ANMERKUNG DER AUTORIN
Nun, am Ende, bleibt nur noch wenig zu
sagen.
Der abschließende Teil der geschilderten Historie
ist zugleich jener Teil mit der höchsten zeitlichen Kongruenz und
den meisten historischen Belegen. Genau genommen ist es sogar
nahezu der einzige Abschnitt aus der britischen Frühgeschichte,
dessen Ablauf die Archäologie anhand von Beweisen zweifelsfrei
rekonstruieren konnte: Colchester, Chelmsford, London, St. Albans
und eine ganze Reihe kleinerer Städte wurden alle binnen des ersten
Jahrhunderts nach Christi Geburt durch Brandschatzung in Schutt und
Asche gelegt.
Das Wissen darüber, in welcher Reihenfolge diese
Städte zerstört wurden, mit welchen Mitteln und aus welchen
Beweggründen heraus stammt von Tacitus. Sein Bericht ist nüchtern
und glaubwürdig, wie auch sämtliche andere seiner Aufzeichnungen
keinerlei Mangel an Plausibilität erkennen lassen. Folglich darf
davon ausgegangen werden, dass die Grunddaten der schriftlichen
Niederlegung der Geschichte der Bodicea auch den tatsächlichen
Ereignissen entsprechen - wenn man von kleineren Übertreibungen,
wie sie von Seiten des Siegers stets in die Schilderung der
Geschichte mit einfließen, einmal absehen mag.
Nur an wenigen Stellen in meinem Werk bin ich von
der allgemein anerkannten Deutung seiner Berichte ein wenig
abgerückt. Die wichtigste von diesen Abweichungen dürfte sein, dass
ich die Neunte Legion in ihrem Versuch, Colchester vielleicht doch
noch retten zu können, geradewegs den heute als Peddar’s Way
bekannten Pfad habe hinabmarschieren lassen. Es gibt nämlich
nachhaltige Anhaltspunkte dafür, dass der Wash, der Meerbusen an
der englischen Nordseeküste, sich zu Zeiten der Bodicea noch nicht
derart weit ins Landesinnere erstreckte, wie es heute der Fall ist,
sodass die geschilderte Route mit Abstand die kürzeste Verbindung
zwischen dem Fort der Neunten Legion und dem heutigen Colchester
war.
Darüber hinaus habe ich das Kriegsheer der
Bodicea zunächst in zwei Einzelheere aufgeteilt, ehe diese getrennt
voneinander zum Angriff auf Lugdunum und Verulamium (London und St.
Albans) ansetzten. Dies ist aus geografischer Sicht im Kriegsfall
das logischere Vorgehen; ansonsten hätte das Gesamtheer zwischen
den beiden Angriffen einen zeitraubenden Rückweg in Kauf nehmen
müssen.
Die meisten Diskussionen dürfte jedoch aufwerfen,
dass ich die abschließende Schlacht zwischen Rom und der Bodicea
nicht an den nach gegenwärtigem Forschungsstand angenommenen Ort
für dieses Geschehen, nämlich Mancetter in der Nähe von Leicester,
gelegt habe, sondern ein Stück weiter westlich. Denn egal in wie
vielen Sagen und Mutmaßungen Mancetter auch als Ort der letzten
Schlacht bekräftigt sein mag, so erscheint es mir aus rationaler
Sicht doch höchst unwahrscheinlich, dass in dem von den Historikern
als Austragungsort identifizierten Tal tatsächlich mehrere
Zehntausende von Kriegern auf rund zehntausend Legionare getroffen
sein sollen. Denn wenn dem so gewesen wäre, hätten die modernen
Metalldetektoren mittlerweile doch wohl zumindest eine einzige
Gürtelschließe oder auch nur eine einzige Rüstungsklammer gefunden.
Aber nichts dergleichen ist bislang aufgetaucht.
Schließlich habe ich der Bodicea dann noch jenes
Ende in der Schlacht vergönnt, das ihrem Wesen meiner Meinung nach
am ehesten gerecht wird. Weder das von Tacitus erwähnte Gift - das
Standardmittel, das eine anständige römische Matrone zu verwenden
hatte, wenn sie sich das Leben nahm -, noch die von Dio Cassius
angeführte »Krankheit« sind ihrer würdig und scheinen überdies auch
nicht sonderlich plausibel.
Die meisten anderen Charaktere sind weitgehend
fiktional, wenngleich zumindest zwei Kommandeure tatsächlich eine
historische Erwähnung finden.
Zum einen wäre hier Petillius Cerialis zu nennen,
der als ungestümer Legat der Neunten Legion offenbar eine nahezu
totale Vernichtung seiner Truppen überlebte und sich mit lediglich
seinen Standartenträgern und einem kleinen Rest der Kavallerie in
seine Festung flüchten konnte. Später wurde er zum Gouverneur von
ganz Britannien ernannt, was nahelegt, dass Rom sein Vorgehen im
Krieg durchaus anerkannte, zumindest aber nicht missbilligte.
Zum zweiten wäre Suetonius Paulinus zu nennen,
dessen Handeln als Gouverneur mehr oder weniger folgender
Schilderung entsprechen dürfte: Paulinus befand sich mitten im
Angriffskrieg auf die Insel Mona, als ihm die Nachricht von der
Revolte überbracht wurde. Darauf nahm er ein Schiff in Richtung
Süden und eilte anschließend zu Pferd ins Landesinnere, um sich
selbst ein Bild von der Situation in London zu machen, entschied
dann aber offenbar, dass die Lage hoffnungslos wäre, und ritt
wieder davon, während er die Bevölkerung Londons ohne Chance auf
Verteidigung dem Kriegsheer der Bodicea überließ.
Nachdem die Revolte niedergeschlagen war, ließ er
in einem offensichtlichen Akt der Rache eine Woge der Gewalt über
das Land hereinbrechen. Nero berief Paulinus schließlich wieder
zurück nach Rom, weil Letzterer die Stammesangehörigen wohl selbst
für römische Begriffe zu grausam behandelte, und setzte an dessen
Stelle Turpilianus als neuen Gouverneur ein, der mit den
verbliebenen Stammesführern auf deutlich diplomatischerem Wege
umging oder aber zumindest, wie Tacitus es beschreibt, »[seine]
zahme Tatenlosigkeit unter dem ehrbaren Deckmantel des Friedens« zu
verbergen wusste.
Was die Charaktere auf Seiten der Eingeborenen
betrifft, so basieren Dubornos’ erdachtes Leben und die näheren
Umstände seines Todes auf der Entdeckung einer Moorleiche, die
einst ein junger Mann, ein »druidischer Prinz« gewesen sein soll.
Dieser Prinz starb den dreifaltigen Tod, was bedeutete, dass er
zunächst einen Schlag auf den Schädel erhielt, dann mit Hilfe eines
Seils stranguliert wurde und schließlich im Torfmoor ertrank. Er
war nackt bis auf ein Band aus Fuchsfell, das seinen Oberarm
umschloss. Zudem befand er sich in gutem Ernährungszustand, war
durchtrainiert und hatte die Überreste eines Haferfladens in seinem
Magen.
Archäologen sind aufgrund dieser Anhaltspunkte zu
dem Schluss gekommen, dass der Tod des jungen Mannes als Opfer an
die Götter seiner Zeit und seines Landes zu verstehen ist. In
unserer heutigen Gesellschaft werden derlei Rituale oftmals nur mit
Spott betrachtet. Ich dagegen war schon immer der Ansicht, dass ein
ganz und gar aus freiem Willen dargebrachtes menschliches
Lebendopfer, bei dem ausdrücklich kein Dritter in irgendeiner Weise
zu Schaden kommt, nicht grundsätzlich mit Abscheu zu betrachten
ist; zumal wenn das Opfer sich diesem Ritual in dem festen Glauben
darbietet, mit dieser Geste eine wichtige Botschaft unmittelbar
über den Fluss zwischen Leben und Tod und hinein in das Land des
Todes zu transportieren. In jedem Fall ist diese Opfergabe eine
ganz andere Art der Fürbitte, als das sinnlose Abschlachten von
Tieren oder das Töten von Menschen, die in Wahrheit doch gar nicht
sterben wollen.
Mit dem Schreiben dieser Tetralogie ging für
mich auch eine außergewöhnliche, ganz persönliche Odyssee einher,
während der sich fast jeder Aspekt meines Lebens grundlegend
veränderte. Der Großteil dieser Veränderungen dürfte der stetig
eindringlicher werdenden Erfahrung des Träumens zuzuschreiben sein,
die mir durch die Bodicea und all jene, die sie begleiten, vergönnt
ist. Ich bezweifle sehr stark, ob die Charaktere, die bereits meine
Träume bevölkern, sich aus diesen freiwillig oder gar leise wieder
zurückziehen werden. Eher im Gegenteil, denn diese Seelen klopfen
bereits an weiteren Türen an und auf ganz neue Art und Weise.
Sollten mein Leben und die Zeit es mir also erlauben, so werde ich
mich auch noch jener geschichtlichen Episode widmen, die dem
zeitlichen Rahmen, in dem diese Tetralogie sich abspielt,
vorgelagert ist. Ich werde also auch die Geschichte Alexandriens
und Monas erforschen, um mich dann wieder ein wenig in unserer Zeit
vorzutasten, um das Rom nach dem Aufstand der Stämme Britanniens zu
betrachten und natürlich das Ende der römischen Lebensweise in
Britannien. All jene Leser, die bereits vertraut sind mit der
Artussage, werden gleich vom ersten Buch dieser Serie an erkannt
haben, dass in der Geschichte der Bodicea eine ganz ähnliche Saat
keimt wie im Artuskult. Ich weiß noch nicht, wohin diese
Parallelität schließlich noch führen mag, aber dies herauszufinden
wäre mit Sicherheit hochinteressant.
Die Welt außerhalb meiner Geschichte hat sich
unterdessen in weitaus dramatischerer Weise verändert als mein
eigenes Leben. Als ich mit meinem Buch Die Herrin der Kelten
begann, hatte auch gerade das neue Jahrtausend begonnen, und voller
Hoffnung auf eine andere, vielleicht bessere Zukunft schritt man
ihm entgegen. Stattdessen aber sind Kriege und Naturkatastrophen
über die Erde hereingebrochen. Insbesondere habe ich mit ansehen
müssen, wie die Regierungsmächte meines Landes einen Krieg gegen
einen nur allzu fernen Staat ausgerufen haben, der - was immer man
auch über die Rechtmäßigkeit dieses Krieges denken mag - in jedem
Fall jedoch erhebliche Ähnlichkeiten aufweist mit der römischen
Invasion in Britannien vor annähernd zweitausend Jahren. Angefangen
bei den variierenden Gründen für diese Invasion und bei dem
Versuch, die örtlichen Ressourcen des eroberten Gebietes in
profitable Gewinne für ein weit entferntes Land zu verwandeln, bis
hin zu der Borniertheit, sich einfach einmal auszumalen, dass ein
solches Eingreifen in einen fremden Staat zwangsläufig den Aufstand
der dort Ansässigen zur Folge haben wird, spiegelt die Invasion im
Irak aus meiner Sicht genau jenen Prozess wider, der sich auch im
Vorgehen der Legionen während der Eroberung Britanniens
zeigte.
Andererseits besteht überhaupt kein Zwang, den
Pfad, den andere Menschen vor etwa zweitausend Jahren begründet
haben, nun ein zweites Mal entlangzuschreiten. Was einmal geschehen
ist, muss sich nicht grundsätzlich ein zweites Mal so ereignen,
außer, wir lassen dies mangels persönlichem Engagement einfach so
passieren oder beschließen gar, dass die Geschichte sich genau so
noch einmal wiederholen soll. Es scheint, als würde mein Land
regiert von den Nachkommen Roms. Vielleicht haben diese ihren
Einfluss sogar über die ganze Welt ausgedehnt, in dem Bestreben,
alles das, was sie nicht verstehen, unterwerfen zu wollen. Jene von
uns aber, die gelernt haben, unser Land mit anderen Sinnen zu
ertasten und zu verstehen, dürfen wohl guten Gewissens dem Glauben
anhängen, dass der Griff, mit dem die Nachfolger Roms unsere Welt
gepackt halten, sich langsam lockert, und dass die berechtigte
Hoffnung besteht, dass wir letztendlich alle zu einer anderen
Sichtweise der Welt gelangen könnten. Die Hoffnung, dass wir lernen
können von jenen Menschen, die wir einst waren, auf dass wir zu
anderen Menschen reifen als jenen, zu denen wir uns ohne diese
Einsicht entwickelt hätten.
Hätte die Bodicea ihre letzte Schlacht gewonnen,
so wäre die Welt nun sicherlich eine andere. Doch sie verlor, und
die Konsequenzen bestimmen unser aller Leben. Es ist zu spät, um
sich umzuwenden und den Lauf der Geschichte zu korrigieren. Doch es
ist nicht zu spät, um, erfüllt von neuen Einsichten, tatkräftig
nach vorn zu schreiten.
Suffolk, Herbst 2005
Für all jene, die Interesse haben am Erlernen
des Träumens, bietet die Internetpräsenz der Autorin, http://www.mandascott.co.uk, eine
Vielzahl an aktuellen Traum-Workshops, an Lesetipps und weiteren
Quellen.