26. Kapitel Der Wilde Westen

Die Präriehunde wuselten zwischen Ellas Beinen herum und über ihre Füße. Hin und wieder quiekte einer von ihnen so laut, dass Ella dachte, sie wäre auf einen getreten. Jedes Mal kontrollierte sie hastig ihre Schuhe, fürchtete sich aber gleichzeitig davor, vielleicht tatsächlich die Überreste eines Tieres unter ihren Sohlen zu finden.

Die Präriehunde führten die Scouts an den Zebras und Kamelen vorbei zum Gehege der Präriehunde. Es nannte sich «Der Wilde Westen» und sah aus wie eine Miniaturwüste aus festgetretenem Sand, Grasbüscheln und winzigen Hügeln. Die Wände des Geheges waren steil und hoch; sie sollten verhindern, dass die Präriehunde entkommen konnten. Über die Sandfläche verteilt hatten die Tiere mindestens fünfzig Löcher gegraben, die zu einem Labyrinth aus Untergrundtunneln führten.

Die Tiere sprangen über die Gehegemauern und liefen über den Sandboden, dass der Staub nur so aufwirbelte. Manche hüpften in die Löcher und steckten sogleich die Köpfe wieder hervor, um sich umzusehen; für Ella sah es so aus, als wollten die Tiere sich versichern, dass ihre nächtliche Operation auch gut verlief. Ein paar kehrten nicht in ihre Löcher zurück; stattdessen bissen sie in Ellas und Richies Jeans und zogen sie einen schmalen Weg bis zum Ende ihres Geheges.

«Hey!», sagte Ella.

«Ich glaube», meinte Richie, während sein Fuß immer weiter vorangezogen wurde, «dass wir ihnen folgen sollen.»

Ella wusste, wohin sie gebracht wurden. Hinten im Gehege führten Treppen zu fünf künstlich ausgebauten Tunneln – eine Attraktion für Kinder. Die Tunnel liefen unter dem sandigen Terrain entlang. Man konnte in die Tunnel steigen und den Kopf durch spezielle Öffnungen ins Gehege stecken, die von Plastikkuppeln geschützt waren, damit die Tiere einem nicht die Nasen abknabberten. Dieser Teil des Geheges wurde liebevoll Kinder-Prärie genannt.

Die Präriehunde zogen Ella und Richie die Treppen hinunter. Dann stoben sie auseinander, und die beiden Kinder blieben allein zurück. Die Scouts ließen sich auf alle viere nieder und krochen in den Haupttunnel. Streifen von Mondlicht erhellten den Weg.

«Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, die Stablampe zu benutzen, die du so großzügig dem Nashorngehege gespendet hast», sagte Ella.

Richie antwortete nicht. Er war an Ellas spitze Zunge gewöhnt.

Der Haupttunnel gabelte sich in fünf weitere Tunnel, die in unterschiedliche Richtungen führten. Am Ende eines jeden Tunnels konnte man sich hinstellen. Ella kroch den ersten Tunnel entlang, steckte den Kopf durch das Loch und blickte durch die Plastikkuppel hindurch. Überall wuselten die Präriehunde herum, schossen in ihre Löcher hinein oder wieder heraus. Einer von ihnen kam zu Ellas Kuppel. Er presste seine Schnauze gegen das Plastik und bellte einmal, als wolle er Hallo sagen. Ella bellte zur Antwort zurück, dann kroch sie wieder zu Richie.

«Hast du etwas entdeckt?», fragte er.

«Nein.»

Ein großer Präriehund schoss in den Tunnel, an ihnen vorbei und in einen anderen Tunnel hinein. Am Eingang drehte er sich um, stellte sich auf die Hinterbeine, blickte Ella direkt an und bellte ein paarmal. Dann lief er zurück, an ihnen vorbei und wieder nach draußen.

«Ich glaube, er will, dass wir in diesen Tunnel gehen», sagte Richie. «Komm, wir gucken uns das mal an.»

Die Scouts krochen den Gang entlang, und wieder schob Ella ihren Kopf in die Plastikkuppel am Ende des Tunnels.

«Siehst du was?», fragte Richie. «Irgendwas Ungewöhnliches?»

Ella drehte den Kopf. Alles schien normal zu sein. «Nein, nichts.»

Plötzlich schoss eine Gruppe von Präriehunden über den sandigen Grund auf ihre Kuppel zu. Sie umringten sie und verdeckten mit ihren Körpern beinahe das gesamte Mondlicht. Ella zog den Kopf zurück und starrte Richie an.

«Die Präriehunde haben die Kuppel umringt.» Sie zuckte die Schultern. «Ich weiß nicht, was das bedeuten soll.»

«Ich auch nicht. Guck noch mal nach.»

Sie stand auf und schob den Kopf zurück in die Kuppel. Die Präriehunde stellten sich plötzlich auf die Hinterbeine und sprangen auf die Kuppel. Jedes Mal, wenn ein Tier auf der Plastikoberfläche landete, rutschte es so weit herunter, bis es mit den Pfoten entweder wieder auf den Boden kam oder es sich an einem anderen Präriehund festhalten konnte. Ella zuckte beim Geräusch ihrer Krallen zusammen, die lange, dünne Kratzer auf der Kuppel hinterließen.

«Was machen sie da?», wollte Richie wissen.

«Ich weiß es nicht.»

Die Präriehunde bellten inzwischen so laut, dass die Kuppel die Geräusche nicht länger abhalten konnte. Sie sprangen und kletterten so lange übereinander, bis sie die Kuppel mit ihren pelzigen Bäuchen vollkommen bedeckt hatten. In weniger als einer Minute erreichte der letzte kleine Präriehund die Spitze der Kuppel und legte sich auf den einzigen freien Platz. Dann hörten die wuseligen Tiere auf zu klettern, zu kratzen und zu bellen. Ohne das Licht des Mondes und der Sterne war der Tunnel vollkommen dunkel. Und die Stille war mehr als unheimlich.

«Richie?»

«Ja?»

«Ich versteh–»

Kkrrrraaaaack! Die Plastikkuppel bewegte sich. Kkrrraaackkk! Plötzlich sank sie ein, und ein lautes Kreischen von Metall auf Metall war zu hören. Die Wände wackelten, der Boden verschob sich, und große Klumpen aus Erde und Sand fielen herunter. Die Scouts klammerten sich vor Schreck aneinander.

«Was ist los?», quiekte Richie. «Was machen die denn da?»

«Das ist ein Schalter!», sagte Ella. «Die Kuppel muss ein Schalter sein!»

Der Boden drehte sich.

«Ella, was passiert hier?»

Das kreischende Metallgeräusch wurde lauter, als der Fußboden sich immer schneller im Kreis bewegte. Ella sah nach oben. Die Kuppel drehte sich, und die Präriehunde rutschten von ihr ab.

«Elllaaaa! Waaaa-waaaa-waaaaas passiert hier???!!!»

Ella sah zu Boden. Ein kreisrunder Teil des Fußbodens drehte sich wie der Verschluss einer Colaflasche.

«Riiichiiiieeee!», schrie Ella.

«Wwwaaaas?»

«Halt dich feeeest!»

Richie klammerte sich an Ella. Eine Sekunde später senkte sich der Boden unter ihren Füßen. Und die Scouts fielen in die dunkle Tiefe.