanken und dann reglos auf dem Grund des
Meeres liegen blieben, eingebettet in den Sand, der zugleich sowohl
Graines Ruhestätte war als auch die der Legionare.
Natürlich töteten die Wogen nicht sämtliche der
Kavalleristen. Etwa einhundert von ihnen waren noch am Leben.
Einhundert von jenen eintausend, die sich ursprünglich daran
gemacht hatten, die Meerenge zu durchschwimmen. Doch solcherlei
Unglück konnte sich in der Fantasiewelt eines Kindes eben nur allzu
schnell ereignen... Diese wenigen Überlebenden jedenfalls
schleppten sich so schnell sie nur irgend konnten aus dem Wasser
heraus und erklommen den Strand an jener Stelle, an der Graine
bereits auf sie wartete.
Langsam ließ sie ihre Seele wieder aus dem Meer
zurückweichen und glitt so mühelos zurück in ihren menschlichen
Körper, wie man vielleicht einen Arm durch einen Jackenärmel schob.
Flach lag sie in den Kies gedrückt und benutzte die Klinge ihres
Häutemessers, um die Sonnenstrahlen einzufangen und kleine Blitze
auszusenden, ganz so, wie Ardacos es sie gelehrt hatte. Speere aus
Sonnenlicht schossen über den Strand, verwirrten die Männer, sodass
diese glaubten, dem Tod im Meer nur entronnen zu sein, um nun ein
Land aus Rauch und Feuer zu betreten.
Der Rauch, der die Männer umwaberte, war in
Wirklichkeit nichts anderes als Graines Werk. In einer anderen Zeit
hatte sie den gesamten Strand entlang Kessel mit brennenden
Pflanzenresten aufgereiht, hatte dann Asche und altes Holz und das
schwächelnde Feuer aus dem Großen Versammlungshaus hinzugefügt und
noch eine ganze Reihe anderer Dinge, die ihr eingefallen waren;
hatte den Rauch von Pflanzen, die Airmid ihr früher einmal gezeigt
hatte, in die Kessel geschickt und schließlich auch noch die
Kräuter von Theophilus hinzugefügt, dem griechischen Arzt, der
einst einen ganzen Winter in Airmids Gegenwart verbracht hatte. Das
Wissen über den Brennwurz stammte von ihm, genauso wie ihre
Kenntnisse von den anderen Pflanzen, deren Rauch sowohl Menschen
als auch Pferde in tiefe Verwirrung stürzen konnte. All diese
Zutaten hatte Graine eilends in Kesseln aus dem Großen Rundhaus
herausgetragen, denn in ihrer Vision war sie sehr stark, sie war
eine Kriegerin wie ihre Mutter, ein Krieger wie Valerius, und doch
ganz anders.
Der Rauch war dicht, fast wie undurchdringlicher
Nebel, und raubte jenen, die nicht wussten, wie sie sich dagegen zu
schützen hatten, den Verstand. Selbst Graine, die das Rauchwerk
angemischt hatte, spürte, wie ihr Gaumen sich immer stärker nach
oben durchzubiegen schien, bis er ihr fast schon durch die
Schädeldecke platzte. Doch der Rauch betäubte auch ihre Zweifel,
erleichterte es ihr, ihre Gedanken über die Grenzen ihres Körpers
hinauszutreiben und sie mit dem Land und dem Meer und dem Rauch zu
verflechten.
Sie erinnerte sich wieder an Valerius’
Schilderungen, wie schwer es für die Männer doch sei, in voller
Rüstung ein Gewässer zu durchschwimmen und dann auf der anderen
Seite sofort zu ihren Waffen greifen zu müssen. Also schickte
Graine in den Rauch auch noch das sichere Wissen, dass die
Durchquerung der Meerenge den Legionaren bereits ihr Letztes
abverlangt habe, sodass die Soldaten, die sich ans Ufer schleppten,
der Überzeugung waren, viel zu ausgekühlt und erschöpft zu sein, um
nun noch kämpfen zu können. Schwerfällig lösten sie sich aus den
Fluten, wie betäubt und ohne jeglichen Orientierungssinn. Angeführt
von Valerius traten die fünfhundert Krieger von Mona den
feindlichen Soldaten gegenüber und metzelten diese noch am Strand
nieder. Allein Corvus wurde verschont, denn der war ihnen allen ein
Freund, und es gab keinen Grund, warum auch er hätte sterben
sollen. Graine hatte zwar zuvor schon die Götter gebeten, Corvus’
Leben zu retten, war sich aber nicht sicher, ob diese sie erhört
hätten.
Dann folgte eine kurze Ruhepause, ehe eine weitere
Schar von noch lebenden Legionaren auf die Insel zusteuerte. Wie
eine lang gezogene Flutwelle kamen sie in ihren Leichtern über das
Meer gepaddelt. Hunderte kleiner Boote, ein jedes gedrängt voll mit
Männern, die sich vor lauter Angst und Entschlossenheit schon ganz
verkrampft hatten und sich noch nicht so ganz schlüssig darüber
waren, was sich dort auf der Insel gerade ereignet hatte.
Graine stieß einen schrillen Pfiff aus. Ihre Mutter
war nicht mehr zu sehen, dafür aber ritten Valerius und Cygfa zum
Strand hinab, flogen nur so über den Kies, als hätten die Götter
persönlich sie als ihre Jagdgesellschaft ausgeschickt. Ihre Pferde
waren riesig, trugen Rüstungen aus purem Licht, und unter ihren
Hufen ertönte Donnergrollen. Graine, Cygfa und Valerius standen zu
dritt etwa dreihundert Booten und wohl rund siebentausend Männern
gegenüber, doch das Feuer war ihr Verbündeter ebenso wie der Rauch
und die dreitausend Träumer, die in diesem Rauch lebten und die die
Albträume der Männer, die Bellos ihnen geschickt hatte, nur allzu
gut kannten. Die Träumer woben ein Netz zwischen sich, verflochten
Rauch mit Seenebel und Angst und warfen dieses Netz dann mitten ins
Wasser, auf dass die Legionssoldaten, noch ehe sie ihre Boote
verlassen konnten, bereits gefangen waren in den Schlingen ihrer
eigenen Ängste.
Die fünfhundert Krieger standen schon bereit, um
jenen schmalen Streifen Land zwischen den Träumern und den
Legionaren einzunehmen und um Letztere, kaum dass diese an den
Strand taumelten, niederzustechen. Doch im Grunde wurden die
Krieger kaum gebraucht. Das Traumnetz hatte die Soldaten bereits
derart verwirrt, dass diese plötzlich Mann gegen Mann aufeinander
losgingen und ganze Kohorten einander angriffen und die Soldaten
sich gegenseitig mit einer Wildheit abschlachteten, wie sie nur
echtem Zorn und Todesangst entspringen konnte.
Hinter den Legionaren warteten schweigend die
fünfhundert Krieger Monas, bereit, die wenigen Überlebenden
schließlich auch noch zu töten. Graine, die einzige leibliche
Tochter der Bodicea, hob langsam den Arm und senkte ihn dann mit
einer raschen Bewegung wieder, genauso, wie sie es sich von ihrer
Mutter abgeschaut hatte, und gab damit das Signal, die Schlacht
vollends ausbrechen zu lassen.
Eine tiefe, monotone Stimme trat aus dem
Hintergrund hervor, eine Stimme, die Graines Feuertraum die ganze
Zeit über begleitet hatte und nun wieder lauter wurde. Der Kontrast
zwischen den leuchtenden Farben und der Hitze des Traumgefechts und
nun dieser ruhigen, fast schon trägen Stimme war so erschreckend,
dass Graine in helles Lachen auszubrechen drohte.
»Graine? Graine? Graine?...«
Aus weiter Ferne erklang ihr Name, schien von
irgendwo außerhalb des Großen Versammlungshauses langsam zu ihr
vorzudringen, vielleicht sogar von jenseits der Insel. Kühle Finger
legten sich auf ihr Handgelenk. Blaue Augen von der Farbe des
Himmels zur Mittagsstunde schwebten über ihr, gekrönt von Bellos’
Haar, das sich wie eine strahlende Aureole um seinen Kopf
schmiegte.
»Graine? Das genügt jetzt fürs Erste. Du kannst
aufhören. Aufhören. Es reicht.«
Ihre Kehle schmerzte, und sie krächzte wie ein
Basstölpel. Mitten im Wort hielt sie inne. Schwere Stille erfüllte
das Große Rundhaus.
Alle schwiegen. Das Stimmengewirr, die leiernden
Reden der Träumer schienen bereits vor langer Zeit verstummt zu
sein, und alle hatten nur noch Graine angeschaut und ihren Worten
gelauscht.
Dicht neben ihr hockte Luain mac Calma. Er war
kreidebleich von einer Anstrengung, deren Ursache Graine noch nicht
wirklich verstand. Fast schien es, als ob er ganz allein das
Traumnetz aus ihrer Vision gehalten habe, als ob er ganz allein die
dreitausend Träumer, die dieses Netz webten, mit der Kraft seiner
Gedanken genährt habe und als ob ihn diese Anstrengung nun bis in
sein Innerstes erschöpft hätte.
»Es tut mir leid«, sagte er leise. »Wir konnten
dich nicht geradeheraus darum bitten, wir konnten nur hoffen, dass
es womöglich dennoch geschehen würde. Aber Bellos hatte recht, denn
du hast uns bereits genug gesagt, mehr als genug. Alles, was wir
jetzt noch tun müssen, ist, all das, was du uns erzählt hast,
endlich in die Tat umzusetzen - zumindest soweit dies in unserer
Macht steht. Das Einzige, was noch nicht ganz sicher ist, ist,
welche Pflanzen du benutzt hast, welche Pflanzen diesen Rauch
entwickeln, der den Pferden und ihren Reitern den Verstand rauben
soll. Und woran erkennen wir Corvus? Worauf müssen wir achten, um
ihn zu verschonen? Wenn du uns das vielleicht noch verraten
könntest, kannst du weiterschlafen oder dich wieder zu Hawk
gesellen, der mittlerweile sehr zornig darüber ist, dass wir dich
auf diese Art und Weise benutzt haben. Und womöglich hat er recht
mit seinem Zorn...«
Graine starrte Luain mac Calma an, unfähig, ihm auf
seine Fragen zu antworten. Sie war hungrig, wollte etwas essen,
egal, was, wollte es verschlingen. Und sie war müde.
Und dann, als sie begriff, was Luain gerade gesagt
hatte, wallte eine blinde, wilde Panik in ihr auf, die ihr Löcher
ins Herz zu reißen schien und sie zu ersticken drohte.
Jemand reichte ihr einen Trinkschlauch, und sie
trank. Das Wasser lief ihr über die Tunika, bis sie, noch immer mit
heiserer Stimme, entgegnete: »Das war keine Vision. Ich habe schon
Visionen gehabt, aber das hier war keine davon.
Das hier war bloß ein Tagtraum, etwas, das auch
jeder andere hätte heraufbeschwören können.«
»Jeder, dessen Mutter die Bodicea ist und dessen
Onkel sich Valerius nennt, jeder, der eine Blutsverwandte Cygfas
ist und der in einem Feuer aus Schafgarbe und Eichenzweigen eine
Vision heraufbeschwören kann, während der Rest von uns so schwer
husten muss, dass wir kaum noch einen Ton herausbekommen und die
Tränen uns aus den Augen rinnen. Ja, jeder von denen, auf die all
das zutrifft, kann, was du kannst. Nur leider gibt es von diesem
speziellen Menschenschlag bloß sehr wenige auf Mona.« Luain mac
Calma schenkte Graine ein trauriges Lächeln. »Es tut mir leid. Wir
hätten dich nicht derart missbrauchen dürfen. Aber andererseits
haben wir unserem Ziel schon so vieles unterordnen müssen, und nun
ist einfach nicht der geeignete Zeitpunkt, um das Wohlergehen eines
einzelnen Kindes über das von ganz Mona zu stellen. Und du hast
recht, es war in der Tat keine Vision, die du da gehabt hast. Und
du bist damit auch noch keineswegs genesen. Dein Heilungsprozess
hat noch nicht einmal begonnen. Aber du hast uns gegeben, was wir
brauchten. Dürfen wir dir dafür unseren Dank aussprechen und uns
anschließend mit aller Kraft daran machen, deinen Traum
Wirklichkeit werden zu lassen? Und solltest du nun wütend sein,
wozu du wahrlich allen Anlass hättest, möchte ich dich gerne
bitten, dass du mir deinen Zorn trotzdem erst später erklärst. Ich
will dann versuchen, dir deine Mühen so gut es nur irgend geht zu
vergelten. Im Moment jedoch ist unsere Insel in Gefahr, und wir
müssen erst einmal alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um
sie zu retten.«