35. Kapitel Die Schlacht in den Baumwipfeln

Beeil dich, Blizzard!», rief Richie. «Ich kann die Polizeiaffen schon sehen!»

Blizzard senkte den Kopf und raste voran. Die Bambusstangen waren stabil, doch Noah fragte sich, wie lange die Rampe ihr Gewicht noch tragen würde. Er blickte über die Schulter und sah, wie die Affen aus dem dunklen Gang hervorschossen. Einige blieben stehen, um der außergewöhnlichen Schar von Vögeln zuzusehen, doch die meisten verfolgten die Scouts und kamen schnell näher.

«Sie sind zu schnell!», rief Ella.

Einen Augenblick später drehten die Vögel, die neben den Scouts hergeflogen waren, nach oben ab und gaben dabei ein ohrenbetäubendes Geschrei und Gepfeife von sich. Blizzard ließ sich davon nicht beeindrucken. Er hielt den Kopf gesenkt und lief auf seinen fleischigen Pranken weiter. Seine Klauen schnitten dabei in die Bambusstäbe.

Ella sah nach unten. Fünf schwarze Falken stiegen aus den Tiefen des Vogelhauses auf. Sie flogen langsamer als die anderen Vögel, aber dafür gab es einen guten Grund: Jeder von ihnen hatte einen Präriehund in den Krallen. Sieben Adler folgten den Falken.

«Sie haben sie!», rief Ella über den Lärm hinweg.

Die meisten der kleinen Pelztiere waren steif vor Entsetzen, doch einige sahen ganz entspannt aus, wenn man bedachte, welch schrecklichen Sturz sie gerade hinter sich hatten. Gemeinsam schwangen sich die Adler und Falken hinauf bis zur Bambusrampe und setzten die Präriehunde sicher neben Blizzard auf dem Boden ab.

«Hurra!», rief Ella.

«Ich dachte, du magst keine Präriehunde», meinte Richie.

Doch sie zuckte nur die Schultern. «Die Gefahr macht mich sensibel, schätze ich.»

Blizzard hatte seinen Schritt nicht verlangsamt. Er lief um die Präriehunde herum, als wären es Hindernisse auf dem Weg – und keine lebendigen Wesen, die er möglicherweise zertreten konnte.

Noah sah sich um. Dann deutete er mit dem Finger in eine Richtung: «Wir stecken in der Falle!»

Die Hälfte der Affen sprang jetzt durch die Bäume und hangelte sich von Ast zu Ast, während die anderen zurückblieben.

«Sie klettern an uns vorbei!», rief Ella. «Sie wollen uns umzingeln!»

Den Scouts blieb keine andere Wahl, als weiterzulaufen. Die Affen holten sie ein und kletterten neben und über ihnen an den Ästen vorbei. Kurz darauf ließen sich die schnellen Tiere vor den Scouts auf die Rampe fallen. Blizzard blieb stehen und knurrte drohend. Er schwang den Kopf langsam hin und her, um sich ein Bild von der Lage zu machen, und zeigte dabei seine knochenbrecherischen Zähne.

«Was machen wir denn jetzt?», rief Richie. «Was wollen diese dämlichen Affen überhaupt von uns?»

Noah wusste auch keine Antwort darauf, doch er traute den Affen nicht. Sie standen unter Charlie Reds Kommando, und Charlie Red wollte offenbar verhindern, dass Noah Megan fand. Charlie Red war einer von den Bösen.

«Wir sitzen in der Falle», stellte Ella fest.

Marlo flog aus den Baumwipfeln herab und landete aufgeregt schreiend auf Noahs Schulter.

«Marlo! Was sollen wir jetzt tun?», fragte Noah.

Der Eisvogel warf einen Blick auf die Polizeiaffen und flog zurück in die Bäume. Die Affen hingegen näherten sich den Scouts von hinten und von vorn auf etwa zwanzig Meter.

«Und jetzt?», fragte Ella.

«Lauf einfach durch sie durch, Blizzard!», befahl Noah. «Das ist unsere einzige Chance.»

Der Eisbär hob das Kinn und brummte. Er verlagerte sein Gewicht und bereitete sich darauf vor, durch die Affen hindurchzustürmen. Doch plötzlich – kraaaack! krrraaack! krraaaccckk! – knackten die Bambusstäbe unter seinen Hinterpfoten, und die zerbrochenen Teile kippten in Richtung des tief unter ihnen liegenden Nebels. Die Scouts schrien vor Schreck auf. Die Präriehunde stoben in alle Richtungen davon.

«Die Rampe!», kreischte Ella. «Sie bricht durch!»

Noahs Blick schoss durch die Baumwipfel, und er wünschte Marlo mit aller Macht zu sich zurück. «Komm schon, Marlo!», knurrte er. «Wir brauchen Hilfe! Und zwar jetzt sofort!»

Krraaaacccckkk! Unter Blizzards Gewicht brach ein weiteres Bambusrohr. Die Vorderbeine rutschten zwischen die Planken und baumelten gefährlich über dem Abgrund. Teile des Bambus fielen herab, sanken in den Nebel und wurden nicht mehr gesehen.

«Alle absteigen!», schrie Noah.

Die Affen näherten sich auf zehn Meter. Die verrückten Tiere kümmerte es gar nicht, dass die Rampe zerbrach.

«Bewegt euch!», schrie Noah. «Runter, runter, runter!»

Während sich die Scouts von Blizzards Rücken wälzten, flogen die Vögel aus den Bäumen und schossen auf die Affen zu. Sie piksten sie mit ihren Schnäbeln und Klauen und versuchten so, die Scouts zu beschützen. Sogar Marlo stürzte sich ins Kampfgetümmel. Der winzige blaue Vogel schoss auf einen Affen zu und stach ihm mit seinem spitzen Schnabel in den Po, bis er aufheulte, hochsprang und von der Rampe fiel. Die Affen kreischten und schlugen mit ihren langen, haarigen Armen nach den Vögeln.

Ein Schwarm Spechte hockte in einem Baum in der Nähe. Plötzlich begannen sie alle gleichzeitig mit dem Schnabel an einen Ast zu hämmern. Eine Wolke von Holzstaub und Sägespänen stieg um sie herum auf.

Ella betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. «Das gefällt mir gar nicht», sagte sie.

«Was tun die da?», fragte Richie.

«Wenn ich das wüsste», sagte Noah. «Aber wenn der Ast da runterfällt, landet er genau auf uns drauf.»

Die Scouts verteilten sich. Um sie herum griffen die Vögel weiterhin die Affen an, die «Uh! Uh! Uh!» schrien und mit ihren langen Armen durch die Luft schlugen. Krrraaaacccckkk! Wieder brach ein Bambusrohr entzwei. Blizzard hatte mittlerweile Schwierigkeiten, auf den splitternden Planken zu stehen. Er stöhnte. Jetzt hatte er doch Angst.

Die Spechte hämmerten sich noch tiefer in den Ast. Er zitterte heftig.

«Steh auf, Blizzard!», schrie Noah.

Skkkrrrackkk! Skkkrrrackkk! Skkkrrrackkk! Ein Krachen durchriss die Luft. Dieses Geräusch konnte nur eines bedeuten – der Ast brach, und gleich würde er direkt auf den großen Bären niedersausen.

Endlich gelang es Blizzard, seine Hinterpfoten aus den Löchern zu ziehen.

«Hoch, hoch, hoch!», schrie Noah.

Der Ast senkte sich nach unten, und die Spechte flatterten auf. Sekunden später brach der Ast entzwei.

«Blizzard!», schrien die Scouts wie aus einem Mund.

In dem Moment, als der Ast durch die Luft segelte, befreite Blizzard seine Vorderpfoten und sprang vorwärts. Als der Ast auftraf, erschütterte er die Rampe. Alle – die Affen, die Präriehunde, Podgy, Blizzard und die Scouts – wurden hochgeschleudert.

«Haltet euch fest!», schrie Ella.

Die Rampe schwang eine scheinbare Ewigkeit hin und her. Als sie endlich aufhörte, hob Noah den Blick, um zu sehen, was passiert war. Der gefallene Ast klemmte zwischen der Wand des Vogelhauses und zwei weiteren Ästen fest. Er bildete eine sichere Brücke von der Rampe bis zu einem entfernten Baum. Die Spechte hatten den Scouts einen Fluchtweg geschaffen!

Ein paar Augenblicke rührte sich niemand, mit Ausnahme der Vögel, die die Affen angegriffen hatten. Verwirrt kreisten sie über dem Geschehen.

Dann jedoch, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, erinnerten sich alle wieder daran, was sie gerade noch getan hatten, und setzten ihre Arbeit fort. Die Vögel stürzten sich auf die Polizeiaffen, die wiederum kreischten und nach ihnen schlugen.

Die Scouts liefen auf den umgestürzten Ast zu. Ella kletterte als Erste darauf. «Kommt, Leute!», rief sie. «Er ist ganz stabil!»

Noah sprang auf die Brücke. «Blizzard, er ist auch für dich stark genug!»

Gerade als er überlegte, wie sie Podgy auf die Brücke ziehen sollten, sah er, dass Richie sich des Problems längst angenommen hatte. Er hatte Blizzard seinen Rucksack zwischen die Zähne geschoben und Podgy dafür auf den Rücken genommen. Der Pinguin saß huckepack! Er schlang die Flossen um Richies Schultern und stützte sich mit den Füßen an seinen Seiten ab. Sein Schnabel ragte über Richies Kopf hinweg. Zusammen sahen sie aus wie ein außergewöhnliches Wesen mit zwei schlecht zusammenpassenden Gesichtern. Podgy wackelte nervös mit dem Kopf und schlug mit dem Schnabel gegen Richies Kopf. Sein Schnabel war wie ein Schlagstock und Richies Kopf der hilflose Ball.

Ella und Noah überquerten schnell den Ast. Die Brücke war breit genug, dass Blizzard sie ohne viele Schwierigkeiten erklimmen konnte. Sogar Richie und Podgy schafften es in wenigen Sekunden, auch wenn sie etwas wackeliger auf den Beinen waren als die anderen. Und so saßen alle bald sicher in einem dicken, breiten Ast des neuen Baumes. Die Spechte ließen sich auf dem gefallenen Ast nieder und setzten ihre roten Köpfe wie Miniaturhämmer ein.

«Was machen sie denn jetzt?», fragte Ella.

«Sie machen ihn kaputt», antwortete Richie. «Damit die Affen uns nicht kriegen können – zumindest nicht auf diesem Weg.»

«Sie schenken uns Zeit», sagte Noah.

Krrraaackkk! Der riesige Ast brach entzwei. Die Scouts sahen Rinde, Zweige und Blätter in den tiefen Nebel fallen. Er prallte an anderen Ästen ab und ließ die Bäume erzittern. Schließlich war alles in der Stille des Nebels verschwunden.

Die Minuten verstrichen. Die Scouts klammerten sich an ihren Ast und warteten. Noah musste den nächsten Schritt festlegen. Sie brauchten noch mehr Hilfe von den Tieren, aber sie fürchteten, dass sie von nun an auf sich allein gestellt sein würden.

Doch dann ertönte aus den Tiefen des Flugwaldes ein unheilvolles Brüllen. Vor ihren Augen bewegte sich der Nebel und glitzerte. Er löste sich auf. Nacheinander schoss eine ganze Armee ungewöhnlicher Vögel durch die Nebelwand und flog auf die Scouts zu. Die wolkige Luft wirbelte um ihre Flügel wie Rauch an einem windigen Tag.

«Was soll das denn jetzt bedeuten?», fragte Ella.

«Das ist alles Teil von Marlos Plan», antwortete Noah.

Ella ließ sich gegen einen kleinen Ast fallen. Sie war verwirrt und erschöpft.

«Verstehst du denn nicht? Wir werden von diesem Baum hier abgeholt.» Er streckte den Arm aus und hob den Daumen. «Taxi!», rief er.