»Nein, ich sterbe nicht ganz,

über das Grab hinaus bleibt mein edleres Ich.«

Horaz

Bender goss mit schwerem Herzen noch einmal Morells Pflanzen – wenigstens die hatten überlebt. Die Übelkeit, die er bereits seit dem Vormittag verspürte, wurde immer schlimmer – es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis der Chef hier auftauchte. Nun ja, wenigstens hatte er es dann hinter sich. Stellenanzeigen hatte er bereits durchgeschaut und auch schon eine Bewerbung geschrieben. Wenn Morell ihn rausschmiss, wovon auszugehen war, würde er sie gleich heute noch abschicken. Der neue Job war zwar in Innsbruck, aber immerhin hatte er Fred auf dem Gewissen – er hatte es also verdient, umziehen zu müssen.

Als er mit den Pflanzen fertig war, ging er zur Balkontür und kippte sie, um noch einmal ordentlich durchzulüften. Morell musste ja nicht unbedingt seinen Angstschweiß riechen, der wahrscheinlich bereits das ganze Haus erfüllte.

Gerade als er sich umdrehte, um die Dosen mit dem Katzenfutter wegzuräumen – der Chef sollte nicht mehr als nötig an den dahingeschiedenen Fred erinnert werden –, hörte er ein klägliches Maunzen. Er ging zurück zur Balkontür, öffnete sie ganz und schaute nach unten, von wo ihn zwei große, vorwurfsvolle Augen anstarrten.

Es dauerte einige Momente, bis Bender realisierte, dass es sich bei der Katze, die da auf dem Balkon saß, um den etwas erschlankten Fred handelte.

»FRED!«, rief er, hob den Kater hoch und küsste ihn. »Du alter Schlawiner, ich dachte, du seiest tot. Wo warst du denn die ganze Zeit?« Er musterte den Balkon. »Warst du etwa die ganze Zeit hier draußen? Ach, egal. Hauptsache, du bist wieder da!« Er drückte Fred so fest an sich, dass der Kater zu fauchen und zu kratzen anfing.

»Er mag nicht gern geknuddelt werden.«

Bender fuhr erschrocken herum und schaute direkt in Morells rundliches Gesicht. »Chef … Hallo … Wie schön, Sie zu sehen.« Er setzte den Kater auf den Boden. Dieser rannte sofort zu seiner Futterschüssel und schien ziemlich verärgert darüber zu sein, dass sie leer war.

»Er ist dünner geworden«, stellte Morell fest. »Wie hast du das angestellt?«

»Ich … ähm … ich dachte, sein Übergewicht sei nicht gesund, und habe mir darum erlaubt, Fred auf Diät zu setzen.« Er schaute Morells Bauch an. »Das würde Ihnen übrigens auch nicht schaden. Doktor Levi hat doch gesagt …«

Morell blickte empört erst auf seinen Bauch und dann zu Bender. »Erstens ist es mir egal, was Doktor Levi sagt, und zweitens habe ich bereits ein wenig abgenommen.«

»Echt?«

Morell kam nicht dazu, zu antworten, da sein Telefon klingelte. »Wart kurz«, sagte er zu seinem Assistenten.

»Nein, schon gut. Ich muss eh los«, winkte Bender ab und verschwand. Er würde sich jetzt im Wirtshaus erst einmal ein großes Bier gönnen. Nach der ganzen Aufregung wegen Fred hatte er sich das verdient. Immerhin war er in Gedanken schon aus Landau weggezogen.

»Otto Morell«, meldete sich der Chefinspektor.

»Hallo, Otto, ich bin es, Valerie. Wie wäre es denn, wenn wir uns bald mal treffen. Hättest du Zeit?«

Morell merkte, wie sein Herz vor Freude einen Hüpfer machte.