32

Nacht. Tiefdunkle Nacht. Es musste Nacht sein, denn die Finsternis war ebenso überwältigend wie trostlos. Sanelas Körper war Beton. Schwer, kalt, reglos. Marmorne Glieder. Eisernes Herz. Nur das Zittern tief drinnen in der Bauchhöhle verriet ihr, dass sie noch lebte.

Sie war unfähig, die Augen zu öffnen. Doch sie atmete. Flach und ruhig, kaum wahrnehmbar. Und ihr Verstand, untergegangen in morastigen Strudeln, tauchte langsam wieder aus der Dunkelheit auf. War sie tot? Oder vollständig gelähmt und gleichzeitig erblindet? Eisige Kälte kroch von unten in ihren Körper. Vielleicht hatte sie Schierling getrunken oder war von etwas anderem vergiftet worden. Egal was es war, es hielt sogar die Panik in Schach. Der Verstand schien sich aus ihrem Körper zu erheben und sich über ihr auszubreiten wie eine Decke. Geist und Körper trennten sich. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Das Zittern in ihrem Bauch wurde schwächer. Also ein schlechtes Zeichen. Sie versuchte, sich zu bewegen, wenigstens die Lider eine Winzigkeit anzuheben – es war unmöglich. Sie verbot ihrem Verstand, auch nur ansatzweise an Panik zu denken. Panik war nur hilfreich, wenn man sich noch bewegen konnte.

Das Zittern erstarb. Der Atem setzte aus. Das war das Ende. Sie war tot. Bevor ihr Geist sich endgültig von ihrem Körper löste, befahl sie ihm, an ihren Vater zu denken. Sie sah sein Gesicht vor sich. Es war jünger, viel jünger. Er war auch größer als sie. Viel größer. Er weinte. Er presste sie an sich, er stammelte unverständliche Worte voller Liebe und Glück, und dabei schluchzte er. Schließlich hielt er sie, ihr Gesicht mit seinen Pranken liebevoll umklammert, eine Armlänge von sich weg und sah ihr in die Augen.

»Du darfst nie darüber sprechen. Verstehst du mich?«

Sie nickte. Damals hatte sie noch daran geglaubt, dass man Dämonen totschweigen konnte.

Das Dorf der Mörder
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