
Hört mir zu. Ich bin Luain mac Calma, der
Reiher-Träumer, Vorsitzender des Ältestenrats von Mona, der
Fürsprecher all jener, die auf Hibernia im Exil leben, und der
Beschützer der Bodicea, auf der all unsere Hoffnungen für die
Zukunft ruhen. Ihr alle, die ihr euch hier versammelt habt, seid
die Erben dieser Zukunft - wie auch immer diese sich gestalten
mag.
Wir stehen nun an einem wichtigen
Scheidepunkt unserer Geschichte. Einst waren wir ein sehr stolzes
Volk. Wir ehrten unsere Helden für deren Mut in den Schlachten, und
wir priesen unsere Träumer für die Weisheiten, die sie uns aus den
Zwiegesprächen mit den Göttern überlieferten.
Die Bräuche und die Entwicklungen unserer
Stämme waren sehr vielfältig, und überall in der uns bekannten Welt
rühmte man uns für unsere kunstvollen Schmiedearbeiten aus Gold,
Silber und Eisen. Von den schneebedeckten Ländern des hohen Nordens
bis hinab in jene Gefilde, wo die heiße Sonne Alexandrias glüht,
begehrte man unsere Jagdhunde und Pferde. Und unser Land war so
fruchtbar, dass sogar Julius Caesar glaubte, er habe das Reich der
Götter betreten, als er vor über einhundert Jahren von Gallien aus
über das Meer gesegelt kam und an unserer Küste anlegte, um uns zu
erobern.
Die unterschiedlichen Facetten unseres
Volkes erfüllten uns mit Stolz, und dennoch vergaßen wir nie den
Dienst an unseren Göttern. Und genau darin lag die Quelle unserer
Kraft. Alljährlich entsandte jeder Stamm die besten seiner Krieger
und Träumer, um ihre Fähigkeiten hier, auf der Insel Mona, jenem
von den Göttern und den Menschen geliebten Ort, noch weiter zu
verfeinern.
Nun sind genau dieses Erbe, und natürlich
die Insel selbst, in ihrer Existenz bedroht. Fast zwanzig Jahre ist
es her, dass Rom erstmals seine Legionen aussandte, um die Stämme
jenes Landes zu unterjochen, das sie Britannien nennen, um unser
Gold und unser Silber zu rauben, um unsere Hunde und unsere Pferde
zu stehlen, um unsere Jugend in die Sklaverei zu verbannen und um
unsere Stammesmitglieder mit Steuern zu belegen, damit diese
Landwirtschaft betreiben dürfen auf jenem Boden, der doch einst der
ihre war.
Während dieser beiden Dekaden, in denen der
östliche Teil unseres Landes unter den Besatzern leiden musste,
konnte der Westen sich der Eroberung mit wilder Kraft und einigem
Erfolg noch widersetzen. Die hohen Bergketten und der von purem
Zorn genährte Mut der westlichen Stämme haben das Land, das diese
Menschen so verehren, beschützt. Vor allem aber haben sie die Insel
Mona, die Insel der Götter, retten können.
Und ganz gleich, welche Verbrechen Rom
womöglich noch verüben mochte, Mona und all das, was diese Insel
für unser Leben bedeutete, würden in jedem Fall auch weiterhin in
Sicherheit sein. Das zumindest hatte ich den Großteil der bald
zwanzig Jahre währenden Besatzung über geglaubt. Doch diese
Hoffnung gilt nicht mehr, denn genau in diesem Augenblick lässt der
neue Gouverneur von Britannien, Suetonius Paulinus, unmittelbar vor
unserer Küste, auf der anderen Seite der Meerenge, zwei seiner vier
Legionen aufmarschieren. Ihr Befehl lautet, zuerst unsere Insel
einzunehmen und dann alle, die auf diesem Eiland der Götter leben,
niederzumetzeln. Auf dass das Wesen und das Wirken der Träumer für
immer von dieser Erde verschwinden. So groß ist die Angst Roms vor
dem, was wir sind und was wir einmal wieder werden könnten.
Unsere letzte Hoffnung auf Überleben ruht
nun auf drei Säulen. Sie ruht auf jener Frau, die wir als die
Bodicea, die Siegreiche, kennen; sie ruht auf jenen, die für die
Bodicea leben und sie beschützen; und sie ruht auf dem Kriegsheer,
das sich jetzt in ihrem Namen versammelt. Denn sie ist Breaca von
den Eceni, einst Ranghöchste Kriegerin von Mona.
Breaca vereinigt in sich die Kraft und die
Wahrheit all dessen, was wir einst gewesen sind. Sie ist eine
Kriegerin, die ihresgleichen sucht, und niemals hat sie nachgegeben
in dem nun schon achtzehn Jahre währenden Kampf, mit dem sie Rom
wieder aus unserem Land zu vertreiben versucht.
Solange die Bodicea hier im Westen blieb
und Mona ihr Heim war, solange war die Bodicea auch »die
Siegreiche«. Doch es kam der Tag, an dem der Osten einen Anführer
brauchte, der die Kraft besaß, die Krieger aus ihrer Sklaverei zu
erheben. Und ohne einen Aufstand im Osten wäre auch der Kampf im
Westen doch bloß ein Zermürbungskrieg geblieben, jedoch keine
siegreiche Schlacht.
Vor drei Jahren also fasste die Bodicea den
Entschluss, Mona zu verlassen und die Reise in den Osten
anzutreten, zurück in das Land, in dem sie geboren worden war,
zurück in das Herz des vom Feind besetzten Gebiets. Gemeinsam mit
ihren Töchtern Cygfa und Graine und ihrem einzigen Sohn, Cunomar,
kam sie schließlich im Land der Eceni an. Und dort mussten sie
entdecken, dass nurmehr Furcht und Demütigung das Leben des einst
so stolzen Stammes bestimmten und dass augenscheinlich niemand mehr
den Willen oder die innere Stärke besaß, sich gegen die Legionen zu
erheben, von denen sie umzingelt waren. Dennoch blieb das Ziel der
Bodicea die Rebellion, und gemeinsam mit ihrem Stamm erarbeitete
sie einen Plan.
Drei schier ewig dauernde Jahre lang fügten
die Bodicea und ihre Familie sich in die ihnen von Geburt an
zustehenden Positionen in der königlichen Linie der Eceni. Dann,
mit dem Tode Prasutagos’, der gleichsam mit der Bodicea die
Herrschaft über den versklavten Stamm an sich gerissen hatte,
begann endlich die heimliche Aufstellung jenes Kriegsheeres, mit
dem das Land eines Tages von den römischen Besatzern befreit werden
sollte.
Dies hätte das Ende der Geschichte sein
sollen - oder zumindest der verheißungsvolle Beginn einer neuen
Zeit. Doch Kaiser Nero, den es nach nichts anderem so sehr dürstet
wie nach Gold und dem zudem die Kunde von dem angeblichen Reichtum
des »Königs« der Eceni zugetragen worden war, sandte seinen
Bevollmächtigten, den Prokurator Decianus Catus, um im Namen des
Kaisers kurzerhand sämtliche jener Reichtümer zu beschlagnahmen,
die einst den Eceni gehört hatten.
Catus fungierte als Steuereintreiber, ein
Mann mit dunklen Absichten und einer noch finstereren Seele, der
sich selbst mit Hilfe einer Horde bei ihm in Sold stehender
Veteranen schützte: Männern, die nicht mehr länger im Dienste der
Legionen standen und die ihre Kampfeskünste nur allzu gerne
einsetzten, um damit die Abscheu der Legionen vor den Stämmen der
Eingeborenen zu unterstreichen.
Als Catus und seine Männer also in der
Eceni-Siedlung eintrafen, stießen sie auf die ersten Anfänge des
Widerstands und des Aufbegehrens gegen die Besatzer. Nach einem nur
scheinbar gerichtlichen Prozess, der im Grunde lediglich eine Farce
war, wurden Breaca und ihre Familie des Verrats für schuldig
befunden und die Vorbereitungen zur Exekution eingeleitet. Die
Bodicea und ihren Sohn peitschte man aus, und die beiden noch
unverheirateten Töchter wurden vergewaltigt, denn mit der
Hinrichtung zweier Jungfrauen hätte man gegen das römische Gesetz
verstoßen. So also sah die Gerechtigkeit aus, die den Verurteilten
im Namen des Kaisers gewährt wurde.
Ein Mann jedoch verhinderte schließlich
die vollständige Ausführung jenes Hinrichtungsprozesses, der mit
der Kreuzigung enden sollte: Es war der Bruder der Bodicea, der
zuvor fünfzehn Jahre lang auf der Seite der Legionen gekämpft
hatte.
Ihr alle kennt die Geschichte dieses
Mannes, der als Bán geboren wurde und der später den Namen Valerius
annahm: Als Opfer eines Verrats wurde er zuerst in die Sklaverei
verschleppt und kehrte dann später mit den Hilfstruppen der
römischen Kavallerie wieder nach Britannien zurück. Schließlich,
nachdem er ein zweites Mal verraten wurde, diesmal von jenen, die
dem sterbenden Kaiser Claudius nahe standen, wurde er von Nero als
Verräter betitelt und zu einem Leben im Exil verbannt - verstoßen
von beiden Parteien des Konflikts.
Valerius’ bisheriges Dasein war geprägt von
der puren Verzweiflung. Nichtsdestotrotz lernte er endlich das
Wesen seines Geburtsrechts kennen: seine Gabe, zugleich ein Krieger
und ein Träumer zu sein. Während der Zeit, als er in Rom und als
Römer lebte, wurde er zum Diener Mithras’, dem Stiermörder und
geheimen Gott der Elitekämpfer der römischen Legionen. Später, nach
seiner Rückkehr nach Hibernia, begriff Valerius, dass er von Anfang
an nicht nur Mithras sondern auch Nemain geweiht war, jener Göttin
des Mondes und des Wassers, die von allen Göttern am engsten mit
dem Leben der Stämme verbunden ist und die den Menschen den Hasen
und den Frosch gesandt hat, damit sie ihr auf der Erde als Boten
dienen. Noch nie zuvor in der Geschichte unserer Stämme hat ein
Mensch zwei Göttern gleichzeitig gedient - zwei Göttern, die
unterschiedlicher nicht sein könnten als Mithras und Nemain. Es ist
also ein Zeugnis seiner Kraft, dass Valerius trotz seines Dienstes
an beiden Göttern noch immer am Leben ist. Und dass er zudem auch
noch sein seelisches Gleichgewicht und seinen Humor wiedergefunden
hat, macht ihn zu einer absoluten Ausnahme unter allen
Menschen.
Valerius reiste gerade in Richtung Osten,
um der Bodicea eine Nachricht aus Mona zu überbringen, als er von
den Taten des Prokurators und der bevorstehenden Hinrichtung seiner
Schwester und deren Familie erfuhr. Die noch immer nicht erloschene
Liebe zwischen ihm und dem Präfekten Corvus verlieh Valerius
schließlich den Mut, seinen früheren Geliebten um Hilfe zu bitten,
damit dieser die Katastrophe schließlich doch noch verhinderte.
Denn nur ein Legionsoffizier von höchstem Rang konnte dem
Prokurator befehlen, von seinem Vorhaben abzulassen und seine
Männer wieder abzuziehen. Und genau das tat Corvus. Anschließend
reiste er weiter und führte seine Männer gen Westen, um dort an der
Vorbereitung des Angriffs auf Mona mitzuwirken. Und er bewegt sich
unentwegt näher auf uns zu, selbst in diesem Augenblick.
Die nur noch mit knapper Not verhinderte
Kreuzigung der Bodicea ist nun mittlerweile einen halben Monat her.
Während die Legionen immer weiter in den Westen vorrücken, hat das
Kriegsheer die bestmögliche Position für einen Angriff auf
Camulodunum eingenommen, jene »heilige« Siedlung, die die Römer als
ihre britannische Hauptstadt ausgerufen haben. Doch die Einnahme
Camulodunums wird kein Leichtes werden, denn seine Bewohner sind in
der Mehrheit die Veteranen der Zwanzigsten Legion, die sich
anstelle einer in klingender Münze ausgezahlten Legionspension
dafür entschieden haben, sowohl die Ertragsrechte als auch das
Eigentum an diversen, einstigen Eceni-Ländereien zu übernehmen.
Diese Männer werden nun also bis zum Äußersten gehen, um ihr
vermeintliches Eigentum zu behalten. Zudem müssen die Krieger unter
der Führung der Bodicea auch gegen die Neunte Legion antreten, die
bereits seit den ersten Anfängen der Invasion im Norden des Landes
der Eceni Stellung bezogen hatte, um einen ebensolchen Angriff auf
Camulodunum zu verhindern. Der kleinste Hinweis auf einen Aufstand
wird die Neunte in Richtung Süden preschen lassen und das
Kriegsheer von hinten angreifen.
Im Übrigen sind wir uns auch nicht ganz
sicher, was die Kraft jener anbelangt, die die Hauptlast dieses
Krieges tragen müssen. Seit dem Übergriff des Prokurators auf
Breaca und ihre Familie hat Airmid, Träumerin, Heilerin und erste
Liebe der Bodicea, Tag und Nacht gewirkt, um den Verletzten wieder
zur Genesung zu verhelfen.
Und in einem gewissen Rahmen hat sie mit
ihren Bemühungen sogar Erfolg gehabt. Der Sohn der Bodicea,
Cunomar, der im Kampf ein Ohr verloren hatte und später
ausgepeitscht wurde, kann inzwischen wieder kämpfen und bereitet an
der Seite des Kriegers Ardacos seine Bärinnenkrieger auf den Krieg
vor. Auch seine Schwester, Cygfa, die von einer halben
Hundertschaft römischer Soldaten vergewaltigt worden war, hat ihr
Schwert wieder aufgenommen und sich mit aller Entschlossenheit dem
Krieg gegen Rom angeschlossen. Sie ist auch diejenige von all
jenen, die zum engsten Kreise der Bodicea gehören, die sich
Valerius am weitesten hat nähern können, sodass sie nun darauf
vertraut, dass er sie lehrt, auf genau jene Art und Weise zu
kämpfen, mit welcher sie die Legionen am effektivsten wieder aus
ihrem Geburtsland vertreiben kann.
Doch es bleiben noch die Bodicea und deren
neunjährige Tochter Graine, die körperlich, vor allem aber in ihrer
Seele gebrochen ist, sodass sie ihre Fähigkeit zu träumen verloren
hat. Früher einmal hatte Graine, was die Macht ihrer Voraussagen
anbelangte, es mit dem Vorsitzenden des Ältestenrats von Mona
aufnehmen können. Jetzt aber ist sie nurmehr ein Kind, das die Welt
mit den Augen eines ganz gewöhnlichen jungen Menschen betrachtet.
Dies ist auch Breaca bewusst, und sie gibt sich selbst die Schuld
an dem Leid ihrer Tochter.
Es sind diese Selbstvorwürfe in Verbindung
mit ihren Schwierigkeiten, zu gehen und zu reiten, die wiederum von
der Auspeitschung herrühren, die in Breaca das Fieber entfacht
haben, das sie nun gepackt hat. Die Verzweiflung hat sie in ihren
Klauen, und es gibt keinerlei Heilmittel, das wir der Bodicea
reichen könnten und das den Gram wieder von ihr nähme. Allein in
der Heilung ihrer Tochter liegt auch die Heilung der Bodicea. Und
genau dies weiß auch Breaca. Aber die Zeit wird knapp: Die Legionen
zur Eroberung Monas stellen sich bereits auf, während sich im Osten
ein Kriegsheer im Namen der Bodicea versammelt und auf ihre Führung
wartet.
Sie, die Bodicea, ist also unsere einzige
Hoffnung; in ihrer Heilung liegt die Hoffnung auf Heilung für das
ganze Land. Ich verlasse euch also mit den Worten der schon vor
langer Zeit verstorbenen Träumerin der Ahnen, die in einer Höhle zu
der Bodicea gesprochen hatte, als diese sich auf die Reise machte,
um Mona das erste Mal zu verlassen:
Aber du bist eine Eceni. Es ist dein Blut und
dein Recht und deine Pflicht. Es ist noch nicht zu spät, die Tränen
der Kinder zu trocknen. Aber dazu musst du zuerst einen Weg finden,
wie du den Menschen das Herz und den Mut und den Kampfeswillen, die
sie schon längst verloren haben, wieder zurückgeben kannst. Finde
eine Möglichkeit, die Krieger zum Kampf aufzurufen und um dich zu
scharen, und bewaffne sie; finde mindestens einen, der genug Mut
hat, um dir in der Hinsicht das Wasser reichen zu können;
vielleicht wirst du dann siegen. Sei ihnen die Anführerin, die sie
so dringend brauchen. Und schließlich musst du noch das Zeichen
finden, welches das unsere ist, und den Platz entdecken, den es in
deiner Seele einnimmt. Erkenne das Zeichen, und dann wirst
du sie zum Sieg führen.