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Hochzeitstag

Ich hatte schon oft Brüder begraben, sogar Freunde, aber nicht einen von ihnen bei lebendigem Leib.

Wir ließen Coddin in seinem Grab zurück, nicht tot, aber auf halbem Weg ins Jenseits. Über die Stelle, wo er lag, zogen wir uns zurück, und Blut markierte unseren Weg. Ich stürzte mich ins Getümmel und schnitt eine Gasse durch die Soldaten von Pfeil, als wollte ich mitten durch sie zur Spukburg zurück.

Es gibt etwas an einem Kampf, das einen alle Sorgen vergessen lässt. Vielleicht liegt es daran, dass die Sorgen plötzlich winzig sind im Vergleich mit all den neuen Problemen, die in Form von scharfen Klingen vor einem erscheinen.

Vielleicht stimmt mit mir etwas nicht. Vielleicht hat es etwas mit den drei Schritten zu tun, die mich von der Welt vernünftiger, guter Männer trennen. Aber es gibt kaum etwas Befriedigenderes für mich als ein guter parierter Hieb, ein schneller Gegenangriff und der schmerzerfüllte Schrei eines Feindes. Himmel, Geräusch und Gefühl einer durch Fleisch schneidenden Klinge sind so herrlich wie perfekte Flötenklänge. Vorausgesetzt natürlich, dass es nicht mein Fleisch ist. Es kann nicht richtig sein, aber so empfinde ich nun einmal.

Ich kämpfte gut, aber es kamen immer mehr Feinde, als wollten sie alle an diesem Tag sterben. Wir wichen zurück und überließen es ihnen, in Blut auszurutschen und über Leichen zu stolpern. Die meisten von uns fanden Platz genug, sich umzudrehen und zu laufen. Viele von uns schafften es nicht.

Ungefähr zwei Drittel der Wache entkamen durch den Engpass am Ende des Tals und kletterten über die steileren Hänge auf die breite Schulter des Berges weiter oben. Die übrigen Männer, selbst wenn sie nur leicht verletzt waren, wurden vom vorrückenden Heer verschlungen.

Wind ist die scheußlichste Kälte. Ungeschützt an den Hängen bekamen wir in aller Deutlichkeit seine kalten Klauen zu spüren. Das Laufen und Klettern half nicht. Der Wind ließ die Glieder trotzdem kalt werden und nahm ihnen nach und nach die Kraft.

Wir kämpften uns vorwärts, durch den Wind, ein wilder Haufen ohne Ränge und ohne Ordnung. Der Schnee machte uns blind, kleine Flocken, so kalt, dass sie nicht auf den Felsen hafteten. Nicht weit über uns glänzte die Schneegrenze. Dort begann eine weiße Decke, die Felsspalten und Mulden verbarg, alles gleich aussehen ließ. Monotones Weiß, das bis zum Pass des blauen Mondes reichte, der voller Schnee war und sich nicht für die Flucht eignete. Und dahinter erstreckte es sich bis zum Gipfel des Botrang, und noch weiter nach oben, bis zum Himmel.

Ich schloss zu Makin auf, der mit aschfahlem Gesicht taumelte. Er sah mich an, nur ganz kurz, als wäre er so müde, dass er kaum den Kopf heben konnte. Er hatte keinen Atem für Worte, aber sein Blick, so kurz er auch sein mochte, sagte mir, dass wir an diesen Hängen sterben würden. Vielleicht auf dem nächsten Kamm, vielleicht weiter oben, im Schnee, auf dem unser Blut hübsche rote Muster bilden würde.

»Bleib bei mir.« Ich hatte noch etwas Kraft übrig. Nicht viel, aber ein bisschen. »Ich habe einen Plan.«

Ich hoffte, dass ich einen Plan hatte.

Der Wind machte mein Gesicht taub. Auf der rechten Seite, wo Gog Narben hinterlassen hatte, fühlte es sich gut an. Das geplagte Fleisch hatte nie aufgehört zu brennen, als hätten winzige Splitter von Gog einen Weg in die Knochen gefunden, wo sein Feuer weiterhin brannte. Der Wind führte dazu, dass sich mein Gesicht wie ein Eisblock anfühlte, in dem sich Risse bilden würden, wenn ich zu sprechen versuchte. Ich genoss die Erleichterung. Das gelang mir gut: kleine Krümel der Erleichterung zu finden. Manchmal hat man nichts anderes zu essen.

Hinter uns erklangen Schreie, als die langsamsten Männer der Wache auf die schnellsten Soldaten von Pfeil trafen.

Ich hielt den Kopf gesenkt und konzentrierte mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, Luft zu holen und sofort wieder auszuatmen, damit ich erneut Luft holen konnte. Makin neben mir schien sich an jenen entlegenen, einsamen Ort zurückgezogen zu haben, den wir alle finden, wenn wir tief genug graben. Wenn man noch etwas tiefer gräbt, findet man sich plötzlich in der Hölle wieder.

Der Schnee überraschte mich. Im einen Moment das Pochen der Stiefel auf Steinen und Fels, und im nächsten nur noch leises Knirschen in weißem Pulver. Der Übergang von nacktem Felsgestein bis zu kniehohem Schnee brauchte etwa vier Schritte. Noch einmal hundert, und meine Füße waren so taub wie das Gesicht. Ich fragte mich, ob ich Stück für Stück starb, eine langsame Vorstellung statt der traditionellen unerwarteten Umarmung.

Das Schneefeld machte sich daran, uns umzubringen. Einen Weg durch Schnee zu bahnen, ist harte Arbeit. Leichter ist es, dem von zweihundert Männern geschaffenen Weg aus festgetretenem Schnee zu folgen. Wir verloren weitere Gefährten. Natürliche Auslese sorgte dafür, dass uns die zähesten und stärksten Soldaten des Fürsten am nächsten waren, während sich die Schwächeren noch immer durch den Engpass des Tales weiter unten mühten.

»Dort oben!« Ich zeigte auf einen Ort, der sich durch nichts vom übrigen Weiß unterschied. Das Kästchen aus Kupfer ruhte heiß an meiner Hüfte. Ich ging schneller und ließ Makin hinter mir zurück. »Dort oben!« Ich wusste, dass es der richtige Ort war, warum auch immer.

Ich holte das Kästchen hervor und lief weiter. Meine Lunge füllte sich mit Blut, so fühlte es sich an.

Was mich zu Fall brachte, war kein Stein. Der Schnee hatte alle Steine bedeckt, tief unter unseren Füßen. Was mich zu Fall brachte, war etwas Langes und Hartes nahe der Oberfläche. Ein Besenstiel fiel mir ein, als ich fiel. Dann machte das Kästchen schnick, und mein Geist füllte sich mit ganz neuen Dingen. Mit alten Dingen.