EPILOG
Von allen, die Breaca hätten folgen können, war
Valerius es, der sich nun zu ihr ans Ufer des Flusses gesellte. Sie
war überrascht.
»Airmid kümmert sich um Longinus«, begann er, wie
um seine Anwesenheit zu erklären. »Madb und Huw haben ihn auf dem
Schlachtfeld gefunden und ihn mit sich genommen, als sie flohen. Es
besteht zwar noch immer die Möglichkeit, dass er dir folgen wird...
Aber wir tun unser Bestes, um ihn noch eine Weile bei uns zu
behalten.« Das vertraute, trockene Lächeln huschte über seine
Lippen. »Es wäre schon sehr schmerzhaft, euch beide in derselben
Schlacht zu verlieren.«
Ich bin nicht verloren.
»Nein. Ich bin lange genug mit den Toten
marschiert, um das zu wissen. Trotzdem werde ich nicht weniger um
dich trauern, als wenn du tatsächlich verloren wärst. Und wenn ich
am Morgen erwache, wird der Schmerz, den ich über deinen Verlust
empfinde, nicht kleiner sein - der Schmerz darüber, wieder einen
Tag ohne dich verbringen zu müssen. Die Welt ist ärmer geworden
durch deinen Tod.«
Und du könntest die Welt verbessern, wenn
du es nur versuchst.
»Wir können Rom nicht schlagen. Der Kampfgeist
des Heeres ist gebrochen. Es gibt nun keine Bodicea mehr, die die
Krieger noch zusammenhalten könnte.«
Und es wird auch über Jahre, über
Generationen hinweg keine Bodicea mehr geben. Wir besaßen das
Privileg, noch die letzten Strahlen des Lichts erblicken zu dürfen.
Nun ist die Dämmerung hereingebrochen und eine Zeit der Trauer, der
Beginn des Winters, ehe es abermals Frühling wird. Auf den Tag
folgt die Nacht, und in der Dunkelheit herrschen Kälte und Kummer.
Doch es wird auch wieder Tag werden, dann, wenn Rom und alles, was
aus Rom entstammte, wieder verschwunden ist.
»Nur dass ich dann nicht mehr am Leben sein
werde. Und auch unsere Kinder sind dann schon tot, ebenso wie die
Kinder unserer Kinder.«
Du hast recht. Keiner von euch wird dann
noch am Leben sein. Aber ihr könnt die Saat säen, die Saat für all
das, was eines Morgens, wenn die Nacht schwindet und die Sonne neue
Hoffnung verheißt, wieder erwachsen könnte. Die Götter kennen keine
Zeit, und sie werden hier sein, wenn jene, die sie brauchen,
wiederkehren. Aber um die Götter zu erreichen, müssen die Kinder
wissen, was diese Götter einst für uns waren und was sie wieder
werden könnten. Und genau das ist die Aufgabe, die es nun zu
erfüllen gilt: dafür Sorge zu tragen, dass die Saat bereits
ausgesät ist, wenn abermals der helle Tag anbricht.
Breit lag der Fluss vor ihr, ebenso wie die
Trittsteine und das Licht am anderen Ufer, das sie willkommen hieß.
Und dort drüben warteten auch Dubornos und die Krähen, die Breaca
auf ihrer Reise über den Fluss begleiten würden.
Bán, ich muss nun gehen. Valerius zuckte
nicht mehr erschrocken zusammen, als er seinen einstigen Namen
hörte. Falls du diesen Namen nicht mehr annehmen möchtest, dann
nenne dafür deine Tochter Bán. Der Klang passt zu einem Mädchen und
einer Frau ebenso gut wie zu einem Mann und Jungen. Damit
beugte Breaca sich zu ihm hinüber, küsste ihn und nannte ihn auch
noch einmal bei seinem anderen Namen. Und zum ersten Mal blieben
ihr die Laute nicht regelrecht in der Kehle stecken. Du musst
nun zurück, Valerius. Und finde heraus, was für ein Gefühl es ist,
mit den beiden Teilen deiner Seele im Einklang zu leben und beide
Götter in deinem Inneren zu lieben. Das ist schließlich die
Belohnung für all das, was du durchgemacht hast.
»Ich weiß.« Er weinte, schweigend. Seine Tränen
nährten den Fluss, ließen ihn rasch und wunderschön und auf ewig
dahinfließen, jenen Fluss, der das Land des Lebens von dem Land
hinter dem Leben trennte.
Sanft fühlte Breaca Valerius’ Liebe über sie
streifen, als er ging, und erwiderte die Liebkosung.
Der Fluss lockte sie, das Land hinter dem Fluss
rief sie zu sich.
»Breaca?«
Sie kannte diese Stimme, hatte sie schon immer
gekannt und würde sie immer kennen. Sie wandte sich noch einmal um
und entdeckte Airmid. Diese stand weit hinten, ganz am Ende des
Weges, und allein. Airmid war von der Göttin, der sie diente,
Nemain, kaum mehr zu unterscheiden. Genauso wie auch Breaca nicht
mehr zu unterscheiden war von Briga, jener Göttin, von der sie ihr
ganzes Leben über geführt worden war.
Sie trafen einander an einem Ort, an dem keine
Zeit mehr existierte. Ich werde auf dich warten, sagte
Breaca, so wie ich stets auf dich gewartet habe während all der
Lebenszyklen.
Airmids Lächeln war das Strahlen des Mondes. »Ja,
so wie manchmal auch ich auf dich gewartet habe und wieder warten
werde. Ich werde da sein, wenn du nach mir rufst.«
Dann, an jenem Ort, an dem es keine Zeit gab,
trennten sie sich voneinander, und Breaca setzte den Fuß auf den
ersten der Trittsteine.
Ihre Mutter war da, ebenso wie ihr Vater, und
jung und fröhlich stürmte Stone auf sie zu, gefolgt von Hail, jenem
Hund, den Breaca noch vor Stone geliebt hatte. Und auch eine alte
graue Stute war da. Und schließlich sah Breaca, was sie noch nicht
hatte erkennen können, als Dubornos über den letzten der Steine
sprang: Sie sah, dass das Land hinter dem Leben das Land ihres
Herzens war, weit und unberührt und unbeschmutzt von allen
menschlichen Anstrengungen, und selbst die Götter warteten dort auf
sie, alle Götter, sowohl jene, denen sie gefolgt war, als auch
jene, die nicht zu ihrem Leben gehört hatten, und sie alle boten
Breaca nun das Geschenk ihrer Liebe.