31. Kapitel In Sektor 24

Noah erwachte und streckte sich. Er schlug die Augen auf und erwartete, sein Zimmer zu sehen – stattdessen lag da ein tonnenschwerer Eisbär neben ihm. Er sprang auf.

«Was –? Wo bin ich?»

Sein erster Gedanke war, dass sein Zimmer sich über Nacht durch Zauberei in ein Iglu verwandelt hatte. Dann fiel ihm alles wieder ein: wo er war und welche verrückten Ereignisse ihn hierhergebracht hatten.

Blizzard wachte ebenfalls auf. Der Bär rollte sich zur Seite, streckte die riesigen Pranken aus und gähnte. In der Nähe stand Podgy wie ein kleiner Wachsoldat. Noah sah an sich herunter und stellte fest, dass er nackt war. Schnell kreuzte er die Beine und hielt die Hände vor den Körper.

«Leute!», sagte er. «Dreht ihr euch bitte mal um?»

Blizzard und Podgy wandten höflich den Kopf ab. Noah sammelte seine Klamotten auf und stellte fest, dass sie immer noch vollkommen durchweicht waren. «Oh, toll.»

Er sah auf seine Armbanduhr – sie war im Wasser kaputtgegangen. Die sonst rotleuchtenden Zeiger wirkten matt.

«Das wird ja immer besser.»

Er ging zu dem Stapel trockener Kleidung hinüber und wühlte darin herum.

«Woher habt ihr die ganzen Sachen?», fragte er. Er zog eine Jeans und ein Sweatshirt heraus, warme Unterwäsche, eine rote Schneehose, gelbe Stiefel und eine rote Mütze mit Ohrenklappen so groß wie Pfannkuchen sowie einen grünen Poncho. Als er angezogen war, breitete er die Arme aus und blickte seine neuen Freunde an.

«Wie sehe ich aus?»

Blizzard vergrub die Schnauze in seinen Pfoten. Podgy blickte zur Seite und hob den Schnabel in die Luft. Noah verzog resigniert das Gesicht.

Dann ging er zur Tür und sah nach draußen. Wie lange hatte er geschlafen? Er wusste es nicht, doch wenn er danach ging, wie zerschlagen er sich fühlte, konnte es nicht länger als eine halbe Stunde gewesen sein. Zu Hause war es vermutlich gerade mal ein Uhr morgens.

«Wir sollten aufbrechen», sagte er. «Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir verloren haben.»

Die drei traten hinaus in die Kälte. Blizzard legte sich auf den Bauch und forderte Noah dazu auf, wieder auf seinen Rücken zu klettern. Noah sah zu dem Pinguin neben ihm.

«Passt Podgy auch noch darauf? Podgy, kannst du auf Blizzards Rücken steigen?»

Podgy maß den Abstand zwischen dem Boden und Blizzards Rücken. Dann watschelte er voran und sprang so hoch er konnte in die Luft, knallte jedoch bloß mit dem Bauch gegen Blizzards pelzige Flanke.

«Versuch’s noch mal, Podgy», sagte Noah. «Diesmal helfe ich dir.»

Als Podgy wieder sprang, packte Noah sein dickes Hinterteil und schob ihn hoch.

«Herrje, Podgy! Wie viel wiegst du denn?», stöhnte er.

Podgy schlug mit den Flossen und wand sich wie ein Tausendfüßler, bis er gefährlich dicht hinter Blizzards Kopf hockte.

Noah setzte sich hinter den Pinguin, schlang die Arme um seinen Bauch und hielt sich am Nacken des Bären fest. Podgy legte seine Flossen um Noahs Unterarme. Sie sahen aus, als hielten sie sich in den Armen.

«Ja», meinte Noah, «so wird es gehen.» Er klopfte Blizzard auf den Hals. «Los, großer Junge, lass uns losreiten!»

Blizzard knurrte und setzte sich in Bewegung. Seine großen Pranken pressten den Schnee zusammen. Schon bald kam ein Sturm auf. Schnee fiel von der Seite, und der Wind drängte gegen sie. Innerhalb von Minuten war das Iglu hinter einer weißen Wand verschwunden. Noah war dankbar für seine Schneemütze, so albern sie auch aussehen mochte.

Nachdem sie eine halbe Stunde marschiert waren, erreichte Blizzard einen Berg und begann ihn zu erklimmen. Noah sah Pinguine, die in Höhlen vor dem Sturm Schutz suchten. Die drei erreichten den Bergkamm, und von dort sahen sie ein Licht im weißen Tal vor ihnen blinken.

Noah schützte sein Gesicht mit der Hand vor dem eisigen Schnee und Wind. «Müssen wir dahin?» Er musste schreien, damit Blizzard ihn über den lauten Sturm hinweg hörte.

Blizzard knurrte und schwang den Kopf im Kreis. Dann begann er den Abstieg. Podgy hopste herum wie ein plumpes Kind auf dem Knie seines Vaters. Der Berg war so steil, dass Noah schon fürchtete, Blizzard könnte ausrutschen und sie wie eine Lawine ins Tal schicken. Pinguine stoben zur Seite, sobald sie Blizzards Marschroute kreuzten. Und zum ersten Mal sah Noah noch eine andere Tierart: Polarfüchse. Ihr Fell war so weiß und sauber wie der fallende Schnee. Sie schossen in alle Richtungen davon, sprangen über Schneeverwehungen und tauchten in dunkle Höhlen.

Am Fuße des Hügels war das Licht so hell, dass Noah seine Augen schützen musste. Alle paar Sekunden erstrahlte eine neue Farbe über der weißen Landschaft. Direkt unter dem Licht hing ein orangefarbener Vorhang mit dunkelgrünen Fransen. Der Vorhang hing von einer Stange, die wiederum von nichts gehalten wurde. Sie baumelte in der Luft wie von Zauberhand getragen.

«Das ist doch nicht möglich», staunte Noah.

Doch mittlerweile wusste er, dass nichts unmöglich war. Sie kamen an einem schneebedeckten Schild vorbei, und Blizzard blieb stehen. Noah beugte sich vor und fegte den Schnee fort. In das Holzschild waren große schwarze Buchstaben eingeritzt worden: ENDE VON SEKTOR 24

«Sektor 24?»

Blizzard hob die Nase in den Himmel und stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus. Noah schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fürchtete, dass sich der Schnee von den Hügeln lösen könnte. Einen Moment später schob der Bär den Samtvorhang mit der Schnauze zur Seite und trat hindurch. Der Vorhang schloss sich hinter Noahs Rücken und ließ den Sturm hinter ihnen zurück.