49
Hochzeitstag
Der Krieger reitet einen schwarzen Hengst. Rauch umhüllt die Burgruine hinter ihm, und der Wind gewährt nur kurze Blicke auf die von Leichen gefüllte Lücke in der hohen, geborstenen Mauer. Derselbe Wind lässt langes schwarzes Haar wie eine Fahne über die Schultern des Reiters wehen und die Reste seines Umhangs flattern. Links und rechts von ihm kommen weitere Reiter aus dem Nebel des Krieges, alles Krieger, ihre Rüstungen verbeult und mit Ruß und Blut verschmiert. Ein hünenhafter Soldat in Plattenpanzer trägt die Standarte, Ankraths schwarzer Keiler auf dem roten Grund von Renar. Einzeln und zu zweit reiten sie, langsam, als ob die große Entfernung, aus der sie beobachtet werden, ihren Bewegungen Eile und Dringlichkeit nimmt. Jeder Huf schlägt mit der Endgültigkeit eines zufallenden Sargdeckels auf den Boden, aber kein Geräusch erklingt dabei. Jeder Sprung und jeder Ruck im Sattel dauern eine Ewigkeit.
Wo sich ein Schmutzbrocken von der Rüstung des Kriegers löst, zeigt das Metall den bunten Glanz von geöltem Stahl. Neben ihm ein älterer dunkelhaariger Ritter, mit einem halben Lächeln auf den dicken Lippen und an der Stirn klebenden schwarzen Locken. Sein Schild zeigt den Kopf eines Adlers in Kupfer, Bronze und Silber. Ein Breitschwert hängt an seiner Hüfte, und am Sattel ist ein Flegel aus schwarzem Eisen befestigt. Ein zweiter Mann in Plattenpanzer auf einem weißen Streitross reitet links von ihnen, in seinem Sattel ebenso zu Hause wie ein Seebär auf dem schwankenden Deck seines Schiffes. Seine Rüstung zeigt die gotischen Gravuren der Pferdeküste, sein Umhang das Blau des Meeres, sein Turnierschild das weiße Schiff und die schwarze Sonne des Hauses Morrow.
Ein Priester folgt ihnen, er hockt voller Unbehagen auf einem störrischen Esel. Der Wind weht ihm grauweiße Haarbüschel ins mürrische Gesicht.
Der Mann in der Mitte, an der Spitze dieser allmählich sichtbar werdenden Streitmacht, blickt geradeaus. Ein Wolfsschädel hängt an seinem Sattelknauf. Der Schädel eines Wolfs oder eines großen Hundes. Das Gesicht des Mannes ist zernarbt, die linke Seite rau und verzerrt, als hätte der Bildhauer die Arbeitsglocke gehört und sein Werk unvollständig gelassen. Vor einem Auge, mit eisernen Bolzen an Rand und Seite des Helms befestigt, befindet sich ein silberner Ring, groß genug, um auf Braue und Jochbein zu ruhen. Wenn man weiß, dass der Rand des Rings gezahnt ist, so kann man glauben, die Zähne zu sehen, aber sie sind Gefangene der Entfernung zwischen uns, ebenso wie jede Botschaft in dem tausend Meter entfernten Blick.
Ich hatte es satt, mich selbst zu beobachten, und klappte den Ring nach oben, um uneingeschränkte Sicht zu haben.
Sie fanden mich nackt. Alles an mir schien verbrannt zu sein, bis auf das Schwert, über dessen Klinge noch immer Flammen tanzten. Noch Stunden blieb das Feuer an ihr, und selbst heute sehe ich dann und wann den Widerschein von Flammen im Stahl. Ich habe dem Schwert einen Namen gegeben. Ich nenne es Gog, obwohl ich glaube, dass es nur ein Echo von ihm enthält, wie das Echo von Fexler Brews, eines Mannes, der sich vor langer Zeit mit einem 45er Colt in einer Stasiskammer erschoss. Die Welt drehte sich, sagte er. Und sie ließ ihn zurück.
Ich hatte die Augen geöffnet, als Makin mich in seinen Umhang wickelte. Die Wunde in meiner Brust bestand aus rosaroten Rändern und weißen Nähten – das Feuer hatte alle Reste der Nekromantie in mir verbrannt, und als es schließlich aufhörte, als die Flammen aus mir wichen, holte der Tod sich Gog. Ich fühlte die Abwesenheit von beidem, wie Löcher in der Welt. Gog existiert nicht mehr. Ich werde ihn nie wiedersehen.
Das Feuer hat mich verlassen, denn es war immer seins, nie meins, und die Nekromantie ebenfalls. Ich mag jetzt Kleidung und eine Rüstung tragen, aber ich bin wieder nackt vor der Welt und muss allein mit Scharfsinn, Zunge und Klinge der Ankraths zurechtkommen.
Wenn sie nicht um mich gekämpft hätten, Ferrakind und der Tote König, wenn einer von ihnen seine Aufmerksamkeit auf mich gerichtet hätte, als ich mich ihren Sphären öffnete und jene Orte durch mich strömen ließ, mit derart tollkühner Hemmungslosigkeit … Dann hätten sie mich packen und überwältigen können. Solche Mächte lassen sich nicht beherrschen, nicht ohne einen hohen Preis, und zu diesem Preis gehört offenbar der Verlust aller Gründe, aus denen man die Macht will. Es ist ein Opfer, zu dem ich in dem betreffenden Moment bereit gewesen wäre, mit den Armen von Tausenden gegen mich erhoben. Letztendlich, meine Brüder, gibt es keinen Preis, den ich für den Sieg bei unserem Spiel nicht zu zahlen bereit wäre. Kein Opfer ist mir zu groß, um zu verhindern, dass mir jemand seinen Willen aufzwingt.
Wir reiten nach Pfeil. Ich meine, dass sie mir zumindest eine Burg schulden. Ein Palast wäre auch nicht schlecht. Und all die toten Wahrsager und Hellseher – wir sind jetzt Freunde. Ich bin der Fürst von Pfeil. Fragt Pater Gomst. Er war dabei, er sah hin, während Gott den Blick abwandte. Egan nahm mich in seine Familie auf. Und jetzt ist er tot. Er starb nicht durch meine Hand; seine eigenen Leute haben ihn totgetrampelt. Also bin ich jetzt der Fürst von Pfeil und kehre heim, von Recht und Vision dazu bestimmt, der Kaiser zu sein und auf dem goldenen Thron zu sitzen, hinter dem Goldenen Tor.
Wir reiten nach Pfeil, eine Lawine, die vom Hochland donnert. Diese Welt wird sich meiner Herrschaft beugen. Das Kästchen ist geöffnet, seine Erinnerungen frei, alte Bosheit und Sünden können sich neu entfalten. Ich bin nicht der Junge, der wilde Junge am Rand des Mannesalters, der das Kästchen gefüllt hat. Er steht in meiner Vergangenheit, und die Wölbung der Erde wird ihn bald verbergen, während uns die Jahre weiter voneinander trennen. Ich bin nicht mehr jener Junge, und seine Verbrechen bilden keine Flecken an meinen Händen. Ich reite für Pfeil. Ich werde schultertief in Blut tauchen, wenn es sein muss, so tief, dass kein Fluss mich reinwaschen kann, obwohl sie durch Berge schneiden. Meine Träume gehören jetzt mir, und sie sind dunkel und rein. Wer sie sehen möchte, soll mir in den Weg treten.
Ich habe Sageous gesagt, dass meine Sünden nach mehr verlangen, und ich beabsichtige, ihnen Gesellschaft zu geben. Ich werde verbrennen und peinigen, und Orrins Länder, Egans blutbesudeltes Erbe, werden mein sein. König von Pfeil werde ich sein, und auch König von Normardie, Conaught, Belpan, der Ken-Sümpfe, von Orlanth und des Hochlands von Renar. Ich werde diese Länder nehmen und eine Waffe aus ihren Völkern machen. In Feuer und Blut werde ich sie unter meinen Willen zwingen, denn dies ist ein Spiel ohne Regeln, und ich werde gewinnen, selbst wenn ich die Pforten der Hölle aus den Angeln reißen muss.
Ich schreibe dies, während wir nach einem anstrengenden Tagesritt lagern. Ich kritzelte auf Seiten so weiß, wie man sie mit Gold kaufen kann. Vielleicht waren sie für würdigere Gedanken bestimmt, aber ich setzte meine darauf. Sageous schrieb seine Worte auf die eigene Haut, und es machte ihn schwach. Mein Vater behält seine für sich, und es macht ihn weniger menschlich. Ich schreibe meine hier nieder, als könnten Tinte und Papier die Schuld von mir nehmen. Den Ärzten gefällt es, einen Mann bluten, schlechte Flüssigkeiten aus ihm herausfließen zu lassen, damit er der Welt erneuert gegenübertreten kann. Vielleicht sollten sie ihm einfach nur einen Federkiel geben, damit er das Gift wegschreiben kann, damit das Blut in ihm bleibt und seinen Zweck erfüllt.
Neben meinen Seiten liegen die von Katherine, in der Zerstörung unterhalb des Ridgen-Felsens gefunden. Ich sah sie brennen. Ich sah sie zwischen den Flammen, auf einem schreienden Pferd. Oder war das ein Traum in der Dunkelheit, die den Flammen folgte? Jedenfalls, der Wind verstreute ihre Worte bei den Toten, und ich folgte ihnen zum Kadaver eines Lasttiers. Ich habe einmal gesagt, dass diese Gefühle so heftig sind, dass sie nicht von Dauer sein können. Sie können nur brennen. Sie lassen uns verkohlen, verwandeln uns in Asche. Und wir haben gebrannt, wir beide – aber ich begehre sie dennoch. Doch wenn sie hier bei mir stünde, würde sie mich nur hassen, und Stolz würde meine Zunge in ein Messer verwandeln, das sie schnitte.
Stolz ist meine Stärke und meine Schwäche gewesen, aber es gibt nur drei Dinge, auf die ich stolz bin. Erstens: Ich habe Gottes Finger erklettert, stand ganz oben auf jenem hohen Ort und fand dort eine neue Perspektive. Zweitens: Ich bin für Gog zu dem Berg gegangen, obwohl niemand ihn vor dem Feuer retten konnte, so wie auch niemand mich vor meinem bewahren konnte. Drittens: Ich habe das Allesschwert kennengelernt, ich habe gegen Meister Shimon gekämpft, vom Schwertlied umgeben, und wir haben etwas Schönes daraus gemacht.
Es wird mehr Stolz geben, genug, um darin zu ertrinken, aber vielleicht gibt es nichts mehr, auf das ich stolz sein kann.
Eine Zeit des Schreckens steht bevor. Eine dunkle Zeit. Gräber öffnen sich, immer mehr, und der Tote König bereitet sich darauf vor, in See zu stechen. Doch die Welt enthält Schlimmeres als Tote. Eine dunkle Zeit kommt.
Meine Zeit.
Wenn sie euch nicht gefällt …
Versucht, mich aufzuhalten.