49. Kapitel Rettung in letzter Sekunde

Der Yeti zog Noah in die Tiefen des Wassers. Noah strampelte mit den Füßen, doch es half ihm nichts. Es war so dunkel, dass er kaum etwas sehen konnte. Algen wickelten sich um seine Arme und Beine und strichen schleimig um seinen Hals. Mehr als alles in der Welt brauchte er Luft. Ihm war schwindelig, übel, und sein Herz klopfte wie wild.

Der Yeti starrte ihn an. Noah konnte seine glänzenden Augen direkt vor seinem Gesicht erkennen. Das Biest amüsierte sich offensichtlich über Noahs Überlebenskampf. Für einen Yeti war das ein großer Spaß.

Aus den Augenwinkeln sah Noah etwas von oben kommen. Es sah aus wie eine Silhouette gegen die dunklen Schatten. Im Näherkommen erkannte Noah seinen ovalen Körper und seine langen Flossen. Es war Podgy!

Podgy schwamm um den Kopf des Yetis – zweimal, dreimal. Das Tier folgte den Kreisen verwirrt mit den Augen. Noah sah, dass Podgy ein dickes Seil aus Algen im Schnabel mit sich zog. Beim Schwimmen wickelte er die Algen um den Hals des Tieres. Beim vierten Kreis zog er das Seil fest. Der Yeti ließ Noah los und schlug nach Podgy, verfehlte ihn jedoch. Er strampelte und stieß in der Dunkelheit gegen Noah.

Podgy hatte die beiden Enden der Algenschnur gepackt und schwamm wieder hinauf. Das Gewicht des Yetis jedoch zog zu schwer an ihm, und nach kurzer Zeit schon kam Podgy nicht weiter. Würgend versuchte der Yeti, sich zu befreien. Podgy ließ die Schnur fallen, schwamm dem Yeti zwischen die Beine, packte Noah am Kragen und schoss mit ihm an die Wasseroberfläche. Sie kletterten aus dem Teich und ließen sich erschöpft ans schlammige Ufer fallen.

Ella und Richie eilten zu ihnen.

«Noah!», rief Ella. «Geht es dir gut?»

Noah keuchte und würgte mühsam Wasser.

Schon nach wenigen Sekunden tauchte der Yeti in der Mitte des Teiches auf und schwamm in Richtung Ufer, bis er stehen konnte. Dann fing er an zu laufen, wobei seine Arme mit ausgestreckten Krallen durch das Wasser pflügten. Ella schrie.

Die Scouts hörten donnernde Schritte und drehten sich um. Little Bighorn kam mit gesenktem Horn durch die Bäume geschossen. Als der Yeti das Nashorn erblickte, wurde sein böses Knurren zu einem Wimmern. Eine Sekunde später wurde er von dem Nashorn angegriffen. Der Yeti flog nach hinten durch die Luft und landete tot im Wasser. Mit ausgebreiteten Armen schwamm er auf dem Bauch. Angewidert wandte Noah die Augen ab.

Ella kroch zu Noah. «Geht es dir gut?»

Noah nickte, doch er musste immer noch Wasser spucken.

«Hört mal!», sagte Richie. Er sprang auf und starrte in die Ferne. «Ich höre Mr Darby.»

Über die Kampfgeräusche hinweg hörten die Scouts klar und deutlich Mr Darbys Stimme. Er befahl jedem, sich in die Stadt zurückzuziehen, weil die Yetis aus ihrem geschlossenen Sektor entkamen.

«Nein!», sagte Ella und schüttelte entsetzt den Kopf. «Das ist alles unsere Schuld!»

Blizzard und die Präriehunde stellten sich zu den Scouts. Sie hatten ihren Kampf gewonnen. Die Yetis, die nicht tot oder bewusstlos waren, konnten entkommen.

«Wir müssen hier weg!», keuchte Tank. «Es sind zu viele! Niemand hat das erwartet!»

Noah gelang es aufzustehen. Keuchend wischte er sich über den Mund und sagte: «Geht … schon mal vor. Ich … komme nach.»

«Noah, nein!», rief Ella. «Du hast doch Mr Darby gehört! Wir haben keine Chance –»

Noah drückte seine Handflächen gegen die Knie und versuchte mehr Luft in seine Lungen zu pumpen. Dann sagte er: «Sagt Mr Darby, dass er die Mauer wieder schließen soll. Ich komme schon irgendwie raus – aber nicht ohne Megan.»

Tank wollte gerade etwas sagen, doch Ella unterbrach ihn. «Noah, bitte! Ich will nicht noch einen Freund verlieren!»

«Das wirst du nicht», sagte Noah. «Du bekommst nur deine vermisste Freundin wieder.»

Ella schwieg. Sie verstand, dass Noah dieses Land nicht ohne Megan verlassen würde. Er trat vor und nahm seine Freunde bei der Hand.

«Geht», sagte er. «Ich verspreche euch, wenn all das hier vorbei ist, werden wir wieder in unserem Baumhaus zusammensitzen – wir alle vier.»

Die Scouts umarmten sich. Einen Moment lang vergaß Noah, wo er war. Er vergaß die Gefahr, die Angst und den Schmerz. Nur die Liebe zu seinen besten Freunden existierte.

«Komm mit Megan zurück», sagte Ella.

«Das werde ich», versprach Noah. Dann wandte er sich an seinen muskulösen Freund. «Tank, du musst meine Freunde hier rausbringen.»

Tank sah Noah in die Augen. Dann nickte er kurz und drehte sich zu den anderen um. «Lasst uns gehen, Leute!»

Alle außer Blizzard liefen los. Er kam auf Noah zu, doch Noah hielt die Hand hoch. «Geh, Blizzard. Meine Freunde brauchen dich.»

Blizzard zögerte. Er blinzelte ein paarmal. Dann wandte er sich um und lief den anderen hinterher. Noah sah ihnen nach und versuchte sich ihr Bild einzuprägen. Er fragte sich, ob er sie vielleicht zum letzten Mal sah.

Als sie in der nebligen Nacht verschwanden, wandte Noah sich ab. Dann stampfte er durch den Morast, immer tiefer in das Dunkle Land hinein.

Ganz allein.