»Der Ruhm holt nicht die Toten ein,

sondern nur ihre Namen und ihr Grab.«

Ernst Wiechert

Chefinspektor Roman Weber war noch immer sauer wegen der Namensverwechslung in der Zeitung. Mehr als einmal hatte er sich überlegt, wie er die Reporterin dazu bringen konnte, alles richtigzustellen. Der Held von Wien hieß Roman WEBER und nicht WEHNER! »Ach, das ist doch nicht so schlimm. Das kann ja immer mal passieren. Das merkt ja keiner«, hatte die inkompetente Schnepfe versucht ihn abzuspeisen. Aber von wegen das merkt ja keiner: Er war in den letzten Tagen einige Male als Herr Wehner auf der Straße angesprochen worden. Am liebsten hätte er die blöde Schreibtante verhaftet und weggesperrt. Wo kam man denn hin, wenn die Meinungsmacher der Nation nicht einmal mehr in der Lage waren, einen einfachen Namen richtig zu schreiben? Er hieß ja immerhin Weber und nicht Trzesniewski oder Hrvoje.

Doch die Frau hatte Glück. Er hatte nämlich schon wieder einen Mord aufzuklären – und darum erstens keine Zeit, sich weiter um die Richtigstellung zu kümmern, und zweitens war das vielleicht seine Chance. Wenn er es schaffte, die Sache wieder so schnell und effizient aufzuklären wie im Fall Novak, dann würde die Presse sicher noch einen Artikel über ihn schreiben und im Rahmen dessen würde er diesmal sicherstellen, dass sein Name korrekt geschrieben war. Roman W-E-B-E-R, seines Zeichens der Held von Wien.

Der Druck war jetzt natürlich umso größer. Es ging nicht nur darum, einen Mord aufzuklären, sondern auch darum, seinen Namen ins rechte Licht zu rücken. »Ran ans Werk.« Er klatschte in die Hände und piepste seinen Kollegen Theo Wojnar an.

»Und?«, wollte er von Wojnar wissen, als dieser seinen Kopf ins Büro steckte. »Hast du schon den schwulenfeindlichen Typen ausgeforscht, der Meinrad damals krankenhausreif geschlagen hat?«

Wojnar nickte. »Franz Herrmanns. Er wird gerade in den Verhörraum geführt.«

»Gut. Ich werde mich gleich um ihn kümmern.«

Wojnar druckste herum. Seit der Sache mit dem falschen Namen hatte Webers Laune unterirdische Dimensionen angenommen, und es war in solchen Situationen immer besser, ihn nicht zu reizen und ihm nicht zu widersprechen.

»Gibt’s noch etwas?«

»Ähm … ja … also … Es ist nur so eine Idee.«

»Lass hören!« Weber steckte sich einen Zahnstocher in den Mund, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

»Mir ist bei der Durchsicht von Meinrads Unterlagen aufgefallen, dass er Archäologie studiert hat. Er war außerdem ungefähr im selben Alter wie Novak. Möglicherweise besteht zwischen den beiden Fällen ein Zusammenhang.«

Weber starrte Wojnar an, als hätte dieser nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Falls es dir entgangen sein sollte – Novaks Mörder ist bereits verhaftet.«

»Ja … schon … aber noch ist er nicht verurteilt, und außerdem gibt es ja noch ein paar Ungereimtheiten.«

»Ach was!«, winkte Weber ab. »Lorentz’ Schuld ist so gut wie erwiesen. Zudem wurden die beiden Morde auf eine komplett andere Art und Weise ausgeführt. Die einzige Gemeinsamkeit, die es zwischen den beiden Opfern gibt, ist die, dass beide mit alten Sachen gearbeitet haben, und das tun Tausende von anderen Menschen auch: Antiquitätenhändler, Museumswärter, Restaurateure, Denkmalschützer – oder auch Altenpfleger.«

Wojnar konnte nicht über Webers Witz lachen. »Ich dachte nur, ich sollte es erwähnen.«

»Schon gut. Aber ich bin mir sicher, dass es zwischen den beiden Fällen keinen Zusammenhang gibt. Die Nachbarin hat uns von einem großen, kräftigen Kerl berichtet, der am Tag des Mordes auf der Suche nach Meinrad war. Vielleicht passt ihre Beschreibung ja perfekt auf Herrmanns. Ich werde einen Kollegen zu ihr schicken, damit er sie für eine Gegenüberstellung herbringt. Es würde mich nicht wundern, wenn sie ihn identifizieren würde.«

»Und wenn nicht?«

Weber schlug die Beine übereinander. »Falls Herrmanns nicht unser Mann ist, habe ich auch noch eine zweite Theorie, die ich verfolge. Meinrad war kein unbeschriebenes Blatt und in der Schwulenszene gut bekannt. Ich habe bereits veranlasst, dass ein paar junge Streifenpolizisten sämtliche einschlägigen Etablissements in der Stadt abklappern und herausfinden, mit wem Meinrad in letzter Zeit Verkehr hatte. Eifersucht und verschmähte Liebe sind starke Motive.«

»Nun, wie es aussieht, hast du ja alles im Griff.«

Weber kaute auf seinem Zahnstocher herum und nickte zufrieden. »Wart kurz. Ich komm gleich mit dir runter in den Verhörraum.« Er machte sich schnell eine Notiz – er musste nachher unbedingt noch diese vorlaute Capelli anrufen, um sie nach den Ergebnissen der Obduktion zu fragen. »Kennst du eigentlich schon die neue Gerichtsmedizinerin?«, fragte er Wojnar.

»Nein. Süß?«

»Ganz im Gegenteil. Die kennt ihre Grenzen nicht und überschreitet gern ihre Kompetenzen. Wenn sie mir nachher wieder blöd kommt, werde ich wohl oder übel mal ein Wörtchen mit ihrem Vorgesetzten reden müssen.«