»Ein Feind, den man zu Grabe trägt, ist nicht schwer.«

Victor Hugo

Als Morell am nächsten Morgen in die Pietät kam, musste er sich schwer zusammenreißen, um Jedler und Eschener nicht sofort laut anzuschreien. Erst brauchte er ein paar handfeste Beweise, dann würde er diesen beiden Widerlingen ordentlich die Meinung geigen.

»Wunderschönen guten Morgen«, sagte Frau Summer, als sie den grantigen Morell im Ausstellungsraum antraf. »Haben Sie schlecht geschlafen? Sie sehen ein bisschen zerknautscht aus.«

Morell griff sich an die Wange und nickte. »Albträume«, sagte er kurz. Ob Frau Summer wohl über alles Bescheid wusste? Oder war sie einfach nur eine unschuldige ältere Dame?

»Sie können gern auf einen Kaffee und ein paar Kekse in mein Büro kommen, um sich ein wenig zu stärken. Wir haben nämlich einen anstrengenden Tag vor uns. Die große Novak-Beerdigung wird heute stattfinden. Herr Eschener und Herr Jedler werden gleich losfahren und sich um die Aufbahrung in der Kirche kümmern. Danach bringen sie den Toten ins Krematorium und werden erst gegen Mittag wieder zurückkommen. Bis dahin müssen wir zwei uns allein um das Geschäft kümmern.«

»Das kriegt ihr schon hin.« Jedler hatte den Raum betreten. Er trug einen dunklen Anzug, hatte sich die Haare gescheitelt und gekämmt und war kaum wiederzuerkennen. »Ich habe den Star der heutigen Show gerade für seinen großen Auftritt fertig gemacht. Frau Novak wird begeistert sein. Ihr Mann sieht so knackig aus wie in den letzten dreißig Jahren nicht mehr.« Er gab Morell einen Stupser. »Komm mit runter und schau’s dir an!«

Morell überlegte kurz. Er war weniger an Novak als mehr an dem Sarg interessiert, in den sie ihn gesteckt hatten, und kam daher widerstrebend mit in den Keller.

»Klasse, nicht wahr?« Jedler strahlte von einem Ohr zum anderen. »Schaut aus wie neu.« Er zeigte auf das Gesicht des Toten, das tatsächlich äußerst frisch und lebendig aussah. Die Naht, die den Kopf mit dem Körper verband, hatte er hinter einer akkurat gebundenen Seidenkrawatte versteckt.

Morell warf nur einen kurzen Blick auf den Leichnam und wandte seine Aufmerksamkeit dann dem Sarg zu. Es war tatsächlich der teure dunkelbraune, aus dem er gestern eine Probe geschabt hatte. Vorsichtig fuhr er mit dem Finger darüber.

»Modell Milano Mahagoni. Vollholz«, sagte Jedler. »Eines unserer besten Stücke. Der kostet 4100 Euro.«

»Fast schade, das gute Stück später einfach zu verbrennen«, versuchte Morell zu locken.

Doch Jedler zuckte nur mit den Schultern. »Da kann man nix machen«, sagte er. »Manche Angehörige wollen ihre Lieben halt nur im teuersten und besten Holzpyjama in die Ewigkeit schicken, und das, obwohl ein einfacher Kremationssarg gerade mal 400 Euro kosten würde. Selber schuld!«

Herr Eschener streckte seinen Kopf zur Tür herein. »Sind Sie so weit, Herr Jedler?«

»Jep. Von mir aus können wir los.«

Morell half Jedler, den Sarg zu verschließen, und ging dann zurück nach oben.

»Können Sie im Lager etwas Ordnung schaffen und anschließend zwei Todesanzeigen für mich aufsetzen?«, bat Frau Summer. »Ich habe gleich ein Beratungsgespräch.«

Morell nickte und lächelte. Das war die perfekte Chance: Jedler und Eschener waren unterwegs, und Frau Summer war beschäftigt. Er schnappte sich sein Handy, sauste in den Keller und rief Capelli an. »Kannst du jetzt gleich herkommen? Es hat sich eine einmalige Gelegenheit ergeben, die dir erlauben würde, heimlich die Toten in der Kühlkammer anzusehen, um festzustellen, ob ihnen irgendetwas fehlt.«

»Das klingt nach einem Plan! Ich kann in circa 15 Minuten bei dir sein.«

»Gut. Ruf mich an, sobald du da bist, dann lasse ich dich durch die Garage herein.«

 

Eine gute Viertelstunde später schlich Morell dicht gefolgt von Capelli in die Kühlkammer. »Ich lasse dich kurz allein hier drin«, sagte er. »Ich schaue schnell einen Sprung nach oben, um zu sehen, was Frau Summer macht.«

»Ja, ja, geh ruhig!«, zwinkerte Capelli. »Ich weiß, dass du es nicht so mit den toten Menschen hast.«

Morell lief rasch nach oben. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Frau Summer noch beschäftigt war, ging er langsam wieder nach unten und wartete vor der Kühlkammer, bis Capelli fertig war.

»Es ist unglaublich«, sagte sie mit ernstem Gesichtsausdruck, schloss die Tür hinter sich und zog ihre Gummihandschuhe aus. »Bei den zwei Leichen, die sich hier befinden, scheinen tatsächlich Sehnen, Knochen und Knorpel entnommen worden zu sein. Die Haut wurde dann dilettantisch wieder vernäht.«

»Was? Aber wieso … warum …?«, stammelte Morell.

»Die Medizin kann so gut wie alle Teile eines Menschen gebrauchen und wiederverwerten, doch es gibt kaum Spender. Viele Pharmafirmen sind deshalb bereit, große Summen für menschliches Gewebe zu bezahlen.«

»O mein Gott«, stöhnte Morell. »Es ist also wirklich wahr. Wie können die das nur mit ihrem Gewissen vereinbaren?«

»Geld«, sagte Capelli trocken. »Für ein paar Euro haben schon viele Menschen ihre Seele verkauft. Ich habe einmal gelesen, dass in den USA ungefähr 250 000 Dollar mit der Verwertung einer ganzen Leiche zu machen sind – das ist schon ein Anreiz.« Sie rümpfte die Nase. »Was sollen wir jetzt tun?«

Morell kratzte sich am Kopf. »Soweit ich weiß, sollen die beiden Toten bald kremiert werden. Wir müssen also schnell handeln, bevor unsere Beweise verbrannt werden.«

»Kannst du die Leichen nicht einfach beschlagnahmen?«

»Ich nicht. Aber ich weiß, wer es kann.« Morell holte tief Luft. »Ich werde Weber anrufen – so können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erstens kann Weber sich um all die schlimmen Dinge kümmern, die hier in der Pietät vor sich gehen, und zweitens kann ich gleich alles bezüglich Harrs mit ihm bereden.« Er wählte die Nummer des Landeskriminalamts.

»Landeskriminalamt Wien, Inspektor Zech am Apparat.«

»Hier spricht Chefinspektor Otto Morell. Ich muss dringend mit Roman Weber sprechen.«

»Einen kleinen Moment bitte.« Wenige Augenblicke später meldete sich derselbe Inspektor wieder. »Herr Morell, es tut mir leid, aber Chefinspektor Weber ist derzeit leider nicht erreichbar.«

»Es ist sehr dringend, könnten Sie mir vielleicht seine Handynummer geben?«

»Dazu bin ich leider nicht befugt. Ich kann aber gerne eine Nachricht entgegennehmen und ihn bitten, Sie zurückzurufen.«

Morell schaute Capelli an und verdrehte die Augen. Wo war Weber, wenn man ihn wirklich mal brauchte? »Ich kann nicht warten! Sie müssen doch irgendetwas für mich tun können.« Morells Tonfall ließ keinen Zweifel an der Dringlichkeit seiner Bitte.

»Ich könnte Sie zu Webers Kollegen, Theodor Wojnar, durchstellen. Er ist im Haus und kennt sich mit Webers Agenden aus.«

Morell fiel ein großer Stein vom Herzen. Wojnar. Das war gut. Wojnar war ein anständiger Kerl, zu dem er stets ein freundschaftliches Verhältnis gehabt hatte. »Ja, bitte stellen Sie mich durch.«

»Otto, wie nett, von dir zu hören. Das Gerücht, dass du in Wien sein sollst, hat hier im LKA bereits die Runde gemacht. Roman war ziemlich aufgebracht, weil du dich anscheinend in seine Angelegenheiten eingemischt hast.« Er lachte. »Was kann ich für dich tun?«

»Hör zu, Theo. Ich habe nicht viel Zeit für lange Erklärungen. Kannst du dich noch an den Fall Benedikt Horsky erinnern?«

»Klar. Wie könnte ich jemals die alte Frau Horsky vergessen? Sie ist monatelang fast täglich zu uns ins Büro gekommen und hat herumgenervt. Was ist mit dem Fall?«

»Frau Horsky hat einen Hinweis gefunden, der darauf hindeutet, dass ihr Sohn am Tag seines Verschwindens einen Termin beim Bestattungsunternehmen Pietät Abendruh hatte. Ich habe herausgefunden, dass dieses Unternehmen mächtig Dreck am Stecken hat. Hier gehen wirklich unglaubliche Dinge vor sich, und ich bin mir sicher, dass Benedikt Horsky das auch entdeckt hat und darum verschwinden musste.«

»Erklär mir das bitte genauer.«

»Dazu ist nicht genügend Zeit. Du musst jetzt gleich in die Pietät kommen, sonst werden die Beweise verbrannt. Zudem haben wir eine gute Chance, die Mitarbeiter auf frischer Tat beim Sargtausch zu erwischen.«

»Bei was?«

»Komm einfach her, dann kannst du es mit eigenen Augen sehen.« Morell gab Wojnar die Adresse. »Am besten du parkst den Wagen ein paar Straßen weiter und rufst mich dann auf dem Handy an, damit ich dich durch die Garage reinlassen kann.«

»Na gut. Ich fahre gleich los. Ich bin ja mal gespannt, was du für mich hast.«

»Das kannst du sein«, murmelte Morell und legte auf. »Das kannst du sein.«

 

Tatsächlich stand Wojnar nur wenige Minuten später vor der Garage der Pietät. »Dann schieß mal los«, sagte er, während Morell ihn nach drinnen führte.

»Warte kurz hier.« Morell bedeutete Wojnar, stehen zu bleiben. »Ich muss schnell nach oben und schauen, ob Frau Summer, die Bestattungsfachkraft, noch beschäftigt ist. Darf ich vorstellen, das ist Frau Dr. Capelli, sie ist Gerichtsmedizinerin und hat mir in diesem Fall geholfen – sie wird dir in der Zwischenzeit alles erklären.«

Als Morell wieder nach unten kam, war Capelli gerade dabei, Wojnar die Leichen zu zeigen, an denen herumgepfuscht worden war.

»Entsetzlich«, hörte er seinen Exkollegen sagen. »Was für eine Ironie, dass dieses Unternehmen sich ausgerechnet Pietät Abendruh schimpft.«

Morell führte Wojnar und Capelli nun ins Lager und erklärte das Prinzip des Sargtausches.

»Brrr«, schüttelte Wojnar sich, nachdem er die ganze Geschichte gehört und das Modell Kennedy genau inspiziert hatte. »Gut, dass du diesen Leuten auf die Schliche gekommen bist.«

»Und nun? Wie wirst du weiter vorgehen?«, fragte Morell.

»Wir werden die Schuldigen verhaften, den Laden schließen und dann die Ermittlungen im Fall Benedikt Horsky neu aufrollen. Ich rufe schnell Verstärkung, und dann werden wir dieses unheilige Rattenloch hier ordentlich aufmischen.«

Gerade als Wojnar dabei war, im LKA anzurufen, wurde die Lagertür schwungvoll aufgerissen. »Herrgott! Was ist denn hier los? Was soll das, Herr Reiter?«, fragte eine völlig fassungslose Frau Summer und schaute mit weitaufgerissenen Augen in die Runde.

»Wir wissen über alles Bescheid«, sagte Morell und zeigte ihr seine Dienstmarke. »Die vertauschten Särge, das entnommene Gewebe …« Wojnar wollte ihn unterbrechen und etwas hinzufügen, aber Morell bedeutete ihm zu schweigen. Er hoffte, dass Frau Summer unschuldig war, und wollte daher ihre Reaktion genau beobachten.

Sehr zu seinem Bedauern machte Frau Summer jedoch nicht einmal den Versuch, irgendetwas abzustreiten. Sie schlug die Augen nieder und begann leicht zu zittern. »Wie sind Sie uns denn auf die Schliche gekommen?«

»Sie also auch?!« Morell konnte die Enttäuschung in seiner Stimme nicht verbergen.

Frau Summer antwortete nicht, sondern nickte nur.

»Wie konnten Sie nur?!«

»Wir lieben unseren Beruf. Sebastian, Herr Eschener und ich – jeder auf seine eigene Art und Weise. Als vor ein paar Jahren das Geschäft immer schlechter lief, standen wir vor der Wahl: Zusperren und alles aufgeben oder ein paar nicht ganz legale Dinge tun.«

»Nicht ganz legal ist untertrieben.« Morell verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wir haben keinem Menschen geschadet. Den Toten ist es egal, und die Angehörigen wissen von nichts.«

Morell beugte sich vor und schaute Frau Summer in die Augen. »Und was ist mit Mord?«

»Mord?« Frau Summer starrte ihn mit offenem Mund an. »Wir haben doch keinen ermordet!«

»Ach! Und was haben Sie mit dem armen Benedikt Horsky angestellt, nachdem er Ihre Schweinereien aufgedeckt hat? Wir wissen, dass er am Tag seines Verschwindens bei Ihnen war.«

Frau Summer schüttelte energisch den Kopf. »Nein!«, rief sie. »Es war nicht so, wie Sie denken. Es stimmt, dass er etwas über unsere Nebengeschäfte herausgefunden hatte, und es stimmt auch, dass er hier war, um uns zur Rede zu stellen – aber weder ich noch Sebastian oder Herr Eschener haben Hand an ihn gelegt.«

»Wer war es dann? Gibt es noch mehr Menschen, die mit Ihnen unter einer Decke stecken?«

Frau Summer schüttelte erneut den Kopf. »Herr Horsky kam in Escheners Büro gestürmt, hat sich völlig in Rage geredet und war nicht mehr zu stoppen. Er hat geschrien und getobt, und irgendwann hat er nach Luft geschnappt, ist rot angelaufen und einfach umgefallen. Bumm.« Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Rock. »Er ist wie ein Stein auf den Boden geknallt und war auf der Stelle mausetot. Wahrscheinlich war es ein Herzinfarkt.« Sie wischte sich mit zitternden Händen eine Träne von der Wange.

»Und Sie haben nicht einmal einen Krankenwagen gerufen?« Morell war völlig entgeistert.

»Glauben Sie mir«, Frau Summer schnäuzte sich, »mit Toten kennen wir uns aus. Sebastian hat sogar noch probiert, Herrn Horsky wiederzubeleben, aber da war nichts mehr zu machen. Ich schwöre es Ihnen. Wir haben alles Menschenmögliche versucht, aber Horsky war tot.« Sie wischte sich erneut Tränen aus dem Gesicht.

»Und was haben Sie dann gemacht?«, brachte sich Wojnar ins Gespräch ein.

»Wir hatten Angst, dass man uns Horskys Tod in die Schuhe schieben würde. Ein Motiv hätten wir immerhin gehabt, und die Polizei wollten wir auch nicht im Hause haben. Also haben wir in unserer Panik die Leiche verschwinden lassen.«

Morell schüttelte ungläubig den Kopf. »Was haben Sie sich nur dabei gedacht? Gerade Sie müssen doch wissen, wie wichtig es ist, dass man von einem geliebten Menschen Abschied nehmen kann. Können Sie sich überhaupt vorstellen, wie viel Kummer und Leid Sie damit angerichtet haben? Horskys arme Mutter konnte bis heute nicht mit dem Tod ihres Sohnes abschließen.«

Frau Summer brach nun endgültig in Tränen aus. »Es tut mir so leid«, schluchzte sie.

»Und was ist mit dem bedauerlichen Unfall in der Kühlkammer?«, fragte Morell zornig. »Waren Sie das auch? Tut Ihnen das auch leid?«

Frau Summer nickte. »Was hätten wir denn tun sollen? Wir haben geahnt, dass Sie ein Undercoverpolizist sind, und wollten Sie einfach nur ein bisschen erschrecken. Nie im Leben hätten wir zugelassen, dass Ihnen etwas passiert. Wir wollten einfach nur, dass Sie wieder verschwinden.« Sie versuchte vergeblich, die Tränen unter Kontrolle zu bekommen, die wie Sturzbäche aus ihren Augen schossen. »Es tut mir so leid, aber was hätten wir denn tun sollen?«

»Sie hätten sich nie und nimmer auf diese scheußlichen – wie Sie es nennen – Nebengeschäfte einlassen dürfen.« Morell betrachtete die völlig aufgelöste Frau Summer mit einer Mischung aus Mitleid und Abscheu. »Und? Wohin haben Sie den armen Horsky geschafft?«

»Nach oben«, heulte Frau Summer.

»Nach oben?« Morell verstand nicht ganz. »Wo oben?«

Frau Summer deutete an die Decke. »Er ist oben im Ausstellungsraum. Wir haben seinen Körper verbrannt und seine Asche in unsere schönste und teuerste Urne gefüllt.«

Morell ließ vor seinem inneren Auge sämtliche Urnen im Regal vorbeiziehen. »In das Ungetüm aus weißem Marmor, das die Form eines kleinen Hauses hat und mit den goldenen Reitern verziert ist?«, fragte er ungläubig.

»Genau«, nickte Frau Summer. »Das Modell GESEGNET. So haben wir sie genannt, da der Name Benedikt übersetzt so viel wie ›der Gesegnete‹ bedeutet.«

Morell konnte nur noch den Kopf schütteln. Er hatte keine Ahnung gehabt, wie nah er dem so lange vermissten Benedikt Horsky in den letzten Tagen gewesen war – er hatte ihn sogar abgestaubt. Er kam nicht weiter dazu, sich über diese Ironie Gedanken zu machen, da aus dem Flur jetzt Geräusche zu vernehmen waren.

»Schnell, mach weiter!«, rief die Stimme von Herrn Eschener. »Wir haben nicht viel Zeit. In weniger als einer halben Stunde müssen wir im Krematorium sein.«

»Immer mit der Ruhe. Das schaffen wir schon«, entgegnete Jedler und öffnete die Tür zum Lager. Mit weitaufgerissenen Augen starrte er auf die völlig aufgelöste Frau Summer, die beiden Polizisten und Capelli. »Was ist denn hier los?«

»Sie sind wegen Störung der Totenruhe, Leichenschändung, unterlassener Hilfeleistung und Betrugs verhaftet.« Wojnar trat einen Schritt nach vorne und legte dem völlig perplexen Jedler ein Paar Handschellen an.

»Aber …«, begann Eschener.

»Nichts aber.« Wojnar zückte seine Dienstwaffe. »Die Verstärkung muss jeden Moment hier eintreffen, und bis dahin rate ich Ihnen, sich ruhig zu verhalten und kein Wort mehr ohne Ihren Anwalt zu sagen.«

 

Nachdem die Mitarbeiter der Pietät abgeführt worden waren und die Spurensicherung im Keller mit ihrer Arbeit begonnen hatte, gingen Morell und Wojnar nach oben in den Ausstellungsraum. Dort stieg Morell auf einen Stuhl und holte das Modell GESEGNET aus dem Regal. »Ich muss dringend noch über etwas anderes mit dir reden«, sagte er, während er sanft über den Deckel der Urne strich. »Was weißt du über den Fall Novak?«

»Einiges. Warum? Sag jetzt nicht, dass du darüber auch Informationen hast.«

»Doch.« Morell erzählte Wojnar von dem verschwundenen Foto, der Ausgrabung auf dem Tell Brak, der Teilnehmerliste, auf der neben Novak auch der ermordete Meinrad stand, dem ominösen Königsgrab und dem verschollenen Gustaf Harr.

Wojnar hörte aufmerksam zu und nickte andächtig. »Interessant«, sagte er. »Mir selbst ist die Verbindung zwischen Novak und Meinrad auch schon aufgefallen, und ich habe auch Roman bereits darauf angesprochen.« Er strich sich übers Kinn. »Ich werde ihm deine Geschichte erzählen, aber ich bezweifle, dass er so schnell darauf einsteigen wird. In seinen Augen ist Lorentz ohne Zweifel der Mörder, und er ist fest davon überzeugt, dass der Schuldige im Fall Meinrad in der Wiener Schwulenszene zu suchen ist. Du kennst ihn doch. Erst wenn seine eigenen Ideen sich als Sackgasse herausstellen, wird er andere Meinungen zulassen.«

Morell stöhnte. »Das ist nicht gut«, sagte er. »Wir müssen schnell handeln. Es ist gut möglich, dass die anderen Männer auf dem Foto auch in Gefahr schweben.«

Wojnar stimmte ihm zu. »Okay. Ich werde Roman gleich anrufen und ihm alles erzählen. Sollte er auf stur schalten und darauf bestehen, erst seine eigenen Theorien zu verfolgen, dann werde ich auf eigene Faust versuchen, diesen Harr zu finden, während du in der Zwischenzeit die Ausgrabungsteilnehmer warnst. Wir dürfen nicht zulassen, dass es noch einen Mord gibt.«

Morell nickte und streckte Wojnar seine Hand entgegen. »So machen wir das«, sagte er. »Ach ja – eines noch. Es wäre mir ganz recht, wenn du meinen Namen und auch den von Frau Capelli so weit wie möglich aus dem Spiel lassen könntest. Das würde uns viel Ärger ersparen. Du weißt ja, wie Roman ist – er hasst es, wenn man sich in seine Angelegenheiten einmischt.«

Wojnar schüttelte Morells Hand. »Ich weiß«, sagte er. »Am besten schiebe ich alles auf einen anonymen Anruf.«

»Wunderbar. Dann bis später.«