»Ein Grab ist doch immer die beste Befestigung

wider die Stürme des Schicksals.«

Georg Christoph Lichtenberg

Lorentz hockte in seiner Zelle und starrte in die Dunkelheit. Obwohl er hundemüde war, wollte er nicht einschlafen, weil er sich vor dem Aufwachen fürchtete. Der Moment, in dem er langsam aus dem Nebel des Schlafs auftauchte und realisierte, wo er sich befand, war jedes Mal ein Schockerlebnis. Die plötzliche Erkenntnis, dass er im Gefängnis saß, war wie ein Schlag ins Gesicht.

Zu Beginn seiner Haft war er noch zuversichtlich gewesen und hatte geglaubt, dass alles nur ein dummes Missverständnis sei, das sich schnell klären würde. Er war davon überzeugt gewesen, dass er bald wieder nach Hause gehen und normal weiterleben könnte. Aber je mehr Zeit verging, desto mehr schwand dieser Optimismus und wurde durch Verzweiflung, Ungläubigkeit und Panik ersetzt.

Als wäre die ganze Situation nicht schon deprimierend genug, hatte der heutige Tag einen neuen Tiefschlag bereitgehalten, nämlich den Blick in die Zeitung: »Der Uni-Schlächter« lautete die Überschrift auf der Titelseite. Lorentz hatte den Artikel gelesen und nicht fassen können, was dort geschrieben stand. Irgendeine verlogene Reporterin hatte ein Porträt über ihn verfasst, und das, obwohl er noch nie in seinem Leben mit dieser Person gesprochen hatte. Der Bericht, der vor lauter Klischees, Küchenpsychologie und vor allem Lügen nur so strotzte, endete mit den Worten: »Lesen Sie im nächsten Teil unserer Serie ein Porträt über Chefinspektor Roman Weber, den Helden von Wien.«

Lorentz hatte die Zeitung in die Ecke gepfeffert und mit der Faust mehrfach auf seine Matratze eingeschlagen. Von wegen Held. Von wegen Schlächter. Die Rollen in diesem Spiel waren eindeutig falsch verteilt.

Nun saß er hier, schwamm in trüben Gedanken und fürchtete sich vor dem Moment morgen früh, in dem die Realität ausholen und ihm mit voller Wucht ins Gesicht schlagen würde. Das Einzige, was ihn davor bewahrte, durchzudrehen und in Tränen auszubrechen, war der Gedanke an seinen Freund Otto Morell und seine Freundin Nina. Die beiden waren seine letzte Hoffnung.