12. Kapitel Der gefleckte Bote

Noah stand neben dem Briefkasten und wartete, dass sich das Tier, das nur eine Silhouette gegen die tiefschwarze Nacht zu sein schien, auf ihn stürzte. Es trug die Dunkelheit wie einen Mantel mit sich. Noah konnte sehen, dass es Ähnlichkeit mit einem Hund hatte, aber größer und schlanker war. Seine Beine wirbelten über den Boden. Mit trommelnden Pfoten folgte es einer Kurve in der Straße und sauste durch den Lichtschein einer Verandalaterne. Eine Sekunde lang sah Noah die auffallende Markierung des Fells.

Flecken.

Das Tier lief am Haus der Meyers vorbei, dann am Bungalow der Smiths und war schließlich nur noch fünf Häuser entfernt. Die Nacht schien von seinem Körper zu weichen, und langsam wurde es erkennbar. Noah sah spitze Ohren, ein weißes Kinn, eine kurze Schnauze und eine kohlschwarze Nase. Und er sah die schwarzen Linien und schwarzen Flecken auf dem orangefarbenen Fell. Etwa drei Meter von Noah entfernt blieb das Tier plötzlich stehen. Den Rest des Weges schlich es langsam. Noah versteckte sich hinter dem Briefkasten. Er traute seinen Augen nicht: ein Gepard! Eine Wildkatze aus dem Zoo lief frei in Noahs Nachbarschaft herum!

Aus lauter Nervosität versuchte Noah es mit einem Witz. «Du bist spät dran, weißt du das?»

Der Gepard kam langsam und vorsichtig näher, blieb vor Noah stehen und rollte den Kopf von einer Seite zur anderen. Die schwarzen Punkte in seinem Gesicht sahen aus wie Tränen, die ihm aus den Augenwinkeln liefen. In seinem Maul trug er einen kleinen, gewebten Beutel.

«Was ist das?»

Das Tier ließ den Beutel fallen und blickte Noah an. Es legte den Kopf zur Seite, knurrte leise und schob den Beutel mit der Nase näher an Noah heran.

«Was ist dadrin?», fragte Noah.

Mit einem letzten Blick auf Noah drehte sich der Gepard um und lief dann wieder die Straße zurück. Innerhalb von Sekunden hatte ihn die Nacht verschluckt.

Noah blickte auf den Beutel vor seinen Füßen. Aus irgendeinem Grund wollte er ihn nicht öffnen.

«Oh Mann», murmelte er. «Das ist doch verrückt. Ich muss das Mom und Dad erzählen.»

Doch dann fiel ihm Tanks Warnung ein: «Erzählt es niemandem … Je mehr Leute davon wissen, desto gefährlicher könnte es werden.»

Aber war Tank wirklich auf ihrer Seite? Noah hob den Beutel vom Rasen auf und öffnete ihn. Etwas fiel heraus und landete klappernd auf dem Weg. Ein goldener Schlüssel!

«Was –?»

Im Beutel befand sich eine Nachricht. Noah zog den Zettel heraus und studierte ihn. Er konnte die Worte nicht erkennen. Darum ging er zu seiner Auffahrt und setzte sich in das Auto seiner Mutter, wo er die Innenbeleuchtung einschalten konnte. Noah ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und las:

Noah,

hier ist der Schlüssel zum Zoo. Er passt für jede Tür. Benutze ihn. Wenn du drin bist, geh schnellstmöglich zum Pinguin-Palast. Ein Pinguin namens Podgy wartet auf dich. Er ist der größte Pinguin im Gehege, du wirst ihn nicht übersehen. Er will dir helfen, genau wie Marlo und Blizzard.

Sei vorsichtig. Eine Menge Leute werden nicht begeistert sein, wenn sie dich treffen. Es gibt sogar ein paar, die dich und die anderen Action Scouts unbedingt daran hindern wollen, Megan zu finden.

 

Wir sehen uns im Inneren.

Tank

Noah blickte über seinen Garten zu der kalten und jetzt bedrohlich wirkenden Mauer des Zoos.

«Tank», murmelte er, «auf welcher Seite stehst du?»

Wieder fragte er sich, ob er vielleicht in eine Falle geraten war. Tank hatte ihnen erklärt, dass das Schicksal der Welt davon abhing, das Geheimnis des Zoos zu wahren. Wie weit würde Tank dafür gehen? Es gab nur einen Weg, um das herauszufinden.

«Ich kann nicht bis morgen früh warten. Ich kann nicht auf Ella und Richie warten. Das muss sofort erledigt werden.»

Noah schob sich den Schlüssel in die Tasche, lief zur Garage und zerrte sein Mountainbike heraus. Er sprang in den Sattel und schoss davon, dass der kalte Wind auf seiner Haut stach.

«Ich bin auf dem Weg, Megan», sagte er. «Halt durch!»

Als er am Garten der Parkers vorbeifuhr, sah er neben der großen Kiefer eine Bewegung. Noah blickte noch einmal hin, doch was immer dort auch gewesen sein mochte, war verschwunden. Nur die Schatten blieben.