Aus dem Tagebuch von Katherine Ap Scorron
16. Dezember, Jahr 98 Interregnum
Ankrath. Die Hohe Burg. Mein Schlafzimmer. Maery Coddin sitzt auf dem Stuhl in der Ecke und näht. Regen prasselt gegen die Fensterläden.
»Ihr verjagt den Winter, gnädige Frau. Wir baden in der Wärme Eures Lächelns.«
Das sagte der Fürst von Pfeil, als ich die Treppe herunterkam und den Ostsaal betrat. »Gnädige Frau«, nicht »Prinzessin«, denn so ist es im Land namens Pfeil üblich. Gnädige Frau. Klingt vielleicht ein bisschen pompös, aber es entlockte mir ein Lächeln. Vorher war ich sehr ernst gewesen, hatte an Sageous und die Schrift in seinem Gesicht gedacht. Und obwohl Orrins Zeilen vermutlich von einem toten Dichter stammen, fühlte es sich doch an, als ob Orrin sie ernst meinte und für mich gesprochen hätte.
»Ihr seht gut aus, Katherine.«
Das kam von Egan, und sein Bruder verbeugte sich. Nacht und Tag, die beiden. Oder vielleicht Morgen und Zwielicht. Orrin ist blond wie ein Jarl und attraktiv wie die Prinzen und Fürsten in den Büchern, die kleine Prinzessinnen entzücken, bevor sie feststellen, dass es nicht Küsse sind, die Frösche in Prinzen verwandeln, sondern der Besitz einer Burg oder eines Schlosses und einiger Morgen Land. Egan mit seinem kurzen, pechschwarzen Haar, mit der Haut, die sich noch etwas Sonnenbräune bewahrt hat, und einem Gesicht, das brutal wäre und zu einem Fleischer oder Henker passen würde, wenn es dahinter nicht ein Feuer gegeben hätte, eine besondere Kraft, die dazu führt, dass man eine Gänsehaut bekommt.
Und wie lauteten Jorg Ankraths letzte Worte für mich?
»Hast du vielleicht bessere Karten, Tante?«
Als er mich einlud, die Arbeit seines Vaters zu beenden. Als er dort stand, blasser als Orrin, dunkler als Egan, das Haar wie ein finsterer Strom über den Schultern. Er beobachtete mich und mein Messer, das Gesicht scharf und kompliziert, als zeigte es nicht nur den Mann, der er sein würde, sondern auch jenen, der er sein könnte.
Und warum schreibe ich hier über den Jungen, wo es doch Männer gibt, über die es zu sprechen lohnt? Über den Jungen, der mich schlug. Ich glaube nicht, dass er mein Gewand zerriss. Aber bestimmt hat er es in Erwägung gezogen.
Sie baten beide um meine Hand. Orrin mit süßen Worten, die ich nicht festhalten kann. Mit Worten, die bewirkten, dass ich mich perfekt fühlte. Sauber. Ich weiß, dass ich bei ihm sicher wäre, und dass ihm mein Glück am Herzen läge. Ich beschreibe ihn zu … brav. Es stecken Feuer und Stärke in Orrin von Pfeil. In seinem Kern ist er Eisen, und jeder Teil von ihm ist ganz und gar lebendig.
Egan stellte seinen Antrag mit knappen Worten und langen, dunklen Blicken. Ich glaube, seine Leidenschaft würde Sareth zu Tode erschrecken, trotz ihres schmutzigen Mundwerks. Ich glaube, eine schwache Frau würde in seinem Bett sterben. Und eine starke könnte dort das Gefühl bekommen, lebendig zu sein.
Wir wanderten im Rosengarten, den Königin Rowan ein Jahr vor ihrem Tod angelegt hatte, zwischen Burg und Ringmauer. Zuerst ging ich dort mit Orrin, da er der um ein Jahr ältere Bruder ist, und dann mit Egan, mit Maery Coddin als Anstandsdame einen Meter hinter uns. Der Garten ist jetzt verwildert, nicht vernachlässigt, aber ohne Sorg falt gepflegt. Die Rosen hängen verblüht an ihren Stängeln, und alles trägt eine Decke aus Raureif, Dornen wie Blumen. Orrin ging zunächst sch weigend, und nur das Knirschen des Kieses unter seinen Schritten brach die kalte Stille. Die Wolke seines Atems umgab die ersten Worte: »Es wäre nicht leicht, meine Gemahlin zu sein.«
»Ehrlichkeit ist immer erfrischend«, erwiderte ich. »Warum sollte es so schwer sein?«
Und dort zwischen den Rosen erzählte er mir ohne Prahlerei oder Stolz, dass er eines Tages Kaiser sein würde, aber der Weg nach Vyene sei nicht einfach. Gott hatte ihn nicht aufgefordert, ihn zu beschreiten, und es war auch kein Versprechen, das er seinem sterbenden Vater gegeben hatte. Er sah kein Schicksal darin, sondern Pflicht. Ich glaube, Orrin von Pfeil ist sehr außergewöhnlich. Ein wahrhaft guter Mann, mit all der Kraft, all das zu tun, was das Gute in ihm verlangt.
Er hatte natürlich recht. Es mag leicht sein, einen solchen Mann zu lieben, aber viel schwerer ist es, ihn zu heiraten.
Während Orrin zuerst nachdachte und dann von der Zukunft sprach, zögerte Egan nicht und sprach sofort von der Gegenwart. Die Brüder teilten nur Ehrlichkeit. Egan sagte mir, dass er mich wollte, und ich glaubte ihm. Er versprach mir, mich glücklich zu machen, und er beschrieb mir auch das Wie. Wenn ich mich umgedreht hätte … Maerys Gesicht war vermutlich so rot wie meins. Egan erzählte von seinen Pferden, von den Kämpfen, die er bestanden hatte, von den Ländern, die er mir zeigen würde. Ein Teil davon war zweifellos geprahlt, aber letztendlich sprach er von seinen Leidenschaften, von Töten, Reiten, Reisen und auch von mir. Es mag oberflächlich von mir sein, aber zu den einfachen, hauptsächlichen Wonnen eines Mannes wie Egan von Pfeil gezählt zu werden, läuft auf ein Kompliment hinaus. Und ja, vielleicht sieht er mich als eine Trophäe, die es zu erringen gilt, aber ich denke, ich könnte es mit seinem Feuer aufnehmen; er würde vielleicht feststellen, dass ich gut zu ihm passe.
Ich habe ihm gesagt, ich müsste darüber nachdenken.
Sareth hält es für verrückt, dass ich mich nicht sofort für einen entscheide und die Chance ergreife, Ankrath zu verlassen.
Maery Coddin rät mir, Orrin zu wählen. Er hat mehr Land, größere Aussichten und genug Feuer, um sie zu schmelzen, aber nicht genug, um sie zu verbrennen.
Doch ich habe entschieden, zu warten.
8. Februar, Jahr 99 Interregnum
Hohe Burg. Bibliothek. Kalt und leer.
Sareth hat das Ankrath-Luder herausgekehrt. Gekreischt hat sie, laut genug, dass die halbe Burg von einem schleimigen Kopf hörte, der durch ein Loch gedrückt wird, in dem es selbst für Finger eng ist. Nach wenigen Stunden schickte sie mich fort. Wegen meines Schmollens, meinte sie. Eigentlich war ich froh, gehen zu können.
Ich sollte mich für sie freuen. Ich sollte dankbar sein, dass sie beide leben. Ich mag sie, und bestimmt werde ich auch den Jungen mögen. Es ist nicht ihre Schuld, dass er ein Ankrath ist. Doch ich fürchte mich.
Es war kein Schmollen, sondern Furcht. Sareth heulte und kreischte den Rest des Tages und in die Nacht, bis sie das Kind schließlich aus sich herausbekam. Ich wusste von ihrem schmutzigen Mundwerk, aber die Worte, die sie zum Schluss rief … Wie die Bediensteten sie jetzt wohl sehen werden? Und was werden die Tafelritter hinter ihren Visieren von der Königin denken?
Ich fürchte mich, und dieser Federkiel bringt die Furcht in jedes Wort. Ich zittere und muss langsam und sorgfältig schreiben, damit das Geschriebene auch nur lesbar ist.
Im letzten Monat bin ich ausgeblieben, und diesen ebenfalls. Ich denke, bevor das Jahr um ist, werde ich daliegen und schreien, ohne mich darum zu kümmern, was ich sage und wer mich hört. Und für meinen Bastard wird man weder Fahnen hissen noch in der Kapelle beten. Im Gegensatz zum kleinen Prinzen Degran um Mitternacht. Nicht einmal dann, wenn mein Baby das gleiche schwarze Haar hat, das verschleimt am Kopf klebt, und die gleichen dunklen Augen in einem zerdrückten Gesicht.
Ich hasse ihn. Wie konnte er? Wie konnte er alles ruinieren? Letzte Nacht habe ich von Jorg geträumt. In dem Traum kam er zu mir, und ich hatte einen dicken Bauch, weit vorgewölbt, und darin strichen kleine Hände über die Innenseite der Haut. Ich träumte, dass Jorg mit einem Messer kam. Oder vielleicht war es mein Messer. Das lange, schmale. Und er schnitt mich auf, so wie Drane Fische in der Küche aufschneidet, und zog das Baby aus mir, scharlachrot und schreiend.
Ich sollte jemandem davon erzählen. Ich sollte zu Friar Glen gehen und ihm alles berichten. Wie Jorg mich vergewaltigt hat. Und um Vergebung zu bitten, obwohl allein der Himmel weiß, warum es ausgerechnet bei mir liegt, Vergebung zu suchen. Ich sollte gehen. Man würde mich zu den Heiligen Schwestern bei Frau Fels schicken.
Aber ich hasse jenen Mann, diesen untersetzten Friar mit seinen leeren Augen und dicken Fingern. Ich weiß nicht, warum, aber ich hasse ihn noch mehr als Jorg Ankrath. Bei seinem Anblick habe ich das Gefühl, dass sich die Haut am liebsten von mir abschälen und davonkriechen würde.
Oder ich könnte jemanden um Hilfe dabei bitten, das Kind zu verlieren. Im Armenviertel von Scorron gab es alte Mütter mit einer besonderen bitteren Paste. Sie sorgt dafür, dass Ungeborene aus den Frauen herausrutschen, die sich an jene alten Mütter wenden, dass sie klein und tot aus ihnen fallen. Aber das war in Scorron. Ich weiß nicht, wen ich hier um Hilfe bitten könnte. Vielleicht Maery Coddin, aber sie ist zu gut, zu rein. Sie würde Sareth davon erzählen, und Sareth würde es König Olidan sagen, und wer weiß, wie er mich dafür bestrafen würde, dass ich seine Pläne ruiniere, dass ich vom Brett seiner Staatsspiele falle, anstatt mich wie eine gehorsame Spielfigur hin und her schieben zu lassen.
Ich sollte Fürst Orrin oder Egan heiraten. Schnell, bevor man es mir ansieht. Egan würde nicht bis zur Hochzeit warten. Er wäre sofort auf mir. Er würde nie erfahren, dass es nicht sein Kind ist. Orrin aber würde warten.